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Pam Grier in "Jackie Brown"
Große Erwartungen, keine Enttäuschung
Feature: Quentin Tarantino überzeugt mit Jackie Brown
Nach "Reservoir Dogs - Wilde Hunde" und "Pulp Fiction" glauben nicht wenige, dass Quentin Tarantino mit seinem nächsten Projekt zwangsläufig scheitern muss. Sein dritter Spielfilm "Jackie Brown" überzeugt trotz einiger Mängel. Der Grund? Tarantino wiederholt nicht das alte Erfolgsrezept, sondern schlägt ästhetisch einen neuen Weg ein.
erschienen am 24. 03. 2012
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Quentin Tarantino am Set von "Jackie Brown"
Wunderkind erwachsen
Nach den künstlerischen Erfolgen "Reservoir Dogs - Wilde Hunde" und "Pulp Fiction" sind die Erwartungen an das erklärten Wunderkind des postmodernen Kinos der 1990er Jahre hochgesteckt. Kann der Autodidakt, der sich das Filmemachen in einer Videothek und im heimischen Kino selbst beibringt, seine Erstlingswerkte toppen? Oder wird Quentin Tarantino scheitern, wie schon so mancher vor ihm nach genialen Erstlingen gescheitert waren. Blickt man auf "Jackie Brown", kann man getrost festhalten: Die Adaption des Romans "Rum Punch" von Elmore Leonard kann die vorausgegangenen Filme qualitativ zwar nicht überbieten, aber verstecken braucht sie sich vor ihnen deshalb nicht. Der Grund liegt auch an der klugen wie vorsichtigen Entscheidung Tarantinos begründet, sein Caper-Movie einerseits mit hergebrachten Motiven und Themen zu durchsetzen, andererseits einen neuen, wenn auch im Vergleich zu "Reservoir Dogs - Wilde Hunde" und "Pulp Fiction" konventionelleren ästhetischen Ansatz zu wagen.

Auf der Handlungsebene bleibt sich Tarantino treu. Wieder bewegt sich die Erzählung zwischen Verrat und Rache, die nicht selten in eruptiven Gewaltexzessen mündet. Wieder trifft der Zuschauer dabei auf brutale Gangster und solche, die es gerne wären, ihr Großmannsgehabe jedoch immer wieder durch ihre kleinkarierte Art und ihre Gossensprache untergraben. Neu sind in "Jackie Brown" die stärkere Konzentration auf einen zentralen Charakter sowie die Tatsache, dass es sich dabei um eine Frau handelt. Die in die Jahre gekommene, aber immer noch attraktive Stewardess Jackie Brown (Pam Grier) hat von Waffenhändler Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) den Auftrag erhalten, Geld aus dem Ausland in die USA zu schmuggeln. Als sie von der Polizei erwischt wird, gerät sie in eine schier ausweglose Situation: Verrät sie Ordell, wird der nicht eher ruhen, bis er sie aus dem Verkehr gezogen hat. Tut sie es nicht, muss sie mit einer langen Haftstrafe rechnen. So lässt sich jedoch nicht in die Ecke drängen und holt zum Gegenschlag aus. Mit der Hilfe von Max Cherry (Robert Forster) plant sie, ihre Widersacher gegeneinander auszuspielen und dabei groß abzukassieren. Ihr raffinierter Plan droht allerdings von Ordells Geliebten Melanie (Bridget Fonda) und seinem Kumpel Louis (Robert De Niro) vereitelt zu werden, die den Gangster ebenfalls ausnehmen wollen.
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Robert De Niro in "Jackie Brown"
Geradlinige Erzählung
Im Vergleich zu "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" kommt "Jackie Brown" erzählerisch geradliniger daher. Hier tritt der spielerische Umgang mit dem Plot etwas in den Hintergrund. Tarantino splittert die Handlung nicht mehr in verschiedene Zeitebenen auf und wechselt weniger zwischen Perspektiven und Handlungssträngen. Mit der Ausnahme der zentralen Szene am Ende, in der ein Koffer die Hauptrolle spielt und die zeitliche Kontinuität für einen Moment aufgebrochen ist, bleibt der Handlungsverlauf des Films linear. Dadurch hat Tarantino die Möglichkeit, sich mehr den Charakteren und ihrem Milieu zu widmen, wobei er darin mitunter so präzise ist, dass selbst kleinste Gesten und Details vom Kameraauge beobachtet werden.

Andererseits wird Tarantino seinem postmodernen Film- und Kunstverständnis auch in "Jackie Brown" gerecht, indem er erneut für seine schillernden Rollen auf Schauspieler zurückgreift, die maßgeblich die Kinokultur prägten und zu deren Ikonen wurden. In "Pulp Fiction" entriss er John Travolta der Vergessenheit und bescherte ihm mit einem aufsehenerregenden Comeback eine zweite Karriere. Der Clou dieser Besetzungsstrategie bestand darin, dass er die konnotative Verankerung Travoltas in Tanz- und Musicalfilmen ("Saturday Night Fever", "Grease - Schmiere") nutzte, um sie in "Pulp Fiction" nicht nur in einen neuen inhaltlichen und konzeptionellen Kontext zu stellen, sondern um damit auch eine referenzielle Metaebene zu schaffen. Ähnlich geht Tarantino auch in "Jackie Brown" vor. So besetzt er die Hauptrolle mit Pam Grier und erinnert damit an die Blaxploitation-Movies der 1970er Jahre, welche die fast vergessene Schauspielerin mit Filmen wie "Foxy Brown" und "Sheba, Baby" wesentlich mitprägte.
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Robert Forster in "Jackie Brown"
Filmgeschichte im Visier
Wie subtil Tarantinos Besetzungsstrategie ist, merkt man auch an Robert Forsters Rolle des Kautionshändlers. Man kann nicht umhin, diesen Auftritt mit Simon Oaklands Darstellung des Psychiaters am Ende von Alfred Hitchcocks "Psycho" zu vergleichen. Der Grund liegt weniger an inhaltlichen Überschneidungen oder der Ähnlichkeit beider Schauspieler, sondern an der Art und Weise, wie beide Regisseure ihren Typus als Schauspieler in den Kontext des Films einzubringen. Wie der Meister des Suspence mag auch Tarantino im Fall von Forster vor allem an den Reiz der Auffälligkeit des Unauffälligen gedacht haben, als er dem in der Filmgeschichte kaum prominent in Erscheinung getretenen Schauspieler in "Jackie Brown" eine tragende Rolle anvertraute. Es ist kein Zufall, dass Forster nur ein Jahr später in Gus van Sants "Psycho"-Neuauflage eben jenen Psychiater verkörperte, den 40 Jahre zuvor Oakland spielte.

Trotz des postmodernen Zeichenspiels, bei dem im Übrigen - wie immer bei Tarantino - auch der Soundtrack eine zentrale Rolle spielt, ist der Filmemacher in "Jackie Brown" weniger um eine raffinierte Plotkonstruktion, eine inszenatorische Spielfreude und ein ausgeprägtes Bildbewusstsein bemüht. Viel mehr interessiert er sich für das, was sich vor der Kamera abspielt. In diesem Punkt stößt Tarantino allerdings an seine Grenzen. Bei allem Sinn für Figurenzeichnung und Milieuschilderung vergisst er darüber manchmal die Entwicklung der Handlung. Bereits in "Reservoir Dogs - Wilde Hunde" und "Pulp Fiction" hatte er den ausgeprägten Hang, den Handlungsverlauf mit Szenen zu durchbrechen, die sich auf die aberwitzigen Dialoge und die Verschrobenheit der Figuren einließen. In "Jackie Brown" dehnt er die stillstehenden, vertikalen Momente jedoch so sehr in die Länge, dass der Film beinahe zum Erliegen kommt. Man hat den Eindruck, dass es Tarantino in "Jackie Brown" an künstlerischer Entschiedenheit mangelte. Der Film will eine Mischung aus vielem sein: ein Tarantino-Werk mit interkulturellen Verweisen, linear-klassisches Erzähl- sowie auktorial-entschleunigtes Autorenkino. Eine ausgewogene Balance zwischen all dem will ihm jedoch nicht ganz gelingen. Gescheitert ist Tarantino damit jedoch nicht. Vielmehr gebührt ihm Anerkennung dafür, einen neuen Weg für seine Fortexistenz als Regisseur gewagt zu haben, nachdem er den bereits beschrittenen selbst zugemauert hatte.
erschienen am 24. März 2012
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