Universum Film
Tatis herrliche Zeiten

Tatis herrliche Zeiten

Originaltitel
Playtime
Alternativ
Play Time; Playtime - Tatis herrliche Zeiten
Regie
Jacques Tati
Darsteller
Henri Piccoli, Jack Gauthier, Grégoire Katz, Michel Francini, Reinhard Kolldehoff, John Abbey
Kinostart:
Deutschland, am 01.08.1968 bei
Genre
Komödie
Land
Frankreich, Italien
Jahr
1967
FSK
ab 6 Jahren
Länge
82 min.
IMDB
IMDB
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brillant  10|
9,0 (Filmreporter)
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Monsieur Hulot zu Gast in der Modernen
Wir befinden uns in Paris. Lautsprecherdurchsagen lassen vernehmen, dass wir uns an einem Flughafen befinden. Inmitten dem Trubel entdecken wir Monsieur Hulot (Jacques Tati). Verwirrt eilt er zur Busstation und tingelt zusammen mit einer Gruppe von Touristen und Geschäftsleuten in die Stadt. Das Durcheinander nimmt auch in der aus Stahl und Beton konstruierten Metropole kein Ende.

Monsieur Hulot hat einen Termin mit Monsieur Giffard - man weiß nicht, was er von ihm will, aber das ist auch gar nicht wichtig - und macht sich mit uns auf die Suche in einem der unüberschaubaren Bürogebäude. Riesige Glastüren, unermesslich lange Gänge, quietschende Plastiksessel, Hulot sucht seinen Weg durch das wuselnde Labyrinth. Er rutscht auf dem glatten Boden aus - fast lupenrein sauber ist hier alles. Und weiter geht die Suche: Wohnungen, Restaurants, Messehallen. Ein Gemurmel aus Deutsch, Englisch und Französisch ist zu hören. Deutlich hörbarer als die Dialoge sind die skurrilen Geräusche. Auf einer Messe wird ein neuartiges Material vorgeführt, das völlig geräuschlos ist: Da raschelt die Zeitung nicht, und sogar wenn jemand die Tür zuknallt, bleibt alles still. Für Monsieur Hulot ist und bleibt diese merkwürdige neue Welt ein Mysterium.
Wie schon in "Mein Onkel" beschäftigt sich Jacques Tati auch in "Playtime - Tatis herrliche Zeiten" mit der Stereotypisierung von Menschen und Gegenständen und der daraus resultierenden Monotonie im Zuge des Fortschrittwahns. Tati kreierte eine Kulissenstadt mit Glasfassaden, modernen Möbeln und anderem Interieur - und den dazu gehörigen modernen Menschen. Die Objekte der Moderne scheinen den Menschen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Individualität ist nicht mehr gefragt.

Das Geräusch einer Pfeffermühle oder von quietschenden Plastiksesseln scheinen das Sprechen, Lachen und Weinen der Menschen abgelöst zu haben. Neun Jahre arbeitet Tati an der skurril-absurden Komödie. Anders als in seinen früheren Werken fungiert er nur als ein Darsteller unter vielen. "Playtime" ist mit Hunderten von kleinen Handlungssträngen versehen, die im Bildvordergrund und im Hintergrund zugleich ablaufen. Für das künstlich erschaffene "Tativille" ließ Tati im Bois de Vincennes Kulissen aus 1.200 Quadratmetern Glas und 50.000 Kubikmeter Beton errichten.

Leider floppte die unterhaltsame Parodie auf den Fortschrittswahn zunächst an den Kinokassen. In den sechziger Jahren hatte der spätindustrielle Fortschrittsoptimismus gerade seinen Höhepunkt erreicht, und dem breiten Publikum fehlte das Verständnis für einen Film, der all das Erreichte in Frage stellt. Von den Kritikern wurde "Playtime" jedoch hochgelobt und 1968 von der Französischen Filmakademie mit dem "Grand Prix" ausgezeichnet. Zu recht, den Tati ist das witzigste, was das französische Kino bis dato hervorgebracht hatte.
Birgit Deiterding/Filmreporter.de
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Tatis herrliche Zeiten
2024