Alive
Auszeit

Auszeit

Originaltitel
L' emploi du temps
Regie
Laurent Cantet
Darsteller
Pauline de Laubie, Jamila Abdallah, Didier Folques, Sophie Cabaille, Pascal Maugein, Jacques Gillot
Kinostart:
Deutschland, am 10.10.2002 bei Alamode Filmdistribution
Genre
Drama
Land
Frankreich
Jahr
2001
Länge
132 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
8,0 (Filmreporter)
9,0 (1 User)
Filmportrait eines desillusionierten Arbeitslosen
Vincent telefoniert grundsätzlich mit dem Handy, pendelt zwischen Genf und den französischen Alpen hin und her und kauft schon mal einen neuen Land Rover, wenn er Lust drauf hat. Aber Vincent ist kein Nouveau Riche, sondern ein Arbeitsloser, völlig ohne Halt und Orientierung. Vor über einem Monat hat er seinen Job als Consultant verloren - weil er lieber stundenlang im Auto fuhr, statt die Autobahn zu verlassen und seine Klienten zu besuchen.

Seine Familie ahnt zunächst nichts von der Misere. Denn sie glaubt, dass Vincent einen gutbezahlten Job bei den Vereinten Nationen in Genf angenommen hat. Sein Vater leiht ihm Geld, damit er sich dort eine Wohnung kaufen kann, seinen Freunden knöpft Vincent tausende von Francs ab, indem er ihnen hohe Renditen aus windigen Auslandsgeschäften verspricht. In Wahrheit landet das Geld in den Kassen des Autohändlers oder der Autobahnraststätte, auf deren Parkplatz Vincent übernachtet.

Vincent verstrickt sich mehr und mehr in sein aus Lügen und Schulden gesponnenes Netz. Die harte Landung glaubt er etwas hinauszögern zu können, indem er auf seinen einsamen Autofahrten kurze Glücksmomente verspürt. Seine Familie, die ihm seine Lügen mehr oder minder gutgläubig abnimmt, blockt er ab, wann immer ihm Frau, Kinder oder Eltern mit ihren besorgten Fragen zu nahe kommen. Mehrmals müsste sich Vincent nur zu ihnen umdrehen, könnte ihnen seine Lage schildern, und damit beginnen, am Ausweg aus der Krise zu basteln. Statt dessen erfindet er nur eine weitere Notlüge.

Der Einzige, dem Vincent die Wahrheit über sein Leben beichtet, ist ein Fremder: Jean-Michel, eine Bekanntschaft aus der Hotel-Lobby. Dem Außenstehenden kann man die Wahrheit eher ins Gesicht sagen, ohne sein eigenes zu verlieren. Während Vincent sein Leben auf einer falschen Biographie aufbaut, handelt Jean-Michel mit gefälschten Uhren, Sonnenbrillen und T-Shirts aus dem Ostblock. Vincent wird schließlich zum Komplizen dieses Schmugglers werden und auch den letzten Funken an Wahrhaftigkeit verlieren - und sich dabei seiner Lebenslüge erst richtig bewusst werden.
Auszeit, der zweite Film von Regisseur und Drehbuchautor Laurent Cantet ("Ressources humaines"), ist ein genau beobachtetes Psychogramm eines desillusionierten Arbeitslosen, der sich und seinen Angehörigen eine Scheinwelt erfindet und in dieser selbstgeschaffenen Luftblase fortlebt. Deren Zerplatzen ist aber absehbar. Sein Schicksal scheint von einer permanenten dunklen Wolke überschattet - man ist als Zuschauer erstaunt und geradezu geblendet, wenn auf der Leinwand kurzzeitig das vermeintlich glückliche Familienleben oder die schneeweiße Pracht der französischen Alpen zu sehen sind. Einen bitteren Beigeschmack hat das fast immer.

128 Minuten lang lässt Cantet das Leben seines Protagonisten den Bach hinuntergehen, immer tiefer der Katastrophe entgegenschlittern. Langweilig wird das nie. Vincents Lethargie, die Aurélien Recoing mit jeder Bewegung ausdrückt, aus jeder Pore ausstrahlt, trägt den Film von ganz alleine. In der Einstiegsszene fährt Vincent mit dem Auto neben einem hochalpinen Bummelzug her und beginnt ein Wettrennen, dass er, wie so vieles andere in diesem Film, verliert. Der Zug des Lebens, so scheint es, fährt an ihm vorüber - ohne ihn an Bord. Selten ist das deutlicher in Bilder gefasst worden als hier.
Frank Geissler, Filmreporter.de
Flucht als Fulltime-Job
Vincent telefoniert grundsätzlich mit dem Handy, pendelt zwischen...
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