Concorde Filmverleih
Dogville
Theater im besten Sinne: Lars von Triers Dogville
Feature: Von Hunden und Menschen
Man könnte lange von den famosen Schauspielern schwärmen, en detail die revolutionäre Form bejubeln, oder die mögliche Amerikafarce diskutieren, die Lars von Triers jüngstes Werk auf den ersten Blick dominieren. Das sparen wir uns. Womöglich ist dem 47-jährigen Dänen nämlich sein Erfolg derart zu Kopf gestiegen, dass er alles für bahnbrechende Kunst hält, was er fabriziert. Nur so ist nachvollziehbar, dass sich Nicole Kidman als Gangsterbraut Grace auf einer unfertigen Theaterbühne von einem Dutzend versierter Darsteller-Asse, die uns als Bürger der amerikanischen Kleinstadt Dogville verkauft werden, am laufenden Band benutzt, gequält und vergewaltigt wird.
erschienen am 21. 10. 2003
Concorde Filmverleih
Regisseur Lars von Trier mit Nicole Kidman am Set von: Dogville
Richtig, dass ist das vorrangige von Triersche Prinzip: die zumeist weibliche Protagonistin muss unvorstellbares Leid kumulieren, bis die Katharsis erfolgt. So funktionierten "Dancer in the Dark" (2000) und auch "Breaking The Waves" (1996). Der Schmerz war eingebettet in eine Geschichte, die mitriss und unaufhaltsam auf den Punkt zusteuerte, wo alle Emotionen explodierten.

"Dogville" ist Abstraktion, auch von diesem Konzept, dass in einem quälend monotonen Prozess seziert wird - ein Exempel an Leidensfähigkeit. Drei Stunden lässt sich der Exzentriker damit Zeit und weder er noch die Hauptfigur verlieren auch nur einen Moment die Contenance. Nur weil Grace (Nicole Kidman) bereit ist, alles klaglos wie ein Lamm über sich ergehen zu lassen, gilt das noch lange nicht für den Zuschauer, der, sofern nicht masochistisch veranlagt, zumindest eine plausible Regung von der Identifikationsfigur einfordert. Wer sich schicksalsergeben und klaglos vergewaltigen lässt, verspielt seine Glaubwürdigkeit. Es zeugt von Perfidie des Drehbuchs, dass sie nicht ein einziges Mal versucht, sich zu wehren.
Concorde Filmverleih
Nicole Kidman in: Kidman
Das ist die Antithese zu "Girlfight" und so unzeitgemäß, dass beileibe nicht nur Feministen Sturm laufen sollten. Mit einer begründeten, erhabenen Christus-Passion - diese Assoziation hegt von Trier - hat das sadistische Vergnügen, mit dem er Leid um des Leidens Willen zelebriert, nicht das mindeste gemein: L'Art pour L'Art in seiner schlimmsten Form. Diese fast schon krankhafte Pose hat beim Rezensenten - bislang ein glühender Verehrer - einen extremen Widerwillen ausgelöst, wie ihn sonst nur David Lynch oder Roeg fähig sind zu evozieren.

Andererseits urteilt man nie härter als aus enttäuschter Liebe. Lars von Trier hat schon immer provoziert und polarisiert. Besonders US-amerikanische Kritiker fühlten sich verunglimpft und warfen ihm pauschal Antiamerikanismus vor. Dieses Totschlagargument übersieht beflissentlich, wie universell er die Seele einer Kleinstadt gemäß Brecht und Dürrenmatt auslotet und die Bestie im Menschen entlarvt, beide Seiten der Sklaverei ertastet, mit dem Guten das Böse beschwört, den kapitalistischen Gegenwert für Toleranz berechnet und den Unterschied von Mensch und Hund bestimmt. Zugleich trägt die (leider kaum einleuchtend gestaltete) Ausweglosigkeit aus einer persönlichen Hölle kafkaeske Züge, deren Surrealität im experimentellen Ambiente besonders zum Tragen kommt. Doch darüber hinaus herrscht eine angestrengte Themenarmut in einem bloß noch schematischen Diagramm, das sich sogar der emotionalen Befreiung versagt.
erschienen am 21. Oktober 2003
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Lars von Trier zählt zu den innovativsten Regisseure seiner Generation. 1956 in Kopenhagen geboren, spielt er bereits als Zwölfjähriger in einer dänischen Kinderfernsehserie mit. Später studiert er an der dänischen Filmhochschule, die er im Jahre 1983 erfolgreich beendet. Mit dem Diplom in der Tasche beginnt er beginnt sofort Filme zu drehen. Er sichert sich bald die Aufmerksamkeit des Fachpublikums. Obwohl er nie leichte Kost produziert und seine Werke den Zuschauer meist in verstörende..
Dogville (Kinofilm)
Lars von Trier ("Dancer in the Dark") kehrt mit einem radikalen Thriller nach Cannes zurück und sorgt dort prompt für eine kontroverse Diskussion. Die Menschlichkeit und Güte thematisierende Studioproduktion wirkt durch die karge Ausstattung fast wie ein Kammerstück. Die Depression wirft große Teile der amerikanischen Bevölkerung in die Armut. Als in dem kleinen Dorf in den Rocky Mountains 1930 die junge Grace (Nicole Kidman) auftaucht, wird sie zunächst freundlich aufgenommen. Als sich..
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