Pandora Film
Szene aus "Was bleibt"
Subtile Gesellschaftsanalyse
Feature: Hans-Christian Schmids feinfühliges Drama
Hans-Christian Schmids "Was bleibt" wirft einen feinfühligen Blick hinter die Fassade deutscher Familienstrukturen. Das Drama handelt von einer verheirateten Mutter, die nach 30 Jahren die Medikamente gegen ihre Depression absetzt, um diese gegen das traditionelle chinesische Heilmittel der Akupunktur auszutauschen. Ihre Familie ist geschockt, allerdings weniger aus Sorge um die Mutter bzw. Ehefrau als um ihrer selbst willen. Von den großartigen Darstellern des Kammerspiels ragen vor allem Corinna Harfouch und Lars Eidinger heraus.
erschienen am 6. 09. 2012
Pandora Film
Depressive Corinna Harfouch in "Was bleibt"
Turbulentes Familientreffen
Es sollte ein fröhliches Familientreffen werden. Doch es kommt anders in Hans-Christian Schmids sensiblem Drama "Was bleibt". Denn eines der Familienmitglieder möchte aussteigen aus dem betäubten Dasein, möchte die Illusionen und das Lügengespinst aufbrechen und sich endlich dem Leben stellen. Auch wenn damit ein lange fällige Konfrontationen in Kauf genommen und schmerzhafte Wahrheiten ans Tageslicht befördert werden. 30 Jahre hat Gitte (Corinna Harfouch) Tabletten gegen ihre Depressionen genommen. Nun hat sie sich entschlossen, diese abzusetzen. Statt auf Psychopharmaka will sie auf das traditionelle Heilmittel der Akupunktur setzen. Als sie die Nachricht ihren beiden Söhnen und ihrem Ehemann am Tisch erzählt, erntet sie Fassungslosigkeit statt Unterstützung.
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Regisseur Hans-Christian Schmid ("Was bleibt")
Blick hinter die Fassade
"Was bleibt" wirft einen eindringlichen Blick hinter die Fassade deutscher Familienstrukturen und entdeckt dabei so einige Unstimmigkeiten in einem vermeintlich harmonischen Gefüge. Jeder der Familienangehörigen hat sich in einem Lügengespinst eigerichtet, versucht eine zerrüttete Existenz krampfhaft aufrecht zu erhalten. Da ist etwa der von Lars Eidinger verkörperte Mark, ein junger Schriftsteller, dessen Ehe schon längst gescheitert ist. Sein kleiner Sohn ist weniger Kitt, als vielmehr der seidene Faden, an dem die Beziehung hängt. Marks jüngerer Bruder Jakob (Sebastian Zimmler) lebt in einer Fernbeziehung und ist auch beruflich auf dem absteigenden Ast. Seine Zahnarztpraxis zieht schon lange keine neuen Patienten mehr an. Eigentlich müsste er Konkurs anmelden, doch er möchte den Sachverhalt nicht wahrhaben und erst recht nicht seine Familie in Kenntnis setzen. Er ist zu beschämt wegen des Scheiterns. Vater Ernst (Ernst Stötzner) hat sich schon längst von Gitte auseinandergelebt und pflegt seit geraumer Zeit eine Affäre mit einer Jüngeren. Seine Firma hat der ehemalige Verleger verkauft und ist drauf und dran, ins Ausland zu reisen, um sich seinen Studien für ein Sachbuch zu widmen.
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Corinna Harfouch und Ernst Stötzner in "Was bleibt"
Generationen übergreifendes Gesellschaftsbild
Kein Wunder also, dass bei diesen Verhältnissen Gittas Nachricht bei allen Beteiligten eine Schockstarre auslöst. Es ist aber nicht die Sorge um ihren Gesundheitszustand, die Söhne wie Ehemann erschüttert, als vielmehr die Erkenntnis der damit zusammenhängende Verantwortung. Jahrelang wurde Gitte mit Medikamenten auf Abstand gehalten, sei es aus Sorge um die Entwicklung der Kinder, sei es um der Karriere ihres Mannes. Nun ist die Krankheit ungehemmt an der Oberfläche und alle müssen sich schutzlos damit auseinandersetzen.

Hans-Christian Schmid und Drehbuchautor Bernd Lange zeichnen ein Generationen übergreifendes Gesellschaftsbild, in der der Einzelne ganz auf sich selbst fixiert ist und nicht bereit ist, sich für andere zu opfern. Einzig die Frau ist zu altruistischem Verhalten fähig ist. Nachdem sie jahrelang ihr Leben für die Familie geopfert hat, ist sich Gitte auch nach ihrer radikalen Entscheidung der Selbstfixierung ihrer Angehörigen bewusst, was sie zu einer noch radikaleren Entscheidung nötigt. Alles für die Familie.
Pandora Film
Was bleibt
Vom Plot zum Charakter
Nach dem laut Schmid eher Plotorientierten Drama "Sturm" wollten Schmid und Lange mit "Was bleibt" wieder einen Film machen, der sich ganz auf die Figuren einlässt. Das erreichen sie, indem sie ihre Befunde nicht in ein lineares Konstrukt zwängen, sondern diese Schicht für Schicht zutage fördern. Behutsam nähert sich auch die klar und sensibel geführte Kamera Bogumil Godfrejows den Protagonisten und entäußert gemeinsam mit den großartigen Darstellern ihr strapaziertes Innenleben. Heimliches Zentrum des Dramas ist Marko, eine Figur mit der sich sowohl Schmid als auch Lange nach eigenen Angaben identifizierten. Eidinger spielt ihn betont zurückgenommen und doch subtil genug, um das gesamte Spektrum dieses Intellektuellen sichtbar zu machen.

Eine der schönsten Szenen des Films ist dramaturgisch jenseits des Situativen angesiedelt. Es ist eine Szene, die rätselhaft und verstörend zugleich ist, weil ihr die Ungewissheit anhaftet, ob sie Traum oder Wirklichkeit, Wahn oder Erfahrung ist. Damit ist nichts anderes gemeint als der feinfühlige und reife Filmverstand der Filmemacher hinter und vor der Kamera.
erschienen am 6. September 2012
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Im bayerischen Wallfahrtsort Altötting geboren, wird dem deutschen Regisseur Hans-Christian Schmid manchmal unterstellt, er sei katholisch und konservativ erzogen worden. Doch das ist falsch. Zwar lassen "Die Mechanik des Wunders", "Himmel und Hölle" und nicht zuletzt "Requiem" darauf schließen, doch Schmids Elternhaus war äußerst liberal. Schon Ende der 1990er Jahre etablierte sich der Student der Hochschule für Fernsehen und Film München als Drehbuchautor und Regisseur. Mit "23 - nichts ist..
Was bleibt (Kinofilm)
Schriftsteller Marko (Lars Eidinger) fährt mit seinem kleinen Sohn zu seinen Eltern. Doch das Familientreffen entwickelt sich anders, als erwartet. Mutter Gitte (Corinna Harfouch) offenbart der Familie, dass sie die Medikamente gegen ihre Depression abgesetzt hat. Sie will sich mit Akkupunktur behandeln lassen. Ihre Angehörigen reagieren entsetzt, das künstlich aufrechterhaltene Familienkonstrukt droht einzustürzen. Hans-Christian Schmid und Drehbuchautor Bernd Lange ist ein eindringliches..
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