Roberto Benignis Pinocchio
50 jähriger Pinocchio enttäuscht die hohen Erwartungen
Feature: Pinocchio ist Benigni; Benigni ist?
Dass Lügen kurze Beine oder eine lange Nase haben, das lernt Pinocchio früh in seinem Marionettenleben. Kindskopf der er ist, muss er erleben, welche Früchte er mit seinem Eigensinn erntet, und dass ihm dabei eine lange Nase wächst. Selbst in einen Esel verwandelt er sich und das ist noch der geringste Preis, den er bezahlen muss. Carlo Collodi schrieb Pinocchio 1881 als Fortsetzungsgeschichte in einer Kinderzeitung. Seitdem sind die Abenteuer des Marionettenjungen nicht nur in Italien zum absoluten Klassiker unter den Kinder- und Jugendbüchern geworden.
erschienen am 12. 03. 2003
Roberto Benigni ist: Pinocchio
Zum Bekannt werden der Geschichte auch außerhalb ihres Geburtslandes haben besonders die diversen Verfilmungen beigetragen, zu deren bekanntesten wohl Walt Disneys Zeichentrickfilm zählt. Roberto Benigni ist in Deutschland einigen bereits seit seinem Auftritt in Jim Jarmuschs "Down by Law", den meisten dürfte er aber erst seit seinem Kinoerfolg "Das Leben ist schön" bekannt sein. Er hat den Klassiker als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller verfilmt.
Nicoletta Braschi in: Roberto Benignis Pinocchio
Pinocchio ist kein Erziehungsroman im eigentlichen Sinne. Trotzdem werden den jungen Lesern mit jeder Episode die Konsequenzen eigensinnigen, selbstbezogenen und unvorsichtigen Handelns eindrücklich vor Augen geführt. Aber aus Schaden wird man bekanntlich klug, und so lernt der Holzjunge seine Lektion und wird dafür am Ende der Geschichte damit belohnt, dass er in einen wirklichen kleinen Jungen verwandelt wird.

Pinocchio ist wild und ungezähmt, rücksichtslos und grenzenlos auf sich selbst und seine Bedürfnisse bezogen. Er folgt seiner Neugier auf ganz naive und anarchistische Art und Weise, und fällt dabei immer wieder auf die Nase. Aber Pinocchio ist eben ein Marionettenjunge, ein Dummkopf, der noch nichts vom Leben verstanden hat. Er hat noch sein ganzen Leben vor sich, um zu lernen. Und das tut er.
Szene aus: Roberto Benignis Pinocchio
Roberto Benigni ist Pinocchio. Er wurde 1952 geboren, und das sieht man ihm natürlich an. Pinocchio ist 50 Jahre alt, da hilft auch alle Hagerkeit und Jugendlichkeit des Schauspielers nichts. Aus einem eigensinnigen, ungezogenen Kind ist ein eigensinniger, 50-jähriger Mann geworden, der sich einfach daneben benimmt, weil er sein ganzes Leben nichts verstanden hat. Wo Pinocchio einen Fehler nach dem anderen begeht, weil er es nicht besser weiß, begeht Benigni-Pinocchio einen Fehler nach dem anderen, obwohl er es besser wissen müsste. Pinocchio, als Entwicklungsgeschichte gedacht, funktioniert mit Begnini als Hauptdarsteller einfach nicht. Da können die Kostüme und die Ausstattung noch so schön und traumhaft sein. Falls Benigni uns zeigen wollte, dass auch ein erwachsener Mann durchaus ein Kind sein kann, dann hätte er dazu besser eine andere Geschichte gewählt.
Roberto Benigni in: Pinocchio
Für diejenigen, die sich über den Film hinaus für Benigni und seine Arbeit interessieren, stellt diese Verfilmung allerdings einen interessanten Stein in einem großen, bunten Mosaik dar. Benigni hat schon immer einen symphatischen Hang zur Anarchie gehabt. Seine gesamte Karriere über hat er immer wieder damit überrascht, wie wenig er sich um Konventionen und darum schert, was von ihm erwartet wird. Um es mit Benigni zu sagen: "wenn alle erwarten, dass ich 'Krik' mache, dann verspüre ich das Bedürfnis 'Krak' zu machen." Ein "Krak" ist ein 50-jähriger Pinocchio allemal. Und um es ganz klar zu machen, hat Nicola Piovani, preisgekrönter Komponist von Filmmusiken u.a. für Federico Fellini, Nanni Moretti und auch für Benignis " Das Leben ist schön " (wofür Piovani den Oscar erhielt) aus dem "Krik - Krak" das Titellied für "Pinocchio" geschmiedet.
Szene aus: Roberto Benignis Pinocchio
Wie immer in seinen Filmen spielt Benigni auch in dieser Produktion an der Seite seiner großen Liebe Nicoletta Braschi, sie in der zauberhaften Rolle der Fee mit den blauen Haaren. Braschi ist eine Konstante in Benignis Filmen und Leben, angefangen von Benignis erster Regiearbeit "Tu mi turbi" aus dem Jahre 1983, in dem Braschi die Maria und Benigni den Babysitter Jesus' spielt.

Warum aber Pinocchio? "Mich zu fragen, wann ich diese Idee hatte, ist, wie eine Eiche zu fragen, wann sie auf die Idee gekommen ist, Eicheln zu haben. Es ist etwas ganz natürliches, etwas wunderschönes!" sagte dazu Benigni. Tatsächlich wurde Beningni schon von Federico Fellini während der gemeinsamen Dreharbeiten zu Fellinis letztem Film "Die Stimme des Mondes" kleiner Pinocchio - "Pinocchietto" -genannt, und Pinocchio zählt zu den Lieblingsbüchern Benignis. Er hat sich mit dem Film einen lange gehegten, persönlichen Traum erfüllt.
Roberto Benigni als: Pinocchio
Aber nicht genug mit dem Pinocchio. Nachdem Benigni die Hauptrolle in dieser Kindergeschichte gespielt hatte überraschte er im Dezember 2002 sein italienisches Publikum mit einem weiteren "Krak": Am 23.Dezember räumte der Staatssender RAI, der im allgemeinen durch laue Showtreppen-Unterhaltung glänzt, Benigni fast drei Stunden zur besten Sendezeit ein. Titel der Veranstaltung: "L'ultimo del Paradiso" - der letzte "Gesang" ("l'ultimo canto") aus dem letzten Teil der Dante-Trilogie der "göttlichen Komödie" - dem "Paradies".

Das Spektakel begann nach bekannter Manier mit ein bisschen "Karneval": Benigni zog gekonnt die Regierung durch den Kakao, stellte deren Mitglieder und andere Personen des öffentlichen Lebens u.a. als Spermatozoen dar und erntete schallendes Gelächter. Er sang mit einem Kinderchor das Pinocchio-Titellied, und alles lief in gewohnter Manier, bis - ja bis plötzlich Ruhe einkehrte im Studio.
Szene aus: Roberto Benignis Pinocchio
Da stand nun Benigni alleine auf der Bühne, an seiner Seite ein Pult, und begann mit einer klassischen Gedichtinterpretation. Man muss dazu wissen, dass viele Italiener während ihrer Schulzeit durch den ersten Teil der göttlichen Komödie, das "Inferno", gescheucht wurden. Und wenn schon das Inferno in seiner mittelalterlichen Sprache (entstanden zwischen 1307 - 1321) ein harter Brocken ist, so ist es der letzte Teil, das Paradies, umso mehr, was dazu führt, dass ihn auch in seinem Ursprungsland nur die wenigsten kennen. Benigni aber interpretierte und erklärte den ausgewählten Teil dieses epischen Gedichtes mit Hingabe und völliger Begeisterung auf eine Weise, die die literarische und gedankliche Schönheit Dantes auch einem breiten Publikum eröffneten. Das dauerte fast zwei Stunden, und das Publikum lauschte entzückt und bedankte sich nach einer abschließenden, freien Rezitation der vorgestellten Verse mit Standing Ovations.

Zwölf Millionen Zuschauer verfolgten Benignis Gedichtinterpretation am Bildschirm, die nur die Krönung seiner bereits seit 1999 an italienischen Universitäten durchgeführten Lesungen bildete. (Für seine Verdienste um die Literatur erhielt Benigni im Jahre 2002 die Ehrendoktorwürde an der Universität von Bologna). Da bei Benigni auf ein "Krik" garantiert ein "Krak" folgt, darf man gespannt sein, womit er sein Publikum als nächstes überraschen wird.
erschienen am 12. März 2003
Zum Thema
Roberto Benigni (Das Leben ist schön) durfte für europäische Verhältnisse märchenhafte 40 Millionen Euro ausgeben, um das klassische Märchen auf die Leinwand zu bannen. Italien 1880: Schreiner und Spielzeugmacher Gepetto schafft mit Pinocchio eine Holzpuppe, die durch den Zauber der blauen Fee zum Leben erweckt wird. Pinocchios größter Wunsch ist es, ein richtiges Kind zu werden - wäre da nicht seine blühende Phantasie...
Geboren in Misericordia, Arezzo, Tuscany, Italien.
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