Universum Film
Sir Michael Caine und Do Thi Hai Yen in: Der stille Amerikaner
Stiller Amerikaner mit einjähriger Verzögerung, rechtzeitig im Kino
Feature: Zwischen Besetzung und Befreiung
Das nennt man schlechtes Timing. Am 11. September 2001 hatte der australische Regisseur Phillip Noyce um 9 Uhr früh einen Termin bei Miramax-Boss Harvey Weinstein - Downtown Manhattan in Sichtweite der Twin-Towers. Das Treffen, bei dem es um die Veröffentlichung von Noyces Film "Der stille Amerikaner" gehen sollte, fand nicht statt. Der Starttermin wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. In die Zeit des Kriegs gegen den Terror schien der Film nicht zu passen.
erschienen am 18. 05. 2003
"Der stille Amerikaner" basiert auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autors Graham Greene. Er lässt die amerikanische Außenpolitik in keinem guten Licht dastehen. Geschildert werden die Ereignisse im Vietnam des Jahres 1952, also zu einer Zeit, als die französische Kolonialmacht im Indochina-Krieg gegen den erstarkenden nordvietnamesischen Kommunismus kämpfte. In US-amerikanischen Politkreisen hatte sich die Überzeugung breit gemacht, dass eine dritte, unabhängige - beziehungsweise von den USA abhängige Kraft - die Führung in Vietnam übernehmen sollte. Vor diesem Hintergrund entfaltet Noyce ein tiefgründiges Drama, in dessen Mittelpunkt der britische Journalist Thomas Fowler (Sir Michael Caine) steht.
Fowler schreibt nur wenige Artikel für sein Heimatblatt, die London Times, genießt stattdessen umso mehr das Leben in Vietnam. Das besteht für ihn aus reichlichem Opiumkonsum, Aufenthalten in den Cafés der betörenden Stadt Saigon und der Liebesbeziehung zur bezaubernden Vietnamesin Phuong (Do Thi Hai Yen). Vor Jahren erlöste er diese von ihrem tristen Dasein als Tänzerin in einem französischen Lokal. Nun ist er mehr von ihr abhängig als sie von ihm. Wenn sie ihn verließe, weiß Fowler, wäre es für ihn der Anfang vom Ende, sind seine besten Tage doch lange vorbei. Dem Ende scheint er bald näher als erwartet, als der schüchterne, vermeintlich unerfahrene Amerikaner Alden Pyle (Brendan Fraser) in Fowlers Leben tritt.
Pyle gibt vor, medizinische Hilfsdienste in Vietnam leisten zu wollen, und freundet sich mit Fowler an. Als sich der naive Helfer aber in Phuong verliebt, werden die ungleichen Männer zu Rivalen. Dies gilt nicht nur in emotionaler Hinsicht.

Auch zwischen ihren politischen Ansichten liegen Welten. Fowler, ganz der neutrale Reporter, hat sich angewohnt, keine Meinung zu vertreten und sich aus allem herauszuhalten.
Pyle dagegen mischt sich, naiv und doch bestimmt, in die Dinge ein - seien es Liebesbeziehungen oder die vorherrschenden politischen Verhältnisse. Er unterstützt bald den charismatischen General Thé, der zur dritten Kraft in Vietnam aufgebaut werden und den Vietnamesen eine Alternative zu Kolonialismus und Kommunismus bieten soll.

Für sein Ziel, den Menschen zu helfen, ist Pyle im Zweifelsfall auch bereit, über Leichen zu gehen, was er bald grausam unter Beweis stellen wird. Die Moral wähnt er dabei auf seiner Seite: "Langfristig werde ich Leben retten", so seine Argumentation.
Sätze wie dieser kommen uns, nur wenige Wochen nach dem Einmarsch der US-Truppen im Irak, seltsam bekannt vor. Ebenso wie die Einsicht von Fowlers Redaktionsassistenten Hinh, früher oder später müsse man Partei ergreifen, wenn man menschlich bleiben wolle. Durch Pyles Taten wird Fowler gezwungen, seine Lethargie aufzugeben und Partei zu ergreifen. Am Ende stellt sich die Frage, ob persönliche Gefühle oder politische Einsichten ihn dazu motiviert haben.

Noyce hält sich dicht an Greenes Roman - dichter, als dies Joseph L. Mankiewicz 1958 in seiner Verfilmung des Romans tat. Diese wurde, so wird vermutet, von der CIA finanziert, weshalb Fowler als Verräter und Pyle als Held dargestellt sind.
Die politischen Verwirrungen spielen in Noyces Version nicht unbedingt die Hauptrolle. Stattdessen konzentriert sich der Regisseur auf die Dreiecksbeziehung zwischen den beiden ungleichen Männern und ihren Geliebten, schildert das Verhältnis mit Langsamkeit und Bedacht. Weil der Film durchaus als Kritik an der damaligen wie heutigen amerikanischen Außenpolitik verstanden werden kann, war lange unklar, ob "Der stille Amerikaner" jemals in den USA in die Kinos kommen würde.

Dem jetzigen (deutschen) Starttermin ist eine gewisse Aktualität nicht abzusprechen. Wenigstens diesmal stimmt das Timing.
erschienen am 18. Mai 2003
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Die Literaturverfilmung von Phillip Noyce ("Long Walk Home") hat mit Recht begeisterte Kritiken provoziert. Die Dynamik politischer Krisen ist nicht nur angesichts von Amerikas Irakfeldzuges von brandheißer Aktualität. Eingebunden in eine sanfte Liebesgeschichte gibt der brisante Politthriller tiefere Einblicke in die vietnamesische Kultur, als Hollywoods Kriegsfilme. Sir Michael Caine brilliert in seiner Paraderolle des britischen Zynikers, der letztendlich doch den Blick auf sein weiches,..
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