Warner Bros. Pictures
Eyes Wide Shut

Eyes Wide Shut

Originaltitel
Eyes Wide Shut
Regie
Stanley Kubrick
Darsteller
Tom Cruise, Nicole Kidman, Madison Eginton, Jackie Sawiris, Sydney Pollack, Leslie Lowe
Kinostart:
Deutschland, am 09.09.1999 bei Warner Bros. Pictures
Genre
Drama
Land
USA
Jahr
1999
FSK
ab 16 Jahren
Länge
159 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
8,0 (Filmreporter)
5,6 (16 User)
Stanley Kubricks elektrisierendes Vermächtnis
Nach einer noblen Party mit einem heißen Flirt mit einem Ungarn (Sky DuMont) gesteht Alice (Nicole Kidman) ihrem Mann William (Tom Cruise) pikante sexuelle Phantasien. Schockiert entflieht der gutsituierte Arzt aus seinem New-Yorker Luxusappartement in die Nacht und begibt sich auf eine Odyssee der Verführung. Er macht Bekanntschaft mit der Prostituierten Domino (Vinessa Shaw) und der minderjährigen Tochter des Kostümverleihers Milichs (LeeLee Sobieski). Auf einem Landgut kommt es zu einem dekadenten Gelage, zu dem William nicht eingeladen ist. Nach der Entdeckung gerät sein Leben noch mehr aus den Fugen.
"Eyes Wide Shut" hat von der Kritik viel Prügel bekommen. Das lag wohl an der sorgfältig aufgebauten Erwartungshaltung. Harvey Keitel wurde vom Meister - nach sechs Monaten Dreharbeiten vom Set gewiesen. Die Grenzen des Budgets hat er generös ignoriert. Und dann wollte der Film einfach nicht fertig werden! "Eyes Wide Shut" ist wohl der erste Studiofilm mit mehr als 1-jährigen Dreharbeiten (15 Monate). Schließlich drang aus den mit Schweigegelübden abgeschotteten englischen Studios die Kunde, Stanley Kubrick werde den ultimativen sexuellen Tabubrecher inszenieren.

Hat denn keiner jemals einen Film von Kubrick gesehen? Ist niemand aufgefallen, daß "Lolita" (1962) den Tabubruch nicht visualisiert, sondern ihn thematisiert, um ihn dann in Frage zu stellen? Auch die zweifellos drastische Gewaltszenen in "Uhrwerk Orange" (1971) leben nicht von Blutorgien, Schreckensschreien und sexuellen Übergriffen. Die dramaturgische Meisterleitung Kubricks resultiert aus der Annäherung an die Opfer wie an die Täter sowie deren späterem Zusammentreffen in neuen Zusammenhängen. Selbst der nervenaufreibende Psychothriller "Shining" (1980) lebt nicht von der Gewalt als vielmehr dem Schrecken vor derselben. Auch in "Eyes Wide Shut" spielt sich die Sexualität trotz einiger freizügiger Szenen überwiegend in Kopf und Bauch von den filmischen Protagonisten und auch der Zuschauer statt.

Traumnovelle am Ende des Jahrtausends
"Eyes Wide Shut" ist bei weitem nicht der beste Kubrick-Film - vielleicht sogar sein schlechtester. Die Transformation von Arthur Schnitzlers Traumnovelle in das New York an der Schwelle des Jahrtausends hat der, Geschichte sichtlich geschadet. Schnitzlers literarische Vorlage ist zwischen 1907 und 1927 entstanden. Unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges und der drohenden Kapitulation von Recht und Moral entstanden, vermischt die Novelle Zeit und literarische Methoden. Ihre gesellschaftliche Einordnung ist aber eng mit der zusammenbrechenden k. u. k.-Gesellschaft verknüpft. Die sexuellen Obsessionen der europäischen Mittel- und Oberschicht ist nur schwer mit dem New York der 1990er in Deckung zu bringen. Zwar sind Verschwörungstheorien in Amerika äußerst beliebt, für uns Europäer wirken diese aber eher hysterisch und psychotisch. Auch ist die Idee von Geheimgesellschaften zum Zwecke orgiastischer Zusammenkünfte nicht mit den Tabus längst vergangener Zeiten belegt und daher unglaubhaft.

Hoffnungslos altmodisch
Trotz aller Kritik vermag "Eyes Wide Shut" den Kinogänger 2 1/2 Stunden in den Sessel zu bannen. Jede noch so kleine Kequisite hat ihre Berechtigung. Jeder Raum im Film - die Straßen New Yorks, die Villa der Ausschweifungen oder die Pathologie des Krankenhauses - ist farblich und stilistisch durchkomponiert wie eine gelungene Symphonie. Obwohl unglaublich altmodisch überzeugt das Farbspiel: mal ist das Ehepaar Harford in weichen irdenen Rottönen getaucht, dann wieder in fast kaltem Blau. Sprachlich hat sich der im März 1999 gestorbene Regisseur eng an Schnitzlers literarische Vorlage gehalten. Das tut dem Film - im Gegensatz zur Orgienszene - gut, es gibt ihm eine exotische Atmosphäre inmitten des modernen New-York. Elektrisch beleuchtete Weihnachtsbäume mit kaltem Plastikcharme und hektisch blinkender Beleuchtung, lassen keine wahre Weihnachtsstimmung aufkommen. Auch schneit es kein einziges Mal. Das Weihnachtsmotiv wird als kommerzielle Familienveranstaltung ohne Gefühl arrangiert. Das Familienidyll ist brüchig. Die heilige Familie Harford treibt an den Rand der bürgerlichen Katastrophe.

Alte Geschichte in altem Gewand anno 1999
Die junge Arztfamilie scheint ein erfülltes Leben zu führen. Finanziell abgesichert, mit süßem, artigem Nachwuchs beschenkt und zu rauschenden, feudalen Festen eingeladen. Doch die Fassade hat Risse: Alice (Nicole Kidman) Fantasien stürzen Ehemann William (Tom Cruise) in eine ernste Krise. Alle Versuche den Druck mit exzessivem verbotenem Sex abzulassen, scheitern kläglich. Von einer Prostituierten (Vinessa Shaw) aufgerissen, zu allem bereit, unterbricht ein Anruf von Alice das bereits bezahlte, gerade beginnende, Liebesspiel des jungen Arztes. Auch der Versuch auf einer mondänen, geheimnisvollen sexuellen Orgie auf dem Land unerlaubt und ohne Einladung mitzuspielen scheitert schnell. Andere Anfechtungen der ehelichen Treue, so die Liebeserklärung der Tochter eines gerade verstorbenen Patienten oder das Angebot des Kostümverleihers (Rade Serbedzija), der seine minderjährige Tochter (LeeLee Sobieski) prostituiert, scheitern.

Väterlicher omnipotenter Mentor
Das nicht nur sexuelle Versagen des jungen Arztes ist ein zentrale Motiv in Kubricks letztem Werk. Das Verbindet ihn mit den anderen Streifen Kubricks. In seinem Scheitern, auch das eine Parallele zu früheren Filmen, bleibt der Held allein. Er bekommt keinen dauerhaften Zugang zur Oberschicht. Williams Versagen verbindet ihn mit den Helden aus "Uhrwerk Orange", "Shining" oder "Lolita". Ihm gegenüber steht in "Eyes Wide Shut" der väterliche, reiche und scheinbar omnipotente Mentor Victor Ziegler, überzeugend in seiner Intensität dargestellt von Sydney Pollack.

Der für den Betrachter reale Handlungsstrang wird durch Alice Träume in Zweifel gezogen. Wie kann sie in ihren Träumen das scheinbar erlebte Geschehen erträumen? Die fiktive Wirklichkeit und die Traumwelt verschwimmen obwohl und trotzdem Traum und Wirklichkeit filmisch voneinander abgesetzt sind. So erzählt Alice Bill von ihren Träumen, und dessen Vorstellung vom Ehebruch seiner Frau ist in Schwarzweiß gedreht. Die auf dem Ehebett liegende Maske, die Bill auf der Orgie trägt, nimmt dem Zuschauer entgültig eindeutige Kriterien zur Differenzierung. Auch innerhalb des Erzählkontext bleibt unklar, ob Bills Erlebnisse in der Villa inszeniert oder authentisch sind.

Nein die erotischen Szenen zwischen Tom Cruise und seiner damaligen Frau Nicole Kidman bleiben britisch unterkühlt. Das Erotik-Ereignis des Kinojahres 1999 hat definitiv nicht stattgefunden. Was bleibt ist ein dramaturgisch überzeugend inszenierter, technisch perfekter Kubrick-Film! Die schauspielerischen Leistungen von US-Superstar Tom Cruise sind nicht überragend. Aber keiner hat je mehr aus diesem eindimensionalen Schauspieler herausgeholt, als Kubrick.

Nicole Kidman hingegen überzeugt mit ihrem lasziven und gleichzeitig kleinbürgerlichem Sex-Appeal in jeder Einstellung. Auch die Nebenrollen sind mit Sydney Pollack, Marie Richardson, Rade Sherbedgia und LeeLee Sobieski - um nur einige zu nennen - überzeugend besetzt. Der Soundtrack ist so herrlich altmodisch, wie das ganze Filmkonzept und dabei absolut zeitlos. Wer sonst als der gebürtige New-Yorker Kubrick wird je wieder einen derart deplazierten Film mit derart stilsicherer Regiehand auf die Leinwände zaubern? Ein Muss für jeden Filmfan.
Nicola Turri, Filmreporter.de
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