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Berlinale
Wichtigster deutsche Filmtrophäe: Goldene Bär
Hollywood-Prominenz in der Hauptstadt
"Grand Budapest Hotel" eröffnet 64. Berlinale
Am gestrigen Donnerstag, wurden die Berliner Filmfestspiele eröffnet. Den Auftakt machte Wes Anderson, der mit seiner prominent besetzten Tragikomödie "Grand Budapest Hotel" ein Stück Hollywood-Glamour in die wettertrübe deutsche Hauptstadt brachte. Mit Edward Bergers deutschem Wettbewerbsbeitrag "Jack" landet die Berlinale dort, wo sie sich am liebsten sieht: auf dem festen Boden der Wirklichkeit.
07. Feb 2014: Der ewige Vorwurf an Dieter Kosslick und seine Berliner Filmfestspiele, dass die internationalen Stars und Sternchen lieber zur Konkurrenz in Cannes und Venedig gehen und das größte Publukumsfestival der Welt mit hiesigen Filmschaffenden Vorlieb nehmen muss, dürfte spätestens mit der 64. Ausgabe der Berlinale revidiert werden. Gleich am Eröffnungstag fanden sich zahlreiche Hollywood-Größen vor dem Berlinale Palast ein, um eines der Highlights des Festivals einläuten zu lassen.

Inspiriert von den Memoiren Stefan Zweigs, taucht Anderson in seinem von der Kritik begeistert aufgenommenen Film in ein fiktives Land unmittelbar vor einem fiktiven Krieg in einer nicht näher bestimmten Vergangeneit ein. Schauplatz ist ein mondänes Hotel namens Grand Budapest Hotel, während Geschichte und Figuren um einen Mord und ein gestohlenes Gemälde kreisen. Herrscher über dem prachtvollen Bau ist der Concierge Monsieur Gustave (Ralph Fiennes), der Geschmack und Vorlieben seiner illustren Gäste kennt wie seine Westentasche. So auch die der schrulligen Madame D. (Tilda Swinton), die dem Menschenfänger prompt ein Renaissancegemälde vermacht.

Weitere Stationen der Handlung sind ein Mord an ebendiese Madame D., der Verlust des Gemäldes und der Vorwurf eines Nachkommens, dass der mutmaßliche Erbschleicher etwas damit zu tun hat. Im Gefängnis muss Gustave aber nicht lange ausharren. Verschmitzt wie er ist und dank einiger Mitinsassen, gelingt es ihm, sich zu befreien und sich mit Komplizen und seinem Page Zero Moustafa (Tony Revolori) auf der Suche nach dem entwendeten Gemälde zu machen.

Es sei die Atmosphäre in den Büchern Zweigs gewesen, die es ihm angetan hätten, verriert Anderson auf der anschließenden Peressekonferenz. Ihm ging es um das Gefühl, dass längst Verlorene einzufangen. Dabei trifft der US-Amerikaner mit seinem neuen Film wieder den Ton, um den es ihm in seinen bisherigen Filmen ging: die durch den inneren Blick auf die Vergangenheit beschworene Nostalgie im Besonderen sowie das Atmosphärische im Allgemeinen, die Anderson einmal mehr mit allen ihm zur Verfügung stehenden formalen Mitteln erzielt.

Obwohl der Film auf die Zwischenkriegsjahre des 20. Jahrhunderts anspielt und die Bedrohung eines bevorstehenden Krieges heraufbeschwört, ist "Grand Budapest Hotel" keine Abbildung einer vergangenen Zeit als vielmehr ihre poetische Verdichtung. In extravaganten Dekors, Kostümen und Make-up sowei einer für Anderson typischen stilisierten Erzählweise findet diese Welt ihren Ausdruck. Nätürlich fügt sich auch die Riege der Darsteller perfekt in die Ästhetik des Ironischen und Grotesken ein, wobei Anderson neben Stammdarstellern wie Bill Murray, Owen Wilson und Swinton auch Neulingen wie Saoirse Ronan, Léa Seydoux sowie Neuentdeckung Revolory Plätze in seinem Universum einräumt.

Mit "Grand Budapest Hotel" ist Anderson zum dritten Mal im Wettbewerbsprogramm der Berlinale vertreten. 2002 konkurrierte er mit "Die Royal Tenenbaums" um den Goldenen Bären, drei Jahre später präsentierte er "Die Tiefseetaucher". Ging der Filmemacher bisher immer leer aus, wird es für ihn auch dieses Jahr nicht gerade einfach. Schließlich hat er 19 weitere Beiträge gegen sich, darunter Alain Resnais' "Aimer, boire et chanter", "Boyhood" von Richard Linklater und "Aloft" von Claudia Llosa.

Mit vier Produktionen ist in diesem Jahr auch Deutschland stark im Wettbewerb vertreten. Der in letzter Zeit vor allem im Fernsehen umtriebige Dominik Graf hat zum ersten Mal seit "Der Rote Kakadu" einen Kinofilm gedreht und es mit einer Dreiecks-Liebesgeschichte um Friedrich Schiller gleich in die Königssektion geschafft, wo er zuletzt mit "Der Felsen" vertreten war. Außerdem präsentiert "Die Fremde"-Regisseurin Feo Aladag das Kriegsdrama "Zwischen Welten" mit Ronald Zehrfeld als Bundeswehrsoldat im Afghanistan-Einsatz, während Dietrich Brüggemann "Kreuzweg" präsentiert, ein Drama über eine 14-jährige Schülerin, die zwischen dem Alltag in der Schule und dem streng katholischen Elternhaus pendelt.

Schwelgte sie mit Andersons Groteskenstück in der fiktiven Vergangenheit, ist die Berlinale spätestens mit Bergers Generationen-Drama "Jack", dem vierten deutschen Beitrag, in der Wirklichkeit angekommen. Im Zentrum des heute präsentierten Films steht der zehnjährige Jack, der mit Mutter und jüngerem Bruder in einer kleinen Wohnung in Berlin lebt. Während die Erwachsene sich lieber dem Partyleben und der Suche nach einem Lebenspartner hingibt, als sich der Erziehung der Kinder zu widmen, liegt die Verantwortung über Bruder und sich selbst bei Jack. Als er eines Tages ins Heim abgeschoben wird, flüchtet er. Doch die Mutter, zu der er will, ist unauffindbar.

Mit "Jack" ist Berger ein überzeugendes Drama gelungen über die Einsamkeit von Kindern, die durch die physische und emotionale Abwesenheit der Eltern früh zur Eigenverantwortung gezwungen werden. Erzählerisch und motivisch erinnert "Jack" an "Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre Dardenne und Luc Dardenne - mit dem Unterschied, dass dem Junge hier nicht einmal ein Gegenstand bleibt, auf den er seine Gefühle projizieren kann. Seine Hoffnung ruht auf keinem Boden. Das Fahrrad in "Jack" ist lediglich in einem Schaufenster eines Geschäfts zu sehen.

Berger nähert sich behutsam seinen Figuren, erzählt in langsamem Rhythmus und einem Blick für Details. Anders als den belgischen Regisseuren gelingt es dem Deutschen freilich nicht ganz, den Mangel an erzählerischer Bewegung durch einprägsame Szenen zu kompensieren. Was Berger an vermeintlichen Wahrheitsbildern findet, wirkt bemüht, stellenweise unglaubwürdig und von der Wirklichkeit abgehoben. Die Wirkung seines von Hauptdarsteller Ivo Pietzcker überzeugend gespielten Dramas auf den Zuschauer ist folglich nicht Erschütterung über das Gefundene als Befremden über das Erdachte.

Mit "Grand Budapest Hotel" und "Jack" sind die beiden Pole gesetzt, zwischen denen sich die Berlinale bis zum 16. Febraur mit ihren 400 Filmen bewegen dürfte: weltvergessenes, illusionistisches Kino einerseits und ein engagiertes Kino, dass sich der Mechanismen der modernen Welt annimmt, andererseits.
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