Filmfest München 2008
Michael Verhoeven
Michael Verhoeven rettet Senta Berger
Starfeature: Zwischen Rebellion und Tradition
1970 ist kein gutes Jahr für die Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Das Festival wird erstmals vorzeitig beendet, die Jury tritt geschlossen zurück. Auslöser der Krise ist der Antikriegsfilm "O.K." von Dr. Michael Verhoeven, der die Gräuel des Vietnamkriegs ins idyllische Bayern portiert. Immer wieder sorgen seine Filme für Gesprächsstoff, der Filmemacher gehört zur ersten Regieriege Deutschlands. Im Rahmen des Filmfest München 2008 wird er mit dem One Future Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
erschienen am 20. 06. 2008
NFP marketing & distribution
Ruhm
Familientradition Fluch oder Segen?
Die Verhoevens sind seit Generationen eine Familie von Schauspielern und Regisseuren. Paul Verhoeven macht sich in den 1930er Jahren als Theater- und Filmschauspieler einen Namen. Bei einem Engagement als Regisseur lernt er am Theater die Schauspielerin Doris Kiesow kennen. Die beiden heiraten und bekommen drei Kinder. Tochter Liz tritt als erste in die Fußstapfen des Vaters, wird Schauspielerin und heiratet Kollege Mario Adorf. Aus der Ehe geht Stella Maria Adorf hervor, die es ebenfalls auf die Bühne zieht. Pauls Sohn Michael spielt schon als 13-jähriger Theater, 1954 wird ihm eine Rolle in der Erich Kästner Adaption von "Das fliegende Klassenzimmer" angeboten. Mit 20 steht er mit Heinz Rühmann für "Der Pauker" vor der Kamera. 1966 heiratet er schließlich Senta Berger, eine etablierte Schauspielerin. Seit den 1970er Jahren arbeitet Michael - wie schon sein Vater - als Regisseur und ist darin auch ganz erfolgreich. Mit sozialkritischen und politischen Filme sorgt er immer wieder für Diskussionen, mit Auftragsarbeiten meist fürs Fernsehen schafft er sich die finanziellen Freiräume für seine wichtigeren Filme. Michael und Senta haben zwei Söhne, Simon Vincent und Luca Paul, auch sie arbeiten in der Filmwirtschaft. Ein Ende der Familientradition ist also nicht anzusehen...
Kinowelt
Der unbekannte Soldat
Zwischen Arztsessel und Regiestuhl
Michaels Weg ist bei weitem nicht so stringent verlaufen, wie es die Familiengeschichte und sein Werdegang vermuten lassen. Wie seine Schwester begeistert er sich schon als Kind für die Schauspielerei, in der Jugendzeit wächst aber eine zweite Leidenschaft. Michael interessiert sich für den Arztberuf und beginnt ein Medizinstudium. Damit enttäuscht er Vater Paul, der davon träumt, mit der Familie ein eigenes Theater zu betreiben. Der junge Mann hält dem Druck nicht stand, schluckt aus Verzweiflung 20 Schlaftabletten. Nach drei Tagen im Koma wird er gefunden und gerettet. Im Rückblick spricht er sehr abgeklärt über seine Verzweiflungstat: "Es war keine heroische Tat, wie aus dem vierten Stock zu springen." Er schöpft neuen Lebensmut, wozu nicht zuletzt die Begegnung mit Senta Berger beiträgt. Die ist zum damaligen Zeitpunkt schon eine etablierte Schauspielerin und dreht mit Stars wie Christopher Michael, Gert Fröbe und Lex Barker. Gemeinsam gründet das Paar Ende der 1960er Jahre die Filmproduktionsfirma Sentana. Michael arbeitet zunächst parallel als Arzt, hängt den Beruf aber dann doch an den Nagel.
René Deltgen - Der sanfte Rebell
Vater ist nicht zu retten
1975 stirbt Paul Verhoeven vor den Augen seines Sohnes einen tragischen Tod. Während der Trauerrede auf die kurz zuvor verstorbene Kollegin Therese Giehse bricht Paul auf der Bühne der Münchner Kammerspiele zusammen. Die Wiederbelebungsversuche seines Sohnes Michael, dem ausgebildeten Arzt, bleiben ohne Erfolg. Wenig später sind seine medizinischen Kenntnisse wieder gefragt, aber dieses Mal geht die Sache glücklicherweise besser aus. Vor der Premiere des "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen klagt Senta Berger über ein starkes Schwächegefühl. Sie sei nur nervös, heißt es, doch Michael schätzt die Situation besser ein. Er erkennt die Symptome, und fährt seine Frau ins Krankenhaus, wo sie mit einer lebensbedrohlichen Bauchhöhlenschwangerschaft sofort operiert wird. Nach dem Erwachen aus der Narkose lautet ihre erste Frage: "Wer spielt meine Rolle?"
Filmverlag der Autoren und Futura Film-Verleih
Die weiße Rose
Turbulente Berlinale
Lange Zeit ist Senta Berger der bekanntere Part des Ehepaares. Das Jahr 1970 bringt die Wende: Verhoevens Antikriegsfilm "O.K." wird zu den Internationalen Filmfestspielen von Berlin eingeladen und löst dort einen Eklat aus. Michael hat den Vietnamkrieg mitten ins idyllische Bayern verlegt, wo ein vietnamesisches Mädchen vergewaltigt und ermordet wird. Der amerikanische Jurypräsident George Stevens ist entsetzt. Er sieht sein Heimatland verunglimpft und fordert, den Film aus dem Wettbewerb auszuschließen. Nachdem sich die Filmemacher mit Verhoeven solidarisieren, eskaliert der Konflikt. Die Jury tritt geschlossen zurück, das Festival wird vorzeitig beendet. Die Krise hat auch ihr Gutes: aus ihr geht das Internationale Forum des Jungen Films hervor. Verhoevens Skandalfilm bekommt eine weitere Anerkennung, er wird mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet.
Filmfest München 2008
Michael Verhoeven
Oscar-Nominierung für Geschichtsbewältigung
Seit "O.K." haftet Verhoeven der Ruf des Rebellen an, der sich an unangenehme Themen wagt. Der Filmemacher setzt sich vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. 1982 verfilmt er die Geschichte der studentischen Widerstandsgruppe "Die weiße Rose". Deren Mitglieder wurden 1943 zum Tode verurteilt. Nach dem Kinostart von Verhoevens Drama wird eine Diskussion ausgelöst, die zur rechtlichen Rehabilitierung führt. Acht Jahre später beschäftigt sich Verhoeven erneut mit der deutschen Vergangenheit. In "Das schreckliche Mädchen" recherchiert eine Schülerin die Geschehnisse in ihrer Heimatstadt während des Dritten Reichs und stößt dabei auf heftigen Widerstand. 1991 wird das Drama für den Oscar nominiert. In den 1990er Jahren arbeitet Verhoeven immer wieder mit seiner Frau zusammen, Serien wie "Die schnelle Gerdi" und "Lilli Lottofee" haben gute Quoten. Beim Filmfest München 2008 erhält Michael Verhoeven den One Future Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Zu diesem Anlass werden "O.K.", "Mutters Courage" und "Das schreckliche Mädchen" sowie sein aktueller Fernsehfilm "Bloch: Vergeben, nicht vergessen" gezeigt.
erschienen am 20. Juni 2008
Zum Thema
Michael Verhoeven steht schon mit 13 Jahren auf der Theaterbühne. 1954 ist er in "Das fliegende Klassenzimmer" in seiner ersten Filmrolle zu sehen. Wie sein Vater Paul interessiert er sich auch für die Regie, studiert dann aber Medizin. Nach dem Abschluss kann er sich lange nicht entscheiden: Soll er lieber Arzt werden oder ins Regiefach wechseln? Einige Jahre versucht er beides unter einen Hut zu bringen, schlägt letztendlich aber doch den Beruf des Regisseurs ein. 1970 kommt mit dem..
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