Jean-François Martin/Ricore Text
Gael García Bernal
"Filmische Realität zu eigenen machen"
Starfeature: Kompromisslos: Gaël García Bernal
Gaël García Bernal gehört zu den profiliertesten Darstellern des anspruchsvollen Films. Er ist Schauspieler mit Leib und Seele, der über den Tellerrand seines Berufs hinausblickt. Kaum ein Kollege ist politisch und sozial so aktiv, wie der Mexikaner. Das ändert sich auch nicht, als Bernal 2009 Vater eines Sohnes wird - auch wenn der Kampfgeist der Jugendzeit leiseren Tönen gewichen ist. Die Schauspielerei übt er - wie zu Beginn seiner Karriere - mit großer Konsequenz aus.
erschienen am 19. 08. 2010
Warner Home Video
Amores Perros (2000)
Vorbilder und Einflüsse
Gaël García Bernal (oft Gael García Bernal geschrieben) schafft den Durchbruch im Jahr 2000 mit Alejandro González Inárritus "Amores perros". Zu der Zeit studiert er noch an der Central School of Speech and Drama. Er bricht das Studium jedoch für die Rolle ab. Ein gewagter Schritt, immerhin ist genießt die Schule einen guten Ruf. Offenbar erkennt er die Qualität des Iñárritus-Films früh und sieht das Potential gesehen, die mit seiner Rolle verbunden ist. Mag auch sein, dass ihm seine langjährige Erfahrung als Schauspieler zu dieser Hellsicht verholfen hat.

Schon als 14-Jähriger steht Bernal für eine mexikanische Seifen-Oper vor der Kamera. Auch bei seinen Eltern, beide Schauspieler von Beruf, geht er früh in die Schule. Mit ihnen steht er bereits als Kind auf der Bühne und sie sind es auch, die einen großen Einfluss auf den Filius haben. "Ich habe viel von ihnen gelernt", so Bernal in einem Interview mit dem Magazin Latino Leaders: The National Magazine of the Successful American Latino im Jahr 2004. Von den Eltern erhält er viele Ratschläge, was die Schauspielerei betrifft. "Sie waren sehr hilfreich, aber sie haben mir nie vorgeschrieben, welche Rolle ich spielen solle".
20th Century Fox
Y tu mamá también - Lust for Life!
Independent-Nische
Die liberale Erziehung ist ein Grund für Bernals Eigenständigkeit. Als Schauspieler und als Mensch geht er eigene Wege. Nach dem Erfolg von "Amores perros" kann er sich vor Angeboten kaum retten. Trotzdem sucht er sich meist die Nische des Independent-Films. Es folgen in kurzer Folge Rollen in herausragenden Autorenfilmen. Mit Alfonso Cuarón dreht er "Y tu mamá también - Lust for Life!" (2001), steht unter der Regie von Walter Salles in "Die Reise des jungen Che" (2003), arbeitet mit Pedro Almodóvar an "La mala educación - Schlechte Erziehung" (2004) und mit Michel Gondry an "Science of Sleep ? Anleitung zum Träumen" (2005). Es gelingt ihm, sich der Versuchung Hollywoods weitgehend zu entziehen. Ironisch äußert er einmal, dass er der Traumfabrik am nächsten gewesen sei, als er für Iñárritus "Babel" (2006) im mexikanischen Tijuana gedreht habe.

Bernal bewahrt sich als Schauspieler seine Integrität. Nur in solchen Filmen möchte er mitspielen, sagt er einmal, die eine persönliche Weltsicht erkennen lassen und Rollen verkörpern, die ihn interessieren und fesseln. Das mag auch der Grund dafür sein, dass er auch Rollen annimmt, die anecken und die Gemüter erregen. Als er 2002 in "Die Versuchung des Padre Amaro" (2002) mitspielt, provoziert seine Darstellung eines Priesters, der nicht bereit ist, seine Karriere der Liebe zu opfern, in Mexiko einen Skandal. Gewagt ist auch sein Auftritt in der britisch-amerikanischen Independent-Produktion "The King oder Das 11. Gebot" von James Marsh. Darin spielt er einen aus der Navy entlassenen jungen Soldaten, der sich auf die Suche nach seinem Vater begibt, dessen Tochter verführt und nach einem blutigen Massaker auf dem elektrischen Stuhl endet. Mehreren amerikanischen Schauspielern wird die Rolle angeboten, alle lehnen wegen des moralisch fragwürdigen Charakters der Hauptfigur dankend ab. Bernal sagt zu, weil solche Bedenken nicht in sein Filmverständnis passen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Das Filmteam von "Blindness": Danny Glover und Gael García Bernal
Politisches Umfeld
Sicher mag der künstlerische Idealismus seine Wurzeln im Elternhaus haben. Beide Elternteile bewegen sich im Underground-Theater, wo alternative Daseinsformen an der Tagesordnung sind. Mehr noch aber ist es seine mexikanische Herkunft, die sein kompromissloses künstlerisches Kredo bestimmt. "In Mexiko hat alles, was du tust eine politische Komplexität", sagt er in einem Interview gegenüber dem Online-Magazin Timeout am 25. April 2006. Diese Denkweise hat Bernal geprägt. Als er zum Schauspielstudium nach London geht, ist er schockiert angesichts der indifferenten Haltung der Engländer gegenüber Politik und Kultur.

Seine Jugend verbringt Bernal in einer politisch aufgeheizten Zeit. Mitte der 1990er Jahre wird Mexiko durch die Aktionen der Untergrundbewegung Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung gegen die undemokratische Regierung Mexikos aufgewühlt. Die nach dem mexikanischen Revolutionsführer Emiliano Zapata benannte Organisation setzt sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung Mexikos ein und kämpft gegen die zunehmend neoliberale Politik der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Damit übt sie vor allem auf junge Menschen eine große Anziehungskraft aus. Auch Bernal wird von den Idealen der Rebellen mitgerissen. "Diese Bewegung polarisierte das Land, und vereinte doch viele Menschen", erinnert sich Bernal im Gespräch mit Timeout. "Wir haben mitgeholfen, den Krieg zu stoppen. (…) Ich war sehr involviert. Ich half mit, indem ich Essen auslieferte, über die Situation schrieb, viel darüber las und an den Demonstrationen teilnahm. Es war großartig".
Prokino Filmverleih
Regisseur Michel Gondry mit Hauptdarsteller Gael García Bernal
Leiser Protest
Der politische Aktionismus bleibt keine Eintagsfliege und ist nicht Folge jugendlich-idealistischen Übermuts. Auch wenn die zitierten Aussagen nicht verhehlen, dass viele junge Menschen, und sicher auch Bernal, mit den Tumulten auch der Abenteuerlust frönen und romantische Vorstellungen damit verbinden. "Ich war jung und es machte Spaß", so Bernal in demselben Interview. "Außerdem habe ich hier meine erste richtige Freundin kennengelernt. Es war ein toller Ort, um Mädchen kennenzulernen".

Trotzdem bestimmt das politische und soziale Engagement nach wie vor Denken und Handeln des Künstlers und Menschen Bernal. So nimmt er 2008 am Protest gegen den G8-Gipfel in Edinburgh teil, reist zum WTO-Gipfel nach Hongkong, interessiert sich für die Auswirkungen des freien Handels auf die mexikanischen Mais- und Kaffebauern. Zudem ist Bernal seit 2005 Botschafter der Entwicklungshilfsorganisation Oxfam, wobei er sich besonders aktiv an deren Kampagne für fairen Handel engagiert.
MFA+
Gaël García Bernal in "Mammut"
Neue Prioritäten
Trotzdem sind die Protest-Töne des Schauspielers in den letzten Jahren etwas leiser geworden. Das mag auch daran liegen, dass Bernal seit 2009 mit seiner Freundin Dolores Fonzi Sohn Lázaro hat. Sicher ist das ein Ereignis, das den Charakter formt und einen neuen Blick auf die Welt ermöglicht. "Meine Familie hat meine Sichtweise in vielerlei Hinsicht beeinflusst", bekennt Bernal im Interview mit Filmreporter.de am 9. Juni 2010. Was bleibe, sei die unbedingte Einheit von Leben und Film. "Man muss die filmische Realität zu seiner eigenen machen", sagt er uns damals. Man könnte diese Aussage auch ergänzen und hinzufügen, dass man das Leben zur filmischen Realität machen sollte. In "Mammut" spielt Bernal 2010 die Rolle eines Vaters und lässt einmal mehr persönliche Erfahrungen in die Darstellung einfließen.
erschienen am 19. August 2010
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Als erster Mexikaner wird der gerade mal 1,68 Meter große Gael García Bernal in der Londoner Amores perros" zu schlüpfen. Damit stößt er die Tür für eine blendend verlaufende internationale Filmkarriere auf. Sein Ruhm erreicht auch Spanien, Pedro Almodóvar engagiert ihn für die Hauptrolle seines 2004 gedrehten Dramas "La mala educación - Schlechte Erziehung". Das zentrale Thema des Film, die Religion, spielt auch in anderen Produktionen Bernals eine wichtige Rolle. Der viel kritisierte und..
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