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Kampfszenen in "Mein Bruder ist ein Einzelkind"
Shootingstar Elio Germano
Interview: Zensur und Geldgier
Elio Germano ist die italienische Nachwuchshoffnung. Bisheriger Höhepunkt war die Auszeichnung mit dem David di Donatello Award 2007 als bester Hauptdarsteller in "Mein Bruder ist ein Einzelkind". Germano spielt darin einen jungen Mann, der sich vom faschistischen Gedankengut dazu verleiten lässt, seine eigene Familie aufs Spiel zu setzen. Zu Beginn der Dreharbeiten hatte er noch Bedenken, die Rolle zu übernehmen. Mit uns sprach er über die Tücken des italienischen Kinos und den Reiz des Außergewöhnlichen.
erschienen am 17. 05. 2008
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Mein Bruder ist ein Einzelkind
Ricore: Sie haben bereits mit zwölf Jahren mit der Schauspielerei angefangen, nicht wahr?

Elio Germano: Ja, mit 14 Jahren habe ich dann die Theaterschule besucht. Danach habe ich bei mehreren Aufführungen mitgemacht, aber ohne großartig erfolgreich zu sein. Da ich noch in die Schule ging, konnte ich auch nicht mit auf Tournee gehen. Zudem haben mich diese langen Reisen abgeschreckt, ich wollte lieber zu Hause am Theater oder im Fernsehen arbeiten. Ich habe sehr große Angst, davor, Dinge zu wiederholen, immer dasselbe machen zu müssen. Vielleicht habe ich deshalb den Schauspielberuf ausgewählt, weil es mit Sicherheit der abwechslungsreichste Job der Welt ist.

Ricore: Wann haben Sie dann gewusst, dass Sie Schauspieler werden wollten?

Germano: Spielerisch habe ich mich schon seit jeher mit der Schauspielerei beschäftigt, aber mehr zum Spaß. So wie ein Junge Fußball spielt oder ein Instrument spielt. Was ich aber zu einem bestimmten Zeitpunkt wusste, war, dass ich meine Leidenschaft zu meinem Beruf machen kann. Das habe ich aber erst verstanden, als ich 18 oder 19 Jahren alt war, als ich zum ersten Mal in einem Kinofilm die Hauptrolle spielte. Vorher habe ich sehr viel am Theater gearbeitet. Von dem Geld konnte ich mich nie ernähren, daher kam mir der Gedanke auch erst so spät.

Ricore: Wie gehen deine Eltern damit um?

Germano: Meine Eltern haben mich immer unterstützt, auch finanziell. So hat mein Vater beispielsweise die Theaterschule für mich bezahlt. Als ich dann das Studium schmiss, um mich ganz der Schauspielerei zu widmen, war das sicherlich ein sehr schwerer Moment für sie. Aber jetzt, wo die Dinge gut laufen, sind sie natürlich sehr stolz auf mich.
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Elio Germano
Ricore: War Ihnen die Zeit am Theater dennoch eine Lehre?

Germano: Am Theater und vor der Kamera kommen unterschiedliche Techniken zum Einsatz. Ich bin überzeugt davon, dass man sich auch ausschließlich vor der Kamera formen kann, dafür muss man nicht unbedingt auf der Bühne stehen. Will man seinen Beruf jedoch vertiefen, andere Seiten kennenlernen, so hilft das Theater ungemein. Es ist in meinen Augen aber nicht notwendig.

Ricore: Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

Germano: Als ich angefangen habe, wurde ich ausgesucht, da hatte ich keine Wahl. Später habe ich angefangen, wählerisch zu werden.

Ricore: Wann hat dieser Wandel stattgefunden?

Germano: Nun ja, dieser Wandel fand in drei Schritten statt. Am Anfang war alles wichtig, ob ich nun in Fernsehwerbung oder auf Plakaten zu sehen war. Ich bin oft zu Castings gegangen und habe stundenlang meinen Namen auf Formulare geschrieben. An einem bestimmten Punkt, habe ich dann immer mehr Angebote bekommen, und konnte dann selbst entscheiden, auf Basis der Rollen. Als es besser lief und nachdem ich dann auch den David für meine Rolle in "Mein Bruder ist ein Einzelkind" als bester Hauptdarsteller erhielt, habe ich mich dann fest entschlossen, diesen Beruf auszuüben. Dann war es auch finanziell möglich, davon zu leben. Ein Minimum an Sicherheit braucht auch ein Schauspieler.
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Scheinbare Harmonie zwischen Brüdern in "Mein Bruder ist ein Einzelkind"
Ricore: Wie wählen Sie die Rollen aus?

Germano: Am liebsten wähle ich mir die Regisseure aus, aber nicht in technischer Hinsicht, sondern vom menschlichen Faktor. Für mich ist es sehr wichtig zu wissen, welches Abenteuer ich mit den Leuten am Set in den drei Wochen der Dreharbeiten erleben werde. Welche Motivationen stecken dahinter, dass man so lange Zeit so eng zusammenarbeitet. Das ist vielleicht sogar noch ausschlaggebender, als eine Haupt- oder Nebenrolle zu spielen, auf ein Festival zu gehen oder nicht. Mich interessiert tatsächlich das menschliche hinter dem Film viel mehr. Ich kann nicht nur hergehen, und mich auf meine Rolle konzentrieren und keinen Kontakt mit den anderen zu haben. Das gefällt mir am meisten an diesem Beruf: gemeinsam mit Cast und Crew ein Abenteuer zu erleben.

Ricore: Hatten Sie Zweifel, die Hauptrolle in "Mein Bruder ist ein Einzelkind" zu übernehmen? Der Faschismus in Italien ist ja noch lange nicht verschwunden…

Germano: Ja, klar, auf jeden Fall. Wir haben sehr viel mit dem Regisseur darüber gesprochen. Am Anfang wollte ich die Rolle auch gar nicht übernehmen. Aber ich habe mich sehr gut mit Daniele verstanden, wir hatten die gleichen Ideen und Vorstellung über bestimmt Szenen, so hat mich das Thema doch noch angezogen. Zusammen haben wir noch sehr viel am Skript verändert. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, da ich schon bei der Produktion sehr involviert war. Ich kam zum Schluss, dass ich die Herausforderung annehmen wollte. Dabei war Daniele ausschlaggebend. Ich habe mich einfach sehr wohl und aufgehoben gefühlt.

Ricore: Haben Sie auch mit den Eltern und Großeltern über Ihre Rolle gesprochen?

Germano: Ja, natürlich. Der Faschismus ist gerade in Italien durch seine Geschichte kein unbekanntes Thema. Leider wiederholt sich das derzeit einiges. Sehr viele junge Leute gehören faschistischen Gruppierungen an. Daher mache ich mir auch Sorgen. Ich fragte mich, ob ich imstande sein werde, eine Figur zu spielen, die gleichzeitig komisch war, das Publikum auf seine Seite ziehen sollte und zudem noch Faschist ist. Ich wusste nicht, ob ich das Thema angemessen veralbern würde. Das Motiv des Films dreht sich jedoch nicht um Politik, sondern um ganz einfache Personen und deren Ideologien. Als ich das kapierte, war es für mich kein Problem.

Ricore: Sind Sie ein politischer Mensch?

Germano: Ja natürlich, ich finde auch, jeder sollte sich politisch engagieren oder sich zumindest dafür interessieren. Politiker sind schließlich die Kontrolleure unserer Gesellschaft, sie entscheiden über unser Schicksal, indem sie Gesetze erlassen oder auch nicht.
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Elio Germano in "Mein Bruder ist ein Einzelkind"
Ricore: Wie denken Sie über die aktuelle Situation Italiens?

Germano: Im Moment ist es wirklich sehr schwierig. Wir müssen alles, was in den letzten 50 Jahre auf der Strecke geblieben ist, reparieren. Sowohl auf gesellschaftlicher, ökonomischer, wirtschaftlicher und politischer Ebene. Wir müssen sehr viel aufarbeiten, neue Beziehungen knüpfen. Mir scheint es, als würden viele Probleme bei uns jetzt gehäuft auftreten.

Ricore: Italienische Regisseure haben immer wider versucht, mit ihren Filmen solche Probleme aufzuzeigen und Lösungen zu finden, wie Francesco Rosi

Germano: Ja, seine Filme sind wahre Meisterwerke. Ich mag ihn sehr. Er versucht, einen Sinn im Kino zu finden. Ich glaube nicht, dass das Kino nur zur Unterhaltung dient, sondern es nimmt auch teil an unserer Gesellschaft und unserer Kultur. Kino muss dahin gelangen, wo Medien und Politik nicht mehr hinreichen. Kino kann dem Publikum zeigen, was hinter den Kulissen unserer Gesellschaft steckt. So sind im Laufe der Zeit unglaubliche Werke entstanden. Ich glaube, heute gibt es nicht mehr so viele unabhängige Produzenten und Regisseure in Italien, die bereit sind, ihr privates Geld in Projekte zu investieren. Alles läuft über die großen Studios und die großen Verleiher. Da findet schon eine Vorzensur statt. Francesco Rosis Werke würden heute nicht mehr verfilmt werden.

Ricore: Auf der Berlinale 2008 waren Sie einer der Shootingsstars. Was bedeutete dies für Sie persönlich?

Germano: Das war sehr wichtig für mich. Einerseits natürlich das Treffen verschiedener Kulturen, das mir die Möglichkeit gab, über mein Land und meine Kultur aus der Ferne zu reflektieren. Ich erhielt aber auch die Möglichkeit, mich mit anderen Schauspielern und Regisseuren zu treffen und auseinander zu setzen. Wir hier in Europa sind uns alle sehr nahe, was das Kino betrifft, wir haben ähnliche Ideen. Das Treffen in Berlin hat mich sehr bereichert, da ich auch Arten kennenlernte, wie andere Menschen mit Problemen umgingen. Ich erhielt die Möglichkeit acht Filme der anderen Shootingstars zu sehen, die wirklich umwerfend waren, und lernte ihre Techniken und Möglichkeiten kennen. Zum Teil erschütterte mich dies, da sie sehr viel mehr Freiheiten haben als wir in Italien.
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Elio Germano und Riccardo Scamarcio in "Mein Bruder ist ein Einzelkind"
Ricore: Können Sie sich vorstellen, längere Zeit aus Italien wegzugehen, und im Ausland Filme zu drehen?

Germano: Ja klar. Das wäre eine super Erfahrung für mich. Mit Sicherheit würde ich nicht in ein anderes Land gehen, um dort für immer zu leben. Aber kurzzeitig im Ausland arbeiten, das kann ich mir schon vorstellen. Ich will dazu beitragen, dass sich in meinem Land etwas ändert.

Ricore: In Europa gibt es derzeit viele Kooperationen zwischen den Ländern. Italien scheint davon etwas ausgeschlossen zu sein…

Germano: Ja, genau aus den Gründen, die wir vorher besprochen haben. In Italien findet man große und mächtige Blöcke, Zensur gibt es auch noch, es gibt wenig Regeln, und es wird versucht, vieles auf illegale Art und Weise zu erreichen. Ausländische Filmemacher haben es da natürlich schwerer. Wir hoffen natürlich auf neue Gesetze, die uns die Abreit am Film erleichtern.

Ricore: Gibt es Regisseure, mit denen Sie gerne zusammenarbeiten wollen?

Germano: Ich würde gerne mal einen Film machen, wo mit Handy-Cam gearbeitet wird, wie Lars von Trier. Mich interessiert das Kino, das sich auf die Schauspieler fixiert, und nicht jenes der großen Dramen, wo Szene für Szene exakt ausgearbeitet wird. Ich hasse Filme, wo man genau nach Storyboard vorgehen muss.

Ricore: Sie sind also eher der improvisierende Typ?

Germano: Ja, ich lebe das Kino, ich liebe Experimente.

Ricore: Vielen Dank für das nette Gespräch.
erschienen am 17. Mai 2008
Zum Thema
Das Italien der 1960er Jahre ist politisch hoch spannend. Zuweilen verlaufen die Grenzen der rivalisierenden Lager mitten durch die Familien. So auch bei den Brüdern Accio (Elio Germano) und Manrico (Riccardo Scamarcio). Während Manrico die Arbeiterbewegung unterstützt, optiert der jüngere, Accio für die Neo-Faschisten. Wie es das Schicksal will, verlieben sich beide in die gleiche Frau. Daniele Luchetti macht aus diesem Plott eine Komödie über die Überspanntheit der Jugend.
Spätestens seit seiner Hauptrolle in "Mein Bruder ist ein Einzelkind", gilt der schmächtige junge Mann als Shootingstar Nummer 1 im italienischen Kino. Bereits mit 14 Jahren nahm er Theaterkurse, seine Leidenschaft gilt jedoch dem Kino und dem Fernsehen. Dass er dieses Hobby später zum Beruf machen kann, wusste er damals noch nicht, denn schließlich müssen auch Schauspieler von etwas leben. Doch der finanzielle Segen kam mit den ersten großen Engagements.
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