Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Ira Sachs (2008)
Im Sommer Schundromane: Ira Sachs
Interview: Lustig, weil Sinnlos!
1997 machte Ira Sachs durch sein Drama "The Delta" auf sich aufmerksam. Beim Sundance Filmfestival wurde er für den Großen Preis der Jury nominiert, 2005 konnte er die Trophäe für "Forty Shades of Blue" endlich mit nach Hause nehmen. Der neueste Coup des Independent-Regisseurs ist das Kriminaldrama "Married Life" mit Pierce Brosnan, Chris Cooper, Patricia Clarkson und Rachel McAdams. Im Rahmen des Filmfests München 2008 trafen wir uns mit dem charmanten Regisseur und sprachen mit ihm über langjährige Partnerschaften und die Qualitäten von Chris Cooper.
erschienen am 5. 07. 2008
Central Film
Married Life
Filmreporter.de: Die Romanvorlage zu "Married Life" ist John Binghams "Fünf Kurven in den Himmel". Wie sind Sie darauf gestoßen?

Ira Sachs: 2001 verbrachte ich einen Sommer mit der Lektüre von Schundromanen. Ich wollte einen Film machen, in dessen Zentrum ein häuslicher Konflikt steht. In dieser Zeit habe ich mir viele Joan-Crawford- und Bette-Davis-Filme angesehen, Filme aus den 1930er und 1940er Jahren. Die Plots sind großartig, voller Spannung, man weiß nie was als Nächstes passiert. Als ich das Buch in der Hand hatte, spürte ich schon beim Lesen der ersten Seite diesen besonderen Nervenkitzel. Es war so fesselnd, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte. Mir ist aufgefallen, dass es einen großen emotionalen Aspekt enthält, aber ich habe darüber nicht viel nachgedacht. Das musste ich auch nicht, das hat mir die Geschichte selbst abgenommen.

Filmreporter.de: Ist die Spannung zwischen Humor und Ernsthaftigkeit schon im Buch angelegt oder haben Sie dieses Element hinzugefügt?

Sachs: Bei der Arbeit am Film habe ich gemerkt, dass die grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren der Geschichte im Plot enthalten ist: Ein Mann ist der Ansicht, dass eine Scheidung seiner Frau zu viele Schmerzen bereiten würde und es besser sei, sie zu töten. Ich fand das lustig, weil es keinen Sinn macht. Das Publikum sollte die Geschichte ernst nehmen können, aber mit einem zwinkernden Auge. Man kann durchaus darüber lachen.

Filmreporter.de: Warum bekommt Patricia Clarkson in der Rolle der Pat diesen Weinkrampf? Ihr Mann erzählt ihr eine Geschichte über eine verlassene Ehefrau, aber sie selbst hat auch ein Verhältnis.

Sachs: Das ist eine Sache, die mich besonders interessiert: Wie widersprüchlich die Gefühle sein können, in welchem Konflikt sie zueinander stehen. Es ist aber auch ein großer Unterschied, ob man jemanden verlässt oder ob man verlassen wird.
Central Film
Szene aus "Married Life"
Filmreporter.de: Lieben sich Pat (Patricia Clarkson) und Harry (Chris Cooper) eigentlich?

Sachs: Sie wachsen im Verlauf der Geschichte, am Ende lieben sie sich mehr als am Anfang. Der Film handelt von Menschen, die schon lange in ihrer Beziehung leben. Es gibt einen Punkt, an dem die Beziehung stagnieren kann, an dem man nicht mehr weiß, wer die Person mit der man zusammen ist, wirklich ist. Am Ende wissen sie zwar nicht alles über den anderen, aber sie kennen sich besser als zuvor. Die Möglichkeiten für die Liebe sind damit gestiegen.

Filmreporter.de: Der Film wird aus der Perspektive von Richard (Pierce Brosnan) erzählt. Warum soll sich das Publikum mit seinem Charakter identifizieren?

Sachs: Richard bestimmt den Ton des Films: Brosnan bringt den Humor hinein. In seiner Art der Darstellung liegt viel Witz, aber er kann auch ernsthaft sein. Genau das macht den Balanceakt des ganzen Films aus. Was die Identifikation der Zuschauer mit den Figuren betrifft, so hoffe ich, dass sie während des Geschehens wechselt. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Films und macht auch einen Teil der Spannung aus.

Filmreporter.de: Warum fiebert man mit Harry mit? Er ist immerhin ein potentieller Mörder, der seine Frau töten will.

Sachs: Es liegt viel Tragisches in Geschichten über Menschen die Dinge tun, die sie lieber nicht tun sollten. Wir alle verspüren Begierden, denken und tun Dinge, die wir lieber lassen sollten. Zum Glück gibt es Schauspieler, die diese Konflikte für uns auf der Leinwand austragen.
Central Film
Pierce Brosnan in "Married Life"
Filmreporter.de: Wer ist der eigentliche Bösewicht der Geschichte, Harry oder Richard?

Sachs: Als Autor und Regisseur denke ich nicht in Kategorien, wie böse und weniger böse Figuren sind. Die Charaktere handeln vernünftig oder naiv. Aber ich liebe sie alle. Ich fühle mit all ihren schlechten Entscheidungen mit.

Filmreporter.de: Hatten Sie die Schauspieler schon beim Schreiben des Drehbuchs im Sinn?

Sachs: Nein. Aber zuerst stand Chris Cooper fest, und um ihn habe ich das Ensemble gruppiert. Ich bin so vorgegangen, weil die Beziehungen zwischen den Protagonisten eng sind. Ich brauchte jemanden, dem die Zuschauer böse Dinge verzeihen, und ich glaube das tun sie auch. Chris Cooper wirkt vertraut und menschlich wie der Typ von Nebenan oder ein Onkel. Das ist eine seiner Qualitäten, deswegen sieht man ihm so viel nach.

Filmreporter.de: Wer kam nach Chris Cooper?

Sachs: Das war Pierce. Die Beziehung zwischen den Freunden ist für die Geschichte ja genauso wesentlich wie die zwischen den Eheleuten. Pierce und Chris entwickeln auf der Leinwand eine unglaubliche Energie. Weil sie so unterschiedlich und gute Schauspieler sind. Als dann die Akteure für die vier Hauptcharaktere fest standen, war der Großteil schon geschafft. Die Schauspieler nehmen in ihren Darstellungen große Risiken auf sich, auch emotional gesehen, was dem Text seine besondere Struktur gibt.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Ira Sachs
Filmreporter.de: War es schwer, diese hochkarätigen Stars für ihr Projekt zu gewinnen?

Sachs: Sie mochten alle das Drehbuch und genossen die Vorstellung, zusammen zu arbeiten. Außerdem hatten sie meine vorhergehenden Filme gesehen und wohl das Gefühl, dass ich sie nicht schlecht aussehen lassen würde. Sie haben mir vertraut. Es ist ein Film für Erwachsenen und über Erwachsene, davon gibt es nicht so viele. Ich biete ihnen auch eine Chance. Schauen Sie sich Patricia Clarkson an, die Sexualität und Leidenschaft ihres Charakters, einer Frau von über 40. Wie oft sieht man das in einem Film?

Filmreporter.de: Wie lange haben die Arbeiten am Film gedauert?

Sachs: 2001 habe ich den Roman gelesen, dann habe ich mich mit meinem Koautor Oren Moverman an die Adaption gemacht. Insgesamt hat es etwa sechs Jahre gedauert. Ich habe aber parallel noch an einem anderen Film gearbeitet, "Forty Shades of Blue". Der kam bei der Hälfte der Arbeiten zu "Married Life" in die Kinos. Außerdem hat man als Regisseur auch immer ein paar Produzenten-Aufgaben. Man muss mehrere Dinge jonglieren, weil man nie weiß, was als Nächstes passiert. Als der Cast feststand, ging es aber ziemlich schnell.

Filmreporter.de: Was ist die Aussage des Films? Dass man seinen Partner nie wirklich kennt?

Sachs: Nein, darum geht es gar nicht so sehr. Es geht eher darum, zu akzeptieren, dass der Partner anders ist als man selbst und eine eigene Persönlichkeit hat. Man muss diese Andersartigkeit akzeptieren, um sich wohl zu fühlen und eine glückliche Beziehung führen zu können.
Central Film
Rachel McAdams in "Married Life"
Filmreporter.de: Sind Sie verheiratet?

Sachs: Ich habe einen Freund, also nein.

Filmreporter.de: Aber den könnten Sie doch auch heiraten.

Sachs: In Deutschland ja, aber in den USA sieht es anders aus. Der Titel "Married Life" bezieht sich aber auch weniger auf die Institution der Ehe als vielmehr auf den Fakt, in einer langen Partnerschaft zu leben.

Filmreporter.de: Haben Sie ein Rezept für eine lange, glückliche Beziehung?

Sachs: Ich finde, ich mache mich besser als vorher. Ich habe jetzt drei Filme über Untreue und Betrug innerhalb einer Beziehung gemacht. Damit habe ich das Thema abgeschlossen. Ich muss nicht mehr darüber erzählen und es auch nicht selbst leben. Mit über 40 bin ich eher an Beziehungen interessiert, in denen weniger versteckt und mehr miteinander geteilt wird.

Filmreporter.de: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Sachs: Ich arbeite an einem Film mit dem Titel "The Goodbye People". Es ist ein Drama, das Ende der 1960er Jahre in Los Angeles spielt. Es geht um Liebe, Sex, Beziehungen, Intimität, Drogen und Charles Manson. Es geht darum, wie schnell jeder von uns auf die Nase fallen kann und wie schwer es ist, einem anderen Menschen auf Dauer wirklich nahe zu sein.

Filmreporter.de: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. Juli 2008
Zum Thema
Married Life (Kinofilm)
Ausgangspunkt von "Married Life" ist ein altbekanntes Motiv: Mann in der Midlife-Crisis verliebt sich in begehrenswerte junge Frau. Dumm nur, dass Harry glaubt seiner Ehefrau die Scheidung nicht zumuten zu können. Gegen eine heimliche Affäre spricht hingegen sein Ehrgefühl. Um allen Parteien gerecht zu werden, probiert Harry schon mal das Insektengift am Golden Retriever aus. Ira Sachs präsentiert eine spannende Geschichte mehrerer Figuren, deren Schicksale enger verwoben ist, als ihnen..
Der amerikanische Independent-Regisseur, Drehbuchautor und Produzent setzt sich in drei seiner Filme mit dem Thema Untreue und Betrug in einer Partnerschaft auseinander. Sein Drama "Forty Shades of Blue" bekommt 2005 den Großen Preis der Jury beim Sundance Film Festival. Für das Kriminaldrama "Married Life" aus dem Jahr 2008 versammelt Sachs die Schauspielgrößen Pierce Brosnan, Chris Cooper und Patricia Clarkson vor der Kamera.
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