Rufus F. Folkks/Ricore Text
Jonathan Demmes, Anne Hathaway
Eine schrecklich nette Familie
Interview: Außenseiter Jonathan Demme
In "Rachel Getting Married" geht es ans Eingemachte. Eine streitlustige Außenseiterin mischt die Hochzeit ihrer Schwester auf und sorgt für Wirbel in ihrer Sippe. Familienkrach und Wiederannährung der Beteiligten machen die Feier zu einer turbulenten Angelegenheit. Gut gelaunt stellen sich Regisseur Jonathan Demme, Drehbuchdebütantin Jenny Lumet, Hauptdarstellerin Anne Hathaway und Produzentin Neda Armian den Fragen zu ihrem gemeinsamen Werk.
erschienen am 4. 09. 2008
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Jonathan Demme in Venedig 2008
Ricore: Mr. Demme, in Ihrem Film zeigen Sie eine vielschichtige, multikulturelle Gesellschaft. Glauben Sie, dass diese Verhältnisse dem realen Amerika von heute entsprechen?

Jonathan Demme: Die Hochzeitsgesellschaft im Film repräsentiert jenes Amerika, dem ich mich zutiefst verbunden fühle. Das sind ganz normale, durchschnittliche Verhältnisse. Ein Zuschauer, der nur ein Szenenfoto gesehen hatte, meinte, es ginge im Film wohl um die Hochzeit zweier Menschen aus verschiedenen Kulturen. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Tunde Adebimpe, der Rachels Bräutigam Sidney spielt, war der zweite Schauspieler, dem ich diese Rolle angeboten habe. Der erste war Paul Thomas Anderson. Es wäre ein komplett anderer Film herausgekommen, hätte Paul die Rolle angenommen. Es geht eben eine sehr vielschichtige und gegensätzliche Gruppe von Menschen. Genau das ist jenes Amerika, das ich liebe. Ein Zusammentreffen solcher Menschen habe ich zuletzt erlebt, als Barrack Obama zum Präsidentschaftskandidaten ernannt wurde.

Ricore: Mrs. Lumet, die im Film dargestellte Familie erscheint als eine Art Metapher für die US-Gesellschaft in ihrem gegenwärtigen Zustand. Inwiefern hat das öffentliche Klima in Amerika die Handlung Ihres Films beeinflusst?

Jenny Lumet: Das ist ein wunderbarer Gedanke, der mir so bisher noch nicht gekommen ist: Dass das Zusammenrücken einer Familie Vorbote für kommende Veränderungen im Land sein könnte. Veränderungen, auf die wir alle hoffen. Ich bin selbst Mutter und kämpfe ständig dagegen, dass meine eigenen Kinder sich von der Gesellschaft absondern und sich bloß noch Videospielen widmen. In unserem Land ist das ein Massenphänomen. Die Familie im Film muss darum kämpfen, wieder zusammenzurücken. Und das ist ein Prozess, was die amerikanische Gesellschaft derzeit durchmacht.

Ricore: Mrs. Hathaway, im Film gibt es mehrfach Szenen des Streits und der Auseinandersetzung zwischen beiden Schwestern. Sie selbst sind ohne Schwestern, aber dafür mit zwei Brüdern aufgewachsen. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Anne Hathaway: Weder Rosemarie DeWittt, die im Film die Rolle der Rachel gespielt hat, noch ich haben Schwestern. Aber wir haben gute Freundinnen, die für uns zu so etwas wie Schwestern geworden sind. So wie im Film habe ich mich mit meinen Freundinnen noch nie gestritten. Ich glaube auch nicht, dass ich jemals so mit anderen Menschen aneinandergeraten bin wie die von mir dargestellte Kim. Und was meine beiden Brüder betrifft: Die sind meine allerengsten Freunde. Ich bin schon deshalb nie mit ihnen in Streit geraten bin, weil ich mehr zur Passivität neige als Kim. Was ich an Kim bewundere, ist der Kampf, den sie führt. Sie muss sich den Platz in ihrer Familie erkämpfen. Das musste ich selbst nie, schon gar nicht unter solch dramatischen Umständen. Aber natürlich kann ich diese Sehnsucht nachvollziehen, dazu zu gehören. Die Sehnsucht, als das anerkannt zu werden, was man ist. Nicht den Vorstellungen Anderer folgen zu müssen, nur um akzeptiert zu werden.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Anne Hathaway in Venedig 2008
Ricore: Mr. Demme, was bei "Rachel Getting Married" auffällt, ist die Rolle der Musik für das Filmgeschehen.

Demme: Ich liebe diese Verbindung von Musik und Film. Mein Wunsch war es immer, mit direkt eingespielter Musik zu arbeiten. Auf bei der Bearbeitung dazu gemischte Musik wollte ich verzichten. "Rachel Getting Married" erschien mir als großartige Chance, dieses Verfahren auszuprobieren. Schließlich dreht sich der Film doch um ein sehr kreatives Paar: Sidney ist Musiker. Dementsprechend sind viele Freunde des Brautpaars auch Musiker. Sogar der Vater der Braut ist im Musikgeschäft. Daher versteht es sich von selbst, dass bei dieser Gelegenheit viele Musiker im Haus sind und überall Musikinstrumente herumliegen. Also lag es nah, die Darsteller der Hochzeitsgäste einfach spielen zu lassen und so zu einer wunderbaren Filmmusik zu kommen. Die Darsteller der musizierenden Hochzeitsgäste waren die Ersten, die wir ausgesucht haben. Mit diesen Musikern hatte ich zuvor an einer Dokumentation über Jimmy Carter gearbeitet. Wir hatten einen palästinensischen Violinisten, einen Trompetenspieler aus dem Irak und eine unserer Sängerinnen stammt aus Ägypten. Sie waren einfach brillant. Dass daraus eine eigene Filmmusik entstehen würde, war mir anfangs noch nicht klar. Alles was ich erwartet habe, war eine wunderbare Begleitmusik. Bei unserem ersten Zusammentreffen haben wir die Musiker ermutigt, bei unseren Dialogszenen so viel wie möglich zu spielen. Manchmal waren die Musiker im selben Raum, in der sich die Dialoge abspielten, mal im Nebenraum. Hauptsache, sie würden Musik machen und dadurch helfen, die Figuren zum Leben zu erwecken. Daraus hat sich allmählich unsere Filmmusik entwickelt. Donald Harrison Jr., ein Musikerfreund aus New Orleans, hat die wundervolle Liebesmusik während der Proben für die Hochzeit und später auch bei der eigentlichen Trauung gespielt. Dieses Lied ist zu einem musikalischen Leitmotiv für den Film geworden.

Ricore: Mrs. Hathaway, wie war es für Sie, eine Frau zu spielen, die in so viele Kämpfe und Auseinandersetzungen verstrickt ist?

Hathaway: Ich bin oft gefragt worden, worin wohl der Reiz bestehen könne, eine derart zerrissene, düstere und zerquälte Figur wie Kim zu spielen. Eigentlich habe ich Kim nie so gesehen. Von ihren Verhaltensweisen her ist sie das vielleicht. Aber ein kämpferisches Leben bedeutet ja schließlich auch, ein ehrliches Dasein zu führen. Und Kim ist ehrlich, manchmal sogar in verletzender, unhöflich erscheinender Weise aufrichtig. Das im Film zu spielen, hat Spaß gemacht. Es war herrlich, das zündende Element innerhalb einer Szene darzustellen. Jemanden, der im Mittelpunkt eines sich anbahnenden Tumults steht. Derartige Rollen habe ich bisher noch nicht oft gespielt.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Im Schmusekurs: Jonathan Demme und Anne Hathaway
Ricore: Mr. Demme, man hat das Gefühl, dass ihre vorige Arbeit an einem Dokumentarfilm auch die Machart von "Rachel Getting Married" beeinflusst haben könnte.

Demme: Ja, sehr sogar. Als ich in den 1990er Jahren damit begann, Dokumentarfilme zu drehen, wurde ich nach den wechselseitigen Einflüssen von Spiel- und Dokumentarfilmen aufeinander gefragt. Ich habe geantwortet, dass wir immer versuchen, Spielfilme möglichst realistisch und Dokumentarfilme möglichst dramatisch wirken zu lassen. Das mag damals eine etwas oberflächliche Erklärung gewesen sein. Aber bei "Rachel Getting Married" kam meine Dokumentarfilmarbeit wirklich groß ins Spiel. Mit meinem Kameramann Declan Quinn hatte ich bereits zuvor Dokumentarfilme gedreht. Als ich Declan das Drehbuch zu "Rachel Getting Married" zeigte, äußerte ich die Idee, den Beginn der Geschichte wie einen Amateurfilm wirken zu lassen. Das sollte den Einstieg in authentische Story suggerieren. Der Zuschauer sollte sich damit unmittelbar in die Geschichte einbezogen fühlen. Auch sonst haben wir wie bei einem Dokumentarfilm gearbeitet. Declan hat zum Beispiel sämtliche Räume komplett ausgeleuchtet, um so auch Kameraschwenks um 360 Grad machen zu können. Unsere Schauspieler wussten überhaupt nicht, von welcher Seite aus sie aufgenommen werden würden. Declan und ich wussten es ja selber nicht, das ergab sich aus dem jeweiligen Augenblick. Die Schauspieler standen drehfertig in der Dekoration, Declan fand einen Punkt, von dem aus er mit dem Drehen der Szene beginnen wollte, und los ging es. So spontan sind wir oft vorgegangen, sei es beim Drehen oder bei der Musik. Eben wie beim Dokumentarfilm. Ich liebe die 'Dogma'-Filme. Wir haben versucht, so dicht wie möglich an der Machart der 'Dogma'-Filme zu bleiben und das Publikum möglichst wenig zu manipulieren. Die Zuschauer sollten die Möglichkeit haben, eine eigene Einstellung zu der Handlung und ihren Figuren zu entwickeln.

Ricore: Mrs. Lumet, war es für Sie emotional schwierig, einen so konfliktträchtigen Stoff wie "Rachel Getting Married" zu Papier zu bringen?

Lumet: Nein, es war überhaupt nicht schmerzlich, das Drehbuch zu schreiben. Im Gegenteil: Es war eine Freude. Jede einzelne Figur war etwas ganz Besonderes. Ich wünschte, ich hätte die Fähigkeit, das Publikum dahingehend zu beeinflussen, dass es Kim mehr Sympathie entgegenbringt. Ich habe mich um ein möglichst aufrichtiges Drehbuch bemüht. Niemand von uns sucht sich seine Familie aus. Kim ist ein schwieriger Mensch.
erschienen am 4. September 2008
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2024