Pandora
Regisseur Bent Hamer
Alte Menschen integrieren
Interview: Netter Kontroll-Freak: Bent Hamer
Bent Hamer macht seine Filme nicht mit den großen Studios. Der Norweger schreibt die Drehbücher selbst, führt Regie und produziert. Auf Internationalen Filmfestspielen ist er eine feste Größe und begeistert Kritiker wie Publikum mit melancholisch-heiteren Filmen, die sich oft um ältere Menschen drehen. In "O'Horten" führt er diese Tradition fort und schildert das turbulent-skurrile Leben eines alleinstehenden Zugführers, der vor der Pensionierung steht. Mit uns unterhielt sich der Regisseur über die Wichtigkeit von Zuggeräuschen, die Faszination des Alters und die Hoffnung auf einen Oscar.
erschienen am 14. 12. 2008
Arsenal Filmverleih
O'Horten
Ricore: Herr Hamer, warum ist die Hauptperson Ihres Films ausgerechnet ein Zugführer?

Bent Hamer: Das hat sich eher zufällig so ergeben. Aber als ich neulich mein Büro aufräumte, fand ich ein paar alte Skizzen über Zugführer. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun.

Ricore: Kannten Sie schon vorher diese Schallplatten, auf denen in einen Bahnhof einfahrende Züge zu hören sind?

Hamer: Nein, die haben wir extra für den Film aufgenommen. In den Gesprächen mit pensionierten Zugführern habe ich erfahren, dass sie vor allem das Geräusch der Züge vermissen. Einer hat mit seinem Handy die Zuggeräusche aufgenommen und sie mir vorgespielt. Er saß damit zuhause und hat sie sich angehört. Als ich ihnen dann diese Quiz-Szene vorgespielt habe, in der die Zugführer verschiedene Züge am Klang erraten müssen und Odd diesen silbernen Zug überreichen, haben die Pensionäre gelacht, wenn auch etwas verhalten. Ich glaube, ich war da gar nicht so weit von der Realität entfernt. Aber das würden sie nicht zugeben.

Ricore: Warum drehen sich Ihre Filme meistens um ältere Menschen?

Hamer: Ich habe das nicht geplant, die Geschichten sind mir einfach eingefallen. Warum auch nicht? Es gibt genug Filme über junge Menschen. Alte Menschen interessieren mich einfach, aber in den Filmen geht es ja um mehr als nur die Altersfrage. An einem Tag hat Horten durch seine Arbeit noch einen geregelten Alltag und am nächsten wird er pensioniert. Das ist eine völlig neue Situation. Ich war früher viel bei meinen Großeltern und hatte auch sehr viele alte Freunde. Das war ein Teil meines Lebens und hat mir immer gut gefallen. Es ist wichtig, alte Menschen zu integrieren, und darin sind wir nicht besonders gut. Es ist einfacher, sich mit Gleichaltrigen abzugeben, und das finde ich sehr schade.
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Noch gehört Horten dazu...
Ricore: In letzter Zeit sind einige Filme über ältere Menschen in die Kinos gekommen. Sehen Sie darin einen Trend?

Hamer: Ich glaube nicht, dass diese Filme im Ganzen gesehen schon einen Trend ergeben. Insgesamt machen sie immer noch einen sehr geringen Prozentsatz aus. Es ist eher so, dass diese Filme in der letzten Zeit sehr gut waren und deshalb Aufmerksamkeit bekommen haben. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes habe ich "Wolke Neun" gesehen, den ich sehr gut und wichtig fand.

Ricore: Die meisten Kinobesucher sind eher jung. Wie groß ist da das Risiko, einen Film über einen alleinstehenden Rentner zu machen?

Hamer: Ich produziere meine Filme selbst und trage deshalb auch das Risiko. Ich habe ja schon einige Filme über ältere Leute und mir auf diesem Gebiet einen Namen gemacht. Bisher konnte ich meine Filme immer verkaufen. Für einen Erstlingsregisseur ist das natürlich viel schwieriger. Wenn man aber Glück hat und etwas von einer gewissen Qualität produziert, kann man alles verkaufen. Aber die Konkurrenz ist groß, die Produzenten wollen Geld sehen und dann sucht man sich schnell einmal ein weniger kompliziertes Thema oder Genre aus. Norwegen hat nur fünf Millionen Einwohner, da ist der Vertrieb in andere Länder besonders wichtig.

Ricore: Wodurch zeichnet sich der norwegische Film aus?

Hamer: Das ist schwer zu sagen, es gibt so viele verschiedene Filme. Früher waren wir vor allem für Kinderfilme bekannt. Wir machen nur etwa 20 Filme pro Jahr und bei einem so kleinen Volumen ist es schwer, viele gute Filme zu machen. Ich denke schon, dass der melancholische nordische Humor etwas ganz Eigenes ist. Mitte der 1990er Jahre gab es einen Wendepunkt. Davor gab es fast nur politisch korrekte, soziale und realistische Filme. Das war ziemlich langweilig und hat unseren Ruf geprägt. Aber dann ist etwas passiert und die Regisseure wagten sich an persönlichere, lustigere Geschichten mit anderen Blickwinkeln. Seitdem sind die norwegischen Filme ziemlich vielseitig.
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Noch gehört Horten dazu...
Ricore: Sie haben das Drehbuch zu "O'Horten" geschrieben, Regie geführt und produziert. Sind Sie ein Kontroll-Freak?

Hamer: Wahrscheinlich, aber hoffentlich ein netter. Ich arbeite seit meinem ersten Kurzfilm so. So passe ich auf meine Projekte auf, und das ist mir sehr wichtig. Außerdem gibt es in Norwegen nicht so viele große Produktionsfirmen, und die machen neben der Filmproduktion auch noch andere Sachen. Diese Medienunternehmen können ziemlich gefährlich sein, weil ihnen die Produktionsfirmen ebenso gehören wie die Kinos und sie zugleich die Distribution steuern. Indem ich meine Filme selbst produziere, kann ich dem entgehen stehen. Außerdem machen mir alle meine Aufgaben Spaß, ich bin an jedem Schritt des kreativen Prozesses beteiligt. So wird meine Arbeit nie langweilig.

Ricore: Wie groß ist Ihre Angst vor dem Älterwerden?

Hamer: Ich habe mich nie davor gefürchtet, alt zu werden. Wie ich schon sagte, hatte ich viele alte Freunde und bin auch in keine Krise gestürzt, als ich 30, 40 und 50 wurde. Ich habe erst spät eine Familie gegründet und jetzt gibt es kein zurück mehr. Als ich aber relativ früh meine Eltern verloren habe, hat mir das schon zu Denken gegeben. Auf einmal denkt man, jetzt ist man der Nächste in der Reihe. Man kriegt ein Gefühl dafür, dass die eigene Zeit nun einmal begrenzt ist.
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Horten (Bård Owe) bei der Arbeit
Ricore: Sie haben den Film Ihrer Mutter gewidmet. Inwiefern hat sie Sie in Ihrer Berufswahl beeinflusst?

Hamer: Mütter haben ja immer einen starken Einfluss auf ihre Kinder. Meine Mutter ist mit mir viel Ski gefahren und sie war Skispringerin. Sie hat mich immer bei meinen sportlichen Aktivitäten begleitet, egal ob es Fußball oder etwas anderes war. Dass sie bei mir war, hat mich inspiriert. Und ich hatte keine Angst etwas auszuprobieren, das hat sich auch auf meinen Beruf ausgewirkt.

Ricore: Haben Sie so etwas wie den Skisprung, den Horten schon immer machen wollte und sich nie getraut hat?

Hamer: Ich weiß nicht genau, aber wenn, würde ich es Ihnen nicht verraten.

Ricore: "O'Horten" ist die norwegische Bewerbung für den Oscar 2009. Werden Sie hinfahren?

Hamer: Wenn wir nominiert werden, sicherlich. Aber ich bin da sehr nüchtern eingestellt und erwarte mir nichts, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden. Ich werde zu diesem Zeitpunkt sowieso in den USA sein, weil der Film im Februar in den amerikanischen Kinos anläuft und dann die Pressetour beginnt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. Dezember 2008
Zum Thema
Bent Hamer liebt die Unabhängigkeit. Der Norweger schreibt seine Drehbücher selbst und verwirklicht diese als Regisseur und Produzent. Als Helden seiner Filme setzt er zumeist ältere Menschen ein, die ihn Zeit seines Lebens faszinieren. Die Komödie "O'Horten" ist Norwegens Beitrag für die Nominierung des Besten nichtenglischsprachigen Films für die Oscar-Verleihung 2009.
O'Horten (Kinofilm)
Der Norweger Bent Hamer bewies sein Komödientalent mit "Eggs" und "Kitchen Stories". Im Zentrum von "O'Horten" steht Ingenieur Odd Horten (Baard Owe), der mit 67 Jahren in den Ruhestand geschickt wird. Aber was soll der schrullige, wie ein Einsiedler lebende Rentner mit dem Rest seines Lebens anfangen? Lohnt es sich zu Reisen, High-Heels zu tragen oder einen Hund zu haben? Und wie steht es mit der Liebe unter Senioren?
2024