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Angelina Jolie in: Jenseits aller Grenzen
Angelina, der Engel!
Interview: Vergessen Sie die Tätowierungen
Vergessen Sie die Messersammlung, die Tätowierungen, den seltsamen Geschwisterkuss und Billy Bob: Angelina Jolie wurde in den vergangenen Jahren ihrem Vornamen gerecht und entwickelte sich zum Engel. Durch die Adoption des kambodschanischen Sohnes, Maddox, wurde aus ihr eine verantwortungsvolle Mutter. Filmedrehs müssen immer wieder ihrer Position als Goodwill Ambassador der UNO Platz machen, und als solche bereist sie alle Krisengebiete der Welt. Ihr neuester Film passt da ganz ins Konzept: "Jenseits aller Grenzen" (Beyond Borders) beschäftigt sich mit demselben Thema, das auch ihr Leben bestimmt.
erschienen am 25. 02. 2004
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Angelina Jolie noch mit Schmuck und Designerkleid
Ricore: Was kam zuerst - das Filmangebot oder Ihr Interesse an Flüchtlingslagern, die Sie nun für die UNO besuchen, und für die Sie viel Geld spenden?

Angelina Jolie: Es war eine Serie aus Momenten. Ich las das Drehbuch für den Film vor fünf Jahren. Es bewegte mich sehr, ich weinte, und konnte mich dann einfach nicht dazu bringen, den Film zu machen. Ich wollte zuerst wissen, worum es in dem Film geht, wirklich verstehen, womit er sich beschäftigt. Dann gab es Produktionsprobleme und die Dreharbeiten wurden verschoben. Und ich kapierte plötzlich, dass ich ja eine Person bin, nicht nur eine Schauspielerin, und dass ich nicht meine Arbeit als Ausrede brauche, um etwas zu recherchieren. Ich wollte mehr über Flüchtlinge herausfinden, und rief die UNHCR in Washington an. Die luden mich ein, und kurz danach unternahm ich meine erste Reise nach Sierra Leone. Das Filmdrehbuch inspirierte mich also, aber erst als ich meinen Fuß in dieses Land setzte, wurde ich transformiert. Die Erfahrungen und auch die anderen, die ich danach machte - in Kambodscha, Tansania, Tschetschenien und Pakistan - veränderten mein Leben und machte mich zu einem viel besseren Menschen. Die erste Person, die ich in Sierra Leone sah, starb. Meine Veränderung ist kompliziert, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll.

Ricore: Die Rolle, die Sie im Film spielen, ist eine Mutter, die ihr Leben in Gefahr bringt, um ihren Geliebten in Tschetschenien zu finden. Ist sie selbstsüchtig? Hat sie eine Todessehnsucht? Hat sie nicht ihren Kindern gegenüber eine Verantwortung am Leben zu bleiben?

Jolie: Ich selbst war erst kürzlich in Tschetschenien, weil dort Zustände herrschen, über die keiner sprechen will. Und ich wollte diese Zustände an die Öffentlichkeit bringen. Es gab einige Leute, die meine Motivation in Frage stellten, weil ich selbst auch Mutter bin. Ich lernte eine Menge Mütter und Kinder in diesem Flüchtlingslager kennen. Ich wollte sicher stellen, dass dieses Lager nicht geschlossen wird, und diese armen Menschen in die Schusslinien zurückgedrängt werden, wo sie zweifellos sterben würden. Es ist mir nicht leicht gefallen, meinen Sohn zurück zu lassen. Es war keine einfache Entscheidung. Aber dann dachte ich an all die Ärzte, Krankenschwestern und Sozialarbeiter, die der Flüchtlingshilfe auf der ganzen Welt ihr Leben widmen und täglich Menschen vor dem Tod oder noch schlimmerem bewahren. Kann man die als selbstsüchtig bezeichnen weil sie sich in Gefahr begeben? Viele von ihnen haben Familie. Sollte es ihnen nicht erlaubt sein, eine Familie zu haben, die sie lieben, und gleichzeitig ihre Arbeit zu tun?

Ricore: Was sind Ihre Pläne? Werden Sie weiter als Goodwill Ambassador arbeiten?

Jolie: Ich plane das für den Rest meines Lebens zu tun. Viele der Premieren für "Jenseits aller Grenzen" kommen der UNHCR zugute. Die Einnahmen von meinem Buch "Angelina Jolie - Notes from My Travels", in dem ich Tagebuchartig meine Reisen beschrieben habe, gehen ebenfalls an die UNHCR. Ich spende selbst viel Geld. Wir werden mehr Fundraiser veranstalten, und die Öffentlichkeit besser informieren.
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Angelina Jolie ist nachdenklicher, die wilden Zeiten sind vorbei
Ricore: Sehen Sie das Paradox zwischen Ihrem Luxusdasein und dem Leben, das Sie Führen, wenn Sie einige Wochen in einem Flüchtlingslager arbeiten? Hat man da manchmal Schuldgefühle?

Jolie: Absolut. Und wie! Ich erinnere mich an viele Male wo ich aus einem Lager auf dem Heimweg plötzlich wieder in einem zivilisierten Hotel absteige. Und ich bin immer so hungrig weil in den Lagern natürlich dieselben kleinen Portionen esse wie alle anderen auch. Und einmal bestellte ich im Hotel den Zimmerservice, und mitten während dem Essen, begann ich zu weinen und dachte, was für ein schrecklicher Mensch ich bin, dass ich mir das alles leisten kann, und die Flüchtlinge haben nichts. Ich habe noch nicht die perfekte Balance gefunden, nur spende ich inzwischen die Hälfte meiner Gagen, und habe daher keine Schuldgefühle mehr wenn mir ein Studio 10 Millionen Dollar für "Tomb Raider" zahlt.

Ricore: Wissen Sie was mit dem Geld geschieht, das Sie spenden?

Jolie: Und ob! Ich habe ja die Möglichkeit, immer gleich zu überprüfen, ob auch wirklich das Krankenhaus, die Bewässerungsanlage oder die Schule gebaut wird, für die ich Geld spende. Ich sehe mir das ganz genau an, und lasse mir alles vorrechnen.

Ricore: Viele Hollywoodstars nehmen sich einer Charity an, um gut dazustehen und positive Publicity zu kriegen, ohne jemals einen Fuß in ein Dritte-Welt-Land gesetzt zu haben. Sie haben anfangs nicht mal über Ihre Arbeit mit der UNO gesprochen - wie sehen Sie den Unterschied zwischen Ihnen und dem Rest von Hollywood?

Jolie: Ich hatte genau aus dem Grund, den Sie ansprechen, anfangs große Bedenken: ich wollte weder die Publicity noch irgendeine Art von Ruhm dafür. Ich lehnte es ab Fotos zu machen. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Unter all den Menschen, die ihr Leben der Flüchtlingshilfe widmen, war ich eine verwöhnte Anfängerin. Und war bin ich schon, dass ich mir einbilde, da in ein Lager reinzumarschieren und helfen zu können? Aber dann machten mir die Leiter der UNHCR klar, dass es genau mein Bekanntheitsgrad ist, der es ihnen ermöglicht, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Probleme zu lenken, dass ich meinen Namen dazu benützen könnte, etwas zu verändern!
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Angelina nicht nur im Film bescheidener geworden
Ricore: Wie sehr haben sich Ihre Prioritäten verschoben?

Jolie: Sie sind endlich richtig! Wenn du Frauen triffst, die wochenlang ohne Nahrung und Schuhen an den Füssen - und manchmal ohne Füße und Arme! - ihre Kinder durch verminte Kriegsgebiete schleppen und dann halbtot in einem Lager ankommen, dann wirst du zornig genug, dich politisch zu engagieren. Ich bin auch jetzt sehr daran interessiert, nicht nur zu helfen, sondern die Gründe für die Armut und die Zustände herauszufinden und sie zu bekämpfen. Die UNO mag keine perfekte Organisation sein, aber ohne sie wären Millionen von Menschen nicht mehr am Leben. Ich will hier ja nicht zu politisch werden, aber die UNO gibt einen gewissen Standard vor. Und ein Land, das unterschrieben hat die UN-Gesetze zu respektieren, kann nicht einfach in ein anderes Land einmarschieren, wenn es keinen Beweis gibt, dass es eine Bedrohung darstellt oder zuerst attackiert hat. Kürzlich stand ich auf einer Landebahn, knapp davor in ein weiteres Krisengebiet zu fahren - im Kongo, und jemand fragte mich, ob ich denke, dass ich 15 Jahren mein Sohn auf derselben Landebahn stehen wird, denn die Lage wird sich nicht ändern. Ich habe aber diese Hoffnung. Ohne die Hoffnung auf Veränderung, ohne den Glauben, dass die Politiker ihre Prioritäten ändern, hätte ich nicht die Kraft zu all dem, was ich mache. Es ist mir wichtig, dass die Leute verstehen, dass ich eine Amerikanerin bin, die die UNO unterstützt, nicht eine von vielen, die sie kritisiert. Es gibt zum Glück noch Amerikaner, die nicht mit der amerikanischen Regierung konform gehen. Soviel zur weltpolitischen Lage. Persönlich gesprochen, war es mir nie wichtig materielle Dinge zu besitzen, und ich liebte es aus dem Rucksack zu leben und nie zu wissen, wo ich in der nächste Woche sein würde. Aber jetzt habe ich ein Kind, und ihm will ich ein Heim geben. Deshalb baue ich das Haus in Kambodscha und kaufte eins in London. Aber wenn mich dann Leute fragen, ob ich okay bin, weil "Tombraider" nicht so viel eingespielt hat, dann greife ich mir nur noch an den Kopf! Natürlich bin ich okay! Ich habe meine Arme und Beine, mein Sohn ist ein gesundes Kind und wir verhungern nicht. Was mich interessiert mich da ob ein Film gefloppt ist oder nicht?!

Ricore: Hatten Sie jemals Angst?

Jolie: Ja. Ich war an einem Ort, wo mir jeder sagte, dass die lokale Polizei jederzeit meinen Pass zerreißen könnte. Ich musste mich mitten in der Nacht in dieser Holzhütte verstecken, und eine Einheimische log für mich, und sagte, dass ich nicht hier wäre. Es dauerte Stunden. Ich kauerte in einer Ecke und betete, dass ich nicht gefunden würde. Denn ich hatte gehört, was mit Menschen geschehen kann, denen man den Pass wegnimmt. Du bist ein Niemand in diesem Land. Und ich möchte das Land nicht nennen, denn das wäre unfair. Und ich bin vorsichtig geworden, seitdem ich Maddox habe. Ich bin jetzt nun mal Mutter und trage Verantwortung. Ich habe durch die UNHCR Kidnapp-Versicherung und im Fall von Krankheit oder Gefahr kann ich jederzeit ausgeflogen werden.
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UNHCR-Botschafterin Angelina Jolie
Ricore: Warum sind Sie nach London gezogen?

Jolie: Ich habe noch ein Apartment in New York, aber ich liebe England, und es ist für mich und meinen Sohn viel einfacher in seine Geburtsheimat Asien zu fliegen. Und für mich ist es leichter, meine Reisen nach Afrika zu machen. Nebenbei gesagt, möchte ich auch, dass mein Sohn eine internationalere Erziehung genießt und in Europa aufwächst.

Ricore: Wann kriegt er denn ein Geschwisterchen?

Jolie: Bald. In einem Jahr oder so. Wenn er in den Kindergarten kommt, ist der Zeitpunkt, glaube ich, richtig. Dann nehme ich mir eine Weile frei und adoptiere ein neues Baby.

Ricore: Das klingt so simpel. Ist es wirklich so leicht, ein Kind aus einem Flüchtlingslager oder einem ausländischen Waisenhaus zu adoptieren?

Jolie: Im Gegenteil. Auf Maddox musste ich viele Monate warten. Das hat auch nichts damit zu tun, dass ich mehr Geld habe als der Durchschnittbürger, es ist alles politisch. Und es gibt Dritte-Welt-Länder, die es überhaupt nicht erlauben, dass man Kinder adoptiert und außer Landes bringt. Dazu kommt noch, dass ich eine Single Mutter bin und keiner bestimmten Religion angehöre. Auch das sind Hindernisse in manchen Ländern. Und auch das macht mich wütend.

Ricore: Sie haben sich nicht nur innerlich sondern auch äußerlich verändert...

Jolie: Ich liebe es, mich konservativ zu kleiden! (lacht) ICH finde es interessant, dass alle MICH interessant fanden, als ich völlig aus der Balance war, keinen Sinn im Leben sah, total richtungslos rum rannte und verzweifelt versuchte irgend etwas zu kommunizieren, von dem ich selbst keine Ahnung hatte, was es war. Ich denke aber, dass es nicht so toll und irre ist Tätowierungen zu haben und aus Flugzeugen zu springen. Irre ist, in einem Dschungel zu leben, wo du dein eigenes Grundstück entminen musst und die wilden Tiger zählen kannst, die in deinem Garten leben. Das ist heute mein Leben, wenn ich mit meinem Sohn in unserem Haus in Kambodscha bin. Und das ist vermutlich für ein Interview nicht so interessant. Abgesehen davon war ich nie so wild und verrückt, wie immer geschrieben wurde. Das klang nur alles so gut.

Ricore: Sie sagten kürzlich, dass Sie seit fast zwei Jahren im Zölibat leben - gilt das immer noch?

Jolie: (lacht) Hoffentlich nicht mehr lange! Ich habe genug davon! Ich hab mich nur schon so oft geirrt, was Verliebt sein betrifft. Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin. Während der Dreharbeiten zu "Jenseits der Grenzen" brach meine Ehe auseinander, mein Sohn kam nach Hause, und mein Leben wurde auf den Kopf gestellt. Aber deshalb gefällt mir die Liebesgeschichte in dem Film: sie trifft diesen Mann, der ihr die Augen öffnet mit dem was er tut, woran er glaubt und wie er sein Leben lebt. Er inspiriert sie und macht einen besseren Menschen aus ihr. Und sie tut dasselbe für ihn. Und das ist das größte, was Liebe einem geben kann. Und genau danach bin ich noch auf der Suche. Ich vermisse die Mann-Frau-Verbindung, aber ich will nicht, dass einer vorgibt meinen Sohn zu lieben, damit er mich kriegt. Und ich möchte nicht, dass Maddox sich an einem Mann gewöhnt, der uns wieder verlässt.

Ricore: Sie drehen derzeit "Alexander, der Große", dessen Mutter Olympias Sie spielen. Wie verstehen Sie sich mit Regisseur Oliver Stone?

Jolie: ich kenne ihn seit vielen Jahren. Er war der erste, der mich pushte, internationale Zeitungen zu lesen, und ein wenig mehr über die Welt zu lernen. Er war ein wichtiger Einfluss in meinem Leben. Als Regisseur ist er sehr anstrengend auf eine wundervolle Art. Wir drehen hier ein Riesenepos, und ich bekomme Unterricht in griechischer Geschichte.
erschienen am 25. Februar 2004
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