Constantin Film
Julia Jentsch
Die moderne Effi Briest
Interview: "Enge Korsage hilft"
Theodor Fontanes Klassiker "Effi Briest" ist ein Sittengemälde der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Zentrales Motiv ist die Einschränkung der individuellen Freiheit durch Normen und Konventionen. Julia Jentsch spielt in der Romanverfilmung die Titelrolle. Die Schauspielerin erläutert in unserem Gespräch, warum das Thema für sie eine zeitlose Bedeutung hat und inwiefern Korsage hilfreich sein kann.
erschienen am 14. 02. 2009
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Julia Jentsch
Ricore: Umgangsformen spielen in "Effi Briest" eine wichtige Rolle. Wie haben Sie sich damit zurecht gefunden? Julia

Jentsch: Es ist klar, dass die Umgangsformen anders waren. Alles war viel reglementierter. Man musste auf viel mehr darauf achten,nicht aufzufallen oder anzuecken. Doch wir hatten einen Benimmlehrer, einen Experten für diese Zeit. Von dem haben wir uns Verbeugungen, Begrüßungen, Handküsse und dergleichen erklären lassen. Das war spannend. Ich bin aber froh, dass all das heute wesentlich unkomplizierter ist.

Ricore: Es war also ungewohnt?

Jentsch: Für Juliane Köhler und mich war es sehr ungewohnt. Wir hatten den ersten Drehtag und waren längere Zeit in dem Korsett und diesen langen Röcken. Danach waren wir vollkommen verzweifelt, weil wir das Gefühl hatten, wir wären Puppen. Wir fragten uns: "Sieht das nicht komisch aus, wie wir laufen, bewegen wir uns überhaupt noch normal?" Das dauerte einen Tag, danach waren die spezielle Haltung, die Kleider auch eine Hilfe.

Ricore: Sind die Kostüme nicht so angepasst worden, dass Sie es darin bequem hatten?

Jentsch: Nicht unbedingt (lacht). Nein, Lucy hat sich ganz toll um unsere Kostüme gekümmert. Sie hat so lange mit uns rumprobiert, bis wir damit glücklich waren. Doch so eine Korsage muss einfach eng geschnürt sein, sonst macht sie keinen Sinn.
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Julia Jentsch
Ricore: Hilft das, um sich in die Figur reinzuversetzen?

Jentsch: Ja, es ist ein wichtiges Hilfsmittel, besonders für die Figur. Wir haben entschieden, Effi Briest zu Beginn mit 17 Jahren kein Korsett tragen zu lassen. Da trägt sie eine etwas engere Bluse. Das Korsett kommt dann ab dem Moment, in dem sie das Elternhaus verlässt und Baronin wird. Das passt natürlich auch zusammen. Sobald sie sich anders verhalten, einordnen muss, trägt sie das Korsett. Das hilft schon.

Ricore: "Effi Briest" steht in vielen Bundesländern auf dem Schul-Lehrplan. Auch daher ist das Buch sehr bekannt. Es scheint aber, als gebe es nur zwei Meinungen darüber: Entweder man findet den Roman großartig oder furchtbar. Was sagen Sie?

Jentsch: Großartig. Sonst hätte ich wahrscheinlich keine Lust gehabt, bei der Verfilmung mitzumachen. Doch ich habe das genau so erlebt, wie Sie es beschreiben. Entweder sagen die Leute "Oh Gott, schrecklich! Das musste ich schon in der Schule lesen" oder es ist das absolute Lieblingsbuch, an das man sich immer noch genau erinnert. Dazwischen höre ich eigentlich nichts, es gibt nur diese beiden Extreme.

Ricore: Was ist für Sie von dem Roman aus der Schulzeit übrig geblieben?

Jentsch: Die Sprache von Fontane, die alles so detailliert beschriebet hat, dass man sich alles so genau vorstellen konnte. Die Personenbeschreibung, die so genau und differenziert ist. Die Figuren haben so unterschiedliche Charaktereigenschaften, negative wie positive.
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Effi Briest
Ricore: Hat Sie das inspiriert?

Jentsch: Mir geht es so, dass ich über jede Figur mehr wissen will, sie verstehen will. Sie erscheinen mir so menschlich und real, überhaupt nicht wie Schablonen. Alle haben ihre eigene Vergangenheit, man kann teilweise zurückverfolgen, warum sie so geworden sind, wie sie sind. Beispielsweise Baron von Innstetten, der seine große Liebe nicht bekommt und sich deshalb in die Karriere stürzt. Dann versucht er mit Effi etwas nachzuholen, etwas zu wiederholen. Das funktioniert natürlich nicht, doch man hat dadurch Verständnis für die Figur. Mir geht das zumindest so, ich fühle mit ihm. Ich wünsche mir natürlich auch, dass er anders zu Effi ist, aber das geht nicht. Die beiden passen nicht zusammen.

Ricore: Wie empfanden Sie das moderne Ende?

Jentsch: Ich empfinde es nicht als eine Modernisierung. Es sind keine Dinge dazugekommen, die in dem Stoff nicht vorhanden sind, nicht benannt werden. Regisseurin Hermine Huntgeburth hat einfach bestimmte Dinge betont, andere hervorhoben. Anders, als es Rainer Werner Fassbinder oder andere Regisseure bei vorhergehenden Verfilmungen gemacht haben. Dieses Ende hat mich anfangs überrascht und irritiert.
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< I>Ricore: Wie hat sich das geändert?

Jentsch: Durch die Gespräche mit Hermine fand ich es mehr und mehr plausibel. Sie hat sich an Else von Ardenne, dem Vorbild von Effi Briest, orientiert. Fontane hat für sein damaliges Publikum Kompromisse gemacht. Da waren die Frauen eben in der Opferrolle und mussten am Ende einer Geschichte sterben. Das war gewünscht, das sah man gern. Hermine hat sich davon gelöst. Das nimmt der Geschichte nicht ihre Tragik. Diese Version ist kein Happy End, sie lässt nur etwas Spielraum für Hoffnung.

Ricore: Haben Sie persönlich Parallelen mit ihrer Figur gefunden?

Jentsch: Ich versuche nicht nach Parallelen zu suchen, sehe die Figur als eigenständigen Charakter. Doch wenn ich einzelne Situationen, Gefühle spielen muss, schaue ich: Wann habe ich Ähnliches erlebt? Da gibt es punktuell Parallelen.

Ricore: "Effi Briest" ist ein Sittengemälde der verlogenen feinen Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts aber gleichzeitig ein Plädoyer für Freiheit. Welche Bedeutung hat Fontanes Thema heute?

Jentsch: Die Gründe für Effis Probleme gibt es heute vielleicht nicht mehr in der Form. Doch ihre Situation gibt es noch genau so. Was sie durchlebt ist für mich komplett zeitlos. Da gibt es viele aktuelle Beispiele. Nur der zeitliche Rahmen ist ein anderer. Wenn man sich heute nicht mehr duelliert, so sinnt man doch noch aus Eifersuchtsmotiven nach Rache. Immer noch kann man Betrug nicht verzeihen oder bringt den Liebhaber seiner Frau um. Die Gefühle, die Emotionen, die dahinterstehen sind geblieben.
erschienen am 14. Februar 2009
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Effi Briest (Kinofilm)
Preußen im 19. Jahrhundert: Effi Briest (Julia Jentsch) ist ein ungestümer Teenager. Nach dem Willen ihrer Eltern (Thomas Thieme und Juliane Köhler) muss sie standesgemäß heiraten, doch ihre Wahl ist auf den viel älteren Baron von Innstetten (Sebastian Koch) gefallen. Effie reagiert auf ihre Weise. Hermine Huntgeburth legt in ihrer modernen Literaturverfilmung Effi als moderne, starke Frau an.
Bevor Julia Jentsch das Kino im Sturm eroberte, war sie zumeist auf Theaterbühnen zu sehen. So war sie bis 2006 festes Ensemblemitglied bei den Die fetten Jahre sind vorbei" ergatterte, und in Sophie Scholl in Marc Rothemunds gleichnamigen Film verkörperte. Zahlreiche Preise und eine Oscar-Nominierung für den besten nicht-englischsprachigen Film waren die Folge. Heute konzentriert sich Julia Jentsch mehr auf ihre Schauspielkarriere. Im Theater ist sie nur mehr als Gast-Darstellerin zu..
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