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Paul Schrader
Paul Schrader über die Zukunft der Filmindustrie
Interview: Das Kartenhaus bricht zusammen
"Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected" sorgte auf der Berlinale 2009 für Aufsehen. Das Drama um einen Holocaust-Überlebenden thematisiert nicht den Genozid an sich, sondern beschäftigt sich mit den psychischen Auswirkungen auf die Opfer. US-Regisseur Paul Schrader berichtet im Interview über die Probleme, die mit einem solchen Thema einher gehen. Außerdem gibt er eine ausführliche Analyse der ungewissen Situation ab, in der sich die Filmindustrie gerade befindet.
erschienen am 21. 02. 2009
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Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected
Ricore: John Goodman erzählte uns, dass Sie die Handlung nach Palm Springs verlegen wollten. Paul

Schrader: Die israelischen Produzenten haben alles nach Palm Springs verlegt. Viele Israelis haben Vorbehalte wenn Leute in ihrem Land einen Film drehen. Als ich das Drehbuch las, fand ich es außergewöhnlich, fragte mich jedoch, warum man das in Palm Springs drehen sollte. Die Handlung spielt schließlich in der israelischen Wüste.

Ricore: Hatten Sie jemals Zweifel am Projekt?

Schrader: Jetzt habe ich Zweifel. Es war wirklich interessant, etwas zu machen, was noch niemand in Angriff genommen hat. Ich fand die Figur faszinierend und wollte es unbedingt machen. Doch jetzt - rückblickend - ist mir bewusst, was für eine große Aufgabe das war. Die Produzenten hatten das Drehbuch an die üblichen Verdächtigen geschickt: die etablierten jüdisch-amerikanischen Regisseure. Die Antwort war drei Mal dieselbe. "Ein solches Projekt kann man nicht machen". Also wurden die Agenturen gefragt, ob sie irgendeinen Regisseur hatten, der keine Angst hatte. Sie sagten "Schrader macht fast alles". So bin ich zum Projekt gekommen.

Ricore: Was war das große Problem, warum sollte man so ein Projekt nicht machen können?

Schrader: Ich weiß es nicht. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich wahrscheinlich abgelehnt. Ich hatte keine Zweifel, dass es funktionieren würde. Viele stießen sich wohl an der Geschichte. Das große Thema Holocaust, ein Mann, der sich wie ein Hund benimmt.
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Paul Schrader am Set von "Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected"
Ricore: Warum haben Sie sich für Jeff Goldblum entschieden?

Schrader: Ich bin nicht ganz sicher. Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, kam meine Frau ins Zimmer. Ich sagte, dass ich von der Geschichte gefangen sei. Und dass ich das Gefühl habe, dass die Rolle für Jeff Goldblum geschrieben worden sei. Die Produzenten waren damit jedoch nicht glücklich. Jeffs Name hat nicht die Zugkraft anderer Stars. Am Ende machten wir es dennoch mit Jeff. Es kam mir so vor, als hätte er sein ganzes Leben lang gespielt, um sich für diese Rolle vorzubereiten. Er ist diese Art großer, jüdischer Prinz: Entertainer, Musiker, Zauberer, Komiker. Er vereint alle Elemente.

Ricore: Der Junge in "Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected" ist so alt wie das Land Israel. Sehen Sie das als Metapher?

Schrader: Nein. Andere hätten das so gesehen, nicht ich.

Ricore: Es ist fast so, als könne er nur in dem Moment geheilt werden, in dem auch die Überlebenden geheilt werden.

Schrader: Das ist eine interessante Idee. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass sie mir auch schon gekommen ist.

Ricore: Was haben Sie am Buch geändert?

Schrader: Das Buch ist ein großartiger Roman. Große Literatur ist immer schwer zu adaptieren. Das Buch ist voll magischem Realismus. Filme sind meistens weniger realistisch. Also mussten wir das Buch vereinfachen. Adam hat einen Bruder, der nicht real ist. Manche der Charaktere sind Zwillinge, die man verwechselt. Im Buch wird teilweise die Erzählperspektive, die Person geändert, ohne dass dies gesagt wird. Wir mussten etwas anderes daraus machen, wir mussten Kino daraus machen. Die Metapher war der rote Faden, um den sich alles drehte: ein Mann, der einmal ein Hund war trifft einen Hund, der einmal ein Mann war.
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Paul Schrader und Jeff Goldblum am Set von "Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected"
Ricore: Also nicht einfach ein weiterer Holocaust-Film?

Schrader: Das hatte ich nie vor. Die Metapher lässt sich ebenso gut auf jemanden übertragen, der sagen wir in den Gulags war. Der Holocaust steht nicht im Vordergrund.

Ricore: Es gibt auch einen Bezug zu Guantánamo…

Schrader: Den gibt es. Hunde werden häufig benutzt, um Gefangene zu bewachen. Menschen, die sich in derlei Situationen wiederfanden, haben ihr ganzes Leben lang Angst vor Hunden. Sie nehmen Hunde viel größer wahr, als diese eigentlich sind.

Ricore: Sie haben keinen jüdischen Hintergrund.

Schrader: Es ist immer gut, eine unmittelbare Beziehung zu Deinem Film zu haben. Andererseits ist es auch ein Vorteil, wenn Ihnen nicht die Geschichte über die Schulter schaut, wenn Sie sich nicht durch ihre ganzen Vorfahren, ihren Rabbi belastet fühlen. So sehen Sie eher das Universelle denn das Einzigartige. Ich sah es also mit Sicherheit universeller als jemand, der in einer jüdischen Familie aufgewachsen ist. Der Holocaust ist aber generell ein heiliges Thema. Dadurch sind viele Dinge vorgegeben. Man kann dieses Thema nur mit viel Ehrfurcht behandeln. Wie man eben in einer Kirche seine Stimme nicht erheben darf.

Ricore: Der Film ist einer von wenigen zu diesem Thema, der nicht auf Tatsachen beruht.

Schrader: "Das Leben ist schön" ist auch ein fiktionaler Film. Doch meistens beruhen diese Filme auf wahren Ereignissen. Hinter diesem Film steht nicht die Macht der Geschichte sondern die Macht der Fiktion.
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Paul Schrader und Jeff Goldblum am Set von "Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected"
Ricore: Hätte man "Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected" vor zwanzig Jahren drehen können?

Schrader: Vor zwanzig Jahren wäre es anders gewesen, auch was die Finanzierung angeht. Inzwischen haben wir so viele Holocaust-Filme, wirklich hunderte. Wenn Sie auf IMDB das Schlüsselwort Holocaust eingeben, haben Sie 407 Treffer. Deshalb gehen langsam die Themen aus, man hat sich schon auf so unterschiedlichen Wegen dem Ganzen genähert. Wenn also jemand - so wie bei diesem Projekt - einen neuen Weg findet, sich dem Thema zu nähern, ist das heute viel interessanter als noch vor zwanzig Jahren, als die eigentliche Geschichte noch gar nicht erzählt war.

Ricore: Wie wurde der Film in den USA aufgenommen?

Schrader: Es wurde ein Fehler gemacht. Der Film wurde für die Oscars angemeldet, erhielt aber keine Nominierung. Jetzt werden wir ihn im März nochmal veröffentlichen. Das ist eine ungewöhnliche Situation. Ich bin froh, dass diese Entscheidung nicht meine war. Sonst würde man mir jetzt dafür die Schuld zuweisen.

Ricore: Wenn Sie an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Kriege denken - was würde Gott dazu sagen?

Schrader: Er würde wahrscheinlich sagen "Ruf später an, ich bin beschäftigt" (lacht). Man würde in einer Warteschleife enden.

Ricore: Glauben Sie denn an Gott?

Schrader: Oh, Mann… Ich habe es auf jeden Fall für eine lange Zeit getan. Ich bin religiös erzogen worden. Doch je älter ich werde, desto leichter fällt es, nicht an Gott zu glauben. Ich habe so viele Jahre damit verbracht, die Werte und Wege zu rechtfertigen, mit denen ich aufgewachsen bin. Jetzt fühle ich diesen Druck nicht mehr. Ich habe kein Problem mehr zu sagen, dass wir in einer gottlosen Welt leben.
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Jeff Goldblum
Ricore: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Schrader: Ich bin gerade dabei, ein Drehbuch zu überarbeiten. Es soll ein interkultureller Bollywood-Film werden, etwas Neuartiges. Ich versuche, die Genres zu mixen, den internationalen Thriller und das Bollywood-Genre. Dann schaue ich ob es funktioniert.

Ricore: Haben Sie "Slumdog Millionär" gesehen?

Schrader: Ja, der ist sehr gut. Doch es ist sehr schwer, die Genres zu mixen. Das kulturelle ist das größte Problem. Dabei begibt man sich auf dünnes Eis. Bollywood und Hollywood behandeln ihr Publikum auf völlig unterschiedliche Weise. Man muss also verbinden, will aber nicht zwischen zwei Stühlen sitzen. Das heißt versuchen beides zu erreichen und am Ende nichts wirklich zu schaffen. An diesem Punkt befinden wir uns gerade, das ist ein interessanter Prozess.

Ricore: Denken Sie, die psychologischen Auswirkungen auf die israelische Gesellschaft sind noch immer ein Problem?

Schrader: Ja, natürlich. Jedoch weniger als früher. Es sind nicht mehr so viele Menschen am Leben, die den Holocaust noch selbst erlebt haben.

Ricore: Wie ist es zu dem Roman gekommen?

Schrader: Der Autor des Romans, Yoram Kaniuk, wurde in Israel verwundet und entschied sich, nach New York zu fahren. Er fuhr mit einem Schiff, das voll von Holocaust-Überlebenden war. Dort hörte er sich deren Geschichten an. In New York hatte er einen Freund, der Psychologe war. Durch ihn erfuhr er die Geschichte von dem Patienten, der glaubte ein Hund zu sein. Also nahm er beide Geschichten und verknüpfte sie. So entstand das Buch.
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Jeff Goldblum in "Ein Leben für ein Leben"
Ricore: Warum verfilmen Sie nicht all ihre Drehbücher selbst?

Schrader: Ich bin in einer glücklichen Situation. Ich dachte vor längerer Zeit, es wäre an der Zeit, etwas Geld zu verdienen, es könnten ja schwere Zeiten anbrechen. Also habe ich viele meiner Drehbücher verkauft. Dabei habe ich wesentlich mehr Geld bekommen, als das heute der Fall wäre. Deshalb bin ich jetzt ziemlich froh. Nun will Robert De Niro eines meiner Drehbücher verfilmen, es wird noch nach einem Regisseur gesucht. Ich würde es natürlich gerne machen, doch bei einem namhaften Regisseur gibt es mehr Geld für die Produktion.

Ricore: Es gibt düstere Prophezeiungen was die Zukunft der Filmindustrie angeht. Was ist Ihre Meinung?

Schrader: Wir haben eine lange Zeit interessante Filme gemacht. Jetzt befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise, einer Krise bezüglich Form und Definition des Films. Wir wissen nicht, was Filme sein werden. Wir wissen nicht, wo man sie sehen wird - privat oder in der Öffentlichkeit? Wir wissen nicht, wie groß sie sein sollen, wie lange sie dauern sollen, was für Dimensionen sie haben sollen. Wir wissen überhaupt nichts mehr. Das einzige worüber wir einigermaßen Bescheid wissen, ist die Definition eines Films. Was bezeichnen wir als Film? Projizierte Bilder in einem dunklen Raum vor Zuschauern. Doch diese Definition wird mehr und mehr zu einer Idee des 20. Jahrhunderts. Das wird zu einem großen Teil wegbrechen. Wir haben viel zu viele Kinos. All das wird sich ändern. Wir wissen nur noch nicht in welche Richtung es geht, was daraus wird. Was aber noch wichtiger ist: Wir wissen nicht, wie man Einnahmen erzielt. Das hat die Musikindustrie zerstört; die Unfähigkeit, Einnahmen zu erzielen. Dieser Eisberg schwimmt da draußen herum. Die Musikindustrie hat versucht, den Eisberg zu zerstören, sie hat es nicht geschafft. Es gab eine Kollision, die Musikindustrie ist untergegangen. Wir versuchen mit dem Eisberg zu verhandeln, versuchen ihn zu bewegen. Wenn wir ihn nicht bewegen können, werden wir ebenfalls mit ihm kollidieren. Wir wissen nicht, wie weit dieser Eisberg entfernt ist, wie viele Jahre das noch dauern wird. Doch wenn wir mit ihm zusammenstoßen, werden wir es wissen. Weil jeder, der Geld hat, rennen wird. Sagen wir ein Batman wird gedreht, der genauso viele Zuschauer hat wie "Dark Knight". Wenn die Produzenten ihr Geld haben wollen und es nicht bekommen, werden sie aussteigen. Sie machen das nicht aus der Liebe zur Kunst, sie wollen Geld verdienen. Wenn die Piraterie eine Dimension erreicht, wo man nicht mal mehr an einem Publikumshit verdienen kann, bricht das Kartenhaus zusammen. Wir werden sehen, was passiert. Die Musikindustrie war in der Lage zu überleben. Es kostet nicht so viel, Musik zu produzieren. Man kann Musik auf dem Laptop generieren, sie über das Internet vertreiben. Das geht mit Filmen nicht so leicht.
erschienen am 21. Februar 2009
Zum Thema
Nach einem Theologie- und Philosophiestudium an der Columbia University in New York verfolgt Paul Schrader zunächst eine journalistische Karriere. Er arbeitet als Filmkritiker für diverse Fachzeitschriften, später wird er Herausgeber der Zeitschrift Martin Scorsese einen nach und verfilmt "Taxi Driver" nach Schraders Buchvorlage. Heute gilt das Drama als Kultfilm. 1978 gibt Schrader dank Scorseses finanzieller Unterstützung sein Regiedebut mit "Blue Collar - Kampf am Fließband". Für "Wie ein..
Adam Stein (Jeff Goldblum) war ein gefeierter Varieté-Künstler. Heute lebt er mit anderen KZ-Überlebenden in einem israelischen Wüsten-Sanatorium. Die Vergangenheit hat er verdrängt. Erst als ein kleiner Junge eingeliefert wird, beginnt er sich mit dem Geschehnissen während des Holocausts auseinander zu setzen. Paul Schrader inszeniert ein verstörendes und äußerst schmerzhaftes Drama, das da einsetzt, wo andere Holocaust-Filme enden: mit dem Schmerz der Überlebenden.
2024