Rufus F. Folkks/Ricore Text
Jonathan Demme
Jonathan Demme zu Musik und Film
Interview: "Menschen faszinieren"
Jonathan Demme wandte sich nach seinem Erfolgshit "Das Schweigen der Lämmer" Independent- und Musikfilmen zu. Für ihn bestand die Herausforderung danach vor allen Dingen in seiner Weiterentwicklung als Filmemacher. Mit uns spricht er über seine Leidenschaft für Musik und Film. Dabei verrät er uns auch, warum er seinen aktuellen Film "Rachels Hochzeit" für sein bestes Werk hält.
erschienen am 2. 04. 2009
Sony Pictures
Rachels Hochzeit
Ricore: Welcher amerikanische Präsidenten ist ihr Favourit?

Jonathan Demme: Jimmy Carter.

Ricore: Sie haben höchstens eine halbe Sekunde für diese Antwort gebraucht.

Demme: Ja. Carter war ein Humanist. Er unterstützte die Menschenrechte überall auf der Welt. Für mich ist er ein Beispiel, wie ein guter Präsident die Dinge wenden kann.

Ricore: Hätten Sie behauptet, Sie wären kanadischer Staatsbürger, wenn John McCain die Präsidentschaftswahl 2008 gewonnen hätte?

Demme: Ja, ich hätte einen Anstecker getragen.

Ricore: Lassen Sie uns über Menschlichkeit reden. Wenn man sich "Rachels Hochzeit" betrachtet, merkt man, dass Sie als Regisseur sehr mit Ihren Figuren sympathisieren. Ist es ein humanistischer Film?

Demme: An einem Film wie "Rachels Hochzeit" kann man sehr gut erkennen, wie der Filmemacher selbst über zwischenmenschliche Beziehungen denkt. Ich bin ein geselliger Mensch. Ich mag Menschen. Aber es ist hart, ein Mensch zu sein. Sehen Sie, wir sitzen hier in diesem Raum und sprechen miteinander. Wie machen wir das? Es ist sehr kompliziert. Menschen haben auch eine dunkle Seite. Sie sind Tiere. Ich bin wirklich fasziniert von der menschlichen Natur.
Rufus F. Folkks
Jonathan Demme, Anne Hathaway
Ricore: Wie konnten Sie mit dieser Einstellung "Das Schweigen der Lämmer" drehen?

Demme: Mir haben spannende Thriller schon immer gefallen. Als ich das Angebot bekam, das Buch zu verfilmen, fand ich den Stoff erst ziemlich erschreckend. Aber, und das ist etwas, das Jodie Foster mir klar gemacht hat, im Mittelpunkt der Geschichte steht eine junge Frau, die das Leben einer anderen jungen Frau retten will. In unserer patriarchalischen Gesellschaft wird sie von Männern daran gehindert. Ohne das Herz von Clarice Starling wäre es kein so lang nachwirkender Film geworden.

Ricore: Stört es Sie, dass aus Dr. Hannibal Lecter eine Kultfigur geworden ist?

Demme: Nein, ich habe genug andere Sorgen. Die Frage ist doch, warum machen wir so wenig humanitäre Fortschritte? Weil es nicht einfach ist. Menschen haben eine gute und eine böse Seite. Deswegen ist Hannibal Lecter so faszinierend. Er ist klug und charmant und trotzdem verkörpert er die dunkle Seite, die alle Menschen in sich tragen.

Ricore: Was hat sich nach "Das Schweigen der Lämmer" für Sie geändert? Haben Sie eine Art Carte Blanche bekommen und konnten drehen, wozu Sie Lust hatten?

Demme: Danach hatte ich das Recht auf den Final Cut. Ich konnte die endgültige Schnittfassung bestimmen. Nur sehr wenige Regisseure in Hollywood haben das Recht auf den Final Cut. Nach "Das Schweigen der Lämmer" gehörte ich dazu. In diesem Club bleibt man sein Leben lang.

Ricore: Wer gehört diesem Club noch an?

Demme: Der Präsident des Clubs ist "Spieli" (Steven Spielberg, Anm. d. Red.) (lacht). Ich glaube, auch Steven Soderbergh ist drin. Ich habe in den letzten Jahren mehr kleine Filme und Dokumentationen gemacht, da ist das Recht auf den Final Cut sehr wichtig. Aber es hat mir auch sehr geholfen, "Philadelphia" zu machen.
Sony Pictures
Paraderolle für Anne Hathaway
Ricore: Wie hat sich der Erfolg von "Das Schweigen der Lämmer" noch ausgewirkt?

Demme: Ich konnte experimentellere Filme machen. Der Erfolg hat mir mehr Möglichkeiten gegeben, Projekte zu verwirklichen, die ich wirklich machen wollte. In "Menschenkind" zum Beispiel ging es um Sklaverei und ihre psychologischen Folgen.

Ricore: Sie haben gesagt, dass Sie sich nicht mehr so sehr angehalten fühlen, Hollywood Filme zu drehen. Manchmal ist Macht eine Droge und Sie haben sie einfach gehen lassen. War das schwer?

Demme: Kennen Sie diese Ringe aus Gras, die man als Kind macht? Wenn man ein Kind ist, denkt man, jetzt habe ich einen, also kann ich noch mehr haben. Aus mir ist ein Filmemacher geworden, weil ich verschiedenen Menschen begegnet bin. Ich habe Roger Corman getroffen, als ich noch Filmkritiken geschrieben habe. Er sagte zu mir: "Schreib mir ein Drehbuch." Als ich das Drehbuch fertig hatte, sagte er: "Produzier den Film." Da war ich 26 Jahre alt und außer mir vor Freude. Ich konnte nicht glauben, dass ich im Filmgeschäft war. Danach habe ich mit der Regie angefangen. Ehrlich gesagt, kann ich heute noch nicht glauben, dass ich wirklich Filme machen darf. Ich hatte mit "Das Schweigen der Lämmer" einen großen Erfolg und das hat mir die Möglichkeit gegeben, Projekte zu realisieren, die mich wirklich interessieren. Für mich ist Filmemachen ein Prozess.

Ricore: Wie stehen Sie zu "Rachels Hochzeit"?

Demme: Für mich ist "Rachels Hochzeit" ein guter Film geworden. Ich habe als Filmemacher bei diesem Projekt sehr viel dazugelernt. Innerhalb meiner Filme halte ich ihn für einen der besten. Wenn man so wie ich 64 Jahre alt ist, was will man dann noch? Will man einen Nummer Eins Hit machen oder den besten und interessantesten Film, den man machen kann?
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Jonathan Demme in Venedig 2008
Ricore: Warum ist dies Ihr bester Film?

Demme: Ich würde ihn mir als Zuschauer im Kino ansehen. Ich liebe das Drehbuch, seine Originalität, die Chancen, die es sich nimmt. Der Punkt ist, die böse Schwester kommt nach Hause um die Hochzeit zu ruinieren. Aber die Hochzeit wird wunderschön. Es ist sehr bewegend. Es gibt am Ende einen Moment in dem der Zuschauer glaubt, dass seine Erwartungen erfüllt werden. Aber das passiert nicht. Für mich war das schockierend. Ich mochte es sehr. Der Moment am Ende ist wie eine Absage. Das hat mich sehr berührt. So ist das Leben. Wir vertragen uns nicht immer. Wir machen weiter mit offenen Wunden. Das hat eine gewisse Wahrheit. Deswegen gefällt mir der Film. Ich finde er funktioniert.

Ricore: Können Sie etwas über Ihre Arbeit an Ihrer neuen Dokumentation "Neil Young Trunk Show" sagen?

Demme: So ein Projekt nennt man work in progress. Ich wollte einen Film machen, der sich auf die Musik konzentriert und die Sprache begrenzt. Die Person Neil Young wird durch die Musik enthüllt und wir kreieren eine authentische, emotionale Reise. Es war mir sehr wichtig, dass der Film die Zuschauer auf der emotionalen Ebene packt, zusätzlich zur fantastischen, musikalischen Erfahrung. Bei "Neil Young: Heart of Gold" war alles sauber geplant. Dieses Mal haben wir angefangen, ohne zu wissen, was wir machen wollen. "Neil Young Trunk Show" ist wie eine Art Antwort auf "Heart of Gold". Ich denke, es ist ein anderer Musikfilm. Für mich war Martin Scorseses "Shine a light" das Ende des amerikanischen Konzertfilms.

Ricore: Wie begründen Sie diese Aussage?

Demme: Erst einmal war "Shine a light" ein Großereignis. Er hatte ein Riesenbudget und war eine Art Rolling Stones Jubelfeier. Unser Film hatte einen Bruchteil davon. Ich meine das nicht negativ. Was soll nach "Shine a light" noch kommen? Selbst ein ehemaliger Präsident kommt darin vor. Wir sind in Xanadu angekommen. Ich dachte bei "Neil Young Trunk Show", okay, lass uns noch einmal von vorne anfangen.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Jonathan Demme außer sich vor Freude
Ricore: Könne Sie sich daran erinnern, wann und wo Ihre Leidenschaft für Film begann?

Demme: Es hat an zwei Orten angefangen. Mit etwa zehn Jahren sah ich "Die Schatzinsel". Das war die bis dahin aufregendste Erfahrung meines Lebens. Ich war süchtig nach Filmen. Als ich mit etwa 19 Jahren zum College ging, sah ich in einem kleinen Kino "Schießen Sie auf den Pianisten" von François Truffaut. Danach war ich von ausländischen Filmen fasziniert, weil sie mir andere Aspekte des Filmemachens gezeigt haben. Das waren meine beiden großen Filmerfahrungen. Unmittelbar und unverblümt.

Ricore: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht die Chance gehabt hätten, Filme zu machen? Sie haben als Filmkritiker gearbeitet. Könnten Sie sich vorstellen, auch auf unserer Seite des Tisches zu sitzen?

Demme: Das könnte ich mir gut vorstellen. Ich habe gern als Journalist gearbeitet, aber an einem gewissen Punkt hatte ich das Gefühl, dass der Journalismus für falsche Zwecke benutzt wird. Also habe ich mir gesagt, das soll mir nicht passieren. Aber, ich war sehr glücklich als Filmkritiker. Ehrlich gesagt, macht mir die Frage ein bisschen Angst.

Ricore: Sie haben so viele unterschiedliche Filme gemacht. Gibt es einen Bereich, der Ihnen noch fehlt? Könnten Sie sich vorstellen, auch mal einen Film ohne Musik zu machen?

Demme: Vor ein paar Monaten habe ich die Rechte an einen Roman gekauft, "Die Unvollendete" von Michel Faber. Es geht um eine englische A Capella Gruppe, die in ein kleines Haus in den Wald von Belgien zieht, um ein experimentelles und unaufführbares Stück zu proben. Im Mittelpunkt steht das, was im Haus passiert. Das ist ein Projekt, das sich stark auf die Schauspieler konzentriert. Gerade arbeite ich an der Adaption und ich hoffe, ich kann den Film realisieren. Was mir natürlich besonders am Stoff gefällt, ist, dass dieses unaufführbare Lied darin enthalten ist. Die Frage ist: Wie kann man das umsetzen?

Ricore: Für das Projekt brauchen Sie ein paar Stimmwunder. Und die müssen auch noch spielen können.

Demme: Ja, das stimmt. Die Hauptfigur heißt Roger Courage (im Original heißt der Roman "The Courage Consort" Anm. d. Red.) und das wäre eine fantastische Rolle für Alan Rickman. Das ist mir aufgefallen, nachdem ich ihn in "Sweeney Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street" gesehen habe. Er war in dem Film brillant.

Ricore: Wann haben Sie gemerkt, dass Musik für Sie wichtig ist?

Demme: Als ich sieben Jahre alt war, habe ich im Radio Nat 'King' Coles "Lady of Spain" gehört. Ich konnte es nicht fassen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der sehr viel Radio gehört wurde und so wurde Musik sehr wichtig für mich.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Jonathan Demme
Ricore: Welche Art von Musik haben Ihre Eltern gehört?

Demme: Sie haben lateinamerikanisch inspirierte Musik gehört. Zum Beispiel Pérez Prado und Les Baxter. Und sie liebten Louis Armstrong.

Ricore: Wurden Sie von Rock'n'Roll geprägt?

Demme: Ja, vielleicht. Das ist das Eigenartige an meiner Generation. Wir waren dabei, als die Verbrechen des zweiten Weltkriegs erfasst wurden. Wir haben die Geburtsstunde des Rock'n'Roll miterlebt. The Beatles, Kennedy all das passierte während wir aufwuchsen.

Ricore: Was können Sie über ihre Bob Marley Dokumentation sagen?

Demme: Es gibt zwei sehr gute, autorisierte Dokumentationen über Bob Marley. Das bedeutet, dass meine Dokumentation nicht einfach nach vorne gerichtet sein kann. Sie muss anders sein. Der Grund warum ich die Dokumentation gemacht habe war, dass ich gehört hatte, dass es noch sehr viele Originalaufnahmen von Marley gibt, die nie gezeigt wurden. Ich habe eine Chance gesehen, einen Film aus der Sicht von Bob Marley selbst zu machen. Und ich hoffe, dass es durch den Film eine Möglichkeit gibt, dass die Menschen wieder versuchen, seine Texte zu verstehen. Wir wollen mit dem Film die Aufmerksamkeit auf seine Spiritualität und seine sozialen Belange richten.

Ricore: Es ist das erste Mal, dass Sie eine Dokumentation über jemanden machen, der tot ist.

Demme: Das ist richtig. Aber durch die Menschen die Bob Marley schätzen, lebt er weiter. Fünf seiner Söhne sind ebenfalls Musiker. Sie verkörpern ihn sozusagen.

Ricore: Wann kommt der Film in die Kinos?

Demme: In den USA im Februar 2010, an Bob Marleys 65sten Geburtstag. Und 2010 werden die Fußballweltmeisterschaften in Südafrika ausgetragen. Bob Marley war ein begeisterter Fußballspieler.
erschienen am 2. April 2009
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Kym kommt zur Hochzeit ihrer Schwester Rachel (Rosemarie DeWitt) nach mehrmonatigen Aufenthalt in einer Reha-Klinik wieder in ihr Elternhaus. Sie ist psychisch labil und kreiert allein durch ihre Anwesenheit eine angespannte Atmosphäre im Haus der Familie Buchmann. Das festliche Wochenende mit den geladenen Gästen und Freunden artet in einer Familien-Krise aus. Jonathan Demme versucht sich an einem zeitgemäßen Familien-Porträt mit hervorragenden Schauspielern wie Anne Hathaway.
Hört man Jonathan Demmes Name, so kann man vielleicht im ersten Moment nicht viel mit ihm anfangen. Das liegt daran, dass sich der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Musikbegeisterte stets im Hintergrund hält. Dennoch war er es, der Anthony Hopkins sein kannibalisches Image verpasste ("Das Schweigen der Lämmer") und er war es, der Tom Hanks zu seinem ersten Oscar verhalf ("Philadelphia"). Mit den Jahren wurde Demme mutiger, immer mehr verschlug es ihn auf die Seite von..
2024