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Gianni di Gregorio: Das Festmahl im August
"60-Jährige sind die Jugend von heute"
Interview: Gianni di Gregorio liebt Frauen jeden Alters
Gianni di Gregorio lieferte mit "Das Festmahl im August" mit fast 60 Jahren ein spätes, jedoch viel beachtetes Regiedebüt. Auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2008 wurde seine leise Hymne an Frauen, Leben, Essen und das Alter dreimal ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für das beste Erstlingswerk. Der charmante Italiener erzählt im Interview von seinem Verhältnis zu Frauen jeden Alters, von seiner Mitarbeit am Drehbuch des preisgekrönten "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra" und warum es so lange dauerte, bis er Regisseur wurde.
erschienen am 30. 04. 2009
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Gianni di Gregorio in Das Festmahl im August
Ricore: Wie geht man in Italien mit alten Leuten um?

Gianni di Gregorio: In Italien weiß man insbesondere in den großen Städten zu gewissen Zeiten nicht; wohin mit den alten Leuten. In den Dörfern ist das anders, weil da die Familien noch enger zusammen sind. In den Großstädten ist das eher ein Problem. Auch rebellieren die alten Leute gegen das Abgeschoben werden. Sie wollen nicht ins Altersheim. Ich habe es mit meiner Mutter selbst mehrmals versucht. Sie hat wie ein Schlosshund geweint. Schließlich habe ich es nicht übers Herz gebracht. Alte Menschen wollen im gewohnten Zuhause bleiben.

Ricore: Wie konnten Sie Produzenten und Geldgeber von dem Thema überzeugen: Alte Menschen sind im Kino nicht besonders populär.

Di Gregorio: Es war tatsächlich enorm schwer, Geldgeber zu finden. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bin ich jemanden von dieser Idee überzeugen konnte. Alle anderen haben mich schlicht für verrückt erklärt: du willst mit vier 90-jährigen Frauen einen Film drehen? Ich hatte das Glück, dass Matteo Garrone die Idee mochte und den Mut hatte, den Film mit einem geringen Budget von nur 500.000 Euro zu produzieren. Um Geld zu sparen haben wir auf Super-16-Millimeter gefilmt und bei mir Zuhause gedreht. Zusätzlich hatte ich das Glück, dass mich Freunde aus der Branche beim Dreh unterstützten.

Ricore: Wie lief der Film in Italien im Kino?

Di Gregorio: "Ein Festmahl im August" war ein unerwarteter Erfolg in Italien. Der Film lief von September bis Dezember. Auch ältere Leute sind ins Kino gegangen.
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Das Festmahl im August
Ricore: Wäre die Produktion ohne den Erfolg von "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra" möglich gewesen?

Di Gregorio: "Ein Festmahl im August" wurde vor "Gomorrha" produziert. Ich habe mit Matteo Garrone und anderen am Drehbuch von "Gomorrha" gearbeitet und meine eigene Idee lief zu der Zeit schon sehr lange. Gedreht wurden sie gleichzeitig weshalb ich auch nicht beim Dreh von "Gomorrha" dabei war. Sie kamen auch zeitgleich ins Kino, was Zufall war. Natürlich war Matteo Garrone eine große Hilfe für mich, schon weil bekannte Namen hilfreich sind.

Ricore: Ist "Ein Festmahl im August" ein Statement zum herrschenden Jugend-Kult, zu einer Gesellschaft, die sich weigert, sich mit dem Alter auseinanderzusetzen?

Di Gregorio: Man spricht immer von der Schönheit und von der Jugend. Es schien mir wichtig, etwas anderes zu erzählen und einmal über das Alter zu reden. Erfolgreiche Filme, die gefördert werden erzählen normalerweise über Liebe und Körperkultur, Jugend und Schönheit. Für mich war es schön zu sehen, dass auch viele Jugendliche und junge Leute ins Kino gingen um diesem Film zu sehen. Teilweise haben sie ihre Mütter und Großmütter mitgenommen, was ja auch nicht üblich ist. Das hat mich sehr gefreut.

Ricore: Was haben Sie beim Dreh von den vier alten Damen und über das Alter an sich gelernt?

Di Gregorio: Ich lernte viel. In erster Linie lernte ich, dass diese alten Damen großen Enthusiasmus haben und große Lust, sich zu amüsieren. Auch waren sie nie müde. Im Team waren unter anderem 25-Jährige, die abends total kaputt waren und keine Lust mehr hatten. Die Alten dagegen waren auch abends noch sehr frisch und fragten immer, was denn morgen auf dem Programm stehen würde. Sie hatten neben enormer Kraft und Vitalität auch viel Ironie und Weisheit. Neben der Weisheit haben sie sich dann auch wie kleine Kinder benommen, aber auch das machten sie sehr lebendig. Das war eine Lektion für mich. Ich lernte trotz meines fortgeschrittenen Alters viel. Vor allem, dass das Leben auch mit 100 einen Sinn macht. Auch dann hat man das Recht, sich in Würde und Freiheit wohl zu fühlen und respektiert zu werden.

Ricore: Die vier Frauen kommen aus der Generation, die Faschismus und Armut miterlebt hat. In ihre Lebenszeit fielen mehr Extreme als in unsere Generation. Kommt ihre Vitalität auch von den vielen Höhen und Tiefen?

Di Gregorio: Ich denke schon. Sie sammelten große Erfahrungswerte. Wie ich sagte, waren sie sehr ironisch. Sie sahen alles mit großem Abstand. Weil sie in ihrem Leben so viel sahen, können sie vielleicht das Positive besser erkennen.
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Gianni di Gregorio in Das Festmahl im August
Ricore: Warum dauerte es so lange, bis Sie Regisseur wurden?

Di Gregorio: Das liegt an meinem Charakter. Ich bin ein bisschen schüchtern. Ich kann auch nicht nein sagen oder mich in den Vordergrund stellen. Ich blieb meist im Hintergrund und schrieb Drehbücher, arbeitete viel als Regie-Assistent. Ich dachte, jetzt ist der Moment gekommen, wo ich diesen Film machen will. Ich hatte das Glück, dass ich aus meiner Erfahrung schöpfen konnte. Ich arbeite schon seit meiner Jugend im Filmgeschäft und besuchte auch eine Schauspielschule, habe aber nie in diesem Beruf gearbeitet. Bei einem Treffen vor dem Dreh fragen alle, wer denn die Hautrolle spielen solle. Ich schrieb dann einige Eigenschaften auf, die er erfüllen soll: Ein Mann mittleren Alters, der auch mal gerne einen trinkt und auch Probleme mit seiner Mutter hatte und weiß wie es ist, Schulden zu haben. Da haben sich alle zu mir gedreht und gesagt, dass ich das machen müsse. Dann habe ich zugesagt.

Ricore: Wie gingen sie mit den Laien-Darstellern um? Verwendeten Sie so wenig Text wie möglich oder waren die alten Damen belastbar?

Di Gregorio: Ich schrieb ein sehr detailliertes Drehbuch. Schon nach kurzer Zeit merkte ich, dass man diese Frauen nicht wie ein Regisseur führen kann, weil sie sich weigerten, das zu sagen oder dies zu tun. Die Darstellerin, die meine Mutter spielt, sagte beispielsweise: "Das werde ich nie sagen!" Ich verstand schnell, dass ich Ihnen folgen muss und nicht sie mir. Das Drehbuch habe ich also erst einmal weggeworfen. Wir hatten natürlich Szenen im Kopf und die Damen wussten mehr oder weniger, was passieren soll. Aber sie konnten ihre Worte und Bewegungen frei wählen. Wir liefen mit der Kamera buchstäblich hinterher, weil wir nicht wussten, ob sie nach links oder rechts gehen würden. Dadurch wurde alles sehr spontan und natürlich. Statt Texte auswendig zu lernen erfanden sie viel. Das war teilweise viel schöner, als das, was im Drehbuch stand.

Ricore: Alle Figuren heißen wie in der Realität, auch Sie. Waren Sie auch sie selbst?

Di Gregorio: Da war schon sehr viel von mir im Film. Ich trank wirklich viel Wein. Ich musste mich nicht bemühen, jemand anderes zu sein.
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Szene aus "Das Festmahl im August"
Ricore: Glauben Sie, dass Frauen stärker als Männer sind?

Di Gregorio: Ja, Frauen sind stärker als Männer.

Ricore: Wäre der Film mit vier alten Herren ebenso gut geworden?

Di Gregorio: Das glaube ich nicht. Die Reaktionen der Frauen im Publikum waren sehr schön. Frauen gehen lieber und öfter ins Kino, als Männer. Auch entscheiden sie anders, gehen mit Freundinnen und suchen die Filme aus. Ich verehre Frauen jeden Alters.

Ricore: Wie wichtig ist die Hitze für die Geschichte?

Di Gregorio: Die Hitze ist in der Tat sehr wichtig, weil sie zu dieser Trägheit führt. Keiner hat Lust im August im Rom zu bleiben, daher fahren sie ans Meer oder in die Berge.

Ricore: In keinem Land leben Männer so lange bei ihrer Mutter wie in Italien. Sie haben das ins Extrem getrieben.

Di Gregorio: Natürlich wird im Film ein extremes Beispiel gezeigt. Tatsächlich passierte mir das im wirklichen Leben. Ich bin ein Einzelkind und in den letzten zehn Lebensjahren pflegte ich meine Mutter. Nach dem Tod meines Vaters wollte sie, dass ich trotz Frau und Familie zu ihr ziehe. Ich musste von meiner Familie zu meiner Mutter ziehen. Man kann schon sagen, dass die italienischen Mütter besitzergreifender sind, besonders von Rom südwärts. Zugleich erkenne ich den Trend der heutigen Jugend. Die wollen oft aus Bequemlichkeit gar nicht ausziehen, obwohl ihre Eltern das gerne hätten.
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Gianni di Gregorio in Das Festmahl im August
Ricore: Was hat Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie zehn Jahre ausziehen?

Di Gregorio: Das war natürlich schwierig. Zunächst ging es auseinander. Nach vielen Jahren konnte ich mich mit meiner Frau wieder versöhnen. Anfangs versuchte ich, alle im wahrsten Sinne des Wortes unter ein Dach zu bringen. Das war übrigens in eben jenem Haus, wo ich den Film drehte. Die Kombination aus meiner Frau, meinen Töchtern und meiner Mutter führte zu einer nuklearen Explosion. Nach dem großen Knall habe ich versucht, die Beziehungen Stück für Stück wieder zusammenzuflicken. Ich lebe jetzt wieder mit meiner damaligen und jetzigen Frau, was aber Jahre dauerte.

Ricore: Waren die Schauspielerin alle Laien-Darstellerinnen?

Di Gregorio: Alle waren Laien-Darstellerinnen. Eine ist meine Tante - sie ist 90 Jahre alt. Die Dame, die meine Mutter spielt, ist 93 Jahre alt und eine Freundin der Familie. Die beiden anderen fand ich in Altersheimen, wo ich Interviews mit Hunderten führte. Die waren alle fantastisch, ich konnte jedoch nur vier nehmen. Ich entschied nach ihrer Persönlichkeit.

Ricore: Kommen durch den Film mehr Anfragen, die Sie als Schauspieler haben wollen?

Di Gregorio: Ich würde sofort wieder einen Film drehen. Bisher habe ich jedoch noch keine Anfragen von Kollegen bekommen. Wenn es mir gefallen würde, werde ich zusagen. Noch habe ich mit diesem Film zu tun, so dass ich noch gar nicht weiter gedacht habe. Ich habe Ideen und mache viele Notizen, aber all das ist noch nicht konkret. Was mich interessieren würde, wäre ein Film über 60-Jährige, die quasi die Jugendlichen von heute sind. Mein Freunde sind auch alle in diesem Alter. Sie kaufen sich Motorräder, gehen tanzen und machen lauter verrückte Sachen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. April 2009
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An Mariä Himmelfahrt, Mitte August, ist Rom wie ausgestorben. Nur der Mitfünziger-Junggeselle Gianni kümmert sich um seine hochbetagte Mutter. Weil er nicht nein sagen kann, laden zwei Bekannte auch ihre über achtzigjährigen Verwandten bei ihm ab. Er verlebt mit ihnen ein höchst abwechslungsreiches wie amüsantes Wochenende voller kulinarischer Freuden. Hauptdarsteller Gianni di Gregorio schrieb das Drehbuch zu diesem hinreißenden kleinen Film und führte auch erstmals Regie.
2024