3L Filmverleih
Senta Berger in "Ob ihr wollt oder nicht"
Senta Bergers Ängste und Sehnsüchte
Interview: Bühne ist Tohuwabohu
Sie ist eine Ikone der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft. Die Bühne war ihr zweites Zuhause. Nun kehrt sie nach mehreren Jahren der Abstinenz wieder auf die Kinoleinwand zurück. In Ben Verbongs "Ob ihr wollt oder nicht!" ist Senta Berger als Mutter zu sehen, die verzweifelt um das Leben ihrer krebskranken Tochter kämpft. Mit uns sprach sie über Sterbehilfe, Tod, die Angst vor der Bühne und der Sehnsucht nach ewiger Jugend.
erschienen am 1. 05. 2009
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Senta Berger in "Ob ihr wollt oder nicht!"
Ricore: Guten Morgen, wie geht es Ihnen?

Senta Berger: Danke, mir geht es sehr gut. Wir haben einen wunderschönen Frühlingstag. Ich befinde mich derzeit in Bath, in der Nähe von London, wo ich einen vierteiligen Fernsehfilm drehe. Heute ist mein freier Tag, darum kann ich mich auch mit Ihnen unterhalten.

Ricore: Dann kommen wir gleich zum Thema: "Ob ihr wollt oder nicht!". Darin sind Sie zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder auf der Kinoleinwand zu sehen. Musste Sie Regisseur Ben Verbong überzeugen?

Berger: Nein, die Geschichte hat mich überzeugt. Ich habe das Buch gelesen und mir gedacht, diese Geschichte würde ich gerne mit erzählen.

Ricore: Sie spielen eine Mutter von vier Töchtern, die es anfangs ablehnt, ihre krebskranke Tochter aufzunehmen. Können Sie diese Haltung verstehen?

Berger: Ich bin überhaupt nicht, wie meine Filmfigur Dorothea. Aber man kann nur etwas spielen, was man sich vorstellen kann. Durch eine gewisse Lebenserfahrung kann man sich vorstellen, dass jemand den Gedanken an den Tod der eigenen Tochter verdrängen und nicht zulassen will. Daraus entsteht eine Haltung wie: "Wenn du nicht zur Chemo gehst, kannst du gar nicht gesund werden." Keiner in der Familie lässt diesen Gedanken zu. Alle setzen sich anfangs darüber hinweg. Daher sagt auch Laura, passend zum Titel: "Ob ihr wollt oder nicht, ich muss sterben, ihr müsst euch damit beschäftigen und auseinandersetzen." Diese Angst vor Verlust kann ich sehr gut verstehen.

Ricore: Haben Sie sich während der Dreharbeiten besonders intensiv mit "Verlust" und "Tod" auseinandergesetzt?

Berger: Nein, in meinem Alter sind diese Themen gegenwärtig. Es sterben Freunde oder Eltern. Der Verlust war in meinem Leben deutlich spürbar. Es ist nicht so, dass ich angestoßen werde durch eine bestimmte Lektüre oder diesen Film, mich damit zu beschäftigen. In meinem Alter beschäftigt man sich sowieso damit. Das ist ganz klar. Aber man sollte dieses Thema enttabuisieren. Unser Film versucht genau dies. Man soll damit aufrichtig umgehen.
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Ob ihr wollt oder nicht!
Ricore: Was genau meinen Sie mit enttabuisieren?

Berger: Nun ja, es ist klar, dass man Angst hat. Vielleicht nicht Angst vor dem Tod, aber Angst vor den Schmerzen, wie Laura in unserem Film. Die Familie hat Angst, sie zu verlieren und dem Verlust nicht gewachsen zu sein. Solche endgültigen Gedanken sind sehr schwer auszuhalten.

Ricore: Haben Sie am Set darüber diskutiert?

Berger: Natürlich haben wir darüber geredet und diskutiert, auch meine jungen Schauspielkolleginnen haben schon Erfahrung mit Verlust gemacht. Sehr oft ist es so, dass gerade bei einem solchen Film die Stimmung in den Pausen oder am Abend ins Gegenteil umschlägt. Oft spürt man die Lebenslust ganz bewusst und geht dann mit viel Kraft ins Studio. Man braucht diese Energie, um diese Geschichte zu erzählen. Das bedeutet aber nicht, dass man selbst schmerzlich getroffen ist.

Ricore: Geht man mit Verlust anders um, wenn man älter ist?

Berger: Das kann ich nicht beurteilen. Als ich 30 war, habe ich meine Schwiegereltern verloren. Innerhalb weniger Jahre sind beide gestorben. Wir haben alle sehr darunter gelitten und tun es auch heute noch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht sagen: "Was würde Paul, mein Schwiegervater, wohl dazu sagen?" Oder wir sagen: "Was würde Mami, Michaels Mutter, dazu sagen?". Meine eigene Mutter habe ich vor acht Jahren verloren. Und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht sage: "Wenn das doch meine Mutter sehen könnte!". Die Toten sind immer da. Natürlich lernt man im Laufe des Lebens, dass es diese Endgültigkeiten gibt. Ich glaube, man empfindet den Tod dann nicht mehr als böse Ungerechtigkeit des Schicksals. Zumindest in den meisten Fällen. In unserem Film empfinde ich den Tod als grobe Ungerechtigkeit, denn eine junge Frau stirbt an Krebs. Damit findet man sich schwerer ab, als bei einer 98-jährigen Mutter, nämlich meiner, die sich bei absoluter Geistesgegenwart von allen verabschieden konnte.
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Ob ihr wollt oder nicht!
Ricore: Der Film nimmt eine klare Haltung zum Thema "Sterbehilfe" ein. Wurde darüber diskutiert?

Berger: Würdest du das auch machen? Würdest du deinem Kind Medikamente geben, welche dir die Ärztin gegeben hat? Es ist ja nicht so, dass Laura vergiftet wird. Die Ärztin sagt den Eltern: "Wenn Ihre Tochter es nicht mehr aushält, dann erhöhen Sie die Dosis. Wenn sie es dann immer noch nicht aushält, geben Sie ihr nochmal die Dosis." Es ist ein großer Liebesbeweis der Eltern, das Kind, das sie gezeugt und auf die Welt gebracht haben, in eine andere Freiheit zu entlassen. Das ist von der Sterbenden ein selbstbestimmter Tod. Das hat nichts mit der organisierten Sterbehilfe in irgendwelchen obskuren Appartements zu tun, wo die Menschen allein gelassen werden. Das finde ich trostlos.

Ricore: Dennoch wird über Sterbehilfe kaum gesprochen…

Berger: Das hat damit zu tun, dass viele Menschen den Tod nach wie vor verdrängen. Ich möchte im Kreis meiner Familie sterben. Ich stelle mir das wunderschön vor, nochmal die Hand zu halten und sich zu erinnern und danke zu sagen. Das wäre der Idealfall. Das imponiert mir am Drehbuch. Dass eine junge Frau sagt, ich möchte mich gerne von euch verabschieden. Bitte lasst mich nicht vor mich hin dämmern, ich will bei euch sein. Ihr seid meine Familie, bitte weicht mir nicht aus, schiebt mich nicht ab. Das hat mich sehr berührt.

Ricore: Die Geschichte bekommt durch den Fall von Eluana Englaro eine tragische Aktualität...

Berger: Ich habe durch die Zeitungen davon erfahren. Dass sich auch die Politik in diese Sache eingemischt hat, ist mit der kommenden Wahl erklärbar. Es geht um Rechtskonservative, und diese sind in Italien, sogar wenn sie beim Faschismus angesiedelt sind, die schwärzesten Katholiken. Diese Stimme will man sich nicht entgehen lassen. Dann wird alles über einen Kamm geschert. Ich bin überhaupt nicht dieser Meinung. Das Thema des Gehirntods begleitet unsere Gesellschaft nun schon seit Jahrzehnten. Immer wieder gibt es Analysen und Untersuchungen die sagen, man kann Gehirntod feststellen. Dann ist der Körper nichts anderes als vegetierende Haut ohne Geist, ohne Persönlichkeit. Niemand hat Fotos von der jungen Frau gesehen, nachdem sie schon viele Jahre im Koma lag. Sie war nur mehr ein Häufchen Elend. Sie hatte nichts mehr mit der schönen, jungen und lebenslustigen Frau zu tun, die sie einmal war. Ich glaube, zuletzt wog sie nur mehr 28 Kilo. Das muss man sich vorstellen. Wäre sie meine Tochter gewesen, hätte ich mich auch bewusst von ihr verabschieden wollen und sie sterben lassen. Das ist für mich würdevoller.
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Ricore: Wo sehen Sie Ihre Stärken und Schwächen?

Berger: Das kann ich schlecht beurteilen. Meine Stärken liegen vermutlich alle im beruflichen Bereich. Ich kann sehr diszipliniert arbeiten, meine Kräfte mobilisieren und bin unendlich geduldig. Alles Dinge, mit denen ich im Privaten nicht glänze.

Ricore: Sie sind ungeduldig?

Berger: Ich bin sehr ungeduldig. Je näher mir Menschen stehen, desto ungeduldiger kann ich werden. Das sind zwei verschiedene Sentas. Es gibt auch noch eine unsichere Senta, die sich manches Mal dieses und jenes nicht zutraut.

Ricore: Das merkt man Ihnen nicht an!

Berger: Nein, aber es kostet mich nach wie vor Überwindung, in der Öffentlichkeit eine Rede zu halten oder einen Preis zu übergeben. Ich bin dann so aufgeregt wie ein kleines Schulmädchen.

Ricore: Sind Sie vor Filmpremieren auch noch aufgeregt?

Berger: Nun, man will ja, dass der Film so gefällt, wie man ihn selbst sieht. Aber es ist nicht mit einer Theaterpremiere oder mit einer Lesung zu vergleichen. Man steht ganz alleine auf der Bühne. Zuletzt war das Münchner Prinzregententheater vollständig ausverkauft, da sind zwischen 700 und 1.000 Menschen anwesend. Da bekommt man Angst.
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Senta Berger in "Ob ihr wollt oder nicht!"
Ricore: Richtig Angst?

Berger: Ja, mir schwitzen die Hände und ich habe Angst, Angst, Angst. Ich muss mir dann gut zureden und sagen "Moment mal, du hast dich ja vorbereitet! Du kannst das!". Manchmal denke ich mir, ich mache einfach das Fenster in der Garderobe auf, springe hinaus und verschwinde. Die sind ja meistens im Erdgeschoss. Dann geht man doch auf die Bühne und die Nervosität fällt ab. Wenn man Glück hat, und sehr oft habe ich Glück, entsteht eine Übereinstimmung mit dem Publikum. Wenn gelacht wird, schwappt eine warme Welle zu dir herüber, die dich trägt. Dann ist alles gut.

Ricore: Haben Sie auch das Gegenteil erlebt?

Berger: Aber natürlich habe ich schon Pfiffe abgeholt. Mehrfach, klar. Das gehört auch dazu. Michael und ich sind einmal bei der Berlinale ausgepfiffen worden, als wir einen von uns produzierten Beitrag gezeigt haben. Im Burgtheater hatte ich auch eine tolle Premiere, mit Für- und Wider-Geschrei. Ein richtiges Tohuwabohu. Das ist Zirkus.

Ricore: Was machen Sie, um Ihre Familie zusammen zu halten?

Berger: Ich bin einfach da, in guten und schlechten Momenten. Damit will ich zu den Meinen sagen: "Ihr könnt kommen, ich werde vielleicht nicht alles verstehen, aber ich werde es versuchen, und wenn ihr wollt, gebe ich euch einen Rat. Ihr könnt kommen, und ich werde kochen. Vielleicht werde ich so hilflos sein, wie ihr selbst, aber ich bin für euch da." Ich möchte ein Zuhause geben, wo man sich aufgehoben fühlt.

Ricore: Was bedeutet für Sie Heimat?

Berger: Der Begriff "Heimat" ist bei mir schwierig, da ich viel herum zigeunert bin. Natürlich ist auch heute noch Wien die Stadt meiner Kindheit. Sie ist mir wichtig und nahe. Aber die richtige Heimat ist tatsächlich mein Zuhause. Unsere Wohnung in Berlin mitsamt dem Quadratkilometer rundherum, und unser Haus im Süden Münchens, auf dem Land. Da fühle ich mich wirklich zu Hause.
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Ricore: Bunkern Sie sich manchmal ein?

Berger: In meinem Beruf arbeitet man ständig mit vielen Menschen zusammen. Und in den letzten zwei Jahren habe ich über zwölf Filme gedreht. Da kann es schon sein, dass man sich mal ein bisschen zurückziehen will, ein Buch lesen, etwas für sich sein, spazieren gehen. Das ist eine natürliche Reaktion. Ich kann auch verstehen, dass jemand, der einen gleichmäßigen Bürodienst hat, Lust hat, am Wochenende etwas zu unternehmen, in den Biergarten oder in das Schwimmbad zu gehen. Das habe ich nicht.

Ricore: Was bedeutet für Sie Schönheit?

Berger: Je jünger man ist, desto wichtiger ist Schönheit. Man lernt sich in der Pubertät erst so richtig kennen. In meinem Beruf ändern sich die Paradigmen ständig. Mir ist es auch wichtig, gut auszusehen. Ich versuche, nicht allzu sehr aus dem Leim zu gehen und bin da sehr diszipliniert. Mir ist aber wichtig, dass ich als Schauspielerin glaubwürdig bin. Das ist mir wichtiger als die Schönheit.

Ricore: Wie genau halten Sie sich in Form?

Berger: Gar nicht. Ich glaube, meine Eltern haben mir gute Gene vermacht.

Ricore: Was halten Sie von dem heutzutage vorherrschenden Jugendwahn?

Berger: Das hat mit unseren Medien und dem Konsumverhalten der Leute zu tun. Es ist verständlich, dass sich die meisten Produkte für junge Leute besser verkaufen. Sie haben noch nicht die Erfahrung, um zu wissen, ob sie dieses und jenes tatsächlich brauchen. Dadurch schwindet natürlich die Kauflust bei älteren Semestern, weil sie bestimmte Dinge schon haben und weil sie vielleicht mehr hinterfragen, ob sie das wirklich brauchen. Im Laufe des Lebens wird man ein anderer Mensch. Zum Glück! Nachdem alles durch den Konsum und die dazugehörige Publicity geprägt ist, wendet man sich eben gerne an junge, schöne Leute. Allerdings bricht diese Haltung vermehrt zusammen und man merkt, dass es noch andere Menschen gibt, die durchaus ansprechbar sind.

Ricore: Warum ist Jugend so anziehend?

Berger: Junge Menschen erleben Schicksale, die interessant sind. Es geht um Liebe, Eifersucht, Leidenschaft. Ich sehe das auch sehr gerne. Natürlich ist man als älterer Mensch mehr in seinen Bahnen. Die Geschichten junger Menschen erzählen sich einfach anders. Das war schon immer so. Auch im Theater gibt es irgendwann einen Bruch für ältere Menschen. Man kann nicht immer das Gretchen spielen. Ich habe alles gespielt, was ich spielen konnte. Ich bin einig mit mir.
erschienen am 1. Mai 2009
Zum Thema
Senta Berger blickt auf eine beachtliche Theater- und Filmkarriere zurück. In Wien geboren, wendet sie sich bereits 14-jährig der Schauspielerei zu. Als sie 20 Jahre alt ist, zieht sie nach Hollywood, in der Hoffnung, eine internationale Karriere zu starten. Tatsächlich dreht sie bald an der Seite von Charlton Heston, Frank Sinatra, Dean Martin, Richard Harris, George Hamilton, Kirk Douglas, John Wayne und Yul Brynner. Michael Verhoeven kennen. 1966 heiratet das Paar und bekommt zwei Söhne...
Wie geht man mit den nahen Tod eines geliebten Familienmitgliedes um? Regisseur Ben Verbong zeigt in seinem Familiendrama "Ob ihr wollt oder nicht" unterschiedliche Wege auf, damit fertig zu werden. Streckenweise gelingt ihm eine heitere Komödie voller Leichtigkeit und Ironie. Es macht Spaß den vielen, höchst unterschiedlichen Charakteren auf ihrem Lebensweg und bei ihrer Entwicklung zuzusehen.
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