Concorde Filmverleih
Barbara Sukowa: Die Kutte drückt schwer
"Keine tief religiösen Erfahrungen gemacht"
Interview: Barbara Sukowa wieder flügge
Sie ist nicht oft in Deutschland. Ihre seltenen Gastspiele sind jedoch stets verheißungsvoll. Barbara Sukowa ließ sich von Margarethe von Trotta nicht lange bitten, die Hauptrolle in ihrem neuen Film "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" zu übernehmen. Allerdings war es nicht ganz einfach, sich in diese ganz besondere Gedankenwelt des Mittelalters hinein zu versetzen, verriet uns die Schauspielerin und Sängerin. Um dennoch einen Draht zu jener Zeit herzustellen, wanderte Sukowa nachts durch einsame Kirchengänge. Ganz schön geheimnisvoll, wie wir finden.
erschienen am 22. 09. 2009
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Margarethe von Trotta und Hauptdarstellerin Barbara Sukowa
Ricore: Wie war es, von der Currywurstbude direkt ins Kloster zu gehen?

Barbara Sukowa: (lacht) Es hat mir großen Spaß gemacht. Es sind völlig verschiedene Rollen. Auf der anderen Seite waren sich die beiden Frauen auch ähnlich, beide sprengten Konventionen in ihrer Zeit. Lena Brücker ["Die Entdeckung der Currywurst"] und auch Frau von Bingen waren beide auf ihre Weise mutig.

Ricore: War es das, was Sie an den Rollen interessiert hat?

Sukowa: Ja, hier war aber auch das Zugpferd Margarethe von Trotta. Mit ihr arbeite ich gern. Ich finde es spannend, Leute zu spielen, die etwas tun, was von ihnen nicht erwartet wird und sie dabei Hindernisse überwinden müssen. So ein Stoff bietet viel dramatisches Potential.

Ricore: Was wussten Sie über Hildegard von Bingen?

Sukowa: Von ihren Heiltheorien hatte ich gelesen und kannte ihre Kompositionen. Ich wusste, sie war eine Kirchenfrau aus dem Mittelalter, aber bis dahin hatte ich mich wenig mit ihr beschäftigt.

Ricore: Was war der interessanteste Aspekt an ihr?

Sukowa: Das schwierigste war ihr bedingungsloser Glaube. Und dass ich mich in einen Menschen des Mittelalters hineinversetzen musste. Sie hat nichts von dem erlebt, was wir heute erleben. Wir können fliegen oder uns mit Fahrzeugen mit 250 km/h fortbewegen. Dazu all die visuellen Eindrücke und Farben, unsere Informationen und unser Wissen, das die Leute damals nicht hatten. Ihre Lebenserwartung war viel geringer. Frauen wurden kaum 30 Jahre alt. Sie starben meist im Kindbett, nur Nonnen hatten eine Chance, länger zu leben.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Barbara Sukowa
Ricore: Und sie hatten ein anderes Weltbild.

Sukowa: Es gab Himmel und Hölle, Gott und Teufel. An der Kirche durfte man nichts in Frage stellen. Es ist faszinierend, darüber nachzudenken, dass Menschen, die genauso waren wie wir, ein solches Weltbild im Kopf hatten.

Ricore: Wie nähert man sich dem, wenn man das aus dem eigenen Leben nicht kennt?

Sukowa: Man muss schon Fantasie mitbringen. Außerdem habe ich die Benediktinerregeln und die Bibel gelesen. Aus der Bibel habe ich insbesondere die Psalmen gelesen, die spielen für sie ja eine wichtige Rolle. Ich habe mir immer wieder gesagt 'So ist es'. Es ist so, als müssten Sie einen Mörder spielen, dann müssen Sie sich das auch vorstellen können, auch wenn Sie selbst so etwas nie tun würden. Oder einen Banker, der sich nur mit Geld beschäftigt. So etwas ist für mich persönlich genauso absurd wie die Vorstellung einer Hölle.

Ricore: Glaube hat viel mit Ergriffenheit zu tun. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich beim Dreh gemacht? Hatten Sie in bestimmten Situationen das Gefühl, ergriffen zu sein, weit über das professionelle Schauspielern hinaus?

Sukowa: Ich könnte es nicht an einer konkreten Situation festmachen. Aber ich habe mich in Pausen oft zurückgezogen. Dann bin ich zwischen den Klostergängen und den romanischen Mauern umhergegangen. Ich habe vor mich hin gesungen und die Umgebung auf mich wirken lassen. Ich hatte das Gefühl, es kommt etwas rüber. Auch nachts durch die Kirche zu gehen, die nur von Kerzen beleuchtet war, das war bewegend. Wir durften nur bei Kerzenlicht drehen. Da springt schon ein Fünkchen auf einen über.

Ricore: Könnten Sie sich vorstellen, noch ein bisschen tiefer in dieses Klosterleben einzutauchen, beispielsweise vier Wochen Exerzitien zu machen?

Sukowa: So etwas würde ich gerne einmal machen. Ich glaube aber, dass vier bis sechs Wochen nicht ausreichen. Es ist schon etwas anderes, wenn man Jahre im Kloster verbringt und weiß, man kommt und will nicht wieder heraus. Als heutiger Mensch zu sagen 'Ich gehe für eine Weile ins Kloster' finde ich sehr schön. Es ist bestimmt eine gute Möglichkeit, um abzuschalten. Aber es hat meiner Meinung nach nichts zu tun mit dem wirklichen Leben im Kloster und dieser Verpflichtung zu Gott.
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Barbara Sukowa als Nonne Hildegard von Bingen
Ricore: Das Mittelalter war geprägt von einem besonderen Lebensgefühl der Menschen. Der Tod war allgegenwärtig. Haben Sie sich mit dieser Problematik beschäftigt?

Sukowa: Ja, natürlich. Wir machen jedoch den Film heute und können nicht den Anspruch haben, die Zeit im Mittelalter so zu zeigen wie sie war. Man würde das dann auch nicht verstehen. Wir möchten vor allem auf das Wesentliche, was diese Frau ausmacht, aufmerksam machen.

Ricore: Wie sehen die Dreharbeiten zusammen mit Ihrer alten Bekannten und Freundin Margarethe von Trotta aus? Fliegen am Set trotzdem die Fetzen?

Sukowa: Nein, wir verstehen uns sehr gut. Das Arbeiten mit ihr ist sehr angenehm, weil wir ehrlich miteinander umgehen können, ohne Angst zu haben, die andere zu verletzen. Wir können einander offen sagen, wenn uns etwas stört. Außerdem fliegen bei Margarethe grundsätzlich keine Fetzen. Sie ist ruhig und geht humorvoll und sensibel mit Schauspielern um. Die Arbeit mit ihr basiert auf großem Vertrauen.

Ricore: Sie leben in New York und drehen nicht so viele Filme in Deutschland. Wie halten sie trotzdem Kontakt zur Szene?

Sukowa: Es ist für mich schwer, die Entwicklungen in der deutschen Filmszene zu verfolgen. Im MOMA [Museum of Modern Art] gibt es eine Woche, in der viele deutsche Filme laufen. Wenn ich dann gerade in New York bin, versuche ich bei dieser Gelegenheit so viele deutsche Filme wie möglich anzuschauen. Hannah Herzsprung habe ich dadurch kennengelernt, da ich "Vier Minuten" gesehen hatte. Dort lief auch "Die Erfindung der Currywurst".

Ricore: Was muss Ihnen ein Regisseur bieten, um Sie wieder nach Deutschland zu locken?

Sukowa: Ich muss ein gutes Drehbuch wahrnehmen. Wichtig sind auch der Filmpartner und der Regisseur. Ich habe schon mit jungen, unbekannten Regisseuren gearbeitet, die erst nach dem Film bekannt wurden. Ich gehe gerne Risiken ein, wenn ich das Gefühl habe, da ist jemand ernsthaft an der Sache interessiert.
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Barbara Sukowa in "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen"
Ricore: Lassen Sie für ein gutes Drehbuch auch mal alles stehen und liegen?

Sukowa: Vorausgesetzt, ich habe gerade keine anderen Verpflichtungen. Ich mache ja nicht viele Filme. Aber wenn, dann voll und ganz. Die Familie kommt dann erst an zweiter Stelle. Aber ich habe in meinem Leben so viel Zeit mit der Familie verbracht, und wegen der Familie rund 90 Prozent aller Angebote abgesagt. Jetzt wo meine Kinder größer sind, sieht das anders aus, mein jüngster Sohn ist inzwischen 15 Jahre alt.

Ricore: Wie würde der Film beim amerikanischen Publikum ankommen? Gerade, da die amerikanische Geschichte kein Mittelalter kennt.

Sukowa: Die Religion spielt in Amerika eine große Rolle. Aber es wird auch viel Show um sie veranstaltet. Es gibt Entertainer, die ihre Religion regelrecht verkaufen. Wie man dort diese Strenge der Benediktiner aufnehmen wird, bin ich mir nicht sicher. Ich kann mir vorstellen, dass in Amerika aus dem Film eher eine Action- und effektbeladene Produktion gemacht worden wäre.

Ricore: Auch wenn Sie selbst nicht religiös sind, glauben Sie trotzdem, dass mehr Dinge zwischen Himmel und Erde existieren, als die Wissenschaft belegen kann?

Sukowa: Ich habe noch keine tief religiösen Erfahrungen gemacht. Ich halte jedoch diese Trennung von Wissen und Glauben für sinnlos. Was wir wissen ist eigentlich auch nur Glaube. Alle 100 Jahre wird das, was wir heute als Wissen bezeichnen, wieder umgestoßen und als Glaube oder Irrtum deklariert. Die Wissenschaft ändert sich, neue Erkenntnisse verdrängen bisherige. Wir behaupten etwas zu wissen, dabei glauben wir es nur. Wir glauben entweder der Wissenschaft oder der Kirche. Nur weil wir etwas durch das Mikroskop sehen, wissen wir vielleicht diesen kleinen Teil, aber die großen Zusammenhänge kennen wir nicht. Ich glaube, dass es etwas Größeres gibt als mein Ego und ich glaube, dass wir Menschen nicht die Krone der Schöpfung sind. Wir sind Teil einer Kette und können nicht so weit vorausschauen. Selbst mit Teleskopen nicht. Wir können auch nur so weit sehen, wie es unsere Kultur uns ermöglicht. Menschen aus einer anderen Kultur sehen Dinge auch ganz anders als wir.

Ricore: Im Film wird Hildegard von Bingen vorgeworfen sie sei eigensüchtig und egoman. Glauben Sie, als Frau muss man so sein, wenn man gegen patriarchale Strukturen kämpft?

Sukowa: Ich würde es nicht Egomanie nennen. Aber man braucht schon ein großes Selbstvertrauen. Man muss an das glauben, was man verfolgt, um andere auch davon zu überzeugen.
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Margarethe von Trotta mit ihren beiden Hauptdarstellerinnen
Ricore: Wie wichtig sind Ihnen Menschen, die Ihnen beruflich nahestehen und von denen Sie wissen, auf die kann ich mich hundertprozentig verlassen?

Sukowa: Man kann besser arbeiten, wenn man jemanden vertraut. Jeder braucht Bestätigung und es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, geliebt zu werden. Wer Schwierigkeiten hat, Vertrauen aufzubauen, Liebe von anderen Menschen anzunehmen oder selber zu lieben, hat es schwer. Menschen, die davon betroffen sind, fallen aus dem Gleichgewicht und suchen nach Ersatz: Geld, Alkohol, Drogen, Einkaufen, Spielen. Ich denke, es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich aufgehoben zu fühlen. Manche Menschen fühlen sich eben im Glauben aufgehoben. Das geht aber nur, wenn man überzeugt ist, dass da etwas ist, was stärker ist als ich. Ich finde es jedoch schwierig, meinen eigenen Glauben in Worte zu fassen, da er sich eben nicht auf die Bibel oder eine Religion stützt. Natürlich baue ich mir auch etwas auf, an das ich glaube. Auch bete ich zu Gott, aber ich kann diesen Gott nicht beschreiben.

Ricore: Abgesehen vom Glauben und ihrer Eigensinnigkeit - welche Eigenschaften von Hildegard von Bingen erkennen Sie in sich selbst wieder?

Sukowa: Ihre Kompromisslosigkeit. Früher war ich sehr kompromisslos. Im Laufe der Jahre bin ich offener und kompromissbereiter geworden. Früher konnte ich es schwer verstehen, wenn andere Leute nicht so dachten wie ich. Allmählich lerne ich es zu respektieren, dass es Leute gibt, die die Dinge ganz anders sehen und ganz anders ticken als ich.

Ricore: Woran liegt es, dass sich Ihre Einstellung allmählich ändert?

Sukowa: Am Alter (lacht). Ich habe mehr Lebenserfahrung gesammelt. Inzwischen habe ich gemerkt, dass Dinge, von deren Richtigkeit ich überzeugt war, völlig falsch waren. Ich hatte Wünsche, die nicht in Erfüllung gegangen sind - Gottseidank, sage ich heute.

Ricore: Inwiefern wirkt sich diese Lebenserfahrung auf Ihre Beziehungen aus?

Sukowa: In Liebesbeziehungen kann man nicht so kompromisslos sein. Man muss sich schon zu einem gewissen Grad ändern. Aber ich habe festgestellt, dass man den anderen nicht ändern kann. Ich bin weicher und toleranter geworden. Bei vielen Menschen ist es eher umgekehrt, sie werden mit dem Alter starrer und entwickeln eine Tunnelblick.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. September 2009
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Barbara Sukowa kommt 1950 in Bremen zur Welt. Nach dem Abitur besucht sie die Rainer Werner Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" (1980) zum Fernsehen, wo sie seither in zahlreichen Produktionen zu sehen ist. Ihre Rollen sind mutige schauspielerische Balanceakte zwischen verhaltenem Zorn, aufbegehrender Rebellion, stolzer Würde, kühler Unnahbarkeit und überlegener moralischer Stärke. Die Kraft, die Barbara Sukowa in ihren Rollen vermittelt, rührt aus einer gesunden Skepsis, die mit unbeugsamem..
Äbtissin und Visionärin Hildegard von Bingen (Barbara Sukowa) lebte vor etwa eintausend Jahren. Ihre Bücher erleben seit langem eine Renaissance. Vor allem ihre Heilkunde ist sie heute wieder populär. Aber die Benediktinerin aus adeligem Geschlecht war nicht nur ihrem Kräutergarten zugewandt. Im Gegenteil, ihre vielfachen Interessen führten sie in Konflikt mit der kirchlichen Obrigkeit.
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