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Andrea Lammers
Protokoll eines mutigen Prozesses
Interview: Kampf für die Menschenrechte
Andrea Lammers erlebt im Mittelamerikanischen Guatemala, was man hierzulande nur aus den Nachrichten kennt. 1995 dringen schwerbewaffnete Soldaten in das Dorf La Aurora ein und hinterlassen ein Blutbad. Als internationale Beobachterin betreut Lammers die Überlebenden. Sie ist erschüttert über die Ereignisse. Gleichzeitig beobachtet sie die Tapferkeit der Dorfbewohner. Angeführt von Bürgermeister Alfonso Hernandez klagen sie das Militär an, für das, was ihnen und ihren Familien angetan wurde. Gemeinsam mit Ulrich Miller begleitet und dokumentiert die Regisseurin in "Auf halbem Weg zum Himmel" den Kampf des Dorfes um Gerechtigkeit.
erschienen am 2. 09. 2009
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Ulrich Miller
Ricore: Wie sind Sie auf das Verbrechen aufmerksam geworden?

Andrea Lammers: Ich war 1995 als Menschenrechtsbeobachterin in Guatemala. Dort erfuhr ich, dass es ein Massaker gegeben hatte. Wir sollten ins Krankenhaus zu den Überlebenden, um als internationale Begleiter für die Verletzten da zu sein. Dabei habe ich monatelang an ihren Krankenbetten gesessen. Sie haben mir von ihrem Leben erzählt, davon, welche Träume und Hoffnungen sie als zurückgekehrte Flüchtlinge hatten. Wie sie ihr Dorf gestalten wollten und dass sie einen Prozess gegen die Militärs anstrengen wollten. Gemeinsam mit Ulrich Miller habe ich dann beschlossen, daraus einen Film zu machen. Wir wollten den Prozess begleiten, weil es das erste Mal war, dass ein solcher Prozess angestrengt wurde.

Ricore: Welche Gedanken hatten Sie, als sie von dem Massaker erfuhren?

Lammers: Als wir von dem Massaker hörten, standen wir zunächst vor der Frage, wie wir die Verletzten finden und in welchem Krankenhaus sie behandelt werden. Auch waren wir um ihre Sicherheit besorgt. Denn in der Vergangenheit sind Augenzeugen oft aus Krankenhäusern verschwunden beziehungsweise entführt worden. Oder man hat ihnen die Infusion weggenommen, um ihr Leben zu gefährden.

Ricore: Es hat ziemlich lange gedauert, bis der Film gedreht wurde. Welche Hindernisse mussten Sie auf dem Weg zur Umsetzung überwinden?

Ulrich Miller: Wir hatten beide vorher noch nie einen Film gemacht. Auch war es ein Problem, dass die Leute hierzulande Guatemala und seine Probleme zu wenig kennen. Bei Arte hieß es zum Beispiel: "wir finden das Projekt ganz spannend, aber wir hatten gerade erst einen Film über Guatemala". Das reicht denen dann für die nächsten fünf Jahre zu dem Thema. So sah es mit der Finanzierung schwierig aus. Die Tatsache, dass wir beide vorher noch nie Regie geführt hatten, war eine weitere Hürde dabei.

Lammers: Ein weiterer Grund dafür, dass es solange gedauert hat, bis der Film herauskam war die Prozessdauer. Der Prozess hat sich über zehn Jahre hingezogen und durchlief dabei die verschiedenen Justizsysteme Guatemalas. Wir sind zwischendurch immer wieder mit einer kleinen DV-Kamera vor Ort geflogen, um die Verfahren zu dokumentieren.
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Auf halbem Weg zum Himmel
Ricore: Haben Sie dabei auch die Fotos, die man im Film sieht, gemacht?

Lammers: Nein, die Dorfbewohner haben diese gemacht. Zu der Zeit war kein internationaler Begleiter oder Beobachter im Dorf. Diese waren gerade unterwegs, um Musiker für ein Fest zum Jahrestag abzuholen. Man dachte in dem Moment, die Lage wäre ruhig. Doch gerade als kein internationales Auge zusah, kam die Militärpatrouille. Möglicherweise waren sie nicht zufällig an diesem Tag gekommen. Zeitgleich haben sie nämlich an mehreren Orten versucht, die Flüchtlinge einzuschüchtern. Die Dorfbewohner haben dabei Fotos gemacht und es geschafft, die Bilder an die Öffentlichkeit zu bringen.

Ricore: Woher stammt das übrige Material, das Sie verwendet haben - ist auch etwas von den Reportern, die man im Film sieht?

Lammers: Nein, die Video-Dokumente, die wir zur Verfügung hatten, stammen vor allem aus dem Beweismaterial der Nebenkläger. Sie wurden von der Staatsanwaltschaft aufgenommen. Bei dem Prozess haben wir zeitweise selbst gefilmt. Auch haben wir Archivmaterial des Verfahrens kopiert und für den Film verwendet. Das war schon außergewöhnlich, weil es eigentlich verboten ist. Die Nebenklage hat jedoch sehr starke Rechte und konnte uns Zugang zu dem Material verschaffen.

Ricore: Wie war die Arbeit vor Ort, wurden Sie beim Dreh behindert?

Lammers: Wir selbst waren weniger in Gefahr. Die Zeugen und die Juristen, die am Prozess beteiligt waren, wurden oft bedroht. Wir haben jedoch gemerkt, dass wir ständig überwacht wurden. Das ging so lange, bis wir den Film zum ersten Mal öffentlich aufführten. Als Internationale waren wir besser abgesichert. Und wir haben auch versucht, den Schutz den wir bekommen, für die Leute im Land zu nutzen.
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Ort des Massakers: "Auf halbem Weg zum Himmel"
Ricore: Waren Sie bei Ihren Aufnahmen immer im Rahmen einer Organisation oder als Privatpersonen vor Ort?

Lammers: Ursprünglich war ich mit einer Organisation namens Peace Brigade International dort. Später, als wir den Film drehten, waren wir als Privatpersonen und Filmemacher dort. Trotzdem wurden wir auch dann als Internationalisten wahrgenommen. Unsere Identität und unser Ziel waren natürlich bekannt. Wir haben dann absichtlich öffentlich bekannt gegeben, dass das ZDF den Film koproduziert.

Ricore: Wie haben die Dorfbewohner es selbst empfunden, dass Sie einen Film über sie machen?

Miller: Da der Prozess über zehn Jahre ging, hatten wir die Möglichkeit, die Dorfbewohner besser kennen zu lernen. Wenn die Leute sehen, dass jemand von außen mit einem internationalen Pass kommt, ist es für sie ein Zeichen, dass sich jemand für ihre Lage interessiert. Es gibt ihnen Hoffnung, dass etwas passiert. Es war für sie natürlich auch anstrengend, weil sie relativ viel von sich preisgeben mussten. Das sind sie in dem Maß nicht gewohnt.

Lammers: Für unsere Protagonisten war es schwierig, ihre Vorgeschichte zu erzählen. Denn wir haben mit ihnen viel über die 1980er Jahre gesprochen. Damals waren sie vor den Massakern geflüchtet. Diese Massaker sind inzwischen als Genozid anerkannt. Bei den Gesprächen kamen für sie natürlich viele traumatische Erlebnisse wieder hoch. Das ist eine heikle Angelegenheit, für die sie Zeit brauchten und Vertrauen gegenüber uns als Gesprächspartner.

Ricore: Können Sie die politischen Hintergründe kurz skizzieren, die damals die Vertreibung ausgelöst hat?

Lammers: Von 1944 bis 1954 erlebte Guatemala den sogenannten demokratischen Frühling. Sie hatten einen Präsidenten, der demokratisch gewählt worden war und Landreformen veranlasst hatte. Dieser Entwicklung wurde von einem Putsch, der durch die CIA unterstützt wurde, ein jähes Ende gesetzt. Von da an übergab eine Militärdiktatur der nächsten die Macht. Auch hat man geübt, Aufstände zu bekämpfen, bevor es überhaupt Aufständische gab. Ab den 1960er Jahren fingen die Aufstände allmählich an, und es entwickelte sich eine Art Guerilla. Doch diese war in den 1970er Jahren geschlagen. Sie versuchte Anfang der 1980er Jahre wieder Fuß zu fassen. Als die Aufständischen in Nicaragua die Macht übernahmen, gab es in Guatemala wieder Hoffnung, die arme Bevölkerung dort ebenfalls einen Wechsel herbeiführen könnte. Doch dies war nicht der Fall. Stattdessen wurden die Aufstände gewaltsam bekämpft. Das waren die Massaker, die sich Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre ereigneten.
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Nati mit Tochter: "Auf halbem Weg zum Himmel"
Ricore: Welche Erfahrungen haben die Dorfbewohner dabei gemacht?

Lammers: Unsere Dorfprotagonisten gehören zu den Leuten, die früher im Hochland gelebt haben. Bis sie feststellten, dass sie dort nicht mehr überleben konnten. Ihre Eltern schufteten in Kaffeeplantagen und sie selbst mussten als Kinder manchmal mitarbeiten. Auf den Plantagen herrschten Sklaverei-ähnliche Bedingungen. In den 1960er/70er Jahren konnten sie in neue Siedlungsgebiete ziehen und dort ihre eigenen Gemeinden und Kooperativen aufbauen. Diese wurden jedoch von den Militärs in mehreren brutalen Wellen zerstört. Infolgedessen gingen viele in den Aufstand, um dagegen anzukämpfen, dass man ihnen ihr neues Hab und Gut nahm. Andere verschanzten sich als zivile Widerstandsdörfer im Urwald oder flohen nach Mexiko. Jeder unserer Dorfbewohner hat mindestens ein Massaker miterlebt, Vergewaltigungen oder Massenexekutionen gesehen. Bis 1995/1996 ist kein einziges dieser Verbrechen vor Gericht gekommen.

Ricore: Wie war die Reaktion der Dorfbewohner, als sie die Dokumentation zum ersten Mal sahen?

Miller: Sie waren im Großen und Ganzen mit dem Ergebnis einverstanden. Und sie waren froh, dass jemand kam und für sie von den Ereignissen erzählt hat. Denn in einigen Kreisen herrscht immer noch die Meinung, dass bei den Massakern keine Zivilisten gestorben sind, sondern, dass Soldaten von den Dorfbewohnern getötet wurden. Auch von politischen Organisationen im Land gabs positive Reaktionen. Sie wollen den Fall auch als Muster für andere betroffene Dörfer verwenden. Er soll diese ermutigen, ebenfalls gerichtlich gegen das Militär vorzugehen. Für mich waren zwei Vorführungen sehr bewegend: eine an einer deutschen Schule und eine an einer Universität für Wirtschaftsstudiengänge. Bei den Schülern der deutschen Schule war ich überrascht, wie wenig die von den Ereignissen der 1980er Jahre auf dem Lande wussten. Sie sind überwiegend Kinder der Oberschicht und wenige ihrer Eltern waren persönlich betroffen. Ich fand es schön, zu sehen, wie diese Kinder, die aus einer ganz anderen Welt kommen, nach dem Film so großes Interesse an den Ereignissen zeigten.

Ricore: Woran liegt es, dass die Dorfbewohner lange Zeit als die eigentlichen Täter angesehen wurden?

Lammers: Es ist eine bewusste Strategie, den Opfern die Schuld zuzuschieben. Sie funktioniert psychologisch sehr gut, weil man als Opfer ja die Kontrolle einer Situation verliert. Man möchte sie wiedererlangen, und ein Mechanismus, der sich dabei einstellt, ist der der Selbstbeschuldigung. Man sagt sich: "Hätten wir nicht dies und das getan, dann wäre das nicht passiert." Dieses Schuldgefühl wird noch verstärkt, wenn man sieht, wie andere Menschen sterben und man selbst aber überlebt. Solche Strategien kann man über viele Jahrzehnte bei verschiedenen Ländern beobachten.
Ricore: Und in diesem Fall hat das Militär diese Strategie angewendet?

Lammers: Ja, es gingen regelrechte Beschuldigungskampagnen durch die Öffentlichkeit. Bis heute wirkt die Strategie nach, so dass immer noch Leute die Ansicht vertreten, die Dorfbewohner haben die Soldaten umgebracht. Sogar Guatemalteken, die nach Deutschland ausgewandert sind, haben mir gegenüber so eine Meinung schon vertreten.

Ricore: Welche weiteren Motive spielen von Seiten des Militärs eine Rolle?

Miller: Da wäre zum Beispiel die internationale Antikommunismus-Haltung der 1950er Jahre in Guatemala. Damals galten Angehörige der Landbevölkerung tendenziell als böse Kommunisten. Die Leute, die Zugang zu den Medien hatten, haben natürlich dafür gesorgt, solche Ansichten zu verbreiten. So dass diese zur allgemeinen Meinung wurden.

Lammers: Auch Rassismus und Angst gehören dazu. Eine Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Nachkommen der Maya. Unter der weißen Oberschicht herrscht eine latente Angst, dass die Maya-Bauern sich irgendwann erheben, um sich ihren Anteil an Land zurückzuholen.

Ricore: Ist die Situation in Guatemala Ihrer Meinung nach mit der in Südafrika vergleichbar?

Lammers: In politischer Hinsicht weniger, aber auf einer psychologischen Ebene durchaus. Die Maya-Nachkommen haben sich auch in einer Art Apartheid-System gesehen, das erst allmählich durchbrochen wird. Endlich gehen auch Dorfkinder auf die Universität und es gibt die ersten Anti-Diskriminierungs-Urteile vor Gericht. Auch wird im Dort diskutiert, welches Justizsystem im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen greifen soll. Die Frage dabei ist, ob sie das mit ihrem Strafrecht lösen oder lieber so, wie es in Südafrika praktiziert wird.

Ricore: Man sieht im Film, dass die Dorfbewohner sehr gut informiert sind. Und darin heißt es auch, dass sie während ihres Exils in Mexiko gelernt haben. Was für eine Maßnahme war das?

Miller: Ich würde mal sagen, ein Zusammentreffen von Guerilla-Strategie und internationalen Beobachtern. Man fand von außen, dass es notwendig ist, einzugreifen. Auch versuchte die Guerilla, ihre Leute auszubilden und Alfonso ist zur Guerilla, weil er lernen wollte. Die Leute haben das Angebot angenommen, weil ihnen klar war, dass sie sich irgendwie organisieren müssen, wenn sie etwas erreichen wollen.
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Mutige Dorfbewohner: "Auf halbem Weg zum Himmel"
Ricore: Bei Guerilla denkt man schnell an militante Gruppen, die mit Hilfe von Waffen um ihre Rechte kämpfen. Trifft das auf diese Maßnahme zu?

Lammers: Man muss sich das jetzt nicht so vorstellen, als wenn da Lager von Guerillakämpfern sind und sie zu Politkadern ausgebildet werden. Es war eher eine Mischung aus Selbstorganisation und Angeboten von außen. Dabei haben die Leute erkannt "Mensch, wir haben ja Rechte! Wir müssen uns nicht wie Tiere vom Militär jagen lassen." Und sie haben beschlossen, eine Strategie zu entwickeln, wie sie ihre Rechte durchsetzen können. Dabei war klar, dass dies nicht mit Waffengewalt geht. Sie haben dann entschieden, auf juristischem Weg ihre Menschenrechte einzuklagen. Das war auch ihr großes Ziel, als sie zurückkamen. Da die Demokratie kam, war Guatemala offiziell ja auch ein Rechtsstaat. Die wollten sie dann auf die Probe stellen. Doch dazu mussten sie die dazugehörigen Instrumente kennen. Dies haben sie auf systematische Weise alles in Mexico gelernt.

Ricore: Nachdem Alfonso sein hart erkämpftes Ziel erreicht hatte, fehlte ihm da die Lebensgrundlage?

Lammers: Alfonso hat sich kurz vor dem 10. Jahrestag des Massakers das Leben genommen. Seit seiner Kindheit hatte er viele Traumata erlebt. Er hat immer das Gefühl gehabt, er müsse seine Leute verteidigen. Das konnte er als Kämpfer nicht erreichen, so hat er es mit den Mitteln der Menschenrechte versucht. Er war zuversichtlich, dass man in Guatemala etwas Neues aufbauen könnte und dann passierte wieder ein Massaker. An diesem Punkt wäre manch anderer wahrscheinlich schon zusammengebrochen. Aber Alfonso hat dann noch einmal zehn Jahre lang gekämpft, damit die Justiz in Guatemala funktioniert. Danach hatte er einfach keine Kraft mehr.

Miller: Alfonso war als Bürgermeister ja Daueransprechpartner für die Dorfbewohner und derjenige der den ganzen Prozess vorwärts getrieben hatte. Die ganze Verantwortung lag also immer auf seinen Schultern. Da ist es nachvollziehbar, dass er aus dem Stress einfach raus wollte. Nur weil ein Prozess gewonnen wurde muss es auch nicht heißen, dass nun die Situation im ganzen Land besser geworden ist.
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Ortsbewohner am Massakerplatz
Ricore: Was hat Sie selbst an dem Thema so fasziniert, dass Sie es einem breiteren Publikum zugänglich machen wollten.

Lammers: Eine Sache ist das Aufeinandertreffen von Militärs und Zivilbevölkerung. Die Frage zu betrachten, wie es zu so einem Massaker kommen kann, finde ich interessant. Derartige Massaker passieren immer wieder auf der ganzen Welt, dafür ist Guatemala nur ein Beispiel. Es kommt nicht nur in weniger zivilisierten Breiten oder sogenannten Bananenstaaten vor. So etwas könnte beispielsweise auch mit Bundeswehrsoldaten in Afghanistan passieren. Es war uns ein Anliegen zu zeigen, welche Mechanismen es sind, die weltweit zu Gewalt führen können. Auch in juristischer Hinsicht ist der Film interessant. Denn das Rechtssystem ist in Guatemala sogar fortschrittlicher, was Verbrechen oder Mord von staatlicher Seite wie dem Militär, angeht. Bei uns wäre es gar nicht so einfach ein solches Staatsverbrechen zu verurteilen, weil darüber nichts im Strafgesetzbuch steht.

Miller: Ich persönlich finde es erstaunlich zu sehen, wie die Menschen es schaffen, praktisch von Null auf Hundert einen Rechtsstaat aufzubauen. Denn ihre Elterngeneration hat praktisch noch in Sklaverei gelebt.

Ricore: Wie lange glauben Sie, werden die folgenden Generationen noch kämpfen müssen, damit der noch wackelige Rechtsstaat sich etabliert und die Menschenrecht nicht mehr mit Füßen getreten werden?

Miller: Ich würde sagen, das ist ein Kampf von uns allen, auch auf internationaler Ebene. Der Paragraph wegen Staatsverbrechen kam durch internationalen Druck infolge der Massaker der 1980er Jahre zustande. Die UN fordert nun von Deutschland oder den USA ein ähnliches Gesetz. Denn, wenn man in so einem Punkt eine Zweiklassengesellschaft aufrecht erhält, wird es nie ein gerechtes System geben. Da bleibt die Frage auch an uns, wie viele Generationen brauchen wir noch, damit wir mit so etwas umgehen können.

Lammers: Ich denke, innenpolitisch steht Guatemala zurzeit auf der Kippe. Die Frage ist, schafft man es, einen demokratischen Staat mit Teilhabe der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen aufrechtzuerhalten und zu stabilisieren? Oder setzt sich das durch, was Amnesty International einen kooperativen Mafiastaat nennt? Eine internationale Untersuchungskommission befasst sich mit den mafiösen Strukturen, die sich alter militärischer Netzwerke bedienen. Es wird wirklich darauf ankommen, welche Entscheidungen in den nächsten Jahren an dieser Stelle getroffen werden. Auch ist der Migrationsfluss in die USA hoch und die ökonomische Lage unsicher. Positiv ist jedoch, dass man in Guatemala nun versucht, die Bildung zu verbessern. Der Zugang für Kinder aus ärmeren Verhältnissen zum Studium soll erleichtert werden. So können auch sie irgendwann Richter oder Anwälte werden und das System von innen heraus verändern.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. September 2009
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Die in Guatemala-Stadt geborene Andrea Lammers arbeitet nach ihrem Studium zunächst in München als Journalistin. Gleichzeitig engagiert sie sich als Menschenrechtsbeobachterin. In dieser Funktion begibt sie sich in ihrem Geburtsland in das Dorf Aurora. Dort bekommt sie nach einem Massaker, das sie 1995 miterlebt, die Idee für einen Dokumentarfilm. Gemeinsam mit Ulrich Miller führt sie bei "Auf halbem Weg zum Himmel" Regie. Neben diesem Projekt arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin..
Aufgewachsen im Landkreis Altötting zieht es Ulrich Miller 1992 nach Leipzig. Dort tritt er der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) bei. Als Produzent wirkt er bei fast allen Arbeiten von Marat Magambetow mit. "Auf halbem Weg zum Himmel" mit Andrea Lammers ist sein Regiedebüt.
Wie lange kann man für seinen Glauben einstehen und seine Ziele weiterverfolgen? Wenn es nach der Überzeugung und Entschlossenheit der Bewohner des guatemaltekischen Dorfes Andrea Lammers und Ulrich Miller über zwölf Jahre beobachtet.
2024