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Pete Docter tüftelt allerhand Animationsfeatures aus
Wenn Träume Wirklichkeit werden
Interview: Pixars "Oben" geht auf Reise
Ein eigenbrötlerischer Menschenfeind will mit einer letzten Reise den Wunsch seiner verstorbenen Frau erfüllen. Nur blöd, dass sich ein kleiner Junge fälschlicherweise auf sein Grundstück verirrt, und sich dem Abenteuer ungewollt anschließt. Für das ungleiche Duo beginnt damit eine Reise, die sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen werden. "Oben" ist das bislang zehnte Pixar-Werk und für viele ist es auch der beste Film, der aus dieser Schmiede kommt. Regisseur Pete Docter und Produzent Jonas Rivera erzählen uns in einem emotionalen Gespräch, was alles neu ist, und weshalb Häuser fliegen.
erschienen am 15. 09. 2009
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Jonas Rivera und Pete Docter tüfteln eifrig am Aussehen von "Oben
Ricore: Wie sind Sie auf die Geschichte gekommen?

Pete Docter: Gemeinsam mit Koautor und Koregisseur Bob Peterson haben wir die Idee von einem schwebenden Haus entwickelt. Der Gedanke an ein Haus, mit dem man wegfliegen kann, erschien uns spannend. Das haben wir weitergesponnen und überlegt, wer in so einem Haus wohnen könnte. Da kamen wir dann auf einen alten Mann, denn wir wollten schon immer mal einen Film über einen griesgrämigen Alten machen. Wir sind Fans von Typen wie Spencer Tracy und Walter Matthau sie oft gespielt haben.

Ricore: Eigentlich haben Sie damit ja absolutes Kassengift gewählt, denn die Hauptfiguren sind ein alter Mann, der eine Gehhilfe benötigt und ein dicker Junge. Wie schaffen Sie es, diese zum Kassenschlager zu machen?

Docter: Es hat uns einfach schon Spaß gemacht, den alten Mann zu zeichnen. Er ist ein starker Charakter und ist stets schlecht gelaunt. Der Zuschauer ahnt, wie er reagieren wird und freut sich darauf. Er ist fast karikaturenhaft ausgefallen, genau die richtige Figur für eine Komödie.

Ricore: Entwickeln Sie zuerst die Charaktere und zeichnen diese?

Docter: Ja, so arbeite ich. Jeder Regisseur macht das anders, aber für mich funktioniert es so am besten. Manche Trickfilmer entwickeln zuerst den Plot und lassen dann die Charaktere entstehen. Ich arbeite abwechselnd an beidem, an Geschichte und Figur, denn das eine trägt zum anderen bei.

Jonas Rivera: Nun, wir haben die Sache ja nicht so begonnen, dass die Geschichte von einem alten Mann und einem dicken Kind handelt. Sondern, dass es um ein Haus geht, das mithilfe von Luftballons fliegen kann. Das ist ein schönes poetisches Bild. Und dann entstand die Geschichte anhand von Fragen wie: Wer wohnt in dem Haus? Wohin fliegen sie? Warum macht er das? Was passiert unterwegs? Durch diese Fragen kamen wir ja erst auf die Figuren. Im Grunde geht es um das Thema Leben.
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Jonas Rivera stellt erste Errungenschaften vor
Ricore: Wie kommt es, dass das Haus so japanisch aussieht, es erinnert Hayao Miyazakis Filme?

Docter: Wir lieben Miyazakis Arbeiten. Was wir wirklich an ihm bewundern ist, dass er seine Filme atmen lässt. Amerikanische Produktionen sind häufig so hektisch, mit zu schnellen Schnitten. Miayazaki hat uns inspiriert, langsamer zu arbeiten und Dinge entstehen zu lassen.

Rivera: Das Haus, das wir als Vorbild nahmen, befindet sich in Berkeley. Es sah so aus, wie wir es haben wollten. Es musste ein Haus sein, das leicht aussieht. Es sollte so wirken, als ob es von Gasballons getragen werden kann. Deswegen sollte es nicht aus Stein sein, sondern aus Holz. Dann hatten wir die Idee, dass ein Kind dieses Haus bemalen könnte. Die Form des Gebäudes sollte zu Carls Charakter passen. Von vorne hat es eine quadratische Form, wie Carls Gesicht. Eine solche Formensprache durchzieht den ganzen Film.

Ricore: John Lasseter hat in einem Interview mal gesagt, dass es bei allen Pixar-Produktionen Phasen gab, wo er nicht sicher war, wann der Film fertig würde. Hatten Sie bei "Oben" auch solche Momente?

Docter: Ja, das lag an der seltsamen Geschichte. Besonders schwierig war es die grundlegende Handlung abzuschließen. Es war uns besonders wichtig, die Beziehung zwischen Carl und seiner Frau unterzubringen, weil sie der Geschichte einen besonders emotionalen Hintergrund gibt. Oft wurden wir gefragt 'Muss es denn so traurig sein?' Aber wir wussten, dass wir ja auch genug lustige und schräge Dinge darin hatten. Ich finde es war notwendig, diese traurige Geschichte darin zu haben, um das Komische auszugleichen. Walt Disney hat mal gesagt "Für jeden Lacher muss es auch eine Träne" geben. So sehe ich das auch. Das Publikum geht dann auch viel mehr mit den Charakteren mit.

Ricore: Wir Deutsche haben oft Schwierigkeiten mit Emotionen. Ich jemand getroffen, der "Oben" zu emotional fand. Was sagen Sie dazu?

Docter: Das trifft auch auf viele Amerikaner zu. Es gibt eine Tendenz Filme zu machen, die in erster Linie auf Komik setzen. Wenn dann Momente kommen, in denen es emotional wird, zieht man das Ganze oft ins Lächerliche. Was die Emotionen angeht, knüpft "Oben" schon ein wenig an ältere Stoffe an. Wir sind große Fans von alten Disney Filmen oder auch Sachen wie "Ist das Leben nicht schön"

Rivera: Emotion ist in "Oben" wie das Fundament des Hauses. Erst mit diesem Fundament funktioniert der Humor.
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Oben
Ricore: Bei Pixar-Filmen wird im Vorfeld immer intensiv recherchiert. Ich denke dabei an "Ratatouille", wo alle Involvierten Kochen gelernt haben. Gab es bei "Oben" vergleichbare Vorbereitungen?

Docter: Ja, wir haben gerade bezogen auf kleine Dinge viel recherchiert. Zum Beispiel bei Vogel "Kevin". Da haben wir einen richtigen Strauß zu Pixar bringen lassen. Jeder konnte dem Straußen-Experten dann Fragen stellen. Was die Kulisse in Südamerika angeht, so haben wir diese an Original-Plätze angelehnt. Wir sind für eine Woche hingeflogen und haben uns in der Wildnis aufgehalten. Dabei haben wir Skizzen und Notizen gemacht.

Ricore: Die Klippen sind, wie Sir Arthur Conan Doyle sie in "Die vergessene Welt" beschreibt...

Docter: Ja, sie sollen ihn auch dazu inspiriert haben. Wir wollten unbedingt auch so eine Welt haben, die wie eine Fantasiewelt aussieht. Den Ort, an den Carl fliegt, gibt es jedoch tatsächlich in Südamerika. Er heißt Mount Roraima und liegt in Guayana. Dort gibt es diese unglaublich steilen Klippen. Wir sind hinaufgestiegen. Dabei haben wir Pflanzen entdeckt die man sonst nirgendwo auf der Welt sieht, es gibt auch eindrucksvolle Felsformationen. Der Ort war für uns sehr inspirierend. Dadurch, dass wir einen realen Ort verwendet haben, erhält der Film eine größere Glaubwürdigkeit, als wenn wir einen fiktiven Ort gewählt hätten.

Ricore: Warum kommt in "Oben" ein Zeppelin vor?

Docter: Wir wollten, dass Gegenspieler Muntz dem Charakter Carls in gewisser Hinsicht ähnelt. Carl hat sein fliegendes Haus. Muntz hat quasi auch ein fliegendes Haus. Seines musste aber größer sein. Uns gefiel der Gedanke, dass sein Haus die Form eines Zeppelins bekommt. Ein solches Flugobjekt sieht an sich schon aus wie ein Phantasie-Gegenstand und vom Design her ist es einfach prächtig.

Rivera: Ein Zeppelin war seinerzeit schon wie eine Art Science-Fiction-Objekt. Muntz ist ja auch nicht mehr zeitgemäß, ein Held vergangener Zeiten.

Docter: Er wünscht sich nahezu, das stolze Stück selbst gebaut zu haben. Die Zeppelin-Firma hat es in San Francisco erbaut. Man kann es sich dort von innen anschauen. Und wir haben die Motorgeräusche dieses Luftschiffs im Film verwendet.
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Pete Docter freut sich über seine Auszeichnung in Cannes
Ricore: Inwieweit hat die Entscheidung, einen 3D-Film zu machen, die Geschichte beeinflusst?

Rivera: Wir haben versucht zu verhindern, dass diese Entscheidung große Auswirkungen auf die Geschichte hat. Die Zuschauer sollen beim Betrachten vergessen, dass sie in einem Kino sitzen. Der 3D-Effekt sollte auf keinen Fall von der Geschichte ablenken. Deswegen wollten wir keine schrägen Gags einbauen, in denen Tiere plötzlich aus der Leinwand gesprungen kommen. Wir haben es uns daher zur Regel gemacht, die Leinwand wie ein Fenster zu betrachten, durch das der Zuschauer das Geschehen verfolgt.

Docter: Einige Filme profitieren wirklich von 3D. Für Weltraumszenen ist die Technik ideal, weil man die Weite schön darstellen kann. Wenn man aber eine Szene hat, in der zwei Personen sich zum Abendessen treffen, braucht man das natürlich nicht. Man muss immer überlegen, wann es sich lohnt, den Effekt zu verwenden.

Ricore: Welche Auswirkungen hat die 3D-Technik auf das Schneiden des Films gehabt?

Docter: Es hätte wahrscheinlich schon Auswirkungen gehabt, aber wir haben es so gut wie möglich ignoriert. Wir haben ihn ja als 2D-Film gemacht. Und wir hatten im Hinterkopf, dass 90 Prozent der Zuschauer ihn in 2D sehen würden, vor allem später auf DVD im Heimkino. Wenn ich ein paar Szenen in 3D betrachte, denke ich natürlich schon, dass ich da noch ein oder zwei Frames hinzugefügt hätte.

Ricore: Haben Sie zugunsten von mehr Komfort beim Betrachten die räumliche Tiefe im Film reduziert?

Docter: Ja, wir haben die Tiefe reduziert, damit sich die Augen entspannen können. Für den gesamten Film haben wir eine Art Tiefen-Skript geschrieben. Zu Beginn zum Beispiel als Carl allein zurückbleibt, nachdem Ellie gestorben ist, ist der Eindruck ohne 3D-Brille sehr flach. Man soll dadurch das klaustrophobische Gefühl bekommen, das Carl nun überfällt. Erst als Russell auftritt, weitet sich der Bildraum wieder. Meine Mutter würde dazu vielleicht sagen: 'Die Tiefe, die an dieser Stelle entsteht ist, ist wie eine visuelle Metapher'. Ganz so weit haben wir nicht gedacht. Aber wir hoffen schon, dass die Zuschauer es fühlen, dass dies die Geschichte und die Befindlichkeiten der Figuren widerspielgelt.
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Produzent Jonas Rivera
Ricore: Wir erleben gerade die Wirtschaftskrise und ihre Folgen, auch in sozialer Hinsicht. Würden Sie sagen, dass ein Film mit dem Titel "Oben" jetzt zur richtigen Zeit kommt, wo alles nach unten geht?

Docter: Ja, durchaus. Aber ich denke, ein solcher Film kann zu jeder Zeit funktionieren, weil es ähnliche Probleme immer gibt. "Oben" ist vergleichbar mit "Casablanca" oder "Disney's Eine Weihnachtsgeschichte". Es ist auch eine Erlösungsgeschichte. Ein Mann, der wie tot durch die Welt geht, findet zu den Menschen zurück und lebt am Ende wieder auf. Das ist eine Handlung, die nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist.

Ricore: Können Sie erklären, warum Pixar mit ihren Produktionen mehr Mut aufbringt als andere Produktionsfirmen in Hollywood?

Docter: Es ist uns grundsätzlich ein Anliegen, dass wir mit unseren Produktionen selbst hundertprozentig zufrieden sind. Außerdem wollen wir uns auf keinen Fall mit einer Sache wiederholen. Deswegen überlegen wir immer scharf, wie wir eine Sache anders machen können. Mit jedem Film, den wir machen, wird das schwieriger. Dann kommt der große Moment, wo wir unsere Arbeit den anderen Pixar-Regisseuren zeigen, wie etwa Brad Bird oder John Lasseter. Wenn wir die von unserem Werk überzeugen können, dann haben wir etwas erreicht. Die Arbeit mit den Leuten vom Studio ist meistens sehr fruchtbar. Sie würden nie einen Film ablehnen mit einer Begründung wie "Ein Film über einen alten Mann verkauft sich nicht, ihr müsst ihn jünger machen." Als Filmemacher versuchen wir, uns immer in den Zuschauer hineinzuversetzen. Wir machen die Filme, aber unsere wichtigste Aufgabe ist eigentlich der Zuschauer.

Ricore: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmemachern genießen Sie größere Freiheiten. Wie war die Zusammenarbeit mit Disney bei "Oben"?

Rivera: Disney hat toll reagiert. Wir haben den Film Bob Iger gezeigt und er hat uns eine konstruktive Rückmeldung gegeben. Er hat nicht gesagt "Ändert dies und ändert das", sondern: "Ich habe diesen Teil nicht verstanden. Könntet ihr das vielleicht etwas deutlicher machen". Das war sehr fair.

Docter: John Lasseter hat uns Notizen gegeben, aber er hat uns gesagt, wir müssten sie nicht befolgen. Es waren lediglich Anregungen, die uns helfen sollten, das Beste aus dem Film herauszuholen. Wir hätten auch das genaue Gegenteil von seinen Vorschlägen machen können, solange dadurch der Film noch besser wird.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 15. September 2009
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Oben (Kinofilm)
Pixars Animationsfilme werden technisch von Jahr zu Jahr perfekter. In dieser Hinsicht war also kaum etwas Neues zu erwarten. Mit "Oben" scheint das Studio jedoch Nachhilfestunden im Geschichtenerzählen genommen zu haben. "Oben" ist ein bis in jedes Detail liebevoll geplanter und menschlich erzählter Film, in dem Werte wie Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Liebe auf intelligenter Ebene aufbereitet sind. Ein Highlight für Groß und Klein, die Abenteuer über alles lieben.
Pete Docter bezeichnet sich selbst als "Spinner aus Minnesota, der gerne Cartoons zeichnet". Mit seinen gesponnenen Arbeiten feiert er große Erfolge. Er gehört seit 20 Jahren zu den kreativen Köpfen von Pixar Studios. Bei "Toy Story 2" und "Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf" ist er am Drehbuch beteiligt, bei "Oben" einer der beiden Regisseure.
Jonas Rivera studierte Filmproduktion in San Francisco und ist seit 1994 bei Pixar. Für "Cars" ist er als Produktionsmanager involviert und leiht dem Auto "Boost" seine Stimme. Er produziert "Oben" gemeinsam mit John Lasseter.
2024