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Hannah Herzsprung
Hannah Herzsprung: "die Tochter von..."
Interview: Beschützt und behütet
Hannah Herzsprung ist sich ihrer Bekanntheit in Deutschland bewusst. Dennoch versucht sie eine Trennung zwischen ihrem Privat- und Berufsleben zu ziehen, was ihr bisher gut gelang. Nur selten sieht man die knapp 28-Jährige auf dem Roten Teppich oder irgendwelchen Schicki-Micki-Veranstaltungen. Sie liebt die Zurückgezogenheit. Welche Werte der Tochter von Schauspieler Bernd Herzsprung sonst noch wichtig sind, erzählt sie uns in einem offenen Gespräch zu "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen".
erschienen am 24. 09. 2009
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Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen
Ricore: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ins Kloster zu gehen?

Hannah Herzsprung: Ich bin seitdem im Kloster. (lacht)

Ricore: Ach, daher auch dieser strenge Habitus?

Herzsprung: Richtig. Es ist so warm hier…

Ricore: War das zur Erholung?

Herzsprung: Das hätte ich im Vorfeld machen sollen, um zu gucken, wie sich das anfühlt. Leider hatte ich keine Zeit dafür. Darüber nachgedacht habe ich aber schon öfters. Auch bevor ich diesen Film gemacht habe.

Ricore: Warum darüber nachgedacht?

Herzsprung: Ich glaube, das ist toll. Ich denke, dass man da eine gewisse Ruhe findet. Kloster strahlen oft eine ganz besondere Atmosphäre aus. Und ich denke, dass man da ein gutes Gefühl für sich selbst empfindet.

Ricore: Wahrscheinlich im Wissen, dass man da wieder raus kann…

Herzsprung: Ja.
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Hannah Herzsprung
Ricore: Ahnt man etwas von der Dimension des Daseins, wenn man in so einem Film spielt?

Herzsprung: Man versucht, sich heran zu ahnen und bekommt großen Respekt davor. Ich habe oft gedacht "Wahnsinn"! Aber weiß man denn wirklich, wie es damals war? Der Respekt und die Sorge, ob man das hinkriegt, verfliegen aber sofort, wenn man sich vorbereitet und probt.

Ricore: Manche Nonnen nannten sich "Bräute Gottes" oder "Bräute Jesu Christi". Wird dies nachvollziehbar, wenn man sich so lange mit der Rolle beschäftigt?

Herzsprung: Ja, es wird nachvollziehbar. Ich könnte diesen Schritt zwar nicht gehen, kann aber verstehen, wenn ihn andere gehen. Diese Menschen haben bereits einen starken Glauben in diese Richtung entwickelt. Das ist auch das Tolle an solchen Rollen. Man beobachtet sich selbst und sieht sich abstrakt in dieser Figur. Von irgendwoher müssen diese Gefühle ja kommen. Man löst sich aber davon, damit man sich abends erholen kann. Das ist eine spannende Grenze, zwischen nachvollziehen und spüren. Bisher kann ich das aber ganz gut trennen.

Ricore: Wie sieht es bei Ihnen mit Religion und Glauben aus?

Herzsprung: Ich habe einen starken Glauben, der mir Kraft gibt. Die Werte, die durch meine Rolle transportiert werden, sind Glaube, Liebe, Vertrauen und Hingabe. Das sind aber auch Werte, an die ich mich halte und die für mich sehr wichtig sind. Darüber bin ich auch erst an diese Emotionen gekommen, die ich durch meine Filmfigur Richardis vermitteln muss. Sie ist 16, ich 26. Ich habe mich manchmal gefragt, ob man mir dies abnimmt, da Richardis zu Beginn das Kloster ziemlich aufmischt. Meine eigenen Werte haben es mir erleichtert, Zugang zu ihren Emotionen zu finden.

Ricore: Wie erklären Sie sich, dass dies mit dem Alter so gut geklappt hat?

Herzsprung: Ich glaube, ein Großteil liegt daran, dass ich von Haus aus sehr jung aussehe. Wenn ich ausgehe, muss ich immer den Ausweis vorzeigen.

Ricore: Nein!

Herzsprung: Ich denke, man kann viel Naivität von innen mitbringen. Obwohl es auch ältere Menschen gibt, die naiv sind. Es ist schwer zu sagen. Man versucht sich einfach daran zurückzuerinnern, wie es mit 16 war.
Andreas Eckenfels/Ricore Text
Hannah Herzsprung
Ricore: Sind es nicht auch die Kostüme, die einen alterslos machen?

Herzsprung: Ja, das ist wahr. Die langen Haare und so.

Ricore: Ist es schwieriger, dem Charakter in einem uniformen Kostüm Profil zu geben?

Herzsprung: Es hilft, wenn man morgens aus dem T-Shirt herauskommt und in diesem Fall die Kutte überstreift. Man bekommt dadurch eine ganz andere Haltung. Ich bin auch in den Pausen immer damit rumgelaufen. Es ist toll, was Kostüme mit dir machen. Aber das kennen Sie sicherlich auch, an Fasching beispielsweise. Das kann man am ehesten damit vergleichen...

Ricore: Der Ort spielt sicherlich auch eine Rolle...

Herzsprung: Ja klar. Wir haben im sehr gut erhaltenen Kloster Maulbronn angefangen zu drehen. Wenn man durch die Gänge geht, war das eine eigene Atmosphäre. Selbst im Kölner Studio, wo wir die Innenaufnahmen gedreht und das Kloster nachgebaut haben, entfaltete sich eine großartige und faszinierende Atmosphäre. Man konnte sich sehr gut in das Thema hinein fühlen.

Ricore: Als Sie sich das erste Mal im Nonnenkostüm gesehen haben, wie haben Sie da reagiert?

Herzsprung: Das Kostüm war gigantisch, man hat nur mein Gesicht gesehen. Alles andere war Kutte. Das ist für einen Schauspieler eine große Herausforderung, da die Gestik und die Körpersprache total wegfallen. Nur das Gesicht ist zu sehen, nichts lenkt davon ab. Alles wird durch die Augensprache ausgedrückt. Hat aber funktioniert, oder?

Ricore: Sie hatten auch mal erwähnt, Sie hätten durch die Kutte Kopfschmerzen bekommen...

Herzsprung: Ja, denn das war ein ganz dicker Flanellstoff und der ist sehr schwer. Am Anfang war ich es nicht gewohnt, dass sich auf meinem Kopf so eine Last befindet. Aber man gewöhnt sich daran. Und es ist ja auch ein tolles Kostüm, sehr authentisch.

Ricore: Gab es neben Werten wie Leidenschaft und Hingabe andere Dinge, mit denen Sie sich identifizieren konnten?

Herzsprung: Naja, Liebe, Glaube und ein starker Wille - das alles kannte ich und konnte ich nachvollziehen. Auch mit der Gefahr mich zu wiederholen, versuche ich immer, meine Figuren von mir zu trennen. Sonst tritt der Beruf zu nahe an mich, an Hannah, heran. Dabei ist es egal, welche Emotionen man spielt. Ich funktioniere wie ein Trichter: Ich sammle meine Emotionen, die dann durch meinen Körpern sickern. Ich kann diese zwar nicht gut erzählen oder beschreiben, aber nachempfinden, sodass ich diese spielen kann. Klar bin ich abstrakt diese Figuren, sonst könnte ich dies gar nicht darstellen, aber ich suche nicht danach.
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Hannah Herzsprung als Malerin
Ricore: War Ihre Berufung, Schauspielerin werden zu wollen, genauso stark wie jene von Richardis, Nonne zu werden?

Herzsprung: Genau. Das ist schön, ja.

Ricore: Erst also diffuses Bewusstsein und später dann…

Herzsprung: Nun ja, ich trage das nicht immer mit mir herum. Ich gehe einfach mit meinem vorher Erfühlten ans Set und dann erst geschieht das Spannende: Man wirft alles weg. Der Kopf wird frei. Gedanken haben hier nichts mehr zu suchen. Ich hatte natürlich Glück mit jemanden wie Margarethe von Trotta zu arbeiten. Sie weiß genau, was sie will. Man kann ihr total vertrauen und sich loslassen. Sie ist jemand, der genau aufpasst, dass man nicht übers Ziel hinausschießt. Margarethe sieht das und gibt Anweisungen. Das ist schön, dass man jemanden am Set vertrauen und loslassen kann.

Ricore: Es scheint, als hätten Sie nach "Vier Minuten" nur noch gearbeitet...

Herzsprung: Ja, nach "Vier Minuten" ist unglaublich viel passiert. Das ist so toll.

Ricore: Wurde es nie zu viel?

Herzsprung: Naja, es macht einfach so viel Spaß, dass man nicht aufhören will, zu drehen.

Ricore: Wie hat man sich diesen Einschnitt vorzustellen?

Herzsprung: Mich hat's auch vorher schon gegeben, soviel ist klar. Ich habe auch schon vor "Vier Minuten" kleinere Sachen gedreht und dabei Blut geleckt. Da aber nicht soviel Interesse und auch kaum Angebote da waren, habe ich angefangen zu studieren. Seit "Vier Minuten" bin ich aber nicht mehr zum Studieren gekommen. Das ist also noch nicht abgeschlossen. Soviel zum Thema "Studium".
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Hannah Herzsprung als Häftling und musikalisches Talent
Ricore: Wenn Sie zurückdenken, was hat Ihnen Monica Bleibtreu mitgegeben?

Herzsprung: Das ist sehr persönlich, das möchte ich nicht gerne in der Öffentlichkeit breit treten.

Ricore: Auch Barbara Sukowa ist eine imposante Person, vor allem als Hildegard von Bingen...

Herzsprung: Ja, sie übt als Mensch eine große Faszination aus. Sie verströmt Liebe, Ehrfurcht und Bewunderung. Die Arme, ich habe sie in den Pausen immer angehimmelt (lacht). Die hat sich wahrscheinlich gedacht: "Oh Gott, was will die denn von mir?"

Ricore: Sie hatten großes Glück, in so jungen Jahren mit zwei so großen Schauspielerinnen wie Monica Bleibtreu und Barbara Sukowa zusammen zu arbeiten, sowie mit Chris Kraus oder Margarethe von Trotta zu drehen. Eigentlich kann jetzt nichts mehr schiefgehen...

Herzsprung: Nach "Vier Minuten" habe ich erst gespürt, was schauspielern eigentlich bedeutet. Und dass ich das umso mehr will. Natürlich kann noch viel passieren, ich hoffe einfach, dass es weiter so läuft, toi toi toi. Vielleicht ist es auch zu naiv gedacht, aber man liebt ja doch den Moment. Aber Sie haben Recht, es ist viel passiert. Ich durfte viele tolle Sachen machen, kleine Rollen bei großen Filmen spielen, wo ich sehr viel gelernt habe. Klar habe ich auch schwierige Momente erlebt, die mich aber auch weiter gebracht haben. Im Nachhinein sieht man das auch als Schule.

Ricore: Wenn Sie sich zurückerinnern, was war nicht so toll?

Herzsprung: Nun ja, auf einmal gab es jede Menge Angebote, ich kam zu nichts mehr und hab dann eben auch mein Studium nicht weiter gemacht. Es ist natürlich toll, mir heute den Luxus zu nehmen, Rollen auszusuchen. Ich hatte das Glück, mit tollen Regisseuren zu arbeiten. Aber es gab auch Filme, wo alles schwieriger war. Wo ich nicht das Gefühl hatte, mich fallen lassen zu können. Es wird nicht immer so ein tiefes Vertrauen aufgebaut, dann muss man Entscheidungen treffen, die manchmal etwas egoistisch sind. Das war vor allem nach dem Verwöhnprogramm bei "Vier Minuten" eine Umstellung. Aber dadurch wurde ich selbstständiger. Das ist auch wichtig für die persönliche Entfaltung.

Ricore: Aus dem schließe ich, dass Sie sich lieber fallen lassen?

Herzsprung: Ja. Jeder Regisseur arbeitet auf eine andere Art und Weise. Ich bin aber jemand, der sich am Set gerne fallen lässt. Ich mag es, wenn man mich an die Hand nimmt und durchführt.
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Hannah Herzsprung und Daniel Brühl in Alain Gsponers "Lila, Lila"
Ricore: Wie ist das Gefühl, plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen?

Herzsprung: Dadurch, dass ich das Private und das Berufliche trenne, funktioniert es ganz gut. Interviews und öffentliche Auftritte verbinde ich nur im Zusammenhang mit einem Film, den ich gerade drehe oder der gerade ins Kino kommt. Sonst vermeide ich das. Das funktioniert gut, da ich dann auch was zu erzählen habe. Es ist ein gewisser Schutz und ich hoffe, dass ich mir das bewahre. Man muss sich auch ausruhen können, ein Zuhause haben. Wenn auf einmal jeder daran teilnimmt, ist dieser Schutz nicht mehr gegeben. Das ist für mich ungesund.

Ricore: Ist Ihr Elternhaus in dem Sinne eine gute Vorbereitung gewesen?

Herzsprung: Ja, auf jeden Fall. Ich bin beschützt, behütet und mit viel Liebe aufgewachsen. Das gab mir eine Basis an Selbstbewusstsein und Selbständigkeit. Davon zehre ich noch heute.

Ricore: Ich dachte eher an Kameralinsen und Blitzlichtgewitter...

Herzsprung: Nun ja, so unangenehm das als Kind für mich war, desto vertrauter war es dann, als es plötzlich um mich ging. Früher war ich "die Tochter von...", heute bin ich es selbst. Ich bin damit aufgewachsen, das kann man schon sagen.

Ricore: Heute hört man fast nicht mehr: "Die Tochter von..."

Herzsprung: Ich bin sehr stolz, die Tochter von meinem Vater zu sein. Aber beruflich gesehen finde ich diese Trennung toll. Mein Vater sieht es genauso, der wurde ja auch immer gefragt: "Ach, sagen Sie doch mal was über Ihre Tochter...". Mein Vater hat von Anfang an gesagt, mach du dein Ding! Er wollte eher, dass ich mein Studium zu Ende bringe, aber verboten hat er mir die Schauspielerei nie. Er wollte, dass ich mir das angucke. Dadurch, dass wir das nie zum Thema gemacht und es von Anfang an getrennt haben, hat unser Beruf heute so eine Selbstverständlichkeit. Es gibt ja leider kein Rezept, das sagt, wie man sich am Besten in der Öffentlichkeit verhält. Man muss es halt selber für sich herausfinden und versuchen, sich treu zu bleiben. Ich mache einfach das, was sich für mich richtig anfühlt.

Ricore: Hat Ihnen Ihre kleine Rolle in "Der Vorleser" Lust gemacht, auch international tätig zu werden?

Herzsprung: Es wird ja immer die Frage nach dem Unterschied gestellt. Im Endeffekt gibt es beim Drehen keinen Unterschied. Man spielt und spielt und spielt. Im Vorfeld war meine Aufregung bei "Der Vorleser" natürlich gigantisch. Wenn ich mir nur vorgestellt habe, dass ich mit Kate Winslet und Ralph Fiennes gedreht habe. Ich habe seine Tochter gespielt und hatte nur vier Drehtage mit ihm. Dadurch, dass wir Vater und Tochter waren, war von Anfang an Vertrauen zwischen uns. Er kam gleich auf mich zu und hat mich umarmt. Daher kommt auch meine Ralph-Fiennes-Bewunderung, denn von diesem Star-Image war nicht mehr viel da. Wir waren gleich auf einer Augenhöhe, er war super nett und zuvorkommend. Es hat auch Spaß gemacht, in englischer Sprache zu spielen. Ich bin zwar schon offen dafür, würde jetzt aber noch nie meine Zelte in Deutschland abbrechen und sagen: "Servus, ich gehe mal nach Amerika!". Ich habe hier so tolle Angebote und drehe schöne Filme. Aus Amerika kam bislang noch nichts.

Ricore: Nun ja, manche nehmen sich amerikanische Agenten und lernen Leute kennen...

Herzsprung: Ja, das passiert automatisch. Mit "Vier Minuten" bin ich auch um die Welt gereist und war in Amerika. Hab dort sogar eine Auszeichnung bekommen. Da der Film so gut angekommen ist, hat man diverse Leute getroffen. Aber mir geht es um das Projekt. Wenn ein Film toll und eine Rolle gut ist, ist es egal, in welchem Teil der Welt all das stattfindet.
erschienen am 24. September 2009
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