Senator Film Verleih
Anno Saul
Verletzlich und gefährlich
Interview: Anno Saul über zweite Chancen
Mit "Die Tür" legt Anno Saul ein Mystery-Drama vor. Für deutsche Kinoproduktionen ein ungewöhnliches Genre. Eine weitere Grenze überschritt er, als er den Dänen Mads Mikkelsen engagierte. Denn dieser spricht nur wenig Deutsch und das mit starkem Akzent. In unserem Interview verrät uns Saul, wie die Zusammenarbeit mit Mikkelsen funktioniert hat und warum kein anderer für die Rolle in Frage kam. Im Film geht es um Parallelwelten und die Frage nach einer zweiten Chance. Ein Thema, das Saul persönlich besonders interessiert, denn er ist Hobby-Astrophysiker.
erschienen am 24. 11. 2009
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Anno Saul und Mads Mikkelsen
Ricore: Wie lief es beim Dreh mit Mads Mikkelsen mit der Sprache?

Anno Saul: Er hat auf Deutsch gespielt. Wir haben zwar zuerst auch zwei, drei Szenen auf Englisch gemacht, aber die haben wir später auf Deutsch wiederholt. Es wird auch auf der DVD eine Original Mads-Mikkelsen-Fassung geben, weil er ja den ganzen Film Deutsch gesprochen hat, jedoch mit seinem Akzent. Für das Kino mussten wir das synchronisieren lassen. Dabei wurde nicht, wie üblich auf Bild synchronisiert. Der Sprecher hat den Originalton von Mads gehört und ihn so nachgesprochen. Dadurch ist die Fassung lippensynchron.

Ricore: Also hatte er schon den Ehrgeiz, den Film komplett auf Deutsch zu machen?

Saul: Er wollte es unbedingt auf Deutsch machen und ich wollte das auch. Der Produzent hat dazu gesagt, dass er Englisch sprechen kann, wenn er auf Deutsch nicht weiter kommt.

Ricore: Warum tut man sich so ein zusätzliches Arbeitspensum an, wenn man auch einen Deutschen für die Rolle hätte nehmen können?

Saul: Gegenfrage: Welches Gesicht hätten Sie sich den an Stelle von Mads Mikkelsen vorstellen können? Wo soll ich so ein Gesicht in Deutschland finden? Es strahlt so eine Interessantheit, Tiefe und Ernsthaftigkeit aus. Diese Schönheit und Gebrochenheit finde ich einfach unersetzlich. Natürlich hätte ich auch einen anderen Schauspieler nehmen können. Es gibt auch hervorragende deutsche Schauspieler, keine Frage. Aber für diese Rolle war es einfach Mads Mikkelsen.

Ricore: War er teurer als ein deutscher Schauspieler für diese Rolle?

Saul: Nein.
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Heike Makatsch
Ricore: Wie kam die Idee, hat ein bestimmter Film mit Mads Mikkelsen den Ausschlag gegeben?

Saul: Ich war schon immer ein Fan von ihm und ein Fan des skandinavischen Kinos. Dazu gehören Produktionen wie "Adams Äpfel", "Open Hearts" oder "Pusher". Ich habe mal drei Schweden-Krimis für das ZDF mit skandinavischen Schauspielern gedreht. Damals hatte ich schon bei Mads Mikkelsen angefragt. Da konnte er aber nicht. Diesmal habe ich schon beim Schreibprozess, den ich ja überwacht habe, an ihn gedacht. Ich dachte, wenn es jetzt kein deutscher, sondern ein europäischer Film wäre, würde ich ihn auf jeden Fall nehmen. Aber erst habe ich nach deutschen Darstellern gesucht, das muss ich zugeben. Dieser Versuch scheiterte schließlich wegen unterschiedlicher Ansichten zwischen mir und den Koproduzenten. Wir haben viel diskutiert und irgendwann habe ich gefragt Warum nehmen wir nicht Mads Mikkelsen? Denn ich hatte ihn immer schon im Hinterkopf.

Ricore: Wie haben die Produzenten und Mikkelsen reagiert?

Saul: Da waren sie erst mal still. Dann zustimmendes Nicken und Fragen wie "Kann man den denn kriegen? Wie kann man den denn kontaktieren?" Und so weiter. Als Mikkelsen das Buch bekam, fand er es ziemlich gut. Er rief an und schlug vor dass wir uns mal treffen, um uns kennenzulernen.

Ricore: Haben Sie erst danach die anderen Darsteller ausgesucht und an ihn angepasst?

Saul: Mit Jessica Schwarz bin ich schon seit acht Jahren gut befreundet. Als ich sie anrief, liefen schon Verhandlungen mit Mads Mikkelsen. Aber seine Unterschrift hatte ich zu der Zeit noch nicht. Sie sagte zu mir, dass sie das Buch toll fände, aber dass es für sie absolut entscheidend wäre, wer die männliche Hauptrolle spielen würde. Da habe ich geanwortet "Ich kann es dir noch nicht sagen, aber ich glaube, du wirst ziemlich begeistert sein." Als wir uns dann trafen meinte sie "OK, ich sage dir jetzt zu. Aber bitte sage mir doch, wer es ist." Da wollte sie wohl sicher gehen, bevor sie die Tinte in die Hand nahm (lacht). Ich sagte ihr, es würde wahrscheinlich Mads Mikkelsen werden und da war sie echt begeistert.

Ricore: Wie unterscheidet sich die Romanvorlage vom Film?

Saul: Das Buch endet anders als der Film. Da stellt sich alles als ein Traum raus. Wir hatten aber das Gefühl, dass sowas schon mal vorgekommen ist (schmunzelt).
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Anno Saul
Ricore: Eine Mysterythriller gab es im Deutschen Kino noch nicht.

Saul: Ja, ich finde aber, dass es nicht das Alleinstellungsmerkmal ist, dass der Film aus Deutschland kommt. Ich denke, er hat ein Alleinstellungsmerkmal dadurch, dass er sich wie ein europäischer Film anfühlt. Das gilt auch, weil er universelle Themen anspricht. Er stellt grundmenschliche Fragen wie die nach einer zweiten Chance und was man aus dieser Chance macht, wenn man sie denn bekäme. Welchen Preis sie hat und ob und wie weit man bereit ist, diesen Preis zu zahlen. Das Mystery-Element wird nur verwendet, um diese Fragen zu stellen. Letztlich ist es kein Mysterythriller, sondern ein Mystery-Drama. Mysterythriller sind meist sehr Plotorientiert. Hier geht es aber in erster Linie um die Fragen "Wie hoch ist der Preis?" und "Bin ich bereit ihn zu zahlen?"

Ricore: Thomas Thieme und Heike Makatsch sind ebenfalls dabei. Sind Sie als Regisseur manchmal überrascht, welch bekannten Gesichter sie für Ihre Filme gewinnen können?

Saul: Mit Heike Makatsch musste ich fünf Mal essen gehen! Nein, Scherz. Aber ich habe mich mit ihr fünf Mal treffen müssen, ehe sie mir zusagte.

Ricore: Da haben Sie ja ganz schön Ausdauer bewiesen.

Saul: Diese Ausdauer habe ich an den Tag gelegt, weil ich mir absolut sicher war, dass Heike dafür die Richtige ist. Was zu der Basis meines Arbeitsethos gehört ist, dass jede Nebenrolle erstklassig besetzt sein muss. Mir geht es total auf den Wecker, wenn ich in den Hauptrollen toll besetzte Filme sehe, wo der Kellner reingestolpert kommt. Dann frage ich mich immer, wo sie denn den Komparsen aufgelesen haben. Bei Heike ging es mir gar nicht um ihre Bekanntheit. Diesen Grad an Verletztheit, den diese Gina braucht um gefährlich zu sein und dieses Nachtleben, das sie führt und ihren Sexappeal, dafür war sie die Richtige. Man muss ja auch glauben können, dass dieser Mann Jessica Schwarz fremd geht, um mit dieser Frau ins Bett zu gehen. Es sind so viele kleine Dinge, die aber total wichtig zu erzählen sind. Und es ist nicht einfach, dafür jemanden zu finden.

Ricore: Worauf kommt es darstellerisch bei den Nebenrollen an?

Saul: Man hat nicht viel Zeit, eine Nebenrolle als Charakter zu etablieren. Deswegen müssen die Schauspieler mit dem, was sie ausdrücken schon auf den Punkt sein. Sie dürfen nicht neben den Punkt sein. Sie können es in der Inszenierung ja nicht ständig auskorrigieren, weil sie ja nur drei oder vier Szenen haben. Mit Thomas Thieme wollte ich schon immer zusammen arbeiten. Ich habe ihn schon oft am Theater gesehen und er war einfach so gut, den wollte ich unbedingt dabei haben.
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Anno Saul
Ricore: Warum hat sich Heike Makatsch so lange bitten lassen? Hat sowas auch mit Eitelkeit zu tun, dass sie gerne von einem Regisseur umgarnt wird?

Saul: Nein, Heike ist total uneitel. Das war kein Kokettieren. Wenn man ihre Rolle oberflächlich liest, ist sie zunächst mal das sexy Biest von nebenan, das den Typen verführt. Und dann auch noch 'ne Technobraut. Das war so ein Klischee. Deswegen war es wichtig, dass sie diese Verletzlichkeit bekommt, um gefährlich zu werden. Man muss ja glauben können, dass diese Frau Mads Mikkelsen gefährlich werden kann.

Ricore: Haben Sie sich näher mit den Themen von Paralleluniversen auseinandergesetzt?

Saul: Ich bin begeisterter Hobby-Astrophysik-Fan und lese sämtliche Artikel darüber, die mir in die Finger kommen. Ich versuche so halbwegs mitzukommen, was die Spin-Theorien und Weltformeln und den neuesten Stand der Wissenschaft angeht. Ich glaube aber, dass mir dieses Wissen bezogen auf den Film gar nicht soviel genutzt hat. Da haben wir ja diese Parallelwelten, die durch Tunnel miteinander verbunden sind. Gut, die kann man vielleicht mit Wurmlöchern vergleichen. Aber eigentlich ist es keine wissenschaftliche Kostruktion. Wenn man da wissenschaftlicher rangehen wollte, müsste man mehr so in Richtung "Contact" gehen. Wir haben dieses Konstrukt lediglich genutzt, um unser Drama zu erzählen.

Ricore: Wenn Sie fünf Jahre in Ihre eigene Vergangenheit zurückgehen könnten, was würden Sie ändern?

Saul: Dazu müssten Sie meine Vergangenheit kennen - nee, ich glaube, ich würde gar nicht soviel ändern. 2004 war das Jahr des großen Umbruchs für mich, jedoch weniger in beruflicher, sondern eher in privater Hinsicht.

Ricore: Wie sah der Kontakt zum Buchautor im Vorfeld aus?

Saul: Akif Pirinçci war begeistert von der Idee, dass sein Buch verfilmt wird. Auch wenn wir einige Dinge geändert haben, hat er sich stets konstruktiv und positiv zum Film geäußert. Er hat den Prozess der Dreharbeiten mitverfolgt. Er hat uns auch mal Tipps und Änderungsvorschläge gegeben, aber insgesamt hatten wir viele Freiheiten bei der Umsetzung.

Ricore: Gilt das filmische Werk dann komplett als Eures oder muss der Romanautor es am Ende mit seiner Unterschrift noch einmal absegnen?

Saul: Pirinçci hat es uns praktisch übergeben, aber wir haben ihn während des Drehs darüber informiert, wo wir gerade stehen. Er hat aber nicht kreativ in den Prozess eingegriffen.
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Anno Saul
Ricore: Wie genau lief das ab?

Saul: Wir haben ihm immer wieder die aktuelle Drehbuchfassung geschickt. Er hat dann auch immer gesagt, dass er es toll findet. Es kommt sicher auch vor, dass Romanautoren sich darüber ärgern, was aus ihren Vorlagen gemacht wird. Aber Akif Pirinçci mochte unser Drehbuch einfach und hat uns auch deshalb freie Hand gegeben.

Ricore: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Drehbuchautor Jan Berger?

Saul: Berger hat mir diesen Stoff geschickt bzw. eine Zusammenfassung davon. Ich war begeistert. Dann haben wir gemeinsam überlegt, wie man diese Geschichte umsetzen könnte. Er hat das Drehbuch geschrieben und ich habe immer Feedback dazu gegeben. Außerdem haben wir uns auch mit dem Produzenten zusammengesetzt. Wir haben es wirklich gemeinsam entwickelt. Es war nichts im Drehbuch, was mich kurz vor dem Dreh überrascht hätte. Ich würde mich aber auch selbst nicht hinsetzen und darin herumschreiben. Außerdem kommt es bei mir nicht vor, dass die Schauspieler in die Drehbücher eingreifen.

Ricore: Passiert es, dass während der Dreharbeiten Änderungen im Drehbuch vorgenommen werden?

Saul: Ja, aber auch die nimmt dann der Drehbuchautor selbst vor. Er war bei den Proben anwesend. Wenn wir bei Proben feststellten, dass bestimmte Dinge anders besser aussahen, haben wir ihm das dann gesagt und ihn gebeten es entsprechend zu ändern. Das heißt, bei mir behält der Autor noch während der Dreharbeiten das Recht, Autor zu sein.

Ricore: Wie sind Sie zu Ihrem Vornamen gekommen?

Saul: (grinst) Meine Eltern haben einen guten Geschmack.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. November 2009
Zum Thema
Anno Saul arbeitet als Regisseur gerne mit Stars zusammen. Dabei geht es ihm eigentlich nicht darum, mit Prominenten die Kinozuschauer zu locken, sondern eine Geschichte glaubhaft zu erzählen. Er versteht sich sowohl auf brüllend komische Filme wie "Wo ist Fred?" als auch auf Dramen wie "Grüne Wüste". In "Die Tür" mischt er 2009 Genres, in dem er für den deutschen Film ungewöhnlich, Mysteryelemende mit einem Drama verbindet.
Die Tür (Kinofilm)
Der Tod seiner Tochter erschüttert den einst angesehenen Maler David Andernach (Mads Mikkelsen) bis auf die Grundfesten. Dann entdeckt er eine Tür in die Vergangenheit, die es ihm ermöglicht, seine damaligen Fehler wieder gut zu machen. Der deutsche Regisseur Anno Saul verfilmt mit "Die Tür" den 2001 erschienenen Bestsellerroman "Die Damalstür" des türkischen Autors Akif Pirinçci. Mit zahlreichen Mysteryelementen, vor allem aber danke der hervorragenden schauspielerischen Leistung ein..
2024