Constantin Film
Brigitte Hobmeier
Auf den Augenblick reagieren
Interview: Brigitte Hobmeier grantig
Es ist Montagmorgen. Brigitte Hobmeier hat schon einige Interviews absolviert als ich die Bibliothek des Münchner Hotels betrete. Die rothaarige, gutgelaunte Theater- und Filmdarstellerin hat Hunger, ihr Magen knurrt vernehmlich. Besorgt erkundigt sie sich, ob dies die Aufnahme nicht störe. Wir sprechen über ihr neues Drama "Tannöd", der Verfilmung von Andrea Maria Schenkels gleichnamigen Roman. Hobmeier gewährt auch einen Einblick in die Zeit nach den Dreharbeiten, als sie abgelegen von der Zivilisation einsam in ihrem Hotelzimmer saß.
erschienen am 18. 11. 2009
Constantin Film
Brigitte Hobmeier in einer Szene aus "Tannöd"
Ricore: Sie als Bayerin kannten die Mordfälle bestimmt schon vor Andrea Maria Schenkels Roman...

Brigitte Hobmeier: Nein, ich habe mich erst aufgrund des Romans mit dem Thema befasst. Nachdem ich den Roman gelesen hatte, habe ich zudem ein Hörspiel dazu aufgenommen.

Ricore: Haben Sie sich während der Dreharbeiten mit der Frage auseinandergesetzt, wer der oder die Mörder sein könnten?

Hobmeier: Für mich ist völlig klar, wer der Mörder ist. Ganz im Gegenteil: Mich erstaunt es immer wieder, wenn Leute behaupten, diese Frage bleibe offen. Sowohl im Roman als auch im Film wird ziemlich klar gesagt, wer der Mörder ist. Wissen Sie denn, wer der Mörder ist?

Ricore: Schon, dennoch finde ich, gibt es einen Moment der Unsicherheit, meinen Sie nicht?

Hobmeier: Der Mörder ist nie vor Gericht gekommen, er hat sich seiner Strafe entzogen, im Film wie im Buch. Wobei das Filmende vom Buch etwas abweicht.

Ricore: In "Tannöd" spielt ebenfalls wie in "Räuber Kneißl" und "Die Perlmutterfarbe" der Dialekt eine große Rolle. Allerdings war hier nicht Marcus H. Rosenmüller am Werk, sondern eine Schweizer Regisseurin...

Hobmeier: Es war sehr interessant und schön am Set. Bei "Räuber Kneißl" und "Die Perlmutterfarbe" habe ich es sehr genossen, mit Marcus Rosenmüller zu arbeiten. Man konnte unbewusst in den Dialekt hineinspringen. Bettina hat es anders gemacht, aber auf eine Weise, die mir auch sehr gefallen hat. Sie nimmt den Dialekt und zieht ihn aus dem Regionalen etwas zurück. Wir kommen ja alle aus unterschiedlichen Orten, manche stammen gar nicht aus Bayern. Bettina Oberli hat so eine Art Kunstdialekt daraus gemacht. Das mochte ich sehr, denn dadurch greifen die Sätze noch mehr, sie werden klarer, präziser.
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Brigitte Hobmeier: "Es war kein Zuckerschlecken"
Ricore: War das Dialektale am Set Thema?

Hobmeier: Natürlich. Manchmal herrschte große Irritation, wenn man beispielsweise nicht wusste, wie man bestimmte Sätze sprechen sollte. Vor allem bei Kollegen, die noch mehr Dialekt sprechen könnten. Andere hingegen mussten sich jedes rollende "R" antrainieren. Bettina hatte ein gutes Händchen dafür.

Ricore: Hatten Sie einen Sprachcoach?

Hobmeier: Ja. Der Sprachcoach wurde dann eingesetzt, wenn jemand beispielsweise nicht so gut bayerisch konnte. Bettina hat ein gutes Sprachgefühl. Sie sagte immer, wenn es ihr zu dialektal, zu bayrisch wurde.

Ricore: In "Tannöd" verkörpern sie zugleich starke und verletzliche Frau. Sind Sie privat jemand, der gerne die Zügel in der Hand hält?

Hobmeier: Ich glaube, ich würde mich hin- und wieder sehr gerne fallen lassen. Im Alltag ist dies aber schwer möglich. Am liebsten gehe ich Hand in Hand.

Ricore: Ist die Schauspielerei ein familienfreundlicher Beruf?

Hobmeier: Bei "Tannöd" hatte ich acht Drehtage in einem Zeitraum von eineinhalb Monaten. Das geht, obwohl die Anreisen sehr lange waren. Ich war aber nicht so extrem viel weg. Und wenn ich in München arbeite, bin ich ja eh vor Ort. Aber es stimmt schon. Wenn man woanders arbeitet, ist das schwierig. Dann ist viel Organisation gefragt, damit mein Sohn meine Arbeit nicht als Belastung spürt, sondern als Abenteuer. Dann muss die ganze Familie zusammenrücken. Ich gehe jetzt nach Berlin und arbeite für zwei Monate bei Thomas Ostermeier an der Schaubühne. Mein Mann konnte sich zeitweise freinehmen und kommt mit meinem Sohn mit. Wir fahren also zu dritt los. So versuchen wir immer, auf den Augenblick zu reagieren und zu schauen, was ist gut und wie können wir es schaffen, zusammen zu sein. Das ist uns ein großes Anliegen.
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Brigitte Hobmeier auf der Premiere von "Tannöd"
Ricore: Schwieriger wird es wahrscheinlich, wenn Ihr Sohn in die Schule kommt.

Hobmeier: Bestimmt, aber mit sechs oder sieben Jahren braucht man dann seine Mama nicht mehr rund um die Uhr. Vielleicht ist man dann auch mal ganz froh, wenn sie weg ist (lacht).

Ricore: Wann war Ihnen zum ersten Mal der Wunsch bewusst, Schauspielerin zu werden?

Hobmeier: Ich habe damals im Theaterkurs meiner Schule mitgearbeitet und wir machten grad "Andorra" von Max Frisch. Die Lehrerin hat mich dann darauf angesprochen, ob ich das nicht beruflich machen wolle. Ich dachte mir, was will die denn von mir? Sowas macht man doch nach der eigentlichen Arbeit, am Abend. Ich sah das damals als Hobby. Dieser Satz hat mich aber zum Nachdenken angeregt. Ich habe mir überlegt, wenn ich das machen würde, könnte ich etwas arbeiten, was mir Spaß macht. Bis dahin sah ich Arbeit immer als etwas an, was einem nicht gefällt, was man halt notgedrungener Weise tun muss. Und wo man grantig nach Hause kommt (lacht). Grantig komme ich aber auch jetzt manchmal nach Hause.

Ricore: Hätte Ihre Lehrerin diesen Satz nicht gesagt, welchen beruflichen Weg hätten Sie sich damals vorstellen können?

Hobmeier: In der dritten und vierten Klasse wollte ich Stewardess werden. Aber danach weiß ich es gar nicht mehr. Irgendwann hatte ich dann die Idee, Grafik-Design zu machen. Habe dann auch für einige Zeit in einer Grafik-Agentur gearbeitet. Ich wollte wahrscheinlich meine Liebe zur Kunst im kommerziellen Bereich kompensieren. Glücklicherweise habe ich das dann fallen gelassen und wurde gleich auf der Schauspielschule genommen.
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Brigitte Hobmeier in einer Szene aus "Tannöd"
Ricore: Waren Sie schon einmal am Punkt, wo sie gesagt haben, ich mag nicht mehr?

Hobmeier: Ja, natürlich. Manchmal wird es einem halt zu viel. Aber glücklicherweise gibt es immer einen nächsten Tag.

Ricore: Wie hangeln Sie sich dann wieder hoch?

Hobmeier: Einerseits ist natürlich meine Familie da. Andrerseits bin ich dann doch so ein Glückskind, dass ich hin und wieder Projekte haben darf, die mir wirklich was bedeuten und Kraft geben. Meine Rolle in "Tannöd" ist nicht so groß, aber meine Arbeit mit Bettina Oberli war für mich wahnsinnig bereichernd und hat mir Kraft gegeben, mich fallen lassen zu können. Ich wusste, dass sie schon auf mich aufpassen würde. Das ist für jeden Schauspieler ein Geschenk, dem man nur selten begegnet.

Ricore: Bringen Sie Thomas Ostermeier so ein ähnliches Urvertrauen entgegen?

Hobmeier: Ja, und das stärkt ungemein. Aber das alles ist natürlich immer im Fluss.

Ricore: Wenn Sie ein Projekt abschließen, gönnen Sie sich da eine Auszeit?

Hobmeier: Nach "Tannöd" bin ich gleich zurück ins Theater zu den Proben. Da gab es nicht viel Zeit zum Verarbeiten oder zum Nachdenken. Es stand gleich die nächste Arbeit vor der Tür.
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Tannöd
Ricore: Ihre Rolle in "Tannöd" ist kein leichter Tobak.

Hobmeier: Nein, wahrlich nicht. Es war keine Zeit, in der man schenkelklopfend durch die Gegend gelaufen ist. Wir waren am Berg und es war Winter. Das war schon sehr einsam da oben. Wenn man da alleine in seinem Hotelzimmer hockt, denkt man schon, hoffentlich habe ich ein gutes Buch mitgenommen, oder man bleibt eben vor dem Fernseher hängen und lässt sich berauschen.

Ricore: Nehmen Sie Ihren Erfahrungsschatz von vorherigen Filmprojekten mit in neue Arbeiten?

Hobmeier: Ja natürlich. Und zwar in dem Sinne, dass ich schaue, was hat geklappt oder ist schief gegangen. Wo liegt der Fehler, was kann man in der Kommunikation verändern oder verbessern? Ich versuche schon immer eine Art Repertoire für das nächste Mal zusammen zu stellen, damit ich jedes Mal noch hingehen kann.

Ricore: Sind Sie kritisch sich selbst gegenüber?

Hobmeier: Beim Film sieht man sich auf der Leinwand, beim Theater nicht, zum Glück! Ja, ich bin sehr kritisch. "Tannöd" habe ich mir sehr gerne angeschaut, ich war begeistert. Da konnte ich mich auch ertragen. Dadurch, dass Barbara in diesem Film immer den Blick und die Meinung anderer spiegelt, war das leicht. Das soll aber keine Ausrede sein. Barbara ist nie sie selbst. Sie existiert nur in der Erinnerung des Pfarrers oder anderer Dorfbewohner.

Ricore: Hat Sie das nicht verwirrt?

Hobmeier: Naja, es konnte alles mit einfließen. Beim Dreh war es schon so, dass ich mich ab und an gefragt habe, spiele ich die Barbara aus der Sicht des Jungen oder der Schwester der Magd. Das war toll. Dadurch konnte ich so viel Fremdes, das ich an mir gesehen habe, auch akzeptieren.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. November 2009
Zum Thema
Seit 1997 spielt die Münchnerin Brigitte Hobmeier am Theater, 2000 ist sie in ihrem ersten Film "Stiller Sturm" zu sehen. Nach der Gesangsausbildung an der Christian Stückl, Stefan Kimmig und Thomas Ostermaier. Sie wird für mehrere Preise nominiert und erhält unter anderem den Theaterpreis Faust als beste Schauspielerin, den Publikumspreis des Münchner Merkur.
Tannöd (Kinofilm)
Als 1922 eine ganze Familie auf einem Einödhof im bayerischen Hinterkaifeck ermordet wird, löst dies im ganzen Reich Angst und Schrecken aus. Bettina Oberli basiert "Tannöd" auf dem gleichnamigen, 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Roman von Andrea Maria Schenkel. In den weiblichen Hauptrollen sind renommierte Schauspieler wie Monica Bleibtreu, Julia Jentsch und Brigitte Hobmeier zu sehen.
2024