20th Century Fox
James Cameron
"Jeder Film braucht dunklen Seiten"
Interview: James Camerons schöne neue Welt
Lange Zeit war es still um einen der größten Blockbuster-Regisseure Hollywoods gewesen. Nach einigen Tiefsee-Expeditionen meldet sich James Cameron nun mit einer völlig neuartigen Produktion zurück, die die bisherige Technologie des Filmemachens auf ein neues Level bringt. In "Avatar - Aufbruch nach Pandora" mixt Cameron eine düstere Grundstimmung mit Momenten purer Schönheit - und alles im eigens geschaffenen 3D-Look, der ab Dezember die Kinoleinwände in dunkles Blau tauchen wird.
erschienen am 21. 12. 2009
20th Century Fox
James Cameron am Set von "Avatar"
Ricore: Ist es ein kühner Zug, sich etwas auszudenken, das man noch nicht umsetzen kann?

James Cameron: Das wurde mit Absicht gemacht. Ich hatte eine Visual Effects Firma gegründet und wollte daraus nicht unbedingt eine Service-Firma für andere machen. Ich wollte uns nach vorne bringen, richtig cooles Zeug machen und neue Technologie für CGI-Figuren verwenden. Ich habe mich 1991/92 mit Stan Winston zusammen getan, weil er dasselbe vorhatte. Aber dann wurden wir von all dem 2-D-Zeug abgelenkt. Wir haben "True Lies", "Apollo 13", "Titanic" und sowas gemacht. Das hatte nichts mit Weiterentwicklung zu tun. Deshalb wollte ich etwas schreiben, mit dem wir nach "Titanic" wirklich vorwärts kommen wollten. Es sollte etwas sein, das zu dem Zeitpunkt, wo es geschrieben wurde, designtechnisch noch nicht realisierbar war. Aber ich hab's nicht geschafft. Ich bin nicht nur ein Level höher gegangen, sondern gleich vier. In "Abyss - Abgrund des Todes" sind wir einen Schritt voran gekommen. Auch mit "Terminator 2". Den Kerl aus Flüssigmetall konnten wir gerade so umsetzen. Eine gute Metapher ist das Surfen. Ich kann nicht surfen, aber ich verstehe das Prinzip dahinter. Das Prinzip ist nämlich, du machst keine Wellen. Du kannst es nicht, es kostet zu viel Energie. Aber was du tun kannst, ist die Welle zu nutzen. Du kannst Energie nutzen, die sowieso da ist. Deshalb war das Timing von "Avatar" entscheidend. Das Gute ist, dass die Infrastruktur und die anderen Dinge, die wir für große Projekte geschaffen haben, es uns jetzt ermöglicht, alles zu machen. Beim nächsten Mal liegt der Fokus nicht mehr auf der Technologie, dem Prozess und der Vorbereitung. Ich würde gerne vier Jahre auf zwei zusammenschrumpfen. Das wird eine große Herausforderung.

Ricore: Zwölf Jahre nach "Titanic" liegt doch bestimmt ein großer Druck auf dem Film. Spüren Sie diesen oder ignorieren Sie ihn einfach?

Cameron: Nun, ignorieren kann man ihn nicht. Man muss sich bewusst sein, dass die Erwartungen groß sind. "Titanic" und "Avatar" sind wie Tag und Nacht. Es sind komplett unterschiedliche Filme, deshalb kann man sie nicht miteinander vergleichen. Man kann nur ihre Ergebnisse an den Kinokassen vergleichen. "Titanic" war ungewöhnlich, da er weltweit emotional berührt und eine lächerlich hohe Summe eingespielt hat. Dagegen kann man nicht antreten. Mit "Avatar" habe ich nach etwas gesucht, das mich genug herausfordert, um interessant zu sein. Da ich wusste, dass es ein großes und komplexes Projekt werden würde, musste es mein Interesse fesseln. Ein Gegensatz zu den Tiefsee-Expeditionen, die ich absolut geliebt habe. Für euch, die ihr das Film- und Popkulturgeschehen verfolgt, für euch war ich verschwunden. Aber das war ich natürlich nicht. Ich habe genau das gemacht, was ich schon immer machen wollte. Nach "Titanic" konnte ich mir das leisten. Ich habe sechs Tiefsee-Expeditionen gemacht. Rückblickend ist es wie ein Masterplan. Ich habe gelernt die 3D-Technologie zu bauen und damit zu arbeiten. Wir haben viel in 3D gedreht, einiges unter schwierigen Umständen. Deshalb wusste ich genau, was zu tun war, als ich die Live-Action Szenen für "Avatar" gedreht habe. Ich hatte in Neuseeland sechs Tage Zeit zur Vorbereitung, bevor wir mit dem Dreh angefangen haben. Normalerweise hat man 60 oder 90 Tage. Ich hatte nur sechs. Das ging, weil die ganzen Sets bereits vorab virtuell designt und nach Plänen gebaut wurden.
20th Century Fox
Avatar - Aufbruch nach Pandora
Ricore: Sie haben die Sets virtuell besichtigt und damit geprobt?

Cameron: Wir haben virtuell geprobt, bevor wir hinkamen. Die 3D-Dokumentationen haben mich auf die Live-Action-Szenen so gut vorbereitet, dass wir einfach anfangen konnten. Es war alles recht einfach und ich hatte ein bewährtes Team. Stan Winston hat etwas sehr Interessantes gesagt, als ich ihm das 3D-Material von den Dokumentationen zum ersten Mal gezeigt habe. Ich sagte, ich wolle einen 3D-Film machen, zum Einstieg etwas Kleines, auf dem ich aufbauen konnte. Und er sagte: Nein, setz deine größte und beste Idee um. Mach dein eigenes "Star Wars" daraus. Er war sofort begeistert von der Idee. Und ich fand, er hatte Recht.

Ricore: Haben Ihnen Ihre Taucherfahrungen die Vorstellung geliefert, wie Sie Pandora designen würden?

Cameron: Ich habe am Grund des Ozeans viele Dinge gesehen, die die Designs beeinflusst haben.

Ricore: Was zum Beispiel?

Cameron: Zum Beispiel die Biolumineszenz. Nicht nur bei Tiefseetauchgängen, sondern auch beim Tauchen in Korallenriffs. Die Farben, die Muster. Manche Dinge existieren tatsächlich, nur haben wir sie noch größer gemacht.

Ricore: Nach den Vorbereitungen, die sie getroffen haben, mit all den Designs, die Sie vorab gemacht haben, gab's eine Sequenz, die Sie besonders gefordert hat, oder haben Sie etwas weggelassen, weil es nicht umsetzbar war?

Cameron: Nein, wir haben nichts weggelassen, weil wir es nicht umsetzen konnten. Aber es gab eine Szene, für die wir zwei Jahre gebraucht haben, um zu wissen, wie wir sie drehen sollten. Es ist das Action-Finale, deshalb kann ich Ihnen nicht verraten, was es ist. Aber es waren Figuren in vier verschiedenen Größen involviert, die miteinander interagiert haben und alle von echten Schauspielern gespielt wurden. Es ist verrückt, wie schwierig das war. Aber wir wussten ja, dass es das Finale sein würde, deshalb war es den Aufwand wert. Und es ist ein Knüller.
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James Cameron am Set von "Avatar"
Ricore: Sie haben vor 14 Jahren angefangen, daran zu arbeiten und dann hatten Sie auf einmal alle Hände voll zu tun. Haben Sie nicht manchmal Angst, den Überblick zu verlieren?

Cameron: Ja, die Gefahr besteht. Das schwierigste an dem Job ist, sein Werk mit anderen Augen zu betrachten. Das ist bei jedem Film so. Man plant ihn, man schreibt ihn, man macht das Storyboard, man dreht ihn, man schneidet ihn, man mischt ihn ab, man macht die Musik. Man hat ihn 1.000 Mal gesehen, bevor man seine letzten Entscheidungen für den finalen Schnitt trifft. Wenn man denkt, dass das Publikum Dinge verstehen wird, die es unmöglich verstehen kann, weil man etwas rausgeschnitten hat, hat man verloren. Man kann übrigens auch an einen schönen Moment geschaffen haben und ihn kürzen müssen. Das ist eben etwas, was man lernen muss. Man lernt, sein eigenes Werk objektiv zu betrachten, es mit anderen Augen zu sehen. Sehen ist ein wichtiges Thema im Film. Die Na'vis benutzen den Ausdruck 'gamay', was soviel heißt wie 'Ich kann in dich blicken. Ich verstehe dich'. Sie setzen Sehen mit Verstehen gleich. Als Filmemacher muss man seine eigene Wahrnehmung unter Kontrolle haben. Für das Publikum ist das eine völlig neue Art und kein Franchise wie "Star Wars". Man baut etwas komplett Neues auf. Das ist schwierig. Bei den Dokumentationen hatte ich die Kamera und habe einfach alles gefilmt. Wenn ich gemerkt habe, da drüben passiert gerade etwas, hab ich mich umgedreht. Unsere virtuellen Tools haben mir das in der CGI-Welt möglich gemacht, mit dieser echten, instinktiven Qualität. Auch für die Schauspieler war es transparent, es ging also nur um ihre Performance. Die Ironie ist, dass Technologie die Technologie verschwinden lässt. Wir wollten Authentizität.

Ricore: Hat das Ihre Liebe zum Filmemachen wieder geweckt?

Cameron: Ja, ich denke schon. Es gibt jetzt so viele Möglichkeiten. Ich will immer raus und nach ganz vorne gehen. Vielleicht ist es meine Unsicherheit als Filmemacher, dass ich all das Zeugs haben will, um es den Leuten zu zeigen und sie zu beeindrucken. Aber das ist gut so. Es ist ein Win-Win-Geschäft. Ich werde von der Herausforderung angeturnt, und das Publikum vom Ergebnis.
20th Century Fox
Zoë Saldaña an der Seite ihrer großen Vorbilder: Sigourney Weaver und James Cameron
Ricore: Wir müssen also keine zehn Jahre auf den nächsten James-Cameron-Film warten?

Cameron: Nein. Ich habe darüber nachgedacht, weil ich wusste, dass diese Frage kommen würde. Ich habe es wirklich geliebt, diese Expeditionen zu machen. Es hat sieben oder acht Jahre gedauert, um in dem Bereich ernst genommen zu werden. Man hat mit Leuten zu tun, die rein gar nichts mit Hollywood zu tun haben. Sie erkunden das Weltall und die Ozeane auf institutioneller Ebene. Das sind Wissenschaftler. Es dauert eine Weile, bis sie respektieren, dass man nicht nur versteht, was sie tun, sondern dass man auch in ihrer Welt mitwirken kann. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir das aufgebaut hatte. Aber jetzt muss ich das nicht mehr machen. Ich kenne die Leute schon. Im Januar kann ich wieder auf eine Expedition gehen. Ich muss nicht mehr so lange wegbleiben. Bei mir läuft es so: Film, Expedition, Film, Expedition statt Film, Expedition, Expedition, Expedition, Expedition, Expedition, Film.

Ricore: Hat "Avatar" auch etwas Düsteres wie ihre anderen Filme oder gibt es mehr Hoffnung?

Cameron: Nein, ich bin immer noch der verdrehte Freak, der ich war, als ich "Terminator" geschrieben habe. Es gibt viel düsteres Zeugs in dem Film. Man wird erschlagen. Wenn man sich tiefer drauf einlässt, ist es eine emotionale Achterbahnfahrt. Man muss sich das Glück in diesem Film verdienen. Das macht einen Film auch aus. Bisher spricht jeder über die Welt, die Tiere und das Design, was natürlich toll ist. Aber es gibt auch eine Handlung. Die wird einem an die Nieren gehen. Sigourney Weaver hat den Film von ein paar Tagen gesehen und hat danach 15 Minuten geweint.

Ricore: Sie hat ihn in 2D gesehen?

Cameron: Ja, aber ich glaube nicht, dass 2D oder 3D die Wirkung der Geschichte beeinflusst. Die steht für sich alleine. Ich denke, jeder Film braucht seine dunklen Seiten, um die fröhlichen mehr zu schätzen. Das Besondere an dem Film, und einer der Gründe, warum ich davon so angetan war, ist die wahre Schönheit der Designs. Wir wollten die Intensität, den Terror und die Dunkelheit mit Momenten ausgleichen, die einfach nur die Schönheit zeigen. Die meisten Filme im Science-Fiction-Genre machen das nicht. Das sollten sie aber. Manchmal gelingt es ihnen auch. Aber ich wollte beides machen.
Buena Vista International
James Cameron
Ricore: Ihre Action-Sequenzen werden von den Figuren angetrieben. Es gibt dafür immer einen Grund. Sie machen Action nicht um der Action Willen.

Cameron: Man muss den Einsatz der Figuren in der jeweiligen Situation verstehen. Man muss mit den Figuren mitfühlen. Inzwischen wird nicht mehr linear geschnitten, man kann den Schnitt wieder ändern und verfeinern, immer kürzer schneiden und vertraut mit dem Schnitt werden. Die Filmemacher sehen ihre eigenen Action-Sequenzen so oft, dass sie schon vorher wissen, woher der Gegenstand im nächsten Bild kommt. Deshalb sehen sie dort hin. Aber das Publikum tut das nicht. Deshalb sehe ich mir alle Action-Sequenzen verkehrt herum in einem Spiegel an. Dann sind die Gegenstände nicht mehr da, wo man sie immer gesehen hat. Man merkt, wie sehr man von seinem eigenen Sehprozess abhängt. Deshalb muss man in der Lage sein, sein eigenes Zeug mit anderen Augen zu sehen, um die Reaktionen des Publikums vorherzusehen. Das ist eine Kunst, hat aber auch viel mit Disziplin zu tun.

Ricore: Als Sie durch den Filterungsprozess gingen, haben Sie Überraschungen erlebt, die Sie nicht vorhergesehen hatten...

Cameron: Ja, hier eine große Überraschung: Wir haben ein Screening für unsere Freunde und Familie gemacht. 20, 30 Leute, die sich nicht damit auskannten, obwohl sie wussten, dass wir den Film machen. Keiner von ihnen hat bemerkt, dass die Avatars vier Finger haben und die Na'vis drei. Oder fünf und vier, wenn man die Daumen als Finger mitzählt. Sie haben das den ganzen Film über nicht bemerkt. Es ist auch nicht weiter wichtig, aber das gehört zu den kleinen Dingen, von denen man annimmt, dass das Publikum das auf jeden Fall bemerkt. Deshalb muss man immer aufmerksam verfolgen, was das Publikum sagt. Wir haben bisher noch kein direktes Feedback bekommen, aber wir werden definitiv darauf achten. Immerhin wollen wir die beste Version des Filmes abliefern.

Ricore: Werden Sie ein Franchise daraus machen?

Cameron: Ich denke schon. Wir müssen die Zeit aufrechnen, die es dauert, so einen Film zu machen. Aber das könnte die nächste technische Herausforderung sein. Wir wissen jetzt, wie man es machen muss. Jetzt könnten wir lernen, wie man es schneller und einfacher gestaltet. Aber man darf nicht vergessen, dass wir jedes einzelne verdammte Ding, das man sieht, geschaffen haben. Beim nächsten Mal existiert Jake bereits, das Innere existiert, der Wald existiert. Darauf können wir alles aufbauen. Es wird in den folgenden Filmen andere Welten geben. Sollten wir mit dem Film Geld machen, wird es noch einen geben. Ganz einfach.
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Sigourney Weaver umarmt Erfolgsregisseur James Cameron
Ricore: Fast so berühmt wie ein James-Cameron-Film ist die James-Cameron-Special-Edition. Wird das, was wir im Kino zu sehen kriegen, die finale Fassung sein?

Cameron: Wahrscheinlich, weil die Szenen, die weggefallen sind, nicht mehr auf das Realbild-Level fertiggestellt werden. Aber wir können sie auf die DVD packen. Das wird interessant sein. Die Szenen existieren in ihrer Vorlage, aber nicht im endgültigen Look. Es wird auch kein Geld geben, um sie fertig zu stellen. Deshalb ist es kein Material, das man einfach nur rausgeschnitten hat.

Ricore: Hätten Sie alles in Performance Capture machen können? Und warum haben Sie sich entschieden, Teile davon in Live-Action zu drehen?

Cameron: Eigentlich kam es mir nie in den Sinn, die Dinge, die wir jetzt in Live-Action gemacht haben, nicht in Live-Action zu drehen. Viele missbrauchen die CG-Möglichkeiten. Wenn ich einen Schauspieler auftreten und seine Zeilen sagen lassen kann, dann mache ich das auch. Ich denke, man wird es zu schätzen wissen, dass wir es nicht anders gemacht haben. Hätte ich jemandem blaues Make-Up verpassen und aus ihm eine CG-Figur machen sollen? Vielleicht, aber es würde nicht so gut aussehen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Dezember 2009
Zum Thema
Er ist Kanadier. Und doch kann man sich Hollywood nicht mehr ohne ihn vorstellen. Als James Cameron im Teenageralter Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" sah, wusste er, dass er sowas auch einmal machen wollte. Vor allem die Special Effects erregten sein Interesse. Mit "Terminator" feierte er 1984 seinen Durchbruch, mit "Titanic" schrieb er 1997 Filmgeschichte. Nach einer längeren Hollywood-Pause, in der er sich dem Tiefseetauchen und Naturdokumentationen widmete, feiert er mit..
Bereits in den 1990er Jahren entwickelt James Cameron ("Titanic") die Idee zu einem farbenprächtigen Abenteuerspektakel "Avatar - Aufbruch nach Pandora". Aber erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts sah er die Zeit gekommen, um mit den technischen Möglichkeiten seine Vision von Pandora umzusetzen. Ins Zentrum der Handlung steckt er einen querschnittsgelähmten, von der Welt und dem Leben enttäuschten jungen Mann. Mit seinem Avatar lernt er auf Pandora neue Lebensfreude kennen. Allerdings stürzt ihn..
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