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Florian Lukas als Bergsteiger in "Nordwand"
Ehrenmord und Unterdrückung
Interview: Florian Lukas - der Mann fürs Feine
Florian Lukas war schon immer der Mann im Hintergrund. Oft spielt er kleine, akzentuierte aber wichtige Nebenrollen. Auch in Feo Aladags Spielfilmdebüt "Die Fremde" übernimmt er eine Nebenrolle die es in sich hat. Wir trafen den 37-Jährigen zu einem Gespräch während der Berlinale 2010. In der Sektion Panorama lief der Film mit gutem Echo. Mit uns sprach er über Ehrenmorde in Deutschland und darüber, wie sich seine Sicht über türkische Mitmenschen im Laufe der Zeit verändert hat.
erschienen am 11. 03. 2010
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Florian Lukas in "Warten auf Angelina"
Ricore: Die Rolle in "Die Fremde" passt sehr gut in das Rollenbild Ihrer bisherigen Karriere. Wonach suchen Sie sich Ihre Rollen aus?

Florian Lukas: Oft sind es Figuren, die kämpfen, die sich nicht so schnell aufgeben und die für Ihren Standpunkt eintreten. Das ist die Art von Figuren, die ich mag. Aber auf "Die Fremde" trifft das so nicht zu. Mich hat das Drehbuch berührt. Das Thema beschäftigt mich auch privat. Ehrenmord wird gerade in Deutschland extrem diskutiert. Ein Film kann dazu beitragen, über solche Probleme zu reden. Nicht nur, um andauernd Proteste von beiden Seiten auszulösen, sondern auch um zu sehen, in welchen Zwängen türkische Familien stecken.

Ricore: Ehrenmorde sind ein sensibles Thema.

Lukas: Ich finde das Thema in "Die Fremde" schön beschrieben und umgesetzt. Es wird auf niemanden mit dem Finger gezeigt und versucht, für alle Seiten eine Art von Verständnis zu wecken. Was dennoch übrig bleibt ist, jeder sollte in Deutschland die Freiheit haben, sein Leben so zu leben wie er möchte, egal wo er herkommt und was er für kulturelle oder religiöse Hintergründe hat. Das fand ich spannend. Ich bin ein Fan von Sibel Kekilli. Sie hat die Rolle toll gespielt. Und eigentlich hätte sie dafür den goldenen Bären verdient. Dass sich Feo Aladag in ihrem ersten Kinofilm diesem Thema widmet und sich derart engagiert, müsste ausreichen, um bei so einem Festival dabei zu sein.

Ricore: Glauben Sie, dass "Die Fremde" helfen kann, zur Verständigung zwischen den Kulturen beizutragen, nicht nur zwischen Deutschen und Türken?

Lukas: Das ist zu hoffen. Es ist natürlich schwer, so etwas auf einen Film festzulegen. Aber es kann ein kleiner Mosaikstein in einer Diskussion sein, die sich eben nicht nur auf Proteste beschränkt. Wenn sich jemand zu einem solchen Thema äußert und dann tagelange Proteste in zahlreichen Medien folgen, geht mir das wahnsinnig auf den Keks. Das führt zu keiner Problemlösung.
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Benno Fürmann, Florian Lukas in "Nordwand"
Ricore: Kennen Sie einen Fall von Ehrenmord?

Lukas: Ich kenne ähnliche Geschichten aus streng katholischen Verhältnissen. Dabei geht es vielleicht nicht um Ehrenmord, aber auch hier werden Frauen von ihren Familien ausgegrenzt. Sie werden unter Druck gesetzt, die religiösen und kulturellen Erwartungen ihrer Familien zu erfüllen. Vielleicht hilft es manchen Frauen, einen anderen Weg zu gehen, ohne dass es in einem Drama endet wie in unserem Film. "Die Fremde" ist vielleicht nicht der Auslöser, aber ein kleiner Stein, dass junge Frauen Mut finden, darüber nachdenken, ihr Leben so zu leben wie sie es möchten.

Ricore: "Die Fremde" ist ein universeller Film, wenn man das Thema Ehrenmord beiseite lässt. Es geht um Liebe, um Identitätssuche.

Lukas: Das kann ich nur bestätigen. Natürlich spielt der Film nicht umsonst in diesem Milieu, schließlich wohnen in Deutschland viele türkische Familien und das Thema ist hier präsent. Aber es geht ja um einen Industriellensohn, an den Erwartungen gestellt werden, die er nicht erfüllen will. Solche Zwänge gibt es in allen Kulturkreisen und allen sozialen Schichten.

Ricore: In diesem Zusammenhang taucht oft der Begriff europäisches Kulturbewusstsein auf. Sehen Sie sich als europäischen Bürger?

Lukas: Ich weiß nicht, wie ich das definieren würde. Wir haben in Europa das Glück in einer relativ freien Gesellschaft zu leben. Das sollte man verteidigen. Ich finde es gut, dass wir die Freiheit haben, so zu leben wie wir wollen. Ich komme aus Ostberlin und hatte das Glück, dass die Mauer gefallen ist, als ich 16 Jahre alt war. So wurde mir nicht von einem Staat vorgeschrieben, wie ich zu leben habe. Das haben wir in Europa, Nordamerika und einigen anderen Teilen der Welt als Exklusivrecht.
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Die Fremde
Ricore: Hatten Sie schon mal das Gefühl unter einem Zwang zu stehen?

Lukas: Klar, bis ich 16 Jahre alt war, hatte ich das Gefühl, unter einem Zwang zu stehen, Erwartungen von der Gesellschaft und Funktionären erfüllen zu müssen. Da einen eigenen Weg zu finden, wäre teilweise existentiell bedrohlich gewesen. Die wenigsten Menschen trauen sich das. Aber jetzt bin ich froh, dass ich meine Meinung frei äußern kann, ohne dass mir irgendjemand wie Staat, Familie oder Religionsgemeinschaft etwas vorschreiben kann.

Ricore: Gab es einen ausschlaggebenden Punkt, dass Sie sich für die Schauspielerei entschieden haben?

Lukas: Auf eine Art und Weise schon. In der DDR hätte ich keine Schauspielausbildung machen können, ohne vorher drei Jahre zur Armee zu gehen. Jetzt kann ich meinen Beruf einfach so ausüben, ohne staatlich geprüfter Schauspieler zu sein. Ohne Schein durfte man nicht einmal Gitarre auf einer Bühne spielen. Ich hätte mein Leben, so wie ich es heute lebe, nicht leben können. Und was dann aus mir geworden wäre, will ich mir gar nicht ausmalen.

Ricore: Sind Sie ein politischer Mensch?

Lukas: Ich sehe mich eher als politisch interessierten Menschen. Ich verfolge die Diskussionen zu allen möglichen Themen.

Ricore: Gibt es ein Rezept für multikulturelles friedliches Zusammenleben?

Lukas: Ich finde man sollte sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Das ist die Sprache. Wenn man nicht eine gemeinsame Sprache spricht, ist es sehr schwer, zusammen zu kommen. Ich halte es sogar für nahezu unmöglich. Aber Film und Sport sind Elemente, die verbinden können.
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Florian Lukas und Sibel Kekilli in "Die Fremde"
Ricore: In den letzten Jahren gab es immer wieder Werke, die sich mit kulturellen Differenzen beschäftigt haben, wie "Hass" oder jetzt "Die Fremde". Glauben Sie, dass dadurch Menschen in ihrem Kulturbewusstsein langsam umdenken?

Lukas: Ja ich glaube, dass das dazu beiträgt. Bis vor zehn Jahren, als ich nach Kreuzberg gezogen bin, ist das Thema totgeschwiegen worden. Die Türken haben sich auf ihre 40-jährige "Wir sind hier nur Gastarbeiter und uns wollte keiner"-Position zurückgezogen und die Deutschen haben sich dafür nicht interessiert. Die Probleme sind aber offensichtlich. Es ist gut, dass in den letzten Jahren endlich eine öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist. Man sollte ohne Angst, dass man als ausländerfeindlich oder deutschfeindlich abgestempelt wird, seine Meinung sagen können. Solche Projekte wie "Die Fremde" sind letztlich multikulturell, weil Menschen von verschiedenen Nationen daran mitgewirkt haben. Wir vertreten unsere Meinung gemeinsam mit so einem Film.

Ricore: Machen Sie sich vorher Gedanken, welche Reaktionen ein Film hervorrufen könnte, wenn Sie eine Rolle annehmen?

Lukas: Das kann man generell nicht sagen. Ich drehe ja auch leichte Komödien. Das ist Entertainment und nicht mehr. Die Zuschauer gehen nach eineinhalb Stunden raus und hatten ein schönes Gefühl. Aber bei einem Film wie "Die Fremde" hofft man natürlich, dass es Reaktionen geben wird.

Ricore: Sie sind relativ kurzfristig zu dem Projekt gekommen. Wie ist das gekommen?

Lukas: Ich wurde eingeladen. So einfach war das. Aber ich schätze die Frauen, die mitgewirkt haben. Kamerafrau Judith Kaufmann, Ausstatterin Silke Buhr, natürlich Sibel Kekilli und Feo Aladag, sie alle sind wahnsinnig tolle Frauen. Sie haben sogar ihren Drehplan wegen mir geändert, da ich nur sechs Tage Zeit hatte.
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Florian Lukas in "Warten auf Angelina"
Ricore: Nehmen Sie aus Ihren Figuren immer etwas mit?

Lukas: Oft. Die Beschäftigung mit einem bestimmten Thema interessiert und inspiriert mich am Filmemachen. Ich habe schon die tollsten Leute kennengelernt und mich in den tollsten Kreisen bewegen dürfen. Anders als beim Theater, wo man eigentlich immer nur theoretisch um ein Thema kreist. Ich habe so viele Orte gesehen in den 20 Jahren, in denen ich das jetzt mache. Je praktischer ich mich mit einem Thema in der Vorbereitung beschäftigen kann, umso schöner.

Ricore: In "One Day in Europe" waren Sie auch schon in der Türkei.

Lukas: "Die Fremde" war ein schöner Anknüpfungspunkt zu "One Day in Europe", der bei der Berlinale im Wettbewerb lief. Als ich nach Kreuzberg gezogen bin, hat sich meine Meinung über die türkische Gemeinschaft hier nicht gerade verbessert, das muss ich zugeben. Und dann in die Türkei nach Istanbul zu reisen und zu sehen, das ist die Türkei, das sind frei denkende Menschen, die teilweise liberaler miteinander umgehen als in Berlin, hat mein Bild über die Welt und speziell über Türken verändert. Solche Erlebnisse inspirieren.
erschienen am 11. März 2010
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Die Fremde (Kinofilm)
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