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Dani Levy
Der Mensch: Ein mysteriöses Universum
Interview: Deutsch-jüdische Familiengeschichte
Das seit dem zweiten Weltkrieg angespannte Verhältnis zwischen Juden und Deutschen ist Regisseur Dani Levy schon lange ein Dorn im Auge. Mit "Alles auf Zucker!" versucht der gebürtige Basler die Beziehung zwischen den beiden Völkern zu entspannen. Mit viel Witz und Political Incorrectness schildert er das Leben einer deutsch-jüdischen Familie. In Zürich erzählte er uns wie die Idee zu der Geschichte entstand und wie schwer es war, sie ins Kino zu bringen.
erschienen am 30. 12. 2004
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Lässt sich von Vorurteilen nicht aus der Ruhe bringen
Ricore: Wie ist die Idee zu "Alles auf Zucker!" entstanden?

Dani Levy: Ich lebe seit 1980 in Deutschland und realisiere, dass das Verhältnis vieler Deutsche zu jüdischen Mitmenschen extrem heikel ist. Das Thema Judentum ist in Deutschland hochgradig vorbelastet. Der deutsche Durchschnittsbürger hat gegenüber dem jüdischen Volk unbewusst ein schlechtes Gewissen. Ich möchte ein Stück der Fremdheit und Distanz zwischen Deutschen und Juden beseitigen, ihr Verhältnis untereinander entspannen. Mein Publikum soll spüren, dass die jüdischen Figuren genauso widersprüchlich, angreifbar, liebenswert und gleichzeitig auch bemitleidenswert sind, wie andere Menschen auch. Der Zuschauer soll über Dinge lachen können, die in einem anderen Kontext absolut schäbig und dreckig gewesen wären. Natürlich soll es dabei nicht auf Kosten der Protagonisten lachen, sondern mit Ihnen.

Ricore:War es schwierig, die Geschichte an den Mann zu bringen?

Levy: Es war schwieriger, als ich dachte. Die Fernsehsender reagierten mit Abwehr, Zögern und ängstlichem Abwarten. Ich merkte schnell, dass es nicht selbstverständlich ist, einen Film über Juden in Deutschland zu zeigen- vor allem nicht zur Hauptsendezeit im Fernsehen oder gar im Kino. Ich bin froh, dass sich das Warten und die vielen Diskussionen am Ende gelohnt haben.

Ricore: Wie lange dauerte es, bis die Geschichte schließlich verkauft war?

Levy: Ungefähr ein - bis eineinhalb Jahre. Ich hätte wirklich nie gedacht, das es so schwierig ist, diesen Film zu realisieren. Viele Fernsehsender lehnten das Projekt ab, da ihre Zuschauer es nicht gewöhnt sind mit Minderheiten - Juden, Schwulen, Türken und so weiter - konfrontiert zu werden. Ich finde, dies einen gefährlichen Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt. Medienpolitisch wird ja erst eine grössere Akzeptanz gegenüber Minderheiten eingeführt, wenn etwas im Fernsehen oder Kino stattfindet.
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Liebevoll und unzynisch: Dani Levy und Henry Hübchen
Ricore: Wurden Sie mit der Kritik konfrontiert, dass man diese Geschichte, die das jüdische Leben teilweise aufs Korn nimmt, so nicht zeigen kann?

Levy: Nein, soweit ich weiß nicht. Mir war nur wichtig, den Segen meiner Eltern, meiner Schwester und meines Schwager zu bekommen, die alle ein bewusst jüdisches Leben führen. Ich wollte mich nicht verlaufen und irgendetwas machen, dass am Ende zwielichtig oder kurios ist. Mir war es auch ein Anliegen, dass die jüdische Gemeinde von Berlin hinter dem Projekt steht und sich von ihm in humoristischer Art und Weise repräsentiert fühlt. Die Gemeinde stellte uns ja ihre Räumlichkeiten für die Dreharbeiten zur Verfügung.

Ricore: Kann nur ein Jude einen derartigen Film machen?

Levy: Ich denke, es ist keine Bedingung, dass man aus dem eigenen Nähkästchen plaudert. Ich bin da nicht so dogmatisch. Aber es hilft, wenn man Insiderwissen hat und weiss, wovon man erzählt. Ich habe bisher auch versucht, in allen meinen Filmen Geschichten zu erzählen, die ich von innen her kenne, nachfühlen kann und für die ich auch - ohne dass es nun autobiografische Geschichten sind - einen grossen Erfahrungsreichtum habe. Die Haltung, die hinter einem Film steht, finde ich eigentlich viel wichtiger, als dass man "authentisch" aus der Szene oder Kultur ist, aus der man berichtet. Ich finde es viel wichtiger, dass man liebevoll und unzynisch Figuren zeichnet, die glaubwürdig und menschlich sind.

Ricore: Auch das Theaterstück "Freie Sicht aufs Mittelmeer", dass Sie diesen Herbst in Basel inszenierten, handelt von zwei entfremdeten Brüdern. Beschäftigt Sie dieses Thema?

Levy: Offensichtlich ja, ich weiß aber selbst nicht so genau warum. Das Theaterstück in Basel ist aus der Idee genährt worden, dass ich als Plattform Schillers "Die Räuber" verwende. Mir gefällt seine Geschichte über zwei Brüder, die in zwei verschiedenen Glaubenssystemen aufwuchsen - der eine ist Kommunist, der andere Jude. Ich liebe Geschichten über die Familie, da sie ein wichtiges gesellschaftliches Element ist. Die tragisch-komischen Beziehungen, die Verwandte mit einander verbinden, verhalten sich bei allen Kulturen gleich. Der Mensch ist einfach ein grosses, mysteriöses Universum von Beziehungen, die sich primär aus der Familie gestaltet.
erschienen am 30. Dezember 2004
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Dani Levy beginnt seine Künstlerkarriere als Clown in einem Jugendzirkus. Mit 20 Jahren tritt der am 17. November 1957 in Basel geborene Schauspieler erstmals im Theater Basel auf. 1979 reist er in die USA, wo er zwei Jahre als Vagabund umherzieht. Als er nach Europa zurückkehrt, wird er Filmemacher. Bei seinem Spielfilmdebüt "Du mich auch" schreibt er das Drehbuch gemeinsam mit seiner Schauspielkollegin und damaligen Lebensgefährtin Anja Franke. Mit Tom Tykwer, Wolfgang Becker und Stefan..
2024