Sony Pictures
Rebecca Hall in "Please Give"
Zierliche Brünette in den Weiten der USA
Interview: Miststück Rebecca Hall
Rebecca Hall weiß was sie will: Figuren mit Konflikten, gespaltene Persönlichkeiten und gute Regisseure. Bisher hat sie alle drei Dinge unter einen Hut gebracht. Dank Woody Allens "Vicky Cristina Barcelona" wurde sogar Independent-Regisseurin Nicole Holofcener auf sie aufmerksam und engagierte sie für ihre berührende Tragikomödie "Please Give". Darin agiert sie an der Seite von Catherine Keener, die in Rebeccas Augen die beste Schauspielerin ist. Was uns die lustige Britin noch so erzählt, und warum sie glaubt, sie sei ein Miststück, lesen Sie in unserem Interview.
erschienen am 7. 07. 2010
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Rebecca Hall in "Please Give"
Ricore: Hatten Sie schon Gelegenheit, Berlin zu besichtigen?

Rebecca Hall: Ich bin vorgestern hier angekommen und hatte einige Stunden Zeit. Das Festival war so freundlich, mir ein Auto samt Chauffeur zur Verfügung zu stellen. Ich hatte einen Fahrer namens Thomas. Er hat mich lange herumgefahren und mir alle Sehenswürdigkeiten gezeigt und was dazu erzählt. Eine großartige Tour. Er hat mich zum Checkpoint-Charlie-Museum gebracht, das habe ich mir dann angesehen.

Ricore: Thomas hat also einen guten Job gemacht.

Hall: Und wie, ohne Thomas wäre ich aufgeschmissen gewesen. Ich wünschte mir, ich hätte mehr Zeit hier in Berlin. Ich würde mir gerne all die tollen Museen anschauen. Aber ich muss leider nach London zurück.

Ricore: Wie kamen Sie zu diesem Projekt?

Hall: Das war ziemlich mysteriös (lacht). Ich habe zuvor "Vicky Cristina Barcelona" gedreht und danach kam "Frost/Nixon". Alle brachten mich mit diesen beiden Filmen in Verbindung. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass Nicole Holofcener auf mich aufmerksam geworden wäre, gäbe es diese Filme nicht. Sie hätte sicher gesagt, ich sei nicht für die Rolle der Rebecca geeignet. Aber ich hatte Glück (lacht).

Ricore: Warum glauben Sie das?

Hall: Nun, ich denke, dass sie sehr sensibel gegenüber ihren Schauspielerinnen ist. Sie fühlt, ob jemand in die Rolle passt oder nicht. Ich erinnere mich noch, dass ich ihr ein Ticket für die Premiere von "Vicky Cristina Barcelona" in Los Angeles besorgt habe. Nachdem der Film aus war, lehnte sie sich zu mir herüber und meinte: "Wenn du willst, kannst du ein ganz großer Filmstar werden." Sie sagte das aber in einem etwas herablassenden Ton. Auch als wir uns das erste Mal getroffen haben, meinte sie zu mir: "Oh nein, du bist zu glamourös. Für diese Rolle brauche ich jemand, der fett und pickelig ist." Ich antwortete ihr, dass ich zu allem bereit sei.
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Rebecca Hall: bürgerlich, normal, bodenständig
Ricore: Wirklich? Sie wären zu allem bereit?

Hall: Nun ja, ich würde meine Haare schneiden und solche Dinge (lacht).

Ricore: In "Please Give" wurde Ihre Schönheit durch die Kostüme ruiniert...

Hall: Ja, ja, die Kostüme (lacht). Die richtige Garderobe zu finden, war ganz schön schwer. Glauben Sie mir. Ich will nicht sagen, dass die Rolle harte Arbeit war. Das war sie nicht. Ich habe nicht mal Make-up getragen. Aber die passende Kleidung zu finden, war echt schwer. Entweder hat es nicht zu meiner Filmfigur gepasst, oder es war nicht die richtige Größe da. Zuletzt war es so, dass ich mich in meiner eigenen Haut sehr unwohl fühlte. Das provozierte allerdings genau die richtigen Gefühle, die ich benötigte, um meiner Figur die nötige Tiefe zu geben. Das war sehr wichtig. Teilweise wünschte sich Rebecca ja, komplett vom Erdboden zu verschwinden.

Ricore: Glauben Sie, dass Menschen, die sich unwohl in ihrer Haut fühlen, großzügiger gegenüber anderen sind?

Hall: Sie haben gewissermaßen Recht. Es gibt viele Menschen wie Rebecca, die ihr ganzes Leben dem Wohl anderer widmen. Auf den ersten Blick ist das lobenswert. Doch ab einem bestimmten Punkt ist es auch ungesund und egoistisch. Ich sehe darin eine Art Selbstverteidigung, um Verantwortung jeglicher Art zu vermeiden, um keine vollständige Persönlichkeit zu werden und um nicht mit beiden Beinen in der Welt zu stehen. Ich finde, wenn man so handelt wie Rebecca, fehlt einem Individualität. Man versteckt sich hinter dieser Mauer der Selbstaufgabe.

Ricore: Amanda Peets Rolle ist das genaue Gegenteil Ihrer Filmfigur...

Hall: Ich glaube, dass sich beide in Wahrheit sehr ähnlich sind. Ihre Mutter hat Selbstmord begangen hat. So etwas prägt. Sie sind beide unsicher in ihrer Art, gehen aber anders damit um. Beide sind auf der Suche nach sich selbst und um sich zu schützen, haben sie mit der Zeit eine Mauer um sich herum aufgebaut. Sie sind auf der Suche nach etwas, wissen aber selbst nicht genau, was es ist. Und ich finde, genau darum geht es in "Please Give": Über das Schweigen grundlegender Dinge und Bedürfnisse.
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Rebecca Hall ungeschminkt in der Independent-Komödie "Please Give"
Ricore: Fällt es Ihnen leichter, Figuren zu spielen, die Ihnen ähnlich sind?

Hall: Ich weiß es nicht. Ich finde es am Schwierigsten, wenn ich mich selbst spielen muss. Es ist nicht leichter, fremde Personen zu verkörpern, es ist einfach nur interessanter. Nichts desto trotz muss mir die Figur gefallen, sie muss mich ansprechen und ich muss Gefühle für sie entwickeln, egal welcher Art. Ob sie mir nun ähnlich sind oder nicht, ist kein Kriterium, eine Rolle anzunehmen. Tatsächlich macht es die Sache einfacher, wenn man objektiv ist. Das ist die Basis der Schauspielerei.

Ricore: Wird Ihnen Ihre Figur im Verlauf der Dreharbeiten sympathischer?

Hall: Ja, die Zuneigung nimmt tatsächlich zu. Aber das ist ganz klar, schließlich beschäftigt man sich intensiv mit der Figur. Als ich das erste Mal über Rebecca in "Please Give" gelesen habe, habe ich sie sehr gemocht.

Ricore: Warum?

Hall: Nun ja, sie ist sehr ruhig und zurückgezogen, dennoch geschieht in ihrem Leben sehr viel. Das finde ich höchst interessant. Denn schließlich ist Film ein individuelles Medium. Es ist immer eine Herausforderung, emotionsgestörte Personen mit Konflikten darzustellen. In diesem Fall ohne Worte. Auf der Bühne ist das noch einmal etwas anderes.

Ricore: Was war der berührendste Moment?

Hall: Oh, es gab so viele davon. Tatsächlich aber sagt Catherine Keener gegen Ende des Films: "You're Welcome!". Nicht mehr und nicht weniger. Aber wie sie es sagt: Das beschreibt ihre ganze Mutter-Tochter-Beziehung. Jedes Mal wenn ich diese Szene sehe, berührt es mich immens. Was sie in diese zwei Worte hineinlegt, ist unglaublich. Ich finde, dass Catherine eine der besten Schauspielerinnen unserer Zeit ist. Sie ist emotional und portraitiert ihre Figuren unglaublich detailliert. Ich wünschte, ich hätte mehr mit ihr drehen können. Die Art wie sie spielt und Dinge an uns weitergibt, ist einfach großartig.
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Rebecca Hall in "Please Give"
Ricore: Unterscheidet sich die Art zu arbeiten mit einer weiblichen Regisseurin?

Hall: Nein, es ist anders, wenn man mit einem guten Regisseur oder einer guten Regisseurin arbeitet (lacht).

Ricore: Das passiert Ihnen oft, nicht wahr?

Hall: Ja, ich klopfe jetzt auf Holz, aber bisher hatte ich tatsächlich das Glück, mit vielen guten Regisseuren zu arbeiten.

Ricore: Wie war die Arbeit mit Woody Allen?

Hall: Er hat ein Demo-Band von mir erhalten, und mich daraufhin eingeladen. Ich bin ins Zimmer gegangen, er fragte mich, ob ich einen amerikanischen Akzent imitieren könne, ich sagte ja. Und er meinte dann: "Ok!". Das war alles. Er kannte nichts von mir. Ich weiß, die Geschichte klingt unglaublich, aber sie ist wahr. Das Angebot kam aus heiterem Himmel. Das passiert einem nicht oft. Zwei Wochen später rief er an und fragte mich, ob ich die Rolle übernehmen könne. Das war alles. Ich meine, ich bin nicht gläubig, aber das war schon sehr außergewöhnlich und ich bin natürlich sehr froh, dass dies geschehen ist (lacht).

Ricore: War es nicht schwierig, zwischen Penélope Cruz und Scarlett Johansson zu agieren?

Hall: Sie meinen, zwischen diesen unglaublich schönen, attraktiven und guten Schauspielerinnen (lacht)? Nein, eigentlich nicht. Das Gute beim Drehen ist, dass weder die öffentliche Aufmerksamkeit noch der Respekt zählt, den man anderen gegenüber mitbringt. Wenn man an den Set kommt, macht man sich Gedanken über die Rolle, über die Szenen, die anstehen, nicht über die Presse. Andrerseits war der Set von "Vicky Cristina Barcelona" auch einschüchternd. Alle kannten sich untereinander und ich dachte mir, wer zum Teufel bist du denn? Nichtsdestotrotz waren alle sehr herzlich zu mir und haben mich in ihrem Kreis aufgenommen.
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Please Give
Ricore: Bei Woody Allen haben Sie eine Affäre, bei Nicole Holofcener spielen Sie das brave Mädchen. Wie sind Sie wirklich?

Hall: Ich bin ein Miststück (lacht)!

Ricore: Gute Antwort.

Hall: Nein, natürlich nicht.

Ricore: In Ihrem neuen Film "The Town" müssen Sie sich zwischen einem Banker und einem Kriminellen entscheiden. Was zieht Sie mehr an?

Hall: Ich weiß es nicht. Hmmm - ein Abenteurer vielleicht. Ich meine, ich lebe seit Jahren aus dem Koffer und kann nicht wirklich etwas Stabiles bieten.

Ricore: Ben Affleck führt bei "The Town" Regie. Haben Sie den Film schon gesehen?

Hall: Nein noch nicht, aber ich bin schon sehr gespannt. Ben Affleck ist ein sehr guter Regisseur. Er denkt gleichzeitig wie ein Regisseur und ein Schauspieler. Er weiß, dass er Sicherheit ausstrahlen muss, damit sich seine Leute wohl fühlen. Darin ist es sehr gut.

Ricore: Sie spielen darin erneut ein All-American-Girl. Warum?

Hall: Bitte, ich habe vor kurzem auch eine Prostituierte gespielt (lacht). Darin bin ich sogar blond! Ich weiß aber nicht, warum mich die Amerikaner so lieben. Ich habe immer interessante Rollen angeboten bekommen von Regisseuren, mit denen ich schon immer zusammen arbeiten wollte.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 7. Juli 2010
Zum Thema
Die britische Schauspielerin Rebecca Hall ist Tochter von Theaterregisseur Peter Hall und Schauspielerin Maria Ewing. Sie brach ihr Studium an der Cambridge University ab, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen. Bereits als Kind übernahm sie kleinere Rollen im britischen Fernsehen. Seit 2006 ist sie auch in internationalen Kinoproduktionen wie Woody Allens "Vicky Cristina Barcelona" oder "Prestige - Die Meister der Magie" zu sehen.
Please Give (Kinofilm)
Darf man sein luxuriöses Leben genießen, wenn vor der Tür die Not herrscht? Nicole Holofcener strickt ihre Komödie "Please Give" um dieses ethische Problem. Entstanden ist kein Drama, sondern eine leise Komödie über vier Charaktere, die sich im New Yorker Dschungel durchkämpfen und die trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung auf der Suche nach dem ganz persönlichen Glück sind. In der Hauptrolle ist Indie-Schauspielerin Catherine Keener zu sehen, die bereits zwei Mal für einen Oscar nominiert..
2024