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Shirin Neshat
Women without Men - Politik und Poesie
Interview: Künstlerin Shirin Neshat
Mit "Women without men" hat die international renommierte Videokünstlerin Shirin Neshat ein beeindruckendes Spielfilmdebüt inszeniert. Das Drama basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage von Shahrnoush Parsipour. Es behandelt eine wichtige Periode in der iranischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Damals wurde durch die Intervention der USA und Großbritanniens die erste demokratische Periode des Iran gewaltsam beendet. Neshat verknüpft die politischen Ereignisse mit dem Schicksal von vier Frauen und findet dabei poetische Bilder von großer suggestiver Kraft.
erschienen am 29. 06. 2010
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Women without men
Ricore: Der Film greift eine wichtige Periode der Geschichte Irans auf. Es gab eine kurze demokratische Periode, die durch die Einmischung der amerikanischen und britischen Regierungen beendet wurde. Nichtsdestotrotz sind diese Ereignisse in der Welt nicht besonders bekannt. Wie erklären Sie sich das?

Shirin Neshat: Um ehrlich zu sein, verstehe ich das auch nicht. Seit dem 11. September ist der Konflikt zwischen den islamischen Ländern und dem Westen, vor allem zwischen Iran und den USA, überall auf der Welt ein großes Thema. Dennoch ist dieser Abschnitt der iranischen Geschichte fast vollständig in Vergessenheit geraten. Was die amerikanische Gesellschaft angeht, so hat der größte Teil nicht die mindeste Ahnung davon, dass ihre Regierung so etwas gemacht hat. Es ist schon erstaunlich, dass so etwas vergessen werden kann. Man kann heute nicht auf den Iran schauen, ohne die Ereignisse von 1953 im Blick zu haben. Sie bilden die Grundlage für die Islamische Revolution von 1979.

Ricore: Glauben Sie, dass die Schuldverstrickung der USA und Englands der Grund dafür ist, dass diese Intervention zumindest hier im Westen in Vergessenheit geraten ist?

Neshat: Ich glaube, dass es für die amerikanische Gesellschaft nicht üblich ist, sich für die Geschichte anderer Staaten zu kümmern. Sie sind vielmehr damit beschäftigt, auf ihre eigene Gesellschaft zu schauen. Wenn sie zur Zeit für die Situation im Irak Interesse zeigen, dann nur, weil ihre Soldaten involviert sind. Hinzu kommt, dass dieses Land so weit vom Rest der Welt entfernt ist. Andere Staaten sind für die Amerikaner außerhalb ihrer Sichtweite, sie existieren für sie nicht. Es herrscht hier eine große Ignoranz. Dennoch liebe ich dieses Land, auch wenn es historisch nicht besonders gebildet ist.

Ricore: Glauben Sie, dass Ihr Film es schaffen kann, das Bewusstsein der Menschen für diese Ereignisse zu wecken?

Neshat: Ich denke jede Art von Diskussion kann dazu beitragen, die Vergangenheit ins Blickfeld zu rücken und die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart erkennen zu lassen. Allein, dass wir gerade darüber reden, kann dazu beitragen, das Bewusstsein für die Vergangenheit zu schärfen. Für die iranische Bevölkerung könnte das zu der Erkenntnis führen, wie politisch aktiv ihre Vorfahren gewesen sind, dass ihre Großeltern für dieselben Ideale kämpften wie sie.
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Women without men
Ricore: Glauben Sie, dass Kunst im Allgemeinen die Macht hat, die Welt zu verändern?

Neshat: Ja, das glaube ich. Zwar nicht auf dieselbe Weise, wie Politiker dazu in der Lage sind. Kunst hat die Macht, auf die Emotionen der Menschen einzuwirken. Wenn es in der Kunst um Kommunikation geht, warum sollte sie dann nicht in der Lage sein, dem Menschen Perspektiven zu bieten, ohne didaktisch oder belehrend zu sein.

Ricore: "Women without Men" ist Ihr erster narrativer Spielfilm. Ist das der Vorgeschmack auf das zukünftige Schaffen von Shirin Neshat?

Neshat: Ich habe in den letzten sechs, sieben Jahren hart daran gearbeitet, um meine eigene Ausdrucksweise herauszufinden. Ich wollte meine Handschrift, das Konzept, das ich durch die Videokunst erreicht habe, mit dem narrativen Kino der Entwicklung und nachvollziehbaren Charakteren verbinden. Das hatte ich vorher nie gemacht. Ich glaube es gibt Raum genug, um eine Geschichte auf eigene, persönliche Weise zu erzählen, ohne der Konvention zu erliegen.

Ricore: War es schwierig, von der Videokunst zum Erzählfilm zu wechseln?

Neshat: Ja, das war es. Ich musste hart arbeiten, um mir das Handwerk anzueignen. Hinzu kamen die Schwierigkeiten mit der literarischen Vorlage. Das war sicher das schwierigste Buch, das man für die erste Arbeit hätte auswählen können. Das Schwierige an dem Roman war, dessen magischer Realismus auf die Leinwand zu übertragen. Zudem handelte es sich um ein künstlerisches Projekt, das zugleich politisch ist. Es war sehr schwer, das alles zu navigieren und die richtige Balance zu finden.
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Ricore: Was war der Grund dafür, dass sie zum Erzählkino wechselten?

Neshat: Es sind künstlerische aber auch persönliche Gründe, die mich dazu bewogen. Es liegt in meiner Natur, das Medium zu wechseln. Zudem stelle ich mich als Künstlerin gerne Herausforderungen. Kann ich mich neu erfinden, gibt es Sachen, die mich entmutigen können? Das sind Fragen, mit denen ich auch bei "Women without Men" konfrontiert war. Es geht mir oft darum, Chancen wahrzunehmen, auch auf die Gefahr hin zu scheitern. Abgesehen davon liebe ich das Kino. Es gibt einem die Möglichkeit, nah am Menschen zu sein, sie emotional zu erreichen.

Ricore: "Women wihout Men" ist eine Adaption eines Romans von Shahrnoush Parsipour. Wie kamen Sie dazu, den Roman zu verfilmen?

Neshat: Ich wählte die Vorlage, weil es ein sehr konzeptionelles Buch ist. Es ähnelt sehr stark meiner eigenen Arbeit als Künstlerin. Einerseits ist es sehr allegorisch, andererseits ist es sehr stark in Kultur und Geschichte Iran verankert. Es thematisiert grundlegende und existentielle Fragen und ist dennoch in der sozialpolitischen Realität verwurzelt. Ich liebte auch die fantastischen Bilder, die Parsipur in ihrem Roman erfunden hat. Und so dachte ich, ich nehme das Beste aus dem Buch und mache einen Film daraus.

Ricore: Hatten Sie Änderungen vornehmen müssen, um den Stoff filmisch gerecht zu machen?

Neshat: Oh ja, der fertige Film entspricht ungefähr 30 bis 40 Prozent der Buchvorlage. Um den Roman filmgerecht zu machen, mussten wir zum Beispiel einige Charaktere streichen. Den politischen Aspekt haben wir erweitert, indem wir den historischen und politischen Hintergrund stärker in den Mittelpunkt rückten. Im Grunde war der Roman mehr eine Inspiration als eine konkrete Vorlage für den Film.
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Ricore: War die Autorin mit ihrem Konzept einverstanden?

Neshat: Sie war in erster Linie glücklich, dass man ihr Buch verfilmt. Sie hat intensiv am Projekt mitgewirkt. Sie hat auch eine kleine Rolle im Film übernommen. Sie spielt die "Madame" des Bordells in Zarins Geschichte. Es war ihr bewusst, dass wir viele Änderungen vorgenommen haben, aber sie hat nicht protestiert.

Ricore: Wie kam es dazu, ihr eine Rolle im Film zu geben?

Neshat: Ich sah sie an und sagte ihr, du musst diese Rolle spielen. Sie war erst dagegen, als ich aber insistierte, stimmte sie zu.

Ricore: Und sie hat ihren Job gut gemacht.

Neshat: Ja, sie hat es toll gemacht.

Ricore: Glauben Sie, dass "Women without Men" in Iran aufgeführt wird? Nachname: Er wird auf dem Schwarzmarkt eifrig vertrieben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 29. Juni 2010
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