Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Hofft Regisseur Lee Unkrich am Set von "Toy Story 3", dass alles gut geht?
Toy Story 3: Pixars Spielzeugmeister
Interview: Puppenspieler Lee Unkrich
Lee Unkrich ist eine feste Größe beim Animationsstudio Pixar. Zusammen mit seinen Kollegen John Lasseter, Andrew Stanton, Brad Bird und Pete Docter wird er 2009 auf den Filmfestspielen in Venedig fürs Lebenswerk ausgezeichnet. Nachdem Unkrich bei "Die Monster AG und "Findet Nemo" als Koregisseur fungiert, nimmt er bei "Toy Story 3" erstmals das Zepter alleine in die Hand. Zum Start des dritten Abenteuers von Cowboy Woody und seinen Spielzeugfreunden spricht Unkrich mit uns über den Schaffensprozess bei Pixar. Zudem verrät uns der Regisseur von einem einschneidenden Erlebnis seiner Kindheit.
erschienen am 26. 07. 2010
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Ken ist im dritten Teil von "Toy Story" mit dabei
Ricore: Pixar-Filme beschäftigen sich stets mit tiefer gehenden Fragen. Welchen Aspekte des Lebens wollten Sie in "Toy Story 3" erforschen?

Lee Unkrich: Das ist lustig. Wenn wir mit einem Film beginnen, wissen wir nicht, welche Aspekte wir erforschen werden. Das alles tritt erst nach und nach an die Oberfläche. Im Fall von "Toy Story 3" merkten wir, dass Veränderung ein zentrales Thema ist. Es geht darum, wie wir unser Leben meistern. Selbst wenn wir es gut finden, bleibt es in den meisten Fällen nicht so, wie es ist, da sich Dinge unerwartet ändern. Sei es, dass Menschen sterben oder Kinder heranwachsen, all diese Dinge passieren und wir müssen damit umgehen. Im Film konnten wir das an Andy gut zeigen. Er wächst auf und geht auf die Universität. Er wird mit den unterschiedlichsten Charakteren konfrontiert und sieht, was Veränderung für andere Individuen bedeutet, wie diese damit umgehen.

Ricore: Glauben Sie, es ist leichter oder schwieriger, diese Ideen in Form von unterhaltsamen Geschichten zu vermitteln?

Unkrich: Es geht im Film ja nicht darum, Veränderung zu analysieren oder zu erklären, sondern um Unterhaltung. Das Publikum soll etwas fühlen, soll lachen oder Angst haben. Wir versuchen nur, eine gute Geschichte zu erzählen. Themen wie Veränderung tendieren dazu, richtungsweisende Prinzipien zu werden. Dann stellen wir uns die Frage, ob eine Idee überhaupt zu dem Thema passt, dass die Geschichte hat. Trotzdem soll der Film der Unterhaltung dienen und kein Lehrgang sein.

Ricore: Worin liegt der Unterschied zwischen Pixar-Filmen und anderen Computeranimierten Projekten, auch in Bezug auf die Unterhaltung?

Unkrich: Natürlich ist jeder Film unterschiedlich. Wir bei Pixar haben immer versucht, Filme zu schaffen, die alles haben, die sowohl unterhaltsam sind, als auch ein gewisses Gefühl hervorrufen. Das ist schwer zu realisieren, man kann nicht alles schaffen. Dennoch halten wir es für wichtig und arbeiten sehr hart daran, das Beste herauszuholen. Ich glaube, ein Unterschied ist die Zeit. Wir nehmen uns schließlich mehr als zwei Jahre Zeit, um eine Geschichte zu entwickeln. In vielen Studios dauert es nur ein paar Monate, bis eine Sache zu Ende gebracht wird. Da muss man sich schon oft wundern, wie viele Gedanken sich die Verantwortlichen tatsächlich gemacht haben. Ich denke nie darüber nach, was mein nächster Film werden kann. Ich bin immer bei dem einen Film, den ich gerade mache. Jeder Regisseur bei Pixar richtet den Fokus einzig und allein auf die Sache, die er im Moment tut.
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Toy Story 3 in Disney Digital 3D
Ricore: Wie läuft der kreative Prozess ab? Bei "Toy Story 3" arbeiteten erneut eine Vielzahl von Künstlern aus den unterschiedlichsten Pixar-Filmen zusammen. Können Sie den Vorgang ein wenig beschreiben?

Unkrich: Beim aktuellen Projekt haben wir versucht, so viele Beteiligte der vorherigen "Toy Story"-Filme als möglich zusammen zu trommeln. Wir haben zwei Tage zusammen verbracht, in denen wir erst mal nur Ideen ausgetauscht haben, wie "Toy Story 3" werden könnte. So beschlossen wir, dass Andy heranwachsen und aufs College gehen sollte, dass die Spielsachen in einen Hort kommen, der sich als eine Art Gefängnis herausstellt. Wir wussten auch, wie der Film enden wird. Obwohl wir das alles innerhalb von zwei Tagen geschafft haben, war das natürlich noch lange nicht der Film. Es gab immer noch sehr viel zu tun. Das dauerte dann die nächsten zweieinhalb Jahre. Ich begann mit Michael Arndt zu arbeiten, der auch das Drehbuch zu "Little Miss Sunshine" geschrieben hatte. Wir taten uns mit der Story-Crew zusammen und den Leuten, die für die visuellen Aspekte zuständig waren. Das war eine Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Personen, die ihre Ideen einbrachten. Wenn ich den Film sehe, erkenne ich nicht nur das Ergebnis, sondern auch all die Hände, die daran mitgewirkt haben. Es waren etwa 400 Personen, die den Film auf die Leinwand gebracht haben.

Ricore: Gab es eine spezielle Idee, die Sie unbedingt drin haben wollten, aber aussortiert wurde?

Unkrich: Dieser Film hatte im Vergleich zu den anderen Pixar-Filmen, an denen ich gearbeitet habe, den feinsten Reifeprozess. Es wurde immer weiter daran geschliffen. Bei anderen Pixar-Filmen mussten wir oft alles über den Haufen werfen, das ist bei "Toy Story 3" nicht passiert. Einige Szenen waren aber schon härter als andere. Zum Beispiel die Szene mit Bonnie, dem kleinen Mädchen, das mit den Spielsachen spielt. Daran haben wir wahrscheinlich mehrere Jahre gearbeitet. Wir mussten die richtige Stadt finden, ich wollte, dass sie ein phantasievolles Mädchen wird. In den ersten Entwürfen dieser Szene war sie noch zu verrückt, sie ist ständig herumgelaufen. Es gab nicht genügend Kontrast zwischen ihr und den kleinen Kindern. Es hat uns einige Zeit gekostet, herauszufinden, wie Bonnie am besten rüberkommt. Es war aber nicht so, dass ich irgendwelche Ideen hatte, die nicht in den Film aufgenommen wurden.

Ricore: Es gibt also nichts für die DVD-Extras?

Unkrich: Einiges haben wir aus Spaß gemacht. Der ganze Film ist einfach sehr glücklich gelaufen.

Ricore: Apropos DVD-Extras: Es gibt einen herrlichen Kurzfilm über Ken, der als eine Art Heimvideo gemacht wurde. Wird es noch mehr solcher Filme geben?

Unkrich: Vieles von dem, was wir gemacht haben, ist online zu sehen. Es wird einige lustige und einzigartige Dingen zu sehen geben. Wir machen einen neuen Kurzfilm mit den Charakteren aus "Toy Story 3", der im nächsten Jahr vor "Cars 2" herauskommen wird.
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Lee Unkrich
Ricore: Worum geht es in dem Kurzfilm?

Unkrich: Das kann ich nicht verraten. Aber es wird sehr lustig. Nicht nur die klassischen Charaktere, sondern auch viele der neuen werden darin vorkommen.

Ricore: Das metaphorische Element in Pixar-Filmen ist sehr interessant. "Ratatouille" handelt etwa von einer kochenden Ratte, reflektiert aber auch den künstlerischen Schaffensprozess. Welche Rolle spielt diese Ebene in "Toy Story 3"?

Unkrich: Ich finde nicht, dass es in den "Toy Story"-Filmen irgendwelche großen Metaphern gibt. Es geht eher um Reflexionen über das Leben. Da die Charaktere in allen drei Teilen mit Umständen konfrontiert werden, mit denen auch wir uns als Menschen identifizieren, können die Leute "Toy Story" so genießen. Deswegen ist die Geschichte auch so emotional, sie geht uns sehr nahe, weil die Erlebnisse der Charaktere so real sind.

Ricore: Inwiefern hat sich die Sicht auf Animationsfilme seit dem ersten Teil von "Toy Story" geändert?

Unkrich: Wir geben unser Bestes. Jedes Mal, wenn jemand sagt, wir machen Kindertrickfilme, ärgere ich mich. Das finden wir nicht. Wir versuchen nur, gute Filme zu machen. Es gibt eine gewisse Befangenheit gegenüber der Animation. Ich glaube, das ist mit dem Fernsehen gekommen, weil dort viele Trickfilme laufen. Die Leute bringen das mit Kindern in Verbindung. Am Anfang war Animation etwas für jeden, nicht nur für Kinder. Die Wahrnehmung hat sich zwar im Lauf der Zeit geändert, aber eben sehr langsam. Ich glaube, wir haben jetzt einen besseren Standpunkt als vor 15 Jahren, müssen aber trotzdem noch einen weiten Weg gehen.

Ricore: Wenn man das mit Japan vergleicht…

Unkrich: Ja, absolut. Aber das ist in den USA leider nicht der Fall. Doch wir geben unser Bestes.
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Lee Unkrich
Ricore: Pixar-Filme sind sowohl für Kinder als auch Erwachsene geeignet. Würde es Sie reizen, einmal einen Animationsfilm nur für Erwachsene zu machen?

Unkrich: Mich persönlich schon. Aber ich glaube nicht, dass das bei Pixar jemals geschehen wird. Es war schon immer der Anspruch von Pixar, Filme für jedermann zu machen. So wird es wohl auch bleiben. Andere Animationsfilme wie "#9" sind aber durchaus für Erwachsene konzipiert.

Ricore: Sie persönlich hätten aber Interesse daran?

Unkrich: Ja. Ich bin aber auch sehr glücklich bei Pixar. Das Problem ist, dass Pixar das einzige Studio seiner Art auf der Welt ist. Würde ich Pixar verlassen, gäbe es keine Garantie, dass ich die gleiche Unterstützung bekäme, wie jetzt. Im Moment bin ich sehr froh bei Pixar zu arbeiten, auch wenn das bedeutet, dass meine Wahlmöglichkeiten eingeschränkt sind. Es ist aber auch ein sehr interessanter Job, weil ich nie weiß, was als nächstes auf mich zukommt. Zwar werden die Filme oft mit Kindern in Verbindung gesetzt, zielen aber nicht nur auf sie ab.

Ricore: Ihr Pixar-Kollege Andrew Stanton arbeitet an "John Carter of Mars", einem Realfilm. Käme so etwas auch für Sie in Frage?

Unkrich: Vielleicht werde ich sowas an einem bestimmten Punkt machen. Aber im Moment geht es mir bei Pixar gut und ich mache meinen Job dort gerne. Bevor ich zu Pixar kam, arbeitete ich an Live-Action-Projekten, als einziger aus der "Toy Story"-Reihe. Ich kenne also die Vorteile dieser Arbeit.

Ricore: Nämlich?

Unkrich: Ich hielt die Arbeit für eine Übung, Kompromisse einzugehen. In der Animation habe ich ein gewisses Maß an Kontrolle, die man in der Arbeit mit Live-Action nicht hat. Andrew hat nun mit "John Carter of Mars" seine ersten Erfahrungen gemacht und fand es gut. Mal sehen, wie der Rest der Arbeit für ihn wird.
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Lee Unkrich am Set von "Toy Story 3": der Regisseur gibt Istruktionen
Ricore: "Toy Story 3" beginnt mit einer tollen Szene, als aus dem Schwein ein Raumschiff wird, das an die Serie "Firefly - Der Aufbruch der Serenity" erinnert. War das eine bewusste Hommage?

Unkrich: Nein, daran haben wir nicht gedacht. Ursprünglich sollte das Schwein zur fliegenden Untertasse werden. Mark Andrews, einer der Künstler bei Pixar, ist total vernarrt in Waffen und Raumschiffe. Ich bat ihn, einige Bilder für diese Szene zu entwerfen. Er hatte die Idee dieses riesigen Raumschiffs in Form eines Schweins.

Ricore: Das zentrale Thema in "Toy Story" ist Veränderung. In welchem Moment hat sich Ihr Leben grundlegend verändert?

Unkrich: Was mein Leben auf jeden Fall verändert hat, sind meine Kinder. Zwar kam ich noch nicht in die Situation, sie aufs College zu schicken, bin aber nur noch vier Jahre davon entfernt. Zudem hatte ich bislang das Glück, dass nicht viele Menschen in meinem Umfeld gestorben sind.

Ricore: Auch das Ende der Kindheit spielt im Film eine Rolle. Wann ging ihre eigene Kindheit zu Ende?

Unkrich: Das ist interessant. Ich wusste bereits zum Ende meiner Schulzeit, dass ich Filme machen wollte. Ich wuchs allerdings in einem Vorort von Ohio auf und wusste, dass ich dort nicht bleiben konnte, wenn ich tatsächlich Filme machen wollte. Also zog ich nach Los Angeles, um auf die Filmschule zu gehen. Das war eine einschneidende Veränderung in meinem Leben. Ich bin aber nicht sicher, ob das auch das Ende meiner Kindheit war. Als "E.T. - Der Außerirdische" raus kam, war ich um die 15. Ich erinnere mich zwar, den Film genossen zu haben, einen emotionalen Eindruck hat er bei mir allerdings nicht hinterlassen. In meinem ersten Jahr in Los Angeles habe ich ihn dann nochmal gesehen. Ich kann mich nicht erinnern, beim Verlassen des Kinos jemals so viel geweint zu haben. Zuerst habe ich gar nicht verstanden, warum der Film einen solchen Effekt auf mich hatte. Später realisierte ich dann, dass er mir das Ende meiner Kindheit vor Augen führte. Es geht darin um die Wunder der Kindheit und um Entdeckungen. Ich glaube, so geht es im Moment auch vielen Leuten mit "Toy Story". Viele sind mit dem ersten Teil aufgewachsen. Er ist wie eine Liebeserklärung an die Kindheit.
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Toy Story 3 in Disney Digital 3D
Ricore: Sind in "Toy Story 3" eigene Erlebnisse eingeflossen?

Unkrich: Ja, in der Tat. Als ich den ersten Teil von "Toy Story" machte, wurde meine Großmutter sehr krank. Es war klar, dass sie sterben würde. Ich bin also nach Hause gefahren, um sie zu sehen. ich besuchte sie einige Tage lang. Dann kam der Punkt, an dem ich beschloss, dass es Zeit war, zu gehen. Ich würde sie nie wieder sehen, es würde der letzte Moment sein, in dem ich sie sehen würde. Also versuchte ich, diesen Moment in meinem Gedächtnis festzuhalten. Wie eine mentale Fotografie. Danach sah ich sie nie wieder. Als wir "Toy Story 3" machten, erinnerte ich mich an meine Großmutter. Andy erlebt etwas Ähnliches. Im Auto wirft er noch einmal einen Blick zurück und verabschiedet sich von seinen Spielzeugen. Ich dachte mir, er tut genau das Gleiche wie ich damals. Er nutzt den Moment, um sich nochmal vor Augen zu führen, was seine Freunde und seine Kindheit für ihn bedeuten. Es ist eine Momentaufnahme. Ich erzählte die Geschichte meiner Großmutter meinen Kollegen. Diese hätten bestimmt nicht so emotional reagiert, wenn ich nur gesagt hätte, Andy schaut traurig auf seine Spielsachen zurück. Wer sich den Film ansieht, weiß das nicht. Doch dadurch bekommt die Szene eine wahrhaftige, emotionale Dimension.

Ricore: Wird es einen vierten "Toy Story"-Film geben?

Unkrich: Im Moment gibt es diesbezüglich keine Pläne. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 26. Juli 2010
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Lee Unkrich wird am 8. August 1967 in Cleveland, Ohio geboren. Um seinen Traum vom Filmemachen zu verwirklichen, zieht er nach seinem High-School-Abschluss nach Los Angeles, wo er auf die Filmschule besucht. Seit 1994 arbeitet er bei Pixar. Für das Animationsstudio inszeniert er als Koregisseur "Toy Story 2", "Die Monster AG" und "Findet Nemo". Beim dritten Teil von "Toy Story" führt er erstmals alleine Regie. 2009 werden Unkrich und seine Pixar-Kollegen John Lasseter, Andrew Stanton, Brad..
Cowboy Woody (dt. Stimme Michael Herbig) und seine Spielzeugkollegen sind verzweifelt. Andy steht kurz davor, aufs College zu gehen und sein gesamtes Spielzeug in die Abstellkammer abzuschieben. Durch einige Zufälle finden sich Woody und seine Freunde im Kindergarten Sunnyside wieder. Alle freuen sich auf die vielen Kleinkinder, mit denen sie spielen können. Alle, bis auf Woody. Der Cowboy verlässt die Truppe, um sich auf die Suche nach Andy zu machen. "Toy Story 3" erzählt vom Ende der..
2024