Arsenal Filmverleih
François Ozon
Harter Weg zur Erlösung
Interview: Optimist François Ozon
In seinen Filmen fährt François Ozon ("Angel - Ein Leben wie im Traum") immer zweigleisig. Einerseits dreht er immer wieder Genre-Filme auch heiterer Art ("8 Frauen"), andererseits begeistert er mit persönlichen Werken Kritiker und Publikum ("Die Zeit die bleibt"). Den Überlebenskampf seiner Protagonisten in einer immer komplexer werdenden Welt, bezeichnet der Franzose als eines der Hauptthemen seines Oeuvres. Damit ist nicht die physische Rettung vor einer äußeren Bedrohung gemeint als vielmehr die Erlösung aus der inneren Verlorenheit, die sich im Akt der Selbstfindung offenbart. So auch in "Rückkehr ans Meer", in dem Ozon den Leidensweg einer Frau schildert, die ihre Schwangerschaft als Möglichkeit der Befreiung aus ihrem Martyrium versteht.
erschienen am 9. 09. 2010
Frenetic Film
Rückkehr ans Meer
Ricore: Was hat Sie daran fasziniert, einen Film mit einer echten Schwangeren zu drehen?

François Ozon: Ich hatte schon lange den Wunsch, einen Film mit einer Schwangeren zu machen. Normalerweise sieht man gefälschte Schwangerschaften. Ich hatte eine Art Dokumentation über Schwangerschaft mache im Sinn. Wenn eine Frau schwanger ist, ist sie beständig Veränderungen ihres Körpers ausgesetzt. Diese wollte ich festhalten. Als ich erfuhr, dass Isabelle Carré schwanger ist, habe ich mich entschlossen die Idee umzusetzen.

Ricore: Dann haben Sie also erst an den Film gedacht, nachdem Sie erfuhren, dass Isabelle schwanger ist?

Ozon: Ja, als ich hörte, dass sie schwanger ist, sagte ich zu ihr, dass ich schon lange einen Film über eine schwangere Frau machen wolle. Weil es ihr erstes Baby war, sagte sie zu. Da wusste sie noch nicht, was auf sie zukommen würde.

Ricore: Hatte Sie zu dem Zeitpunkt schon eine Geschichte im Sinn?

Ozon: Ich hatte den Stoff im Kopf, aber noch kein Drehbuch. Ich musste also sehr schnell arbeiten, weil Isabelle schon im siebten Monat schwanger war, als sie zusagte. Während sie schwanger war, haben wir die Mitte des Films gedreht. Nach der Geburt haben wir den Anfang inszeniert.

Ricore: Sie sagten, Sie finden schwangere Frauen faszinierend. Warum?

Ozon: Weil ich ein Mann bin und als Männer können wir niemals schwanger werden. Es ist etwas sehr Mysteriöses. Ich möchte gerne wissen, welche Änderungen mit dem Körper und der Psyche vor sich gehen, wenn man schwanger ist. Mit dem Film wollte ich ausdrücken, dass es nicht unbedingt eine Verknüpfung zwischen der Schwangerschaft und dem Wunsch, ein Kind zu haben, geben muss. Manchmal möchten Frauen einfach schwanger sein, ohne ein Kind haben zu wollen. Ich wollte zeigen, dass Schwangerschaft etwas Komplexes ist.
Frenetic Film
Isabelle Carré in: Rückkehr ans Meer
Ricore: Hatte Isabelle Carré Angst davor, diesen Film zu machen und gleichzeitig schwanger zu sein?

Ozon: Sie hatte nicht wirklich Angst. Sie fühlte sich auch nicht wirklich schuldig. Denn die Medien warfen ihr diesen Umstand vor. Sie ist eine professionelle Schauspielerin. Die Rolle war für sie Schauspielerei. Außerdem unterscheidet sich die Filmfigur wesentlich von Isabelles Charakter. Als sie mir ihre Zusage erteilte, stellte sie einige Bedingungen an mich. Sie wollte nicht, dass das Baby im Film ein Junge ist. Denn auch sie erwartete einen Jungen. Sie wollte nicht die Filmrealität mit ihrer eigenen Wirklichkeit vermischen.

Ricore: Die Schwangerschaft ist für Mousse ein egoistischer Akt. Für sie symbolisiert das Kind die Erinnerung an ihren verstorbenen Freund. Wie war das für die Carré, die Schwangerschaft auf diese Weise darzustellen?

Ozon: Sie konnte den Charakter von Mousse nachvollziehen, die einen sehr komplexen Charakter hat. Ich weiß nicht, ob sie selbstsüchtig ist. Aber sie musste in ihrer Situation tatsächlich zuerst an sich denken. Sie hat ein Identitätsproblem, weil sie nicht genau weiß, wer sie ist. Am Ende des Films ist sie nicht einmal in der Lage, Mutter zu sein. Sie ist sich selbst gegenüber ehrlich.

Ricore: Sie sagten, Sie wären neugierig, was Schwangerschaft angeht. Wieso haben Sie nicht schon früher dieses Thema bearbeitet?

Ozon: In einigen andern Filmen, wie zum Beispiel in "Ricky - Wunder geschehen", habe ich über Kinder in ihrem familiären und sozialen Umfeld erzählt. Auch mein Kurzfilm "Besuch am Meer" handelte von einer Schwangerschaft.

Ricore: Wieso gibt es in Ihrem Werk so viel Schmerz und Unsicherheit?

Ozon: Mit "Le refuge" ("Rückkehr ans Meer") wollte ich sehr düster anfangen, um die Figuren am Ende ins Licht zu führen. Ich mag es, die Charaktere bei dieser Reise zu begleiten. Am Ende des Films gibt es sogar ein Happy End.
Constantin Film
François Ozon am Set von Swimming Pool
Ricore: Sehen Sie Schönheit im Schmerz?

Ozon: Nein, ich bin kein Masochist (lacht). Eigentlich leidet Mousse am Anfang nicht. Sie ist Drogenabhängig und lebt ihr Leben sehr egoistisch. Sie ist wie die meisten Abhängigen. Sie denkt in erster Linie an sich selbst, ohne die Außenwelt im Blick zu haben. Sie fühlt sich gut. Als ihr Freund stirbt, fängt ihr Leidensweg an. Mit diesem Punkt verfolge ich ihren Weg und zeige, wie sie ihre neue Situation zu akzeptieren lernt.

Ricore: Sind Sie demnach ein Optimist?

Ozon: Ich bin ein klar denkender Mensch. Es gibt immer einen Weg, um zu überleben. Ich zeige in meinen Film immer Menschen, die in einer schwierigen und komplexen Situation ums Überleben kämpfen. Was mich auch fasziniert, ist welche oft seltsamen Wege die Menschen gehen, um zu überleben.

Ricore: Am Ende schläft der homosexuelle Paul mit Mousse. Warum?

Ozon: Es ist eine Geschichte über zwei einsame Menschen, die nicht in die Gesellschaft passen. Plötzlich passiert etwas Magisches zwischen ihnen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Begegnung rein sexueller Natur ist. Es passiert etwas Zärtliches zwischen ihnen. Sie geben einander etwas Wertvolles. Es findet ein Austausch statt. Diesen magischen Moment wollte ich zeigen.

Ricore: Louis-Ronan Choisy, der die Rolle des Paul spielt, stand zuvor niemals vor der Kamera. Warum haben Sie sich für ihn entschieden?

Ozon: Ich wollte einen unschuldigen und frischen Darsteller an der Seite von Isabelle haben. Jemanden, der zum ersten Mal die Leinwand entdeckt. Als ich Louis traf, der in Frankreich ein berühmter Sänger ist, fand ich die Idee interessant, ihn für die Rolle zu besetzen. Er ist ein Mensch, der mit sich und seiner Schönheit sehr zufrieden ist. Außerdem ist er jemand, der auf der Suche nach sich selbst ist. Es war interessant, ihn an der Seite von Isabelle zu sehen. Das hat sich ausgezahlt, die Chemie zwischen den beiden hat funktioniert.
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Rückkehr ans Meer
Ricore: Sie wollten also die Wirklichkeit mit der Filmrealität vermischen?

Ozon: Ja, das tue ich immer. Aber ich habe versucht, Louis zu führen. Er ist ein Mensch, der kein Bewusstsein von sich selbst hat. Das war für die Figur, die er verkörperte, von Vorteil. Denn auch Paul hat Identitätsprobleme.

Ricore: Es ist nicht das erste Mal, dass eine Figur in ihrem Film ans Meer geht. Was bedeutet das Meer für Sie.

Ozon: Genau genommen geht Mousse nicht ans Meer, sondern an den Strand. Im Strandmotiv sah ich die Möglichkeit, Mousse entblößt und damit ihren schwangeren Bauch zu zeigen. Aber im Grunde war das nicht meine Idee. Ich wollte, dass der Film ausschließlich auf dem Land spielt. Es war Isabelle, die mich darum bat, weil sie sich zu dem Zeitpunkt am Strand Urlaub machte. Also habe ich meine Pläne über den Haufen geworfen und eine Strandszene eingebaut.

Ricore: Sind sie mit dieser Entscheidung glücklich?

Ozon: Ja, ich mag diese Szene am Meer, in der die fremde Frau den Bauch von Mousse anfassen will.

Ricore: War es schwer, Carré davon zu überzeugen, sich zu entblößen?

Ozon: Bei der Liebesszene war sie sehr schüchtern. Sie wollte nicht, dass ich ihre Brüste zeige. Aber sie hatte keine Probleme damit, ihren Bauch zu zeigen. Isabelle hatte schon einige Filme mit Nacktszenen gemacht. Aber die Tatsache, dass sie schwanger war, machte die Nacktheit intimer. Aber der Liebesszene hat diese Bedingung nicht geschadet. Im Gegenteil, das Resultat hat etwas Süßes und Zärtliches an sich. In diesem Sinne war es gut für die Szene.

Ricore: Ihr nächster Film heißt "Potiche". Was erwartet uns?

Ozon: Es ist eine Komödie und man wird sie auf den Filmfestival von Venedig sehen. Und es gibt kein Baby zu sehen...
Berlinale 2009
François Ozon
Ricore: ... und keine Schwangere?

Ozon: Doch die gibt es, aber sie spielt keine tragende Rolle im Film. Es geht um die Stellung der Frau in der französischen Gesellschaft.

Ricore: Wieso interessieren Sie sich in ihren Filmen so sehr für Frauen.

Ozon: Ich interessiere mich nicht nur für Frauen. Meine Filme handeln von Frauen und Männern. Aber es ist ein Vergnügen mit Frauen zusammenzuarbeiten. Sie sind oft klüger als Männer, und sie sind eher bereit, Riskieren einzugehen. Außerdem haben sie keine Angst davor, tief in eine Szene einzudringen. Das mag ich.

Ricore: Wieso haben Sie "Le refuge" in HD gedreht?

Ozon: Weil wir kein Geld hatten. Wenn man mit einer schwangeren Frau einen Film dreht, gibt es keine Versicherung. Also mussten wir mit wenig Geld und einer kleinen Crew auskommen. Insgesamt waren wir etwa acht oder neun Personen.

Ricore: Ist das der einzige Grund, oder gab es noch künstlerische Erwägungen?

Ozon: Ich wollte dem Film einen authentischen und dokumentarischen Look geben. In HD zu drehen ist viel leichter und handlicher. Isabelle wollte ungern lange Wartezeiten in Kauf nehmen, also mussten wir schnell arbeiten, und das ging mit HD am besten. Außerdem konnten wir damit das natürliche Licht besser einfangen, ohne auf künstliches Licht angewiesen zu sein.

Ricore: Die Traumszene am Anfang des Films ist symbolisch zu verstehen. Sie verweist auf den bevorstehenden Tod von Louis. Haben sie sich von Ingmar Bergman inspirieren lassen?

Ozon: Weil sie sehr hell ausgeleuchtet ist?

Ricore: Hell und minimalistisch.

Ozon: Ich habe sie in so gefilmt, weil die Drogenszenen am Anfang sehr krass sind. Weil Mousse und Louis ineinander verliebt sind, wollte ich nicht nur das Elend um sie herum zeigen. Also entschied ich mich für diese helle Szene, um auch die Schönheit ihrer Liebe zu zeigen. Auf diesen Kontrast kam es mir an. Es ist außerdem wie ein Blitz vor dem Sterben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 9. September 2010
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Der französische Regisseur und Drehbuchautor François Ozon sorgt mit "Besuch am Meer" 1997 erstmals für Aufmerksamkeit. Sein offener Umgang mit Sexualität und die Fokussierung auf weibliche Protagonistinnen werden zu seinem Stilmerkmal. Mit "8 Frauen" oder "Swimming Pool" wird er einem internationalen Publikum zum Begriff. Die Arbeiten Ozons bewegen sich in assoziativer Nähe zum Frühwerk von Pedro Almodóvar und den Werken des deutschen Filmpioniers Rainer Werner Fassbinder, wobei der Pariser..
Mousse (Isabelle Carré) verliert nach einer rauschhaften Drogennacht ihren Freund Louis (Melvil Poupaud) und erfährt im Krankenhaus zudem, dass sie schwanger ist. Erschüttert über den Verlust, zieht sie sich in die Abgeschiedenheit der Provinz zurück. Gesellschaft bekommt sie von Louis' schwulem Bruder Paul (Louis-Ronan Choisy), zu dem sie nach anfänglicher Distanz ein zärtliches Verhältnis aufbaut. François Ozons " Rückkehr ans Meer" ist ein einfühlsamer Film über den mühsamen Prozess der..
2024