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Ken Duken bei der Pressekonferenz von "Zweiohrküken" in Berlin
War es der Gärtner?
Interview: Schauspieler Ken Duken distanziert
Nachdem "Distanz" sein Ende erreicht hat, herrscht betretenes Schweigen im Kinosaal. Durch die Tür tritt ein etwas übermüdeter Ken Duken. Der Applaus setzt erst verhalten ein. Es ist schwierig, nach diesem Film den Einstieg in die Diskussion zu finden. Der "Inglourious Basterds"-Darsteller startet mit einem kleinen Überblick und führt im Lauf des Gesprächs tiefer in die Psyche des schizoiden Gärtners Daniel Bauer ein.
erschienen am 21. 08. 2010
Capelight Pictures
Ken Duken in "Max Manus: Man of War"
Ricore: Hatten sie Schwierigkeiten, den Film zu verkaufen?

Duken: Daniel Bauer hat durch seine schizoide Persönlichkeitsstörung kein Empfinden für sein Tun. Er tötet Menschen mit derselben Gleichgültigkeit, wie ein Kleinkind Ameisen mit einer Lupe verbrennt - um zu sehen, was passiert. Für mich ist das heute noch befremdlich. Die Schwierigkeit des Films wurde vor allem im Gespräch mit den Fernsehsendern klar. Trotz zahlreicher Änderungen des Buches haben sie sich nicht getraut. Wir haben beschlossen, den Film erst recht zu realisieren. Wir haben alle Kompromisse zurückgenommen. Wenn wir den Film schon frei finanzieren, dann müssen wir so konsequent wie möglich sein, um eine echte Kontroverse auszulösen. Dass der Film für sich steht, erkennt man auch an den Pressekommentaren Wir wollten sehen, ob wir ein Publikum mit unserem Projekt erreichen und ob wir vielleicht eine Diskussion in Gang setzten können.

Ricore: War die Rolle schwerer zu spielen, als frühere Rollen?

Duken: Wenn man sich mit Schauspielerei befasst, dann werden meistens Dinge an einen herangetragen, mit denen man sich im Vorfeld noch nicht befasst hat. Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren genreübergreifende über 60 nationale und internationale Filme gedreht. Bei "Max Manus" war am schwierigsten, in zehn Tagen Norwegisch zu lernen. Über die Rolle des Daniel Bauer in "Distanz" musste ich lernen, dass man manchmal all diese Sachen hinter sich lassen muss. Ich wollte jedem die Möglichkeit zur eigenen Interpretation geben. Dabei sind ganz erstaunliche Dinge zutage gekommen. Das ist mit dem SS-Offizier vergleichbar, den ich in "Inglourious Basterds" gespielt habe. Ich habe ihn nicht als den Bösen gespielt, sondern als einen Menschen, der denkt, das Richtige zu tun. Das ist für den Zuschauer eigentlich noch viel perfider und vielleicht etwas, das man noch nicht so oft gesehen hat.

Ricore: Trotzdem gibt es einen eindeutigen Schluss...

Duken: Ist das so? Nachdem Festivals uns kritisiert haben, der Schluss wäre nicht mutig genug, gab es viele interne Diskussionen. Aber wir blieben bei unserem Schluss, weil es unser erster Impuls war.
Ralf Hake/Ricore Text
Ken Duken
Ricore: Wie sind sie auf die Idee gekommen, Daniel Bauer so neutral zu spielen?

Duken: Durch ein Experiment. Ein Mensch mit neutraler Mimik wird fotografiert und das Portrait wird abwechselnd mit verschiedenen Gegenständen gezeigt. Kombiniert man das neutrale Gesicht mit einem Burger, wird der Betrachter Hunger assoziieren, bei Gesicht und Grabstein Trauer. Man schafft dadurch einen größeren Spielraum für Assoziationen und Interpretationen.

Ricore: Ich hatte den Eindruck, dass das Schauspiel darin bestand, sich völlig zurückzunehmen. Verglichen mit tragischeren Rollen, in denen verschiedenste Gefühlszustände dargestellt werden, gab es hier vielleicht zwei, Zärtlichkeit und Neutralität.

Duken: Ich habe versucht das so darzustellen, weil ich persönlich Schwierigkeiten mit dieser Emotionslosigkeit hatte, habe ich mir meinen Körper als halbdurchlässige Membran gedacht. Sie lässt nichts raus, nur rein - im Inneren finden kleine Explosionen statt. Da sie nicht nach außen dringen, fressen sie ihn innerlich auf. Andere behaupten dennoch, das Spiel sei sehr intensiv...

Ricore: Ich finde die Inszenierung ist nicht wertfrei, gerade durch filmische Mittel wie Farbigkeit, und Ausstattung verbreitet sie eine trostlose, tote Atmosphäre. Da drängt sich die Assoziation einer schlechten Vergangenheit förmlich auf. Die Wohnung wirkt wie die, eines zeitnah verstorbenen Rentnerpaares.

Duken: Natürlich, aber es ist, wenn ich jetzt frech sein darf, trotzdem deine Interpretation. Fakt ist, wir zeigen nichts, was explizit auf eine solche Vergangenheit hinweist. Wir lösen nichts auf, liefern keine Hintergrundinfos. Es ist nicht die neue Komödie mit Ken Duken. Die Einrichtung der Wohnung beruht auf Recherchen. Die Wohnungen solcher Menschen sehen exakt so aus. Meist sind sie wirklich indirekt von der Großmutter eingerichtet worden, weil man einfach das bestehende Mobiliar mitgenommen hat. Es wird keinerlei Wert auf Dekoration oder Wohnlichkeit gelegt, stattdessen auf Akkuratheit und Sauberkeit. Sie brauchen diese Klarheit als Ausgleich zum Chaos in ihrem Kopf. Er ist deshalb nicht wertend, weil wir kein Richtig oder Falsch vorgeben. Normalerweise verlässt der Zuschauer den Saal mit Sympathie für den Täter, weil seine Vorgeschichte bekannt ist. Wenn es diese Erklärung nicht gibt, dann fehlt Begründung und Rechtfertigung für sein Handeln. Ein Mord ist durch nichts zu rechtfertigen. In diesem Sinne ist es eine Wertung ohne Wertung.

Ricore: Warum ist fast keine Filmmusik eingesetzt?

Duken: Wir wollten durch die langsame Erzählstruktur und Stille ein Unbehagen beim Zuschauer auslösen. Ähnlich dem Gefühl, das bei Gesprächspausen entsteht.
AV-Visionen
Distanz
Ricore: Warum gibt es dann die Rolle des mobbenden Arbeitskollegen Christian (Josef Heynert)? Dieser Moment wirkt wie ein Versuch der Rechtfertigung.

Duken: Meiner Meinung nach geht der Versuch, sein Tun mit seinem negativen Umfeld zu Begründen, nicht auf. Er reagiert auf seine Kollegen genauso teilnahmslos, wie auf alles andere. Wenn wir ehrlich sind, dann werden Leute die anders wirken, von der Schule an anders behandelt. Manche Leute nimmt das mit, andere lässt das völlig kalt, so auch Daniel Bauer. Aber mit den Möglichkeiten die wir hatten, ist natürlich auch nicht alles perfekt. Wir haben in zwanzig Tagen gedreht, mit 200.000 Euro Budget, von uns frei finanziert in einem kleinen Team. Das ursprüngliche Ende war ein anderes. Aber wenn wir dieses Ende genommen hätten, dann hätten wir unser Konzept verraten. Daran haben wir gemerkt, dass bis in den Schnitt, Kompromisse für Verleiher oder Fernsehsender drin waren.

Ricore: Er ist nicht gerade vorsichtig. Er geht immer wieder zum selben Park, obwohl er weiß, dass er gesucht wird.

Duken: Er ist nicht der klassischen Täter à la "Sieben", der geschnappt werden will, weil er ein Werk hinterlassen möchte. Aber er ist auch nicht der perfekte Verbrecher. Er ist ein getriebener Mensch. Ich habe das für mich irgendwann so interpretiert, dass er an einem bestimmten Punkt gemerkt hat, dass er nicht in die Gesellschaft passt. Meiner Meinung nach haben viele unterschwellig den Drang, gefunden zu werden. Man kann sich nur dann wirklich gut verstecken oder Angst haben, wenn man das Gefühl hat, etwas Unrechtes zu tun und vielleicht gleich erwischt zu werden.

Ricore: Was sind die Möglichkeiten, so einem Menschen beizukommen?

Duken: De Facto werden solche Menschen eingesperrt und nie wieder raus gelassen. Aber ist ein Mensch glücklich, wenn er sein ganzes Leben lang eingesperrt ist? Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich auf diese Frage keine definitive Antwort habe. Der Mensch, der uns zu dieser Geschichte gebracht hat, hatte eine Erregung, es fand es toll, auf Kinder zu schießen. Er ist ein Beispiel für die nicht therapierbaren Fälle. Ich wünschte, ich könnte einen Film mit Lösung für dieses Dilemma anbieten. Ich kann nur versuchen, die Zuschauer zum Denken anzuregen, um vielleicht irgendwann eine Lösung zu finden.
Ralf Hake/Ricore Text
Ken Duken
Ricore: Gäbe es die amerikanische Variante der Todeszelle?

Duken: Ich bin vor elf Monaten Vater geworden und kann jetzt Dinge nachvollziehen, die ich früher nicht nachvollziehen konnte. Aber trotzdem würde ich die Option der Todeszelle immer ablehnen. Ich bin ein wirklich emotionaler Mensch und kann mich in viel reinversetzten. Wenn die Familie oder enge Freunde betroffen sind, neigt man vielleicht zu solchen Möglichkeiten. Aber sie sind trotzdem nicht gerechtfertigt. Die Straftäter lebenslang wegzusperren wäre für mich auch keine Lösung.

Ricore: Ich stelle für mich persönlich fest, je mehr ich die Geschichte an mich heranlasse, desto unwichtiger wird der Ausgang.

Duken: Es gibt einen Spruch, das Opfer sucht sich seinen Täter. Wir wissen, dass solche Menschen um uns herum Menschen mit unterschiedlich stark ausgeprägter Persönlichkeitsstörung leben, die zu solchen Taten antreibt. Fakt ist, dass in unserer Gesellschaft jeder irgendwann erwischt wird. Die einzigen, die vielleicht ab und an durchs Raster fallen sind Serienkiller, die genau planen. Aber selbst solche werden durch Langzeitaufklärungen gefasst. Viele von ihnen handeln nach klaren Schemata und können deswegen leichter gefasst werden. Die Frage ist, was macht man dagegen und warum ist das so. Vor ein paar Jahren haben wir noch geglaubt, wir werden nie fliegen können, deshalb glaube ich an eine Lösung. Der Mensch und seine Psyche ist das komplexeste, was es auf diesem Planeten gibt. Es wird bestimmt noch eine Weile dauern.

Ricore: Wenn sie nach dem Dreh dieses Films, Menschen beobachten, überlegen sie sich manchmal, was sich in ihren Köpfen abspielt?

Duken: Komischerweise nicht. Durch die Schauspielerei, bin ich in der Lage, mich mit verschiedenen Charakteren auseinandersetzte und je mehr ich ausprobiere, desto größer wird auch meine Toleranzgrenze. Deswegen denke ich nicht, dass alle Menschen potentielle Massenmörder sind.

Ricore: Mich hat ihr Film stark an Jean-Luc Godards "Außer Atem" erinnert, kam das bei den Vorbereitungen zur Sprache?

Duken: An den hätte ich jetzt gar nicht gedacht. Aber es gibt ja eine ganze Reihe großartiger Filme, "The Woodsman" mit Kevin Bacon zum Beispiel, oder "Bewegliche Ziele" von Peter Bogdanovich. Das sind keine einfachen Filme. Es ist auch nicht der Prototyp eines Ken-Duken-Films, aber es war ein tolles Experiment.
erschienen am 21. August 2010
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Der Brad PittChristina Loeb geboren, folgt nach einigen Bühnenauftritten die erste TV-Rolle in "Blutiger Ernst". Schlaraffenland" ist er 1998 dann bereits an der Seite von Heiner Lauterbach im Kino zu sehen. Neben der Schauspielerei, ist Duken zunehmend auch als Produzent und Regisseur tätig. Mit seiner 2003 gegründeten Produktionsfirma Grand Hotel Pictures realisiert er neben Kurzfilmen wie "Der Antrag" auch Musikvideos für die Rockgruppen Oomph und Curse.
2024