Universal Pictures International (UPI)
Jan Delay
Handwerker nicht Wissenschaftler
Interview: Jan Delay mag Schurken
Musiker Jan Delay hat laut eigener Aussage ein Verbrecherpotenzial von 53 Prozent. Trotzdem begann er seine Karriere nicht mit einem Bankeinbruch, sondern mit dem Hip-Hop-Trio Absolute Beginner (später Beginner) und nahm 2008 mit Udo Jürgens den Hit "Ganz anders" auf. Seine zweite Soloplatte landete bereits auf Platz eins der deutschen Charts. In dem Animationsfilm "Ich - Einfach Unverbesserlich (3D)" spricht Delay seinen Lieblingscharakter, Verbrecher Vector. Mit ihm kann sich Delay identifizieren.
erschienen am 28. 09. 2010
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Jan Delay mit Minion ("Ich - Einfach Unverbesserlich 3D")
Ricore: Sie sprechen den Schurken Vector. Wie viel Verbrecherpotenzial steckt in ihnen?

Jan Delay: 53 Prozent.

Ricore: Wie zeigt sich das?

Delay: Ja, das ist die Sache mit den ganzen Gesetzen und so, die ich nur zu 47 Prozent ernst nehme.

Ricore: Haben sie schon mal gegen ein Gesetz verstoßen?

Delay: Ja - 53-prozentig.

Ricore: Können sie auch Beispiele nennen?

Delay: Nein, sonst würde ich hier nicht mehr sitzen.

Ricore: Schade. Wann waren sie das letzte Mal gemein zu jemandem?

Delay: Das ist schwer zu sagen, weil das eine relativ subjektive Wahrnehmung ist, sowohl für den Täter, als auch für das Opfer. Ich glaube richtig gemein bin ich nur, wenn es jemand verdient hat und das kommt nicht so oft vor.

Ricore: Würden sie die unterschiedliche Studiosituation beschreiben, ob sie einen Song aufnehmen bzw. Synchronaufnahmen machen?

Delay: Ja, das ist relativ einfach. Wenn ich im Studio einen Song aufnehme, ist das meistens meine Musik. Das heißt, ich hab im Kopf, was herauskommen und wie es nachher klingen soll. Da sitze ich so zwei Monate, bis das, was ich im Kopf habe und was am Schluss raus kommt quasi deckungsgleich ist. Das ist manchmal ein sehr harter und verzweifelter Kampf.
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Ich - Einfach Unverbesserlich 3D
Ricore: Und beim Synchronisieren?

Delay: Da komme ich auch ins Studio, aber ich habe vorher überhaupt nichts im Kopf. Ich bin eigentlich wie ein Fabrikarbeiter, der nicht viel nachdenken muss und einfach nur kommt und sein Talent hat, wie in meinem Fall die Stimme. Ich kriege einen Zettel und bekomme gesagt, wie ich es machen muss. Das ist für jemanden wie mich, der sonst immer selber mit dieser Kopfsache belastet ist, im Studio sehr befreiend. Es ist viel lustiger. Sonst bin ich im Studio immer angespannt, weil ich das Ergebnis bereits im Kopf habe, das ich umsetzten will.

Ricore: In dem Film gibt es Wörter, wie Krabbenknarre. Wäre das nicht ein guter Songtitel?

Delay: Ich kenne mich ein bißchen mit Sprache aus. Ein Wort wie [stottert] Knaben..Krabbenkra…, ich kann das Wort ja noch nicht einmal aussprechen, wäre gefährlich zu benutzen. Man macht auch keinen Song, der Blaukraut bleibt Blaukraut heißt.

Ricore: Was waren ihre ersten Gedanken, als die Anfrage für die Synchronisation kam?

Delay: Super, mach ich. Bei Schauspielanfragen denke ich mir jedes Mal: auf gar keinen Fall. Darauf habe ich überhaupt keinen Bock, weil ich von Videodrehs weiß, wie das abläuft. Dieses Warten und dann müssen die noch alles einstellen. Das finde ich ganz schrecklich. Beim Synchronisieren mache ich das, was ich schon immer gemacht habe und was ich auch gelernt habe. Ich bin in einer Umgebung, die ich kenne und in der ich mich wohlfühle, nämlich in einem Studio. Ich bin für mich alleine verantwortlich und hab nicht ein riesiges Team mit fünfzig Leuten um mich herum. Wenn ich Neuland betrete, wie in diesem Fall, dann ich kann meinen Kopf ausschalten und bin einfach nur Handwerker und nicht Wissenschaftler. Das ist sehr befreiend und darauf habe ich echt Lust. Wenn es dann auch noch so ein cooler Film ist mit so einem coolen Charakter ist, dann macht das richtig Spaß.
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Jan Delay bei der Synchronarbeit ("Ich - Einfach Unverbesserlich 3D")
Ricore: Im Originalfilm spricht Jason Segel die Figur. Wie versucht man den Stil der US-Sprecher rüberzubringen?

Delay: Ich kenn Segel lustigerweise gar nicht. Ich weiß nicht, wer das ist. Während der Aufnahmen konnte mir keiner definitiv sagen, in welchem Film oder welcher Serie er mitspielt. Wenn ich ein Bild sehe, dann denk ich bestimmt: Ach der! Aber ich weiß bis jetzt nicht, wer das ist.

Ricore: Versucht man den Sprachduktus des Originals irgendwie zu übernehmen?

Delay: Ich hab den Film natürlich auf Englisch gesehen, aber da verlasse ich mich auf den Regisseur. Der sucht die Leute aus und besetzt sie für die Rollen, die gesprochen werden sollen. Er sagt, du sollst die Stimme übernehmen oder wie hier, dass es besser ist, wenn du anders agierst. Man bekommt Instruktionen. Der Regisseur ist nicht umsonst in diesem Job. Er hat einfach die Erfahrung und die hab ich nicht. Ich brauch auch so jemanden, sonst wäre ich vollkommen aufgeschmissen. Nur weil ich ein Studio kenne und weiß, wie man Sprache aufnimmt, heißt das nicht, dass ich auch nur die geringste Ahnung vom Synchronisieren habe. Davon hatte ich überhaupt keine Ahnung. Hab ich auch heute immer noch nicht [lacht].

Ricore: Was ist ihr Geschmack, wenn es um Filme geht?

Delay: Die Königsklasse ist die Einzigartigkeit. Das bedeutet nicht, dass jeder Film einzigartig sein muss. Aber es gibt sogenannte Einschnitts-Filme. Die kommen alle fünf bis zehn Jahre. Wenn man aus dem Kino kommt und das komplette Weltbild ist verdreht oder man ist inspiriert, von dem was man gerade gesehen, das sind solche Filme. Dinge, die es so noch nicht gab. Wie zum Beispiel 1995 "Pulp Fiction". Das ist für mich so ein Film, etwas Ähnliches gab es bis dahin noch nicht und es ist vollgeladen mit Gags, Action und coolen Charakteren. Mit den Dialogen kann ich mich voll identifizieren. Auch diese humoristische Darstellung harter Gewalt gefällt mir gut. Oder als ich 2001 "Herr der Ringe" gesehen habe. Natürlich gab es schon Fantasy- und Eposfilme oder irgendwelche aufwendigen Massenszenen. Aber diese Welt, die dort geschaffen wurde, hat zuvor niemand kreiert. Das ist für mich diese Einzigartigkeit. Aber ich schau auch gerne Trash, Hollywood-Popcornkino. Ich bin nur nicht der Typ der mit Popcorn dreißig Euro im Kino ausgibt. Zuhause oder im Tourbus sind wir da sehr schmerzfrei, wenn es um die Filmauswahl geht. Wir sind alle Filmfans und kennen wirklich viele Filme. Da alle sowieso schon alles kennen schauen wir halt nochmal "Zwei Nasen tanken Super" oder so was.
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Bösewicht Vector aus "Ich - Einfach Unverbesserlich 3D"
Ricore: Wie würden sie ihren neuen Film charakterisieren?

Delay: Modernes Großstadtmärchen für Jung und Alt, in der blöden Marketingsprache gesagt, aber es ist halt so. Man merkt, dass es von Leuten geschrieben ist, die der urbanen Welt entspringen. Dadurch hat es eine gewisse Modernität. Früher hatten Kinderfilme immer was leicht Provinzielles, weil die Macher sich gedacht haben, damit muss sich jeder identifizieren. Daher haben sie die Pointe möglichst platt gemacht. Bei dieser Art des modernen Großstadtmärchens ist das nicht so. Es wird darauf geachtet, dass die Pointe cool ist. Dadurch spricht das auch mich und meine Freunde mehr an. Jeder hat seine Gags, Charaktere oder schöne geschaffene Welten, mit denen man sich identifizieren kann. Egal ob du fünf, fünfzehn oder dreißig bist. Da ist für alle was dabei. Die Story, der Hintergrund und die Motivation der Figuren, warum sie das machen, was sie machen, hat alles Hand und Fuß.

Ricore: Was haben sie gedacht, als sie die Rolle gelesen haben, die sie sprechen sollen?

Delay: Fand ich super.

Ricore: Können sie sich damit identifizieren?

Delay: Auf jeden Fall, Vector ist mein Ding. Wenn mir jemand den Film gezeigt hätte und gefragt hätte, welche Rolle würdest du sprechen, ich hätte sofort Vector gesagt.

Ricore: Warum gerade Vector?

Delay: Weil er trotz seiner Bösartigkeit sehr liebenswert, aber auch sehr kreativ und von sich eingenommen ist. Er ist ein sehr expressiver Mensch, egal ob Äußerlich, seine Erfindungen oder die Art und Weise, wie er seine Pläne durchzieht. Vector ist konsequent und es ist ihm egal, was andere darüber denken. Das ist sein Plan und so hat es auszusehen. Ich finde, er ist auch einzigartig. Ich glaube hier kann mir keiner eine Figur aus der Filmgeschichte nennen, mit der man ihn vergleichen kann.
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Jan Delay
Ricore: Der eigentliche Feind, ist der Kapitalismus. Ist das so?

Delay: Ja genau. Das meinte ich, mit der Motivation von den Charakteren und weshalb man sich als etwas älterer Mensch mit sowas identifizieren kann. Zwischen den witzigen Dialogen und der ganzen Märchenwelt werden gute Ideale vermittelt indem der einzige Böse der Bankdirektor ist. Er wird als Wurzel allen Übels dargestellt, was im Grunde nicht so falsch ist. Es ist nicht mehr die böse Königsmutter wie früher, sondern der böse Bankdirektor und das meine ich mit modernem Großstadtmärchen.

Ricore: Sie sind jemand der andere beobachtet und Stimmungen wahrnimmt. Wie glauben sie, hat sich Deutschland seit der Wirtschaftskrise vor zwei Jahren verändert?

Delay: Bezogen auf Banken und Kriege? Leider nicht genug. Wenn man einen größeren Zeitraum von zehn Jahren nimmt und sich die Generation anschaut, dann gibt es sehr viele positive Veränderungen. Besonders was die Kinder in Deutschland betrifft. Aber ich finde, dass das, was uns diese Krise 2008 vorgeführt hat und auch noch hier in Hamburg die HSH Nordbank zeigt, nicht so richtig in den Köpfen der Menschen angekommen ist.

Ricore: Woran merken sie das?

Delay: Es sind noch keine Stimmen laut geworden, die Veränderungen fordern. Ich finde, da wurden zu wenige Konsequenzen gezogen und zu wenig aufgepasst. Egal, ob das die Leute auf der Straße sind oder die Leute, die wirklich für die Gesetze verantwortlich sind. Bei Hartz-IV-Empfängern wird das Elterngeld gestrichen, aber keiner beaufsichtigt wirklich die Leute, die mit Milliardenbeträgen jonglieren und teilweise auch privat mit dem Geld nach Hause gehen. Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Das zeigt eben, dass das noch überhaupt nicht bei den Leuten angekommen ist. Es wurden keine Konsequenzen gezogen, um zu verhindern, dass das in zwei Jahren vielleicht wieder passiert. Das ist alles eine Dominosache. Da braucht nur irgendwo ein einfacher Stein umfallen und dann geht das Ganze von vorne los.

Ricore: Welche Möglichkeit hat man als öffentliche Person, der eine bestimmte Meinung vertritt, dagegen Signale zu setzen?

Delay: Ich hab ein Mikrofon und da rede ich rein und meine Meinung wird irgendwo multipliziert. Da es sich hier um den Kinostart eines Hollywoodfilms handelt, denke ich, diese Aussage wird extrem minimiert. Wenn man politische Frage gestellt bekommt, darf man einfach nicht müde werden, diese auch zu beantworten. Es ist müßig, nur noch Lieder zu machen, die sich damit beschäftigen, diese Aussage zu multiplizieren. Ich mache immer noch Kunst und keine Politik. Deshalb finde ich es wichtiger in den Momenten darüber zu reden, wo ich ohne den Entertainmentfaktor darüber reden kann. Dann hört man mir eher zu. In den Momenten wo es mit der Musik passiert, gibt es immer wieder Schnittstellen, wie im Radio, die sagen: Nein, das spielen wir jetzt nicht, das schreckt die Leute vom Bügeln ab. In der Zeitung oder bei Radiostationen mit Wortbeiträgen wird explizit darauf gehört, was derjenige zu sagen hat, darum ist es auch okay, dort seine Meinung zu äußern.
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Jan Delay (Synchronsprecher "Ich - Einfach Unverbesserlich 3D")
Ricore: Glauben sie, dass ihre Musik etwas verändert? Also bei Leuten, die sich damit identifizieren und dann sagen: Da muss mehr getan werden und ich engagiere mich?

Delay: Wenn es so wäre, fände ich das cool. Aber es ist ziemlich vermessen, so etwas von sich zu behaupten. Ich finde aber, dass die Musik generell in den letzten zehn Jahren in Deutschland generationsmäßig was geändert hat. Zwölfjährige von heute wachsen mit cooler deutschsprachiger Musik auf, was bei unserer Generation nicht der Fall war. Da gab es Schlager, Peter Maffay und Blümchen. Die Jugendlichen, die heute in der ersten Reihe bei einem Konzert stehen sind viel subkultureller und gebildeter, als vor zehn Jahren. Da gab es diese komplett verstrahlten Zahnspangen-Buffalo-Kids, die gestern bei Blümchen waren, morgen zu Scooter gehen und heute bei diesem komischen Liebesliedvideotypen auf dem Konzert sind.

Ricore: Heute ist das anders?

Delay: Ja. Ich kann mit jedem Zwölfjährigen heute über Dinge diskutieren, wie Politik, das beste Essen, der beste Rapper oder Filme: Das ging vor zehn Jahren nicht und das stimmt mich positiv, was die Zukunft angeht. Ich merke, dass sich was verändert hat, aber leider hat das mit der Krise und dem Bankenscheiß noch zu wenig zu tun. Vielleicht können die das mal in die Hand nehmen, wenn sie soweit sind.

Ricore: Nochmal zur Musik. Pharrell Williams hat die Musik zum Film gemacht. Was sagen sie dazu?

Delay: Pharrell Williams ist einer der Größten. Als ich die Songs gehört habe, bevor ich den Film kannte, fand ich das nicht so super toll. Aber als ich die Songs im Zusammenhang mit dem Film gesehen habe, habe ich gemerkt, dass er die Songs direkt für die Szenen gemacht hat. Du siehst, dass sich die Räder genau im Takt mit der Musik drehen. Alles ist aufeinander abgestimmt. Die Atmosphäre des Titelsongs "Despicable Me" und die Atmosphäre vom Film passt eins zu eins zusammen. Als Einzeltitel ist es nicht der Hit, aber im Kontext mit dem Film ist das super. Ich wurde auch gefragt, ob ich den einen oder anderen Song von ihm übersetzte, aber das ist nicht, was ich mache. Ich bin Künstler und kein Interpret.

Ricore: Welche Meinung haben sie von den Casting-Shows?

Delay: Das ist für mich einfach ein Fernsehformat, wie "Dr. House", "Hart aber fair" oder "Vera am Mittag". Mit Musik hat das nichts zu tun. Vor allem nicht mit Förderung von Musik und Talenten. Das ist einfach nur verkommen zu einem Schicksalsstriptease. Wer das schlimmste Schicksal hat, gewinnt. Die Musik wird genommen, um ein Format zu füllen. Dann werden noch ein paar Schicksale addiert und man seine Quote. Wer wirklich denkt daraus eine Karriere basteln zu können, der muss ziemlich debil sein. Genauso debil, wie die ganzen Menschen, die das gucken. Es ist halt Fernsehen, das ist Entertainment. Mein Gott, lass die Leute das doch schauen. Aber keiner soll denken, dass das irgendwas mit Musik, Kunst oder Kultur zu tun hat: Denn das hat es nicht. Keines dieser Formate.

Ricore: Sie haben eine Ziege gesprochen und jetzt den Superschurken. Was kommt als Nächstes? Was würden sie sich noch wünschen?

Delay: Jack Bauer bei "24".

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. September 2010
Zum Thema
Jan Delay wird am 25. August 1975 in Hamburg als Jan Phillip Eißfeldt geboren und wächst in einer musikalischen Familie auf. Er hört Musik von Bob Marley und Nina Hagen. Seine Mutter bringt ihn als Zehnjähriger erstmals mit dem Rap in Berührung. 1995 macht Delay sein Abitur. Udo Lindenberg die Single "Ganz anders" auf. Seine markante Stimme beschert ihm eine Synchronrolle im Animationsfilm "Der kleine Rabe Socke" und in "Die Biene Maja - Der Film 3D" als Majas bester nerviger Freund Willi.
Gru zählt zu den weltbesten Langfingern. Sein kommendes Projekt ist der Diebstahl des Mondes. Dabei kommt ihm sein größter Konkurrent Vector in die Quere. Zudem tauchen drei Waisen auf, die sich in die Pflegschaft des Kleinkriminellen geraten. Das Regie-Duo Pierre Coffin und Chris Renaud legt mit der Geschichte des unverbesserlichen Gru ein witziges Anime vor, das phasenweise an Dr. Evil aus "Austin Powers" erinnert. Bedauerlicherweise ist der Gutmensch-Charakter zu dick aufgetragen.
2024