Camino Filmverleih
Jacob Matschenz
Eitelkeit ist nicht gefragt
Interview: Jacob Matschenz authentisch
Klammheimlich hat sich der Berliner Schauspieler Jacob Matschenz in den Vordergrund gespielt. Mit einem Gesicht, das an Unbescholtenheit nur schwer übertroffen werden kann, spielt er in "Bis aufs Blut - Brüder auf Bewährung" einen gewalttätigen und desillusionierten Jugendlichen, der versucht, aus seinem alten Leben auszubrechen - aber von der innigen Verbindung zu seinem besten Freund zurückgehalten wird. Der preisgekrönte Film thematisiert trotz seiner humorvollen Inszenierung ernste Themen wie Drogensucht und Desillusionierung. Er gewinnt seine Stärke nicht zuletzt wegen Matschenz brillantem Spiel. Grund genug, das Talent näher kennenzulernen. In seiner Heimatstadt trafen wir den 26-Jährigen zu einem Gespräch über die Irrungen und Wirrungen der Jugend und seinen eigenen Weg zur Selbsterkenntnis.
erschienen am 30. 09. 2010
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Bis aufs Blut - Brüder auf Bewährung
Ricore: Herr Matschenz, "Bis aufs Blut" wirkt erstaunlich realistisch. War das von Anfang an so gewollt?

Jacob Matschenz: Wir oft hat man erlebt, dass Jugendliche in Filmen mit Drogen dealen und man sich gleichzeitig fragt, warum das immer so unglaubwürdig wirkt. Deshalb bin ich so stolz auf unseren Film und wie er beim Publikum ankommt. Denn ich glaube, gerade die Glaubwürdigkeit ist uns gut gelungen.

Ricore: Das Drama ist schnell geschnitten und teilweise sehr speziell inszeniert. Das funktioniert überraschend gut, hätte aber auch leicht schiefgehen können. Wann wussten Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?

Matschenz: Ich habe immer darauf gehofft, weil das Buch auch gut war und die Dialoge durch ihren Humor leben, aber so richtig weiß man das nie. Aber als ich dann beim Dreh gesehen habe, wie sagenhaft gut mein Partner Burak Yigit spielt, wusste ich, dass dieser Film eigentlich nur noch im Schnitt versaut werden kann.

Ricore: Kannten Sie Regisseur Oliver Kienle schon vor dem Projekt?

Matschenz: Nein, ich bin in Berlin ganz normal zu einem Casting gegangen. Danach hat er sich irgendwann für mich entschieden.

Ricore: Man sagt Ihnen nach, dass Sie als autodidaktisch arbeitender Schauspieler auch gerne Recherche für Ihre Rollen betreiben. Bei "Renn, wenn Du kannst" haben Sie ein Heim für betreutes Wohnen besucht, was war es im Fall von "Bis aufs Blut"?

Matschenz: Es ist nicht so, dass ich mich im Vorfeld eines Films als Jacob komplett auflöse und eine Rolle in mir aufsauge. Ich bereite mich natürlich vor, lese viel und unterhalte mich mit Leuten, aber dass ich für die Vorbereitung eines Films mit Drogen dealen würde, soweit ist es bei mir noch nicht. (lacht)
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Aylin Tezel und Jacob Matschenz in "Bis aufs Blut - Brüder auf Bewährung"
Ricore: Wäre aber an sich eine gute Geschichte...

Matschenz: ...und mit Sicherheit dann auch das letzte Interview, das ich für lange lange Zeit gegeben hätte. (lacht)

Ricore: Sie sind in Berlin aufgewachsen, einer Stadt, in der die Verlockung damals wie heute hinter jeder Ecke lauert. Haben Sie während Ihrer Zeit auf der Schule auch Kreise mitbekommen, die im Film portraitiert werden?

Matschenz: Da darf man sich nichts vormachen. In jeder Oberstufe gibt es Dealer, das ist nichts Ungewöhnliches. Gerade während der Schulzeit ist man ja in einer Phase, in der man seine Grenzen auslotet, und wenn dir gesagt wird, etwas nicht zu tun, ist der Reiz natürlich umso größer. Dann kommen die Hormone dazu, man will sich beweisen - und geht ein Risiko ein, bei dem man sich Jahre später fragt, wieso man damals so dämlich war. Klar, all das kenne ich und habe ich gesehen.

Ricore: 'Uns passiert so etwas nicht', sagen die beiden Freunde im Film zum Thema Abhängigkeit. Ein Satz, den man unter Jugendlichen häufig hört.

Matschenz: Aber das ist auch so eine Rennfahrereinstellung, mit der man dann später gegen die Wand fährt. Ein Verdrängen des Risikos.

Ricore: Sie selbst waren früher auf einer Berliner Realschule. Haben Sie während Ihrer Schulzeit zumindest im Ansatz auch eine Form dieser Desillusionierung gespürt, die auch der portraitierten Generation in "Bis aufs Blut" spürbar ist?

Matschenz: Bei mir war das Problem in erster Linie, dass ich blöd herumpubertiert habe und dachte, ich sei schlauer als der Rest der Welt. Erst später habe ich dann gelernt, dass dem nicht so ist und man einfach lernen muss, um im Leben weiterzukommen. Meine Schauspielerei hat mir in gewisser Form auch sehr geholfen, erwachsener zu werden.
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Jacob Matschenz
Ricore: Inwiefern?

Matschenz: Als meine Eltern fast schon verzweifelt waren, was später einmal aus mir werden soll, kamen die ersten Rollenangebote auf mich zu. Vielleicht war das Filmen auch deshalb eine gute Therapie, weil ich die Füße generell nur schwer stillhalten kann und ich mich so ausleben konnte. Den Begriff Desillusionierung würde ich bei mir zwar nicht anwenden, aber in unserer Welt, in der man dir vorpredigt, bei all dem Überfluss wirklich alles werden zu können, kann ich verstehen, dass Leute damit schnell überfordert sind.

Ricore: Der Film thematisiert auch den Einfluss der sozialen Umfelder, in denen die Freunde aufwachsen. Wie sehr drängt seine Herkunft den Menschen in ein Raster - und wie stark kann dabei der eigene Wille sein?

Matschenz: Es hängt einfach davon ab, welcher Typ Mensch du bist. Denn viel hat mit der richtigen Einstellung zu tun. "Lauf um dein Leben", in dem es um die wahre Geschichte eines Junkies geht, der zum Triathleten wurde, thematisiert das ja ganz gut: man hört zum Glück sehr oft von Leuten, die kurz vor dem Absturz stehen - und es trotzdem wieder nach oben schaffen. Oft ist das eine mentale Sache, eine Form von Erkenntnis, die man irgendwann erlangen muss.

Ricore: Was war die größte Erkenntnis während Ihrer Schulzeit?

Matschenz: Die Tatsache, dass ich für niemand anderen lerne, als für mich. Ich habe gemerkt, dass ich den größten Gefallen mir selbst tue - und nicht meinen Eltern oder meiner Schule. Aber solange im Kopf nichts passiert, rennt man auch aufgrund seiner sozialen Herkunft immer gegen eine Wand.
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Jacob Matschenz
Ricore: Sie haben ganz offensichtlich mit der Zeit entdeckt, dass Ihre Stärke ganz klar auf der künstlerischen Ebene liegt. Immerhin lieben Sie inzwischen Kritiker und Publikum.

Matschenz: Ich würde mich jetzt gar nicht so sehr als großartigen Künstler bezeichnen, aber für mich war es einfach der beste Weg. Irgendwann habe ich mich dann auch von dem Gedanken getrennt, noch eine Schauspielschule zu besuchen. Immer, wenn ich nämlich Freunde gefragt hatte, wie es dort so zugeht, habe ich immer gehört, dass es 'eine interessante Erfahrung' wäre. Da habe ich mir dann gedacht: 'eine interessante Erfahrung', die habe ich auch beim Film - und kann ich gleichzeitig auch noch die Praxis dazulernen.

Ricore: Stimmt denn die Geschichte, dass Ihre Mutter Sie zu Ihrem ersten Casting geschickt hat?

Matschenz: Na, was heißt 'geschickt'? Sie wusste, dass ich das machen will und hat mir damals eine Anzeige in die Hand gedrückt. Aber das erste Casting lief ordentlich schief, weil ich mich da noch nicht wirklich auskannte. Später fand ich dann aber eine Kinderagentur und damit kam dann auch die erste Rolle.

Ricore: In "Bis aufs Blut" spielen Sie sich durch die ganze Bandbreite an Emotionen und beweisen, dass Sie sich innerhalb von Sekunden in eine völlig andere Gefühlslage versetzen können. Wann haben Sie gemerkt, dass man Eitelkeit außen vor lassen muss, um Extreme richtig gut spielen zu können?

Matschenz: Es kommt immer darauf an. Wenn man eine eitle Figur spielt, darf man auch mal eitel sein. Ich bin auch überzeugt, dass jeder Schauspieler irgendwo Eitelkeiten besitzt, die er nicht abstellen kann. Aber wenn ich mir Filme ansehe, bemerke ich relativ schnell, wer von meinen Kollegen eitel ist - und muss zugeben, dass ich das dann auch nicht besonders mag. Ich hab mir deshalb irgendwann angewöhnt, Äußerlichkeiten völlig außen vor zu lassen. Generell finde ich Eitelkeit nichts schlimmes, aber vor der Kamera hat sie nichts zu suchen, weil man sie eben schnell bemerkt.

Ricore: Ihrer Rolle im Film fällt es sehr schwer, nach selbst auferlegten Prinzipien zu leben. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Matschenz: Ich versuche es, aber eigentlich scheitere ich täglich. (Lacht) Aber man kann es ja jeden Tag wieder aufs Neue versuchen, es schadet ja nichts. Ich bin kein Typ, der klar durchstrukturiert ist und weiß, was er tut und was nicht. Ich lasse Dinge eher auf mich zukommen, wobei ich schon weiß, was richtig und was falsch ist. Das ist und bleibt das Wichtigste.
erschienen am 30. September 2010
Zum Thema
Die Freunde Tommy (Jacob Matschenz) und Sule (Burak Yigit) sind seit Kindertagen unzertrennlich. Mit kleinen Drogendeals halten sie sich über Wasser, bis Tommy wegen Drogenhandels verhaftet und zu sechs Monaten Haftstrafe verurteilt wird. Nach dem Gefängnis möchte er sich aus den krummen Geschäften seiner Freunde heraushalten. Doch durch das soziale Umfeld, private Konflikte und sein Verantwortungsgefühl für den impulsiven Sule gerät er wieder auf die schiefe Bahn. "Bis aufs Blut - Brüder auf..
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