Zorro Film
August Diehl als deutscher Arzt in Kolumbien
Kommende Tage werden finster
Interview: August Diehl lebt im Augenblick
Der deutsche Schauspieler August Diehl macht erstmals 1998 als Computergenie im Thriller "23 - nichts ist so wie es scheint" auf sich aufmerksam. Der Berliner erhält den Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller. Seit "Inglourious Basterds" hat er Kontakte nach Hollywood und darf auf Empfehlung von Brad Pitt den Ehemann von Angelina Jolie in "Salt" mimen. Wie seine Karriere weiter geht, weiß Diehl nicht. Der 34-Jährige beschäftigt sich lieber mit ernsthaften Themen wie in "Die kommenden Tage", in dem er sich Gedanken über die eigene Zukunft macht.
erschienen am 4. 11. 2010
Universal Pictures (UPI)
Mehdi Nebbou und August Diehl können auch böse...
Ricore: Waren Sie niedergeschlagen, als Sie das Drehbuch gelesen haben?

August Diehl: Nein, ich war sehr froh. Es ist eine tolle Rolle und eine gute Geschichte.

Ricore: Aber es ist eine finstere Zukunftsvision...

Diehl: Das einzig Finstere daran ist der Titel "Die kommenden Tage". Alles andere nicht. Es stellt sich nur die Frage: Wann wird das alles passieren?

Ricore: Aber Sie sind sich sicher, dass es passieren wird?

Diehl: Das Erstaunliche ist, dass wenn man außerhalb von Europa war und wieder zurückkehrt, dankt man, warum Europa noch nicht so aussieht, wie der Rest der Welt. Mal abgesehen von den ganzen Zukunftsgimmicks, wird in dem Film ein Europa mit Mangel an Rohstoffen und einer großen Schere zwischen Arm und Reich gezeigt. Die Armut liegt direkt vor der Tür, wie es überall auf der Welt bereits ist.

Ricore: Sie sind Vater geworden. Macht man sich da andere Gedanken über die Zukunft?

Diehl: Ich habe mir schon immer Gedanken über die Zukunft gemacht. Mittlerweile sind sie nicht mehr eigennützig und auf mich bezogen. Ansonsten hat sich in der Hinsicht nicht viel verändert.
Universal Pictures (UPI)
August Diehl und Johanna Wokalek in "Die kommenden Tage"
Ricore: Wir haben uns jahrelang beschwert, dass die Deutschen faul und träge sind. Jetzt sieht man Zehntausende bei der Demonstration gegen Stuttgart 21 auf die Straße.

Diehl: Die Leute sind sehr stolz auf Stuttgart 21, dabei sind solche Demonstrationen in anderen Ländern die Regel. In Frankreich streiken sie ständig. Das ist eine Charakterfrage. Bei uns dauert das länger. Wenn es aber passiert, ist es eine große Sache. Ich finde es gut, was in Stuttgart passiert. Auch, dass die Polizei negativ aufgefallen ist. Sonst wäre in den Medien nicht darüber berichtet worden. Wenn die Geschichte um Stuttgart ein gutes Ende nimmt, dann habe ich das Gefühl, dass der Bürger noch Möglichkeiten hat, sich in die Politik einzumischen.

Ricore: Die Politik hat das Strafmaß von zwei Jahren auf drei erhöht, wenn man sich aus einem Polizeigriff befreit. Besteht da ein Zusammenhang mit den Demonstrationen?

Diehl: Das sind Angstentscheidungen der Politiker. Sie haben Angst, etwas nicht unter Kontrolle zu haben. Kein Volk auf dieser Welt hat so viel Angst davor, die Kontrolle über etwas zu verlieren, wie die Deutschen. Deswegen kommt es zu solchen Gesetzesänderungen. Ob das etwas bringt, sei dahingestellt. Bei einem Polizeigriff denkst du nicht: das ist der Polizist und das bin ich. Du fühlst dich bedroht von einem anderen Menschen, der dir Schmerzen zufügt. Aus solch einer Situation willst du dich befreien und sollst dafür drei Jahre ins Gefängnis kommen. Das ist Schwachsinn.

Ricore: Ein Gefängnisausbruch ist straffrei, der Grund ist, dass jeder das Recht auf Freiheit hat.

Diehl: Es gibt noch absurdere Gesetzte. Die Fahrerflucht beispielsweise. Das Überfahren eines Menschen wäre keine kriminelle Tat. Das Wegfahren ohne Hilfeleistung jedoch schon. Solche Gesetzte ergeben keinen Sinn.

Ricore: Wie muss man sich die Dreharbeiten zu dem Film vorstellen? Wird in den Pausen über die schwierige Thematik diskutiert?

Diehl: Vor den Dreharbeiten war die Atmosphäre sehr angespannt. Während den Dreharbeiten ist das Arbeitspensum sehr hoch. Viel Zeit für tiefgehende Diskussionen gibt es nicht. Bei meinem ersten Treffen mit Lars hatte ich den Eindruck, dass das Thema uns mehr beschäftigte, als die einzelnen Rollen.
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Inglourious Basterds
Ricore: Kann der Film als Science Fiction angesehen werden?

Diehl: Ich bin kein Fachmann für Genre-Einteilungen, aber ich glaube nicht, dass es ein Science Fiction ist. Die Gemeinsamkeit besteht möglicherweise darin, dass Science-Fiction-Filme oft gesellschaftskritisch sind.

Ricore: Also eher Realismus als Fiktion?

Diehl: Fiktive Realität.

Ricore: Ihre Rolle entwickelt sich erst im Lauf der Handlung zu einem Schurken. In "Inglourious Basterds" waren Sie ebenfalls furchteinflößend. Wie schaffen Sie es, nicht für den Part des Bösewichts festgelegt zu werden?

Diehl: Die Angst, dass man auf eine Rolle festgelegt wird, habe ich dauernd. Nach "23 - nichts ist so wie es scheint" habe ich gefürchtet, nur noch den verrückten Kokser spielen zu dürfen. Es stellt sich die Frage, inwieweit man die Kontrolle über seine eigene Karriere hat.

Ricore: Machen Ihnen diese Rollen Spaß?

Diehl: Es macht viel Spaß, den Antagonisten zu spielen. Ich war früher immer für die Bösen im Kino.

Ricore: Wie unterscheiden sich die Regisseure von "Inglourious Basterds" und "Die kommenden Tage" in der Zusammenarbeit und in der zwischenmenschlichen Interaktion?

Diehl: Sprachlich haben Lars und ich uns besser verstanden [lacht]. Die Unterschiede sind groß. Jeder Mensch ist anders.
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August Diehl
Ricore: Mit wem haben Sie mehr Gemeinsamkeiten, Lars Kraume oder Quentin Tarantino?

Diehl: Der Dreh mit Tarantino war sehr befreiend, weil er wie ein Theaterregisseur arbeitet. Das war neu für mich. Deutsche Regisseure haben meist Angst, dass der Schauspieler zu viel macht. Tarantino hat nach drei Tagen zu mir gesagt: Ich sehe was du versuchst, aber mach doch bitte mehr.

Ricore: Das passt aber nicht zu jeder Geschichte...

Diehl: Das ist eine Frage des Genres. Es gibt bestimmte Gesetze, die befolgt werden sollten. Bei "Inglourious Basterds" kann man Dinge umsetzten, die in einem realistischen Film nicht möglich wären. Das macht mir aber Spaß.

Ricore: War es für Sie realistisch, dass bei Ihrer Figur am Ende Vatergefühle aufkommen?

Diehl: Das interessanteste an der Rolle war für mich, dass er am Ende zugibt, dass er ähnliche Glücksvorstellungen hat, wie die konservative Hauptdarstellerin. Nämlich seine Familie, die Frau und das Kind. Nachdem er alles verloren hat, kehrt er zu ihnen zurück. Das finde ich nachvollziehbar. Zum Ende hin ist er so verzweifelt, dass er das Gleiche will, wie alle Menschen: Geborgenheit.

Ricore: Der Film wirft eine Grundsatzfrage auf: ab wann ist man bereit für die Rettung der Welt auch Gewalt anzuwenden. Wo sind da Ihre Grenzen?

Diehl: Das ist sehr schwer zu beantworten. Wenn man sieht, wie unsere Gesellschaft funktioniert, wird klar, dass wir in einem System leben, das auf der anderen Seite der Welt Gewalt ausübt. Wenn sich dann eine Minderheit wehrt, werden diese Terroristen genannt. Der Terror beginnt allerdings schon zuvor, wird jedoch anders beschrieben. Interessenverteidigung oder Zivilisation, aber es wird nicht unter dem Namen Terror angeführt. Das ist die Macht der Worte. Je nachdem, wie etwas betitelt wird, hat es eine andere Wirkung.
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Diehl in Margarethe von Trottas "Ich bin die Andere"
Ricore: Ist das Anzünden von Luxuslimousinen moralisch vertretbar?

Diehl: [lacht] Bei Sachbeschädigung denke ich mir: Wunderbar, es wurden keine Menschen angezündet. Wer Gewalt ausübt, will eigentlich nur gehört werden. Wenn dabei nur Limousinen angezündet werden und keine Menschen verletzt werden, dann ist mir das lieber.

Ricore: Und wenn Ihr Auto angezündet wird?

Diehl: Ich habe keine Limousine. Ich wäre froh, wenn sie mein Auto anzünden. Das ist kaputt. [lacht]

Ricore: Welche Szene hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Diehl: Die Szenen mit Johanna und die seltsame Abhängigkeit zwischen dem Paar. Mir hat es auch Spaß gemacht, einen Menschen in drei verschiedenen Lebensphasen zu spielen.

Ricore: Haben Sie am Set auch über die futuristischen Techniken gesprochen?

Diehl: Ich erinnere mich an eine Szene, in der mir eine Plastikzigarette gegeben wurde. Ich dachte, man würde in der Nahaufnahme sehen, dass es sich um eine Unechte handle. Aber mir wurde gesagt, dass das eine Zukunftszigarette sei. Die Zigarette qualmt und hat einen Nikotingeschmack, ist aber vollkommen gesund.
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Die kommenden Tage
Ricore: Sind Sie ein Anhänger von neuen technischen Entwicklungen?

Diehl: Einige Erfindungen finde ich wirklich gut. Das Internet beispielsweise finde ich klasse, obwohl ich es sehr selten nutze. Ich finde dabei die Tatsache gut, dass es immer schwieriger wird, Informationen vor dem Volk zu verheimlichen. Wer sich für bestimmte Naturkatastrophen interessiert, die in den Nachrichten nicht ausführlich gezeigt werden, kann sich im Internet informieren.

Ricore: Fällt Ihnen auch ein Negativbeispiel ein?

Diehl: Facebook finde ich grauenhaft. Du bekommst dauernd Nachrichten von fremden Menschen, die wissen, was du tust und wo du dich befindest. Ständig erreichbar zu sein, ist für mich kein Luxus.

Ricore: Sind Sie schon auf einer Demonstration gewesen?

Diehl: Ja, aber ich habe mich dabei nie wohl gefühlt.

Ricore: Setzen Sie sich für karitative Zwecke ein?

Diehl: Nicht in speziellen Einrichtungen. Ich fühle mich wohler, meine Meinung in Filmen auszudrücken. Das kann ich besser.
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August Diehl in "Die Fälscher"
Ricore: Sehen Sie sich ihre eigenen Filme an?

Diehl: Es ist schön mit der Crew den Film gemeinsam ein Jahr später auf der Premiere zu sehen und über die Dreharbeiten zu reflektieren. Bis dahin sind die Gedanken bei einem anderen Projekt und es ist möglich, etwas Abstand zu gewinnen, wie bei "23 - nichts ist so wie es scheint". Ich habe ihn erst vor kurzem wieder gesehen.

Ricore: Haben Sie sich seit damals sehr verändert?

Diehl: Ich bin nicht mehr so streitsüchtig und ehrgeizig, wie damals.

Ricore: Wie sehen denn Ihre kommenden Tage aus?

Diehl: Das weiß ich momentan nicht, aber das finde ich gut so.

Ricore: Machen Sie sich keine Gedanken über die Zukunft?

Diehl: Ich mache mir Gedanken über Themen, wie in "Die kommenden Tage". Konkrete Pläne über die eigene Zukunft habe ich nicht. Ich weiß erst, wenn ich am Set oder bei der ersten Probe am Theater bin, ob diese Arbeit stattfinden wird. Ich habe mich zu oft auf eine Sache gefreut, die letztendlich nicht zustande kam. Daher habe ich es mir abgewöhnt, lange vorauszuplanen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 4. November 2010
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2024