Universal Pictures
Mark Ruffalo
Genug von Hollywood?
Interview: Mark Ruffalo im Wandel
Mark Ruffalo ist ein vielbeschäftigter Schauspieler. Im Laufe seiner Karriere drehte der 42-Jährige mit renommierten Regisseuren wie Martin Scorsese, David Fincher und Michael Mann. Als grüner Wüterich Hulk gesellt er sich schon bald zur Superheldentruppe "The Avengers". In "The Kids Are All Right" fungiert er für Julianne Moore und Annette Bening als Samenspender. Im Interview spricht Ruffalo über seine Auffassung von Familie und bezieht kritisch Stellung zur politischen Situation in den USA. Zudem verrät uns der charismatische Darsteller, warum er von Hollywood genug hat.
erschienen am 19. 11. 2010
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The Kids Are All Right
Ricore: Wahrscheinlich mussten Sie nicht lange überlegen, bis Sie die Rolle in "The Kids Are All Right" angenommen haben.

Mark Ruffalo: Zunächst sah es so aus, als ob ich die Rolle nicht annehmen könnte. Ich hatte gerade meine eigene Regiearbeit zu Ende gedreht und war mit dem Schnitt beschäftigt, so dass ich nicht die Zeit hatte. Ich fand das Drehbuch toll und war wirklich traurig, dass vielleicht ein anderer die Rolle bekommen würde.

Ricore: Was überzeugte Sie an der Geschichte?

Ruffalo: Es ist eine sehr interessante Sichtweise auf die gleichgeschlechtliche Ehe. Die Geschichte brachte mich zum Lachen und ich erkannte gleich, dass es eine sehr ehrliche, kluge Geschichte über Familie ist. Meine Figur ist ein schön ausgearbeiteter, in gewisser Weise kindlicher Charakter, der anscheinend alles Erdenkliche besitzt, aber eigentlich gar nichts im Leben hat.

Ricore: Interessanterweise wird die Beziehung des gleichgeschlechtlichen Paares als ganz normale, fast traditionelle Ehe dargestellt.

Ruffalo: Ja, absolut. In vielerlei Hinsicht ist es eine relativ konservative Sicht auf die Ehe. Vielleicht ist das der Grund, warum der Film auch in Amerika keine Kontroversen ausgelöst hat. Ich erwartete und hoffte, dass es eine Kontroverse auslösen würde. Doch die Leute hatten kein Problem damit.

Ricore: Das ist gerade das Schöne: Homosexualität wird als etwas ganz selbstverständliches portraitiert.

Ruffalo: Ja, es wird nicht als etwas dargestellt, das man irgendwie verbergen müsste. Das bringt die politische Auseinandersetzung weiter. Dabei ist der Film keinesfalls politisch, sondern lässt das Politische gleich hinter sich und erzählt stattdessen von der Allgemeingültigkeit der Familie. Auf diese Weise verursacht der Film keine Polemik, durch die die Zuschauer entzweit werden. Indem der menschliche Aspekt im Mittelpunkt steht, stellt sich die Frage, wie man die Leute bloß hassen kann, wenn sie doch wie wir sind. Deshalb ist der Film auch voller Humor. Wir erkennen uns und unsere Familien darin wieder.
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Mark Ruffalo
Ricore: Welche Beziehung hat Ihr Charakter in "The Kids Are All Right" zu seinen Kindern?

Ruffalo: Er mag es, sich wie ein Vater zu fühlen, aber er kann nicht wirklich ein Vater sein. Doch ich denke, er ist ein Freund für sie. Er lässt sie so sein, wie sie sind und das in einer Zeit, in der es für einen Erwachsenen wirklich wichtig ist, die wachsende Unabhängigkeit eines Jugendlichen zu akzeptieren. Ich denke, dass sie das in dem Moment wirklich brauchen. Und für ihn ist es wichtig, ihnen das geben zu können. Daher ist es in mancher Hinsicht gut für die Kinder, diese Beziehung zu ihm zu haben.

Ricore: Haben Sie etwas von Ihrem Charakter lernen können?

Ruffalo: Er hat mich daran erinnert, als Vater zuzuhören. Das ist es, was Paul tut. Er hört ihnen auf eine Weise zu, die sie dazu bringt, mit ihm zu reden.

Ricore: Denken Sie, dass die Beziehung mit Julianne Moores Charakter für ihn dadurch interessanter wird, dass sie lesbisch ist?

Ruffalo: Es ist wohl eine sehr heterosexuelle Sache, dass er denkt, er könnte eine lesbische Frau davon überzeugen, nicht mehr lesbisch zu sein. [lacht] Das ist verrückt, er denkt: "Hey, ich bin zur Hälfte selbst lesbisch. Was ist schon dabei?" [lacht] Das ist bloß eine Fantasie, die vollkommen unrealistisch ist. Es ist witzig, dass er am Ende eine lesbische Frau anbetteln muss, mit ihm durchzubrennen. Das ist wohl die beste Lektion, die dieser Frauenheld hätte lernen können. Dadurch entwickelt er sich schließlich weiter.

Ricore: In gewisser Weise sind Sie die tragische Figur des Films.

Ruffalo: Irgendwie schon. [lacht] Ich bin der Hamlet dieses Stückes.
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Mark Ruffalo
Ricore: Welche Sichtweise haben Sie auf Familienwerte?

Ruffalo: Ich denke, dass das Bedürfnis, eine Familie zu gründen, ganz tief im menschlichen Herzen verwurzelt ist. Dabei spielt es keine Rolle, wo wir sind oder und unter welch merkwürdigen Umständen es dazu kommt. Für mich ist der einzige Familienwert die Familie selbst. Mit diesem amerikanischen Schwachsinn christlich-konservativer Familienwerte kann ich nichts anfangen. Aber ich denke, wir brauchen einander, um uns weiterzuentwickeln und zugehörig zu fühlen. Ob es nun die Familie ist, in die man hineingeboren wird, diejenige, die man sich selbst aussucht oder die, mit der man arbeitet, wir brauchen Familie.

Ricore: Was können Sie über Ihr Regiedebüt erzählen?

Ruffalo: Der Film heißt "Sympathy for Delicious" und hat letztes Jahr in Sundance den Spezial-Preis der Jury gewonnen. Orlando Bloom, Juliette Lewis, Laura Linney, Noah Emmerich und ich selbst spielen mit. Es ist eine großartige Besetzung. Der Film handelt von einem Mann im Rollstuhl, der die Gabe besitzt, andere Menschen heilen zu können - aber nicht sich selbst. Also nutzt er seine Kräfte für Sex, Drogen, Rock'n'Roll und Geld. Der Film besitzt sozial-satirische Elemente. Er ist witzig, aber auch ernsthaft. Ich bin stolz darauf, ihn inszeniert zu haben.

Ricore: Spielen Sie den Protagonisten?

Ruffalo: Nein, mein bester Freund, der selbst querschnittsgelähmt ist, spielt die Hauptrolle. Er hat auch das Drehbuch geschrieben. Wir besuchten zusammen die Schauspielschule. Vor 16 Jahren hatte er einen Kletterunfall und vor zehn Jahren hat er das Skript verfasst. Seitdem haben wir es etwa 30 Mal umgeschrieben, bis wir daraus einen Film machen konnten.

Ricore: Wie war es für Sie, als Regisseur zu arbeiten?

Ruffalo: Ich habe es geliebt. Ehrlich gesagt, saß ich am ersten Tag in meinem Trailer und rollte mich zu einem kleinen Ball zusammen. Ich dachte: "Was mache ich hier eigentlich? Ich habe kein Recht, das zu machen." Und dann klopfte es an der Tür und es hieß: "Boss, wir warten auf Sie am Set." [lacht] Also öffnete ich die Tür, begrüßte jeden und ging an den Set. Danach dachte ich nicht mehr darüber nach und ich realisierte, dass ich in meiner 20-jährigen Filmkarriere viel von wirklich großartigen Regisseuren gelernt habe. Irgendwie habe ich mir einiges davon angeeignet. Ich habe es wirklich geliebt und sagte mir, dass ich nie wieder als Schauspieler arbeiten werde. [lacht]

Ricore: Sie wollten also nur noch Regie führen?

Ruffalo: In den nächsten zehn Jahren würde ich gerne mehr in dem Bereich machen.
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Mark Ruffalo
Ricore: Aber zunächst stehen ja noch einige Rollen an, etwa als Hulk im kommenden Superhelden-Film "The Avengers". Wie war es, das vor all den Fans bei der San Diego Comic-Convention zu verkünden?

Ruffalo: Es war ziemlich verrückt. [lacht] Ich glaube, es waren um die 4.000 Leute da, die total aus dem Häuschen waren. Ich muss in ziemlich große Fußstapfen treten. Edward Norton ["Hulk"-Darsteller des letzten Kinofilms, Anm. d. Red.] und ich sind befreundet und ich finde, dass er unglaublich gute Arbeit geleistet hat. Wir scherzen darüber, dass es der "Hamlet" unserer Generation ist. Ist es nicht traurig? Soweit ist es mit Amerika gekommen. [lacht] Aber ich denke, dass ich durch das neue Drehbuch und den neuen Ansatz meine eigene Perspektive einbringen kann.

Ricore: "Avengers"-Regisseur Joss Whedon ist ein hervorragender Drehbuchautor, bei dem stets vielschichtige Charaktere im Mittelpunkt stehen. Welcher Ansatz schwebt ihm beim Hulk beziehungsweise dessen Alter Ego Bruce Banner vor?

Ruffalo: Er will den Charakter als Durchschnittstypen zeichnen. Zudem soll er eine gewisse Anmut besitzen, die ihn zugänglich macht. Er ist noch nicht völlig aus seinem Leben gerissen worden. Er versucht, ein normales Dasein zu führen, zumindest so normal es geht, angesichts des Biestes in seinem Inneren.

Ricore: Sowohl die "Kids Are All Right"-Regisseurin Lisa Cholodenko als auch Joss Whedon haben fürs Fernsehen gearbeitet. Gibt es noch weitere Regisseure oder Autoren im TV-Bereich, mit denen Sie gerne arbeiten würden?

Ruffalo: Aaron Sorkin, von dem auch "The Social Network" stammt, ist beispielsweise ein Fernseh-Autor, der großartige Sachen macht und mit dem ich gerne mal zusammenarbeiten würde. Zudem habe ich mit Anthony Edwards von "Emergency Room" eine Serie konzipiert und an Showtime verkauft. Es geht darin um diese Krisen-Management-Leute, die der Öffentlichkeit die schlimmsten Dinge, die in der Welt passieren, als etwas Glänzendes und Tolles verkaufen. Ich versuche also, in dem Bereich Fuß zu fassen.

Ricore: In Amerika scheint es derzeit ein gewisses Verlangen an sozialkritischen Stoffen zu geben. Wie sehen Sie das?

Ruffalo: Ich denke, das Internet hat die Welt in gewisser Weise demokratischer gemacht. Wer auch immer die Informationen kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen. Der wirklich freie Informationsfluss hat Amerika in mancher Hinsicht aufgerüttelt. Aufgrund des Krieges und des wirtschaftlichen Niedergangs herrscht derzeit ein selbstreflexiver Zeitgeist, der in unserem Land dringend nötig war. Momentan gibt es bei uns einen großen Konflikt darüber, ob wir regressiv oder progressiv sein sollen. Ich denke, dass die Menschen meist eine progressive Lebensweise befürworten, doch es gibt auch eine veraltete Lebensweise, die derzeit in den Medien präsent ist.
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Mark Ruffalo
Ricore: Was halten Sie von der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung in den USA?

Ruffalo: Die sind verrückt. Zudem sind sie gewalttätig. Wir lassen zu, dass in Kampagnen unendliche Mengen Geld von vollkommen anonymen Quellen fließen. Wie es nun aussieht, sind einige der Unternehmen, die die Tea-Party finanzieren, ausländische Firmen. Amerika gerät unter die Kontrolle von Unternehmen. Das wird uns in einen Konflikt bringen. Es ist furchteinflößend und trägt faschistische Züge. In vielerlei Hinsicht ist es schwer zu glauben, dass das passiert.

Ricore: Haben Sie das Gefühl, dass sich Ihr Leben angesichts Ihrer Regiearbeit und der großen Rolle als Hulk gerade im Umbruch befindet?

Ruffalo: Wissen Sie, das vorletzte Jahr war sehr einschneidend für mich. Ich verließ Los Angeles und bin aufs Land gezogen. Vielleicht war es eine Art Midlife-Crisis. Es war einer dieser Momente, in denen man müde von allem ist und Veränderungen braucht.

Ricore: Waren Sie auch müde vom Filmgeschäft?

Ruffalo: Ich wurde müde von einigen Aspekten. Ich habe lange als Schauspieler gearbeitet und fühlte mich ausgebrannt. Hollywood wurde zu einem Ort, an dem ich nicht mehr sein wollte. Ich vermischte den geschäftlichen Aspekt mit der Schauspielerei. Da ich den geschäftlichen Aspekt nicht mochte, fing ich auch an, die Schauspielerei nicht mehr zu mögen. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich wieder schauspielern wollte.

Ricore: Was hat Ihre Meinung geändert?

Ruffalo: Es lag an der Auszeit. Ich dachte, ich hätte als Schauspieler nichts mehr zu sagen. Ich fühlte mich vollkommen leer und das war beängstigend. Doch ich denke, dass ich einfach etwas Ruhe brauchte und wieder ein normales Leben führen musste, bevor ich mich an neues Material wagen konnte. Ich weiß nicht, ich war einfach müde davon.

Ricore: Sie waren mal Vegetarier, wie wichtig ist Ihnen Ihre Ernährung?

Ruffalo: Ja, ich war lange Zeit Vegetarier. Das hatte damit zu tun, dass ich keinerlei Beziehung zu Fleisch und Tieren hatte. Als ich aufs Land zog, züchteten Farmer überall um mich herum Tiere. Das Essen wird vor Ort gezüchtet, was in Amerika nicht üblich ist. Wir sind daran gewöhnt, dass unser Essen tausende Meilen zu uns transportiert wird. Auf dem Land gehe ich dagegen mit meinem Sohn Kühe melken und wir suchen uns das Lamm aus, das wir an Weihnachten essen. Das ist wichtig und ich finde es auch gut, dass wir einen Garten haben. Meine Kinder können auf diese Weise eine Menge lernen. Ich bin auch auf dem Land aufgewachsen und mag diese Welt und deren Lebensweise.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 19. November 2010
Zum Thema
Mark Ruffalo steht seit 1989 vor der Kamera. Nach zahlreichen Rollen gelingt ihm im Jahre 2000 der Durchbruch an der Seite von Laura Linney in "YYou Can Count On Me". Für die Rolle wird er unter anderem mit dem Michael Manns "Collateral", David Finchers "Zodiac - Die Spur des Killers" und Martin Scorseses "Shutter Island" zu sehen. 2010 gibt der Schauspieler mit "Sympathy for Delicious" sein Regiedebüt. Die Komödie feiert auf dem Lisa Cholodenkos von Kritikern gelobter Komödie "The Kids Are..
"The Kids are all right" erzählt die Geschichte eines gleichgeschlechtlichen Ehepaares, das nach 20 Jahren Probleme mit ihrem fad gewordenen Alltag bekommt. Provokativ ist Lisa Cholodenkos Tragikomödie nur in ihrer konservativ angehauchten Inszenierung. Beinahe bieder wirkt die Geschichte, die durch die großartige schauspielerische Leistung der Protagonistinnen Annette Bening und Julianne Moore zu einem wahren Filmgenuss wird. Selten wurde eine umstrittene Geschichte derart unaufgeregt in..
2024