Tobis Film
Ben Becker
"Ich habe die Rolle des Bösen weg"
Interview: Ben Becker nicht zickig!
Ben Becker kommt vom Theater. Eine Trennung zwischen Bühne und Film zieht er dennoch nicht. Mit der Rolle des Bösewichts wird er in beiden Künsten identifiziert. Dass er auch Clowns spielt, wird gerne übersehen. Becker liebt an seinem Beruf die Vielfalt. Er lässt sich gerne überraschen und überrascht auch selbst gerne, verriet er Filmreporter.de im Interview. Der Anlass des Gesprächs war seine Rolle in "Habermann". Der Film handelt von der Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland und Becker verkörpert als Nazi-Offizier mal wieder einen Bösewicht.
erschienen am 25. 11. 2010
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Ben Becker in "Habermann"
Ricore: Herr Becker, Journalisten tendieren dazu, Kontinuitäten und rote Fäden im Werk von Regisseuren und Schauspielern zu sehen. Dabei lehnen vor allem Schauspieler eine Tendenz bei ihrer Rollenauswahl oft ab. Im Zusammenhang mit Ihrem Projekt "Die Bibel - Eine gesprochene Symphonie" sprachen Sie mal davon, zu großen Werken der Weltliteratur zu neigen. Also doch eine Kontinuität?

Ben Becker: Grundsätzlich lasse ich mich gerne überraschen und ich überrasche auch gerne. Ich versuche immer, meinem dramaturgischen Gespür zu folgen. Dabei möchte ich mich nicht zu oft wiederholen. Ich will mit meinen Rollen Neuland betreten. Auf der anderen Seite bin ich nun mal nicht mehr der jugendliche Liebhaber. Auch für seichtere Stoffe bin ich nicht mehr zu haben. Die Zeit, in der ich für Fernsehserien angefragt wurde, ist vorbei. Das ist auch in Ordnung. Man sagt ja, ich sei für die etwa komplizierteren Charaktere zuständig. Das finde ich auch in Ordnung. Schließlich will ich mich nicht langweilen.

Ricore: Spielt ihr späteres öffentliches Bild dabei eine Rolle? Ben Becker, der Darsteller von...

Becker: Ich weiß nicht, ob das so gelingt. Ich entscheide schließlich nicht, was gemacht wird. Aber es natürlich schon so, dass man sich mit Leuten zusammensetzt und etwas entwickelt. Ich sage auch mal, dass ich wieder was Komisches machen will, weil ich die Rolle des Bösen sowieso weg habe. Aber ein Geschichtsbild kreieren halte ich für übertrieben. Insbesondere weil ich viel Theater und Musik mache und auch eigene Sachen schreibe. Insofern würde ich meinen Lebenslauf nicht anhand meiner Filme ausmachen wollen. Es reicht ja, wenn ich ein paar Rollen gespielt habe und das Publikum mich damit identifiziert. Solche Fälle gibt es oft in der Filmgeschichte.

Ricore: Ist das etwas Gutes aus Ihrer Sicht?

Becker: Ich finde schon in Ordnung, wenn so ein Film darunter ist. Bei mir wäre es wohl "Comedian Harmonists". Warum nicht? Es ist ein toller Film.
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Ben Becker in "Frau2 sucht HappyEnd"
Ricore: Sie sprachen eben den Rollentypus des Bösewichts an. Ist das ein besonderer Anreiz für Sie?

Becker: Es kommt drauf an. Wenn ein Charakter gut begründet ist und ich eine gewisse Tiefe vorfinde, dann würde ich auch eine brave Figur übernehmen. Ich spiele auch gerne Clowns. Ich halte Robert Biberti aus "Comedian Harmonists" für einen Clown. Mit meinem Ziehvater Otto Sander habe ich mal die Serie "Polizeiruf" gemacht. Da habe ich auch einen Clown gespielt. Das macht mir auch Spaß. Trotzdem üben die Bösen eine Faszination aus.

Ricore: Warum ist das so? In der Film- bzw. der Kunstgeschichte sind die Bösen immer die interessanteren Figuren.

Becker: Ja und das ist aus humanistischer Sicht letztlich verwerflich. Die Menschen finden es spannend zu sehen, dass jemand etwas macht, was man im wirklichen Leben nicht machen darf. Action-Filme laufen so gut, weil da geballert wird, was das Zeug hält. Niemand will in der Wirklichkeit erleben, dass eine Straße von Bruce Willis zerlegt wird, wie ich das gestern Abend im Hotel-Fernsehen nochmal bewundern durfte (lacht).

Ricore: Was reizte Sie an der bösen Figur des Kurt Koslowski in "Habermann"?

Becker: Ich sagte mir, dass sie ja einer spielen muss. Ich wollte diese Figur entnazifizieren. Das mag sich vielleicht ein bisschen merkwürdig anhören. Man soll Angst davor haben, dass jemand wie Koslowski heute noch um die Ecke kommen kann. Er sollte eine Figur in einer Nazi-Verkleidung sein - mit dem Handelsblatt unter dem Arm. Solche Menschen kann man heute durchaus noch finden: skrupellose Geschäftsmänner, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen und dabei über Leichen gehen. Koslowski sollte auf keinen Fall ein verstaubter Nazi sein, bei dem der Zuschauer sagt: Das war einmal. Zum anderen reizte mich die Aussicht, mit Juraj Herz zusammenzuarbeiten. Ich kannte von ihm nur den "Leichenverbrenner". Mit dem Film hat er Weltkarriere gemacht. Cineasten geht das Herz auf, wenn man den Namen Juraj Herz erwähnt. Als wir uns das erste Mal begegneten war er allerdings älter, als ich dachte. Wir haben uns von Anfang an hervorragend verstanden. Wie ich mit Freude vernommen habe, will er nochmal mit mir arbeiten.
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Habermann
Ricore: Der Film ist mit seiner Vertriebenen-Thematik sehr aktuell. Ein Streit-Thema in der laufenden Debatte ist, inwiefern die unterschiedlichen Parteien, also die Sudeten-Deutschen und die Tschechen bzw. Polen, als Opfer bzw. Täter zu betrachten sind. Nimmt der Film zu diesem Thema Stellung?

Becker: Er bezieht insofern Stellung, als er den Mut hat, auf diese Problematik hinzuweisen. Er zeigt, dass die Verantwortungslosigkeit unter den Menschen nicht nur bei den Deutschen verankert ist, sondern auch in der ehemaligen Tschechoslowakei vorkam. Das stellt der Film als klare Behauptung in den Raum. Trotzdem schlägt sich "Habermann" auf keine Seite, sondern leistet vielmehr eine Zustandsbeschreibung. So etwas gab es über diesen Geschichtsabschnitt noch nicht. Wenn das auch noch ein Tscheche macht, ist das vor allem in Tschechien ein brisantes Thema. Dort hat der Film für viel mehr Furore gesorgt als hier. Denn in Tschechien wurde die eigene Schuld-Frage immer unter den Tisch gekehrt. "Habermann" ist aber nicht in dem Sinne reaktionär, als die vertriebenen Deutschen jetzt aufjubeln und sagen, sie haben jetzt ihren ultimativen Film gefunden.

Ricore: Inwiefern haben Sie sich im Rahmen der Vorbereitung für die Rolle mit dem Thema auseinandergesetzt?

Becker: Ich bin kein Schauspieler, der sich zur Vorbereitung wochenlang in der Bibliothek einschließt. Ich habe mich auf das dramaturgische Begleitmaterial verlassen. Außerdem hatten wir einen Regisseur, der sich in der Zeit bestens auskennt. Mit ihm habe ich vor Ort viel gesprochen. Er hatte viel aus seiner eigenen Geschichte zu erzählen.

Ricore: Ist Kurt Koslowski historisch verbürgt?

Becker: Der Mann ist aus mehreren Personen zusammengestrickt. In diesem Punkt weicht das Drehbuch ein wenig von der Roman-Vorlage ab. Ich hatte kein historisches Vorbild, an dem ich mich orientiert habe. Ich wollte die Figur so modern wie möglich gestalten.
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Ben Becker in "Ein ganz gewöhnlicher Jude"
Ricore: In Ihrer Karriere hatten Sie schon öfters historische Persönlichkeiten verkörpert. Ist man als Schauspieler bei der Darstellung historischer Figuren gehemmter, weil man mehr Verantwortung ihnen gegenüber verspürt?

Becker: Eigentlich nicht. Es ist nur so, dass man sich emotional in eine andere Zeit versetzt. In den 1930er und 40er fühle ich mich am wohlsten. Das liegt wohl daran, dass ich mit meiner Physiognomie gut in diese Zeit passe. Überhaupt fühle ich mich bei historischen Stoffen zu Hause.

Ricore: In einer überregionalen Zeitung hieß es einmal, Ben Becker sei der am meisten beschäftigte Schauspieler Deutschlands. Bezieht sich diese Äußerung auf den Theater-Schauspieler Ben Becker oder den Filmschauspieler?

Becker: Es ist mal so und mal so. Es gibt Zeiten, in denen ich mehr Filme drehe, dann wieder weniger. In den letzten zwei, drei Jahre habe ich sicher mehr Theater gemacht. Da waren auch viele eigene Inszenierungen darunter. Außerdem habe ich an Lese-Veranstaltungen teilgenommen. Das nimmt alles viel Zeit in Anspruch. Wenn man in Salzburg spielt, investiert man drei Monate in die Arbeit. Letztlich komme ich aus dem Theater...

Ricore: ...und sehen sich eher als Theater- oder als Filmschauspieler?

Becker: Diese Frage beantworte ich immer äußerst ungern. Es gibt genügend Filmrollen, in denen ich gut zum Tragen komme. Aber ich bin jetzt nicht jemand, der einen Film nach dem anderen dreht. Es gibt viele Kollegen, die noch nie auf der Theaterbühne standen, sondern unentwegt Filme drehen. Das ist mir unbegreiflich. Mir würde mein Beruf so keinen Spaß machen. Ich muss nicht in jedem zweiten Bully-Herbig-Film mitspielen.

Ricore: Wie wird die Filmbranche in der Theaterszene aus Sicht der Schauspieler wahrgenommen, eher negativ oder positiv?

Becker: Nein, nicht unbedingt negativ. Aber es gibt im Film viel leichte Kost, die viele Theaterschauspieler nicht unbedingt machen würden. Trotzdem gibt es den einen oder anderen Film, der auch hier heiß diskutiert wird. Der letzte Film, der mir diesbezüglich einfällt, ist "Jud Süß - Film ohne Gewissen". So etwas sehen sich auch Theaterleute gerne an. Aber grundsätzlich mag ich es nicht, wenn man diese zwei Arbeitsbereiche trennt.
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Ben Becker und Hannah Herzsprung in "Habermann"
Ricore: Wenn man sich ihre Theatersachen ansieht, etwa das bereits erwähnte "Bibel"-Projekt, dann hat man den Eindruck, dass Sie die Grenzen des Theaters sprengen wollen. Ihre Theater-Arbeit hat oft etwas von Aktionskunst.

Becker: Das ist richtig beobachtet. Das hat mir am Theater immer gefallen. In meiner ersten Inszenierung "Sid & Nancy" habe ich am Schluss hinter der Bühne den Vorhang aufgehen lassen, so dass man das nächtliche Berlin sehen konnte, in das die Schauspieler am Ende verschwunden sind. Auch "Die Bibel" war eine große Inszenierungsshow, in der die Zuschauer mit einbezogen wurden. Sei es, dass sie einfach andächtig wie in der Kirche saßen.

Ricore: Sie machen auch Musik. Kann man diesen Punkt auch als Verbindung zwischen Musik und Theater sehen?

Becker: Ja. Ich fand immer, dass Musik und Sprache viel miteinander zu tun haben. Wenn ich ein Stück inszeniere oder Lesungen mache, dann immer mit Einsatz von Musik. Damit erreiche ich den Zuschauer auf der emotionalen Ebene. Ich öffne sie mit Musik und schiebe den Text hinterher.

Ricore: Herr Becker, ich fand das Interview mit Ihnen sehr angenehm. Dabei gelten Sie eher als schwieriger Gesprächspartner. Wie kommen Sie zu diesem Ruf?

Becker: Diesen Ruf finde ich ok. Dadurch genieße ich eine gewisse Narrenfreiheit. Aber eigentlich bin ich überhaupt nicht schwierig. Oft werde ich einfach missverstanden. In dem Fall kann ich durchaus schwierig werden. Bei manchen Zeitungen denke ich mir, dass sie sich zwei Mal überlegen sollten, welche Redakteure sie mir an die Backe kleben. Im Umgang bin ich nicht schwierig. Schwierig ist vielleicht die eine oder andere Äußerung von mir oder die Tatsache, dass man mich künstlerisch nicht in eine Schublade stecken kann. Das verunsichert den einen oder anderen. Ich glaube, daher kommt dieser Ruf. Ich habe mich aber daran gewöhnt. Auf einer Weise bin ich sogar ganz froh darüber, weil die Leute mir mit gewissem Respekt gegenübertreten. Insofern habe ich diesbezüglich nichts verkehrt gemacht (lacht).

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 25. November 2010
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