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Erol Sander
"Ich muss noch viel lernen"
Interview: Erol Sander in Marrakesch
Erol Sander liebt Marrakesch. Dort dreht der vielbeschäftige Schauspieler nicht nur mit Oliver Stone seinen bisher einzigen Spielfilm "Alexander", sondern zuletzt auch den Fernsehfilm "Liebe ohne Minze". Darin spielt er einen Deutsch-Marokkaner, der überraschend von seiner zehnjährigen Tochter erfährt. Auch privat gab es Nachwuchs im Hause Sander: Anfang 2010 freute er sich mit Ehefrau Caroline Godet und Sohn Marlon über den kleinen Elyas. Im Interview spricht der Münchner über Familienglück, die Politik und seine Vorliebe für Tomaten.
erschienen am 14. 01. 2011
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Amine Baka (Erol Sander) findet zu seiner Tochter
Ricore: Wie würden Sie reagieren, wenn Sie wie Ihre Filmfigur Amine Baka aus heiterem Himmel erfahren würden, dass Sie eine Tochter haben?

Erol Sander: Im ersten Moment wäre ich geschockt. Im zweiten Moment glücklich, weil es das Kind überhaupt gibt - und trotzdem wieder traurig, weil man das Aufwachsen des Kindes nicht miterleben konnte. Man fragt sich, wie es dazu gekommen ist und wie es nun weitergeht.

Ricore: Würden Sie auch Wut oder gar Hass empfinden?

Sander: Ich glaube, dass Hass das falsche Gefühl ist. Wut schon eher. Wenn man ein zehnjähriges Kind hat, das plötzlich vor einem steht und dich "Papa" nennt, das ist schon hart. Die Wut bezieht sich nicht darauf, dass ich ein Kind habe, sondern dass ich nicht bei allem dabei sein durfte. Aber ich kann natürlich nur für mich sprechen.

Ricore: Würden Sie die Vaterschaft nicht anzweifeln?

Sander: Wenn ein zehnjähriges Kind behauptet, dass ich sein Vater bin, dann ist es zunächst egal, ob das genetisch so ist. Es ist doch super, wenn ein Kind mich zum Vorbild nimmt. Natürlich wird man später fragen: "Ist es wirklich mein Kind? Wie ist es passiert?" Diese Fragen stellen sich aber nicht am Anfang, sondern erst später.

Ricore: Die Dreharbeiten fanden in München und Marrakesch statt. Sie waren schon des Öfteren in der marokkanischen Stadt...

Sander: In den letzten zehn Jahren habe ich fast eineinhalb Jahre in Marrakesch verbracht. Wir haben dort viele Koproduktionen gemacht. Ich habe auch den Hollywoodfilm "Alexander" und zwei deutsche Filme dort gedreht.

Ricore: Ist es für Sie noch etwas Besonderes, in Marrakesch zu drehen, oder ist das inzwischen Routine?

Sander: Ich liebe Marrakesch und ein Teil von mir ist immer noch dort. Das Bild des Orients ist wunderschön. Marrakesch ist eine unglaublich schöne Stadt mit vielen Geheimnissen. Hier möchte man Filme drehen, um das Publikum zu unterhalten. Denn das Publikum möchte neue Orte entdecken und wir geben ihm in diesem Film neben der spannenden und unterhaltsamen Geschichte die Möglichkeit dazu.
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Erol Sander in "Mord in bester Gesellschaft - Das eitle Gesicht des Todes"
Ricore: Hatten Sie neben der Arbeit auch die Möglichkeit, Stadt und Kultur zu genießen?

Sander: Marrakesch ist eine kleine Stadt. Wenn man einmal dort gewesen ist, dann kennt man sie. Das Einzige, was immer wieder zu entdecken ist, sind neue Freundschaften. Die Stadt entwickelt sich und wird durch die Zuwanderung aus Frankreich, Deutschland und Italien immer größer.

Ricore: War Ihre Familie während der Zeit in Marrakesch bei Ihnen?

Sander: Nicht die ganze Zeit, aber sehr oft. Vier bis sechs Monate würde ich sagen.

Ricore: Sie haben schon früher betont, dass die Familie in ihrem Leben das Wichtigste sei...

Sander: Ich glaube, dass Familie für jeden das Wichtigste ist. Sie bildet die Basis, um in der eigenen Umwelt stark zu sein. Für Menschen, die keine Familie haben, ist es wichtig, diese Basis durch Freundschaften aufzubauen.

Ricore: Wie finden Sie neben der Arbeit Zeit für ihre Familie?

Sander: Ich finde 365 Tage im Jahr Zeit für meine Familie - egal wo ich bin, egal was ich mache. Es gibt viele Kommunikationsmedien, Telefone, Flugzeuge. Ich kann jederzeit nach Hause kommen. Meine Familie kennt meine Leidenschaft. Wir sind immer füreinander da. Ohne den anderen würde unser Leben auch nicht funktionieren.

Ricore: Im Februar sind Sie zum zweiten Mal Vater geworden. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Sander: Es ist eine Bereicherung, ein völlig neuer Lebensabschnitt, der immer interessant sein wird. Mit 17, 18 Jahren genießt man das Leben, geht aus und will die Welt entdecken. Dann kommt man in eine Phase, in der man sagt: "Jetzt bin ich so weit, jetzt kann ich meine eigene Familie gründen." Es ist etwas ganz Neues und macht mich glücklich. Kinder sind etwas ganz Positives. Mit ihnen zusammen erlebt man seine Jugend noch einmal. Man kann mit ihnen das erleben, was man sich in der eigenen Kindheit vom Vater oder der Familie gewünscht hat.
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Erol Sander und Christina Plate lieben sich ohnze Minze
Ricore: Sie haben vor einiger Zeit verraten, dass Sie sich noch eine Tochter wünschen. Stimmt das?

Sander: Wir wollen noch eine Tochter, ja. Wir machen so lange weiter, bis wir noch eine Tochter haben.

Ricore: Streben Sie eine Großfamilie an oder ist es dann doch irgendwann genug?

Sander: Fünf Kinder sind schon die Grenze, das sind schon ziemlich viele. Wir hoffen, dass das dritte Kind eine Tochter wird und überlegen, ob wir ein viertes machen.

Ricore: Was hält ihr Sohn Marlon vom Schauspieler Erol Sander?

Sander: Er sieht das ganz locker. Er schaut sich meine Filme gern an und ich höre mir wiederum sehr gern seine Kritik an. Mit acht Jahren einen Film anzuschauen, ist interessant. Aber natürlich nur, wenn er den Film auch anschauen darf. Es gibt ja ein paar Filme, die er noch nicht sehen darf.

Ricore: In Ihrem Zuhause treffen mehrere kulturelle Einflüsse aufeinander. In welcher Sprache erziehen Sie ihre Kinder?

Sander: Meine Frau spricht Französisch, ich spreche Deutsch. Unsere Geheimsprache ist Englisch, aber die wird mittlerweile auch verstanden.

Ricore: Ihre Kinder wachsen also zweisprachig auf?

Sander: Genau, bilingual. Meine Frau bringt ihnen Französisch bei, ich Deutsch. Das ist ganz wichtig.

Ricore: Welchen Beruf sollen Ihre Kinder später einmal ausüben?

Sander: Das liegt nicht an mir. Jedes Kind muss selbst entscheiden, was es aus seinem Leben machen will. Ich möchte ihnen dabei nicht nur als Papa zur Seite stehen, sondern auch als guter Freund, mit dem man über alles sprechen kann.
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Erol Sander in "Liebe ohne Minze"
Ricore: Welchen Beruf würden Sie heute ausüben, wenn Sie nicht Model bzw. Schauspieler geworden wären?

Sander: Weiß ich nicht. Ich habe angefangen, Politikwissenschaften zu studieren und bin dann zur Betriebswirtschaft übergegangen. Ich wollte einen Numerus Clausus schaffen, mit dem ich Medizin studieren und Arzt werden kann. Aber man kann das nicht voraussehen.

Ricore: Haben Sie ihr Studium abgeschlossen?

Sander: Ich bin nicht dazu gekommen. Ich habe es mir immer wieder vorgenommen. Dann war ich ein, zwei Monate dabei, und plötzlich haben mich andere Termine zurückgeworfen. Es ist schwer, wenn man die Vorlesungen nicht besuchen kann und sich alles selbst erarbeiten muss. Wenn du dann nicht konsequent deine vier bis fünf Stunden am Tag arbeitest, dann schaffst du das Studium nicht.

Ricore: Haben Sie vor, noch einmal daran anzuknüpfen und ihr Studium zu beenden?

Sander: Bevor ich das wieder aufnehme, möchte ich zunächst noch meinen Pilotenschein machen.

Ricore: Sie haben sich auf München als Wohnort festgelegt. Sehen Sie Ihre Zukunft hier?

Sander: Ich bin mit vier Jahren nach München gekommen und hier aufgewachsen. Hier ist mein Zuhause, meine Heimat. Hier fühle ich mich wohl. Ich fühle mich Deutsch. Mein ethnischer Ursprung ist die Türkei. Man ist immer neugierig, wo die Eltern herkommen. Durch die Reihe "Mordkommission Istanbul", die ich gerade für die ARD drehe, habe ich die Möglichkeit, das Land mit dem Publikum zusammen zu entdecken. Das finde ich sehr schön.

Ricore: Könnten Sie sich für die Zukunft vorstellen, noch einmal woanders zu leben?

Sander: Man weiß ja nie, aber ich glaube, dass München immer mein Zentralpunkt bleiben wird. Es ist ja jetzt schon Luxus, dass wir die ganze Zeit zwischen München und Paris pendeln.
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Christina Plate und Erol Sander
Ricore: Sie haben sieben Jahre in Paris gelebt. Was sprach gegen die französische Hauptstadt als ständigen Wohnsitz?

Sander: Na ja, ich arbeite in Deutschland, hier habe ich angefangen. Ich möchte nicht jeden Tag nach Frankreich fliegen müssen, wenn ich in Deutschland drehe. Das ist schon gut so, wie es ist. Ich liebe Deutschland, weil hier Freiheit, die Freiheit zur Meinungsäußerung und Demokratie sehr groß geschrieben werden. Es ist wert, für dieses Land zu kämpfen.

Ricore: Inwieweit ist Politik für Sie wichtig?

Sander: Ich bin ein politischer Mensch und engagiere mich in dieser Richtung. Ich habe meine Wählerstimme, die ich aber geheim halte, weil ich als Schauspieler nicht das Recht habe, zu polarisieren oder zu polemisieren. Politiker haben ihren Beruf gelernt und verstehen, mit ihm umzugehen. Ich bin als Schauspieler für die Unterhaltung zuständig und nicht für Politik.

Ricore: Welche Bedeutung hat ihre türkische Herkunft für Sie?

Sander: Wie schon gesagt, ich bin in der Türkei geboren und mit vier Jahren nach Deutschland gekommen. In diesem Alter realisiert man die Situation noch nicht so sehr. Meine Heimat und mein Zuhause ist Deutschland. Man ist zwar immer neugierig, wo die Eltern herkommen und wie sie aufgewachsen sind. Aber meine Heimat ist einfach Deutschland.

Ricore: Inwieweit finden sich noch Elemente der türkischen Kultur in Ihrer Familie und in Ihrem Alltag?

Sander: Ich glaube, dass es da bestimmt einen Zusammenhang gibt. Ich bin immerhin als Türke hierher gekommen, aber ich bin eigentlich ziemlich bayerisch eingestellt. Ich bin hier aufgewachsen, das ist meine Mentalität. Kinder sind mit fünf Jahren wie Unkraut und passen sich ganz schnell an eine neue Situation an. Unkraut wächst überall (lacht).

Ricore: Fühlen Sie eine besondere Verbundenheit zu Personen mit ähnlichem Migrationshintergrund wie Sie?

Sander: Wissen Sie, ich rede grundsätzlich nicht über Integration, weil man in diesem Moment Mauern aufbaut. Ich finde es schön, wenn andere Menschen darüber diskutieren können und wenn das Thema immer wieder zur Sprache kommt. Aber ich bin der Meinung, dass Integration dann erreicht ist, wenn man nicht mehr über sie redet. Ein schönes Beispiel: Wenn Sie nach New York gehen, finden Sie ein italienisches Viertel, ein jüdisches Viertel, ein chinesisches Viertel und ein türkisches Viertel. Ist das nicht schön? Man kann in jedem Viertel das Essen eines anderen Landes genießen, als ob man reisen würde. Das ist eine Bereicherung. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass man immer die Gesetze des Landes respektieren muss, in dem man lebt. Aber wie gesagt, ich rede nur ungern über Integration. Das sollen Politiker machen.
Indra Fehse/Ricore Text
Erol Sander
Ricore: Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere einen Künstlernamen angenommen. War es schwer, sich mit dem fremden Namen zu identifizieren?

Sander: Nein, ich habe ihn mir doch selber ausgesucht. Es ist doch super, wenn man sich seinen eigenen Namen aussuchen kann.

Ricore: Haben Sie ein Vorbild?

Sander: (überlegt) Ich habe schon einige Vorbilder. Mein Schwiegerpapa ist zum Beispiel ein großes Vorbild für mich. Den Dalai Lama würde ich zwar kein Vorbild nennen, aber er ist jemand, zu dem ich aufsehe. Es gibt Menschen, von denen man gerne lernt. Aber man will niemanden kopieren. Man versucht, Menschen zu verstehen und ihre Weisheiten zu teilen.

Ricore: Und in der Schauspielerei?

Sander: Maximilian Schell ist für mich ein Mentor, ebenso wie Mario Adorf. Beide sind Freunde von mir, die ich sehr respektiere und schätze. In unserem Beruf ist es ja so, dass man immer wieder dazulernt.

Ricore: Bringen Sie sich selbst kreativ in den Prozess des Filmemachens ein, etwa wenn Ihnen eine Textpassage unpassend erscheint?

Sander: Ein Film wird grundsätzlich im Team gemacht. Zum künstlerischen Aspekt gehören die Redaktion, die Produktion, der Buchautor, der Regisseur, der Kameramann, die Schauspieler, der Regieassistent. Es ist Teamarbeit. In der heutigen Zeit mit unzähligen Realityshows wie beispielsweise "Big Brother" wird es immer schwieriger, authentisch zu bleiben. Es ist immer wieder eine große Herausforderung, weil die Menschen dich schnell durchschauen. Um diese Authentizität zu erreichen, muss man hart arbeiten. Man darf nicht vergessen: Wir machen Traumgeschichten, fiktive Geschichten. Es gibt natürlich auch realistische Biographien und wahre Begebenheiten, aber die meisten Filme, die wir machen, sind fiktiv. Man kann es nur schaffen, diese authentisch rüberzubringen, wenn man im Team arbeitet.

Ricore: Könnten Sie sich vorstellen, auch hinter der Kamera zu arbeiten? Als Regisseur, Drehbuchautor oder Produzent?

Sander: Das kommt irgendwann einmal. Im Moment konzentriere ich mich auf die Schauspielerei. Da bleibt mir noch viel Zeit zum Lernen, bis ich 60 oder 65 bin.
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Erol Sander reitet bis 2013 als Winnetou
Ricore: Sie haben eine markante Stimme. Könnten Sie sich vorstellen, als Synchronsprecher zu arbeiten?

Sander: Ja, ich habe schon viele Anfragen bekommen, aber da müssen alle Konditionen stimmen.

Ricore: Welche Projekte dürfen wir als Nächstes von Ihnen erwarten?

Sander: Ich fange ab Februar wieder an zu drehen, wahrscheinlich in Afrika oder Asien. Mein Terminkalender ist sehr voll. Nächstes Jahr spiele ich wieder den Winnetou in Bad Segeberg, drehe "Mordkommission Istanbul" und "Die Alpenklinik". Außerdem stehen zwei bis drei weitere Filme in den Startlöchern. Es gibt genug zu tun.

Ricore: Sie haben bis 2013 als Winnetou bei den Karl May-Spielen unterschrieben. Haben Sie so etwas wie einen Fünf-Jahres-Plan?

Sander: Sie meinen wie Bastian Schweinsteiger? (lacht)

Ricore: Zum Beispiel.

Sander: Eigentlich nicht, aber bei Winnetou war es eine Vertrauenssache. Für mich war klar, dass ich das zweieinhalb Jahre machen will. Ich habe eine Option auf 2013. Man muss schon ein bisschen vorausschauen im Leben, aber nicht zu sehr.

Ricore: Abschließend die Frage: In "Liebe ohne Minze" empfindet Ihre Figur eine Abneigung gegen Tomaten. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Sander: Ich liebe Tomaten. Aber sie müssen auch nach Tomate riechen! Sie hat einen leicht wilden Geruch, der trotzdem anziehend ist.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. Januar 2011
Zum Thema
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