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Roland Suso Richter am "Dschungelkind"-Set in Malaysia
Zuschauer ins Unbekannte entführen
Interview: Roland Suso Richter mag Extreme
Ob das Gefängnis in "14 Tage lebenslänglich", das entführte Flugzeug in "Mogadischu" oder der Regenwald in "Dschungelkind" - Roland Suso Richter wirft seine Protagonisten schon mal gerne in Extremsituationen und beobachtet anschließend, wie sie sich darin winden. Der Zuschauer soll vom Gezeigten schockiert werden, ist sich andererseits aber natürlich seiner sicheren Situation im bequemen Kino-Sessel bewusst. Anlässlich des Starts von "Dschungelkind" hat sich Filmreporter.de mit Roland Suso Richter unterhalten. Bei dieser Gelegenheit verriet uns der Regisseur der Extreme, wie er den Dschungel empfunden hat.
erschienen am 17. 02. 2011
Universal Pictures
Dschungelkind
Ricore: Sie haben schon mal an einer amerikanisch-englischen Produktion mitgearbeitet, aber im Gegensatz zu Thomas Kretschmann oder anderen Kollegen sind Sie nie nach Hollywood gezogen, oder?

Roland Suso Richter: Nein. Als ich in meinen Zwanzigern war, war ich von Amerika total begeistert. Das war damals noch eine ganz andere Zeit. Da schaute man nach Hollywood auf, es war das Ziel aller Filmschaffenden. Ich bin zwar auch oft dort gewesen, aber ich bin nie hingezogen. Diese Welt beruht nur auf Glanz und Ruf und das ist auf Dauer sehr anstrengend. Außerdem möchte ich Europa nicht missen.

Ricore: Lieber also im heimischen München arbeiten?

Richter: Absolut. Aber ich bin da nicht so kategorisch. Wenn ich ein gutes Angebot bekomme, würde ich es sicher machen. Ich würde aber nicht nach Hollywood gehen und dort zu überleben versuchen. Außerdem ist diese Zeit vorbei. Vor zehn, fünfzehn Jahren hat es für Leute wie Roland Emmerich noch gut funktioniert. Heute dorthin zu ziehen und zu hoffen, dass etwas kommt, ist schwierig. Wenn man als Ausländer nach Hollywood geht, ist man zunächst kaum mehr als ein B-Kandidat und in dieser Position ist es schwer an Sachen zu gelangen, die einem gefallen.

Ricore: Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder mal einen Kinofilm gemacht zu haben?

Richter: Es fühlt sich schön an. Mein Ziel war ja schon immer, sowohl fürs Kino als auch fürs Fernsehen zu arbeiten. An dieser Einstellung hat sich nicht viel geändert. Auch ästhetisch versuche ich immer, diese zwei Welten miteinander zu vereinen, indem ich meine Fernsehfilme so gestalte, wie ich es auch fürs Kino machen würde. Fürs Kino zu arbeiten bedeutet gleichzeitig, dass man einem anderen Druck ausgesetzt ist. Denn diese Branche ist viel härter als die Fernsehbranche. Im Fernsehen wird der Film gesendet und danach ist er abgehakt. Im Kino ist er viel länger präsent. Indem er auf Festivals gezeigt wird oder generell auf Reisen geht, hat man viel mehr davon. Gleichzeitig ist ein Kinofilm ein großes Risiko, weil man nie weiß, wie er ankommt.

Ricore: Macht es die Arbeit leichter, wenn man mit einem Produzenten wie Nico Hofmann eine Konstante hat?

Richter: Es ist sehr schön und das braucht man auch in der Branche. Ohne so eine Konstante wäre man total aufgeschmissen. Das habe ich schon mal mit Werner Koenig erlebt. Wenn ein zuverlässiger Ast wegbricht, ist man erst mal alleine. Man braucht einfach Leute, die man kennt und die an einen glauben. Das ist sehr wichtig in diesem Metier.
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Thomas Kretschmann als Sprachforscher in "Dschungelkind"
Ricore: "Dschungelkind" spielt in West Papua, doch die Dreharbeiten fanden in Malaysia statt. Warum?

Richter: Wir haben uns viele Motive in Papua Neuguinea angeschaut, doch die interessanten Drehorte waren so weit weg von jeder Form von Infrastruktur, dass man sie nur mit einem Boot oder einem Helikopter hätte erreichen können. Das ging logistisch einfach nicht. Und bei den Orten, die zugänglich waren, habe ich nicht den Urwald vorgefunden, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Der zweite Grund war die Tatsache, dass es in Papua Neuguinea einfach zu viele Tropenkrankheiten gibt. Dort zu drehen wäre allein aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Neben Malaysia haben wir uns auch noch Drehorte in Australien angesehen, aber dort gibt es kaum Dschungelgebiete, die größer als ein Fußballfeld sind. Dort konnte man außerdem nicht ins Wasser gehen, weil es zu viele Krokodile gibt. Dann kamen wir auf Malaysia mit dem wunderschönen Nationalpark, der meinen Vorstellungen genau entsprach. Der 'Taman Negara' ist ein wunderbarer Regenwald, der zudem den Vorteil hatte, dass es dort so gut wie keine Tropenkrankheiten gab. Auch Krokodile gab es nicht, sodass wir ohne Gefahr auch am und im Wasser drehen konnten.

Ricore: Wie haben Sie das Problem mit den Darstellern für die Ureinwohner gelöst?

Richter: In Malaysia hätten wir auch die Darsteller für die Ureinwohner casten sollen. Die Schwierigkeit war nur, dass es im gesamten Nationalpark kaum mehr als 200 bis 300 Eingeborene gab. Ich musste aber um die 1.000 Menschen für ca. 20 Rollen casten. Auch von der Mentalität unterscheiden sich die malayischen Orang Asli erheblich von den Ureinwohnern Papua Neuguineas. Die Papuas sind viel energetischer, aggressiver, während die Orang Aslis Waldmenschen sind, die ganz still und unscheinbar leben. Es hätte nicht funktioniert. Nach langen Diskussionen und einem Jahr Verzug haben wir uns entschieden, das Casting in Papua durchzuführen. Die gecasteten Papuas haben wir dann nach Malaysia geflogen.

Ricore: Thomas Kretschmann und Nadja Uhl haben mit Ihnen schon in "Mogadischu" zusammengearbeitet. Standen sie für "Dschungelkind" von vorne herein fest oder haben Sie auch für ihre Rollen lange nach den passenden Schauspielern gesucht?

Richter: Das Schöne am Film ist, wenn man jemanden gefunden hat, mit dem man gerne arbeitet. Ich fand Thomas für die Rolle in "Dschungelkind" von Anfang an passend und auch Nadja konnte ich mir als Gegenpol gut vorstellen. Nadja hatte sich am Anfang mit der Rolle etwas schwer getan. Außerdem hatte sie ein wenig Angst vor dem Dschungel. Ich sagte ihr: So wie du dich gerade windest, so ist auch die Mutterfigur. Es war ein Kampf, aber ich fand, dass er gut zur Thematik passte.
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Nadja Uhl in "Dschungelkind"
Ricore: Im Film hat sich Sabine schneller an die neue Umgebung angepasst. Kamen die jüngeren Darsteller während der Dreharbeiten auch schneller mit den Bedingungen zurecht?

Richter: Ja, die Ängste der Erwachsenen hatten die Kinder überhaupt nicht. Die Schwierigkeit bei Stella war allenfalls, dass sie Probleme hatte, so lange von der Schule frei zu bekommen. Außerdem hatte sie Angst davor, ihre Freunde und die Familie zu vermissen. Als wir in Malaysia ankamen und mit den Dreharbeiten begannen, waren die Kinder Feuer und Flamme. Genau wie die Kuegler-Kinder haben sie die fremde Welt geradezu aufgesogen. Auch mit den Papuas hatten sie keine Berührungsängste. Sie konnten viel leichter mit der neuen Situation umgehen. Die Erwachsenen hatten da erst ihre Ängste zu bewältigen. Aber das hat sich auch schnell gelegt.

Ricore: Was reizte Sie an dem Projekt?

Richter: Das Exotische. Eine Aufgabe des Films ist es, den Zuschauer in eine Welt zu entführen, die er nicht kennt. Als ich das Buch von Sabine Kuegler las, hat sich mir eine Welt offenbart, die ich nicht kannte. Es gab Details in ihrer Beschreibung, die man so noch nicht gelesen oder gesehen hat. Ich dachte, dass ich auch als Kinozuschauer gerne in diese Welt mitgenommen werden möchte. Natürlich kann man in dramaturgischer Hinsicht Einwände gegen den Film haben. Man kann argumentieren, dass es ein Episodenfilm ist, der sich keiner dramaturgischen Notwendigkeit verpflichtet fühlt. Doch diese Struktur gab es auch im Buch und das hat mir letztlich daran so gefallen. Es gab ein Kapitel über das Essen, dann eins über die Kriege, usw. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass diese episodische Aneinanderreihung etwas beim Zuschauer hinterlässt. Er sollte das Gefühl bekommen, tatsächlich an diesem fremden Ort gewesen zu sein.

Ricore: Verspürten Sie nicht dennoch die Notwendigkeit einer Dramatisierung des Geschehens?

Richter: Am Anfang, als RTL noch mit an Bord war, gab es sehr wohl Bestrebungen nach einer stärkeren Dramatisierung des Stoffes. Ich wollte aber auf keinen Fall der exotischen Welt der Fayu irgendeine erfundene Geschichte aufpfropfen, nur damit der Film ein dramaturgisches Korsett hat, wie man es kennt.

Ricore: Zu "14 Tage lebenslänglich" sagten Sie, dass Sie das Gefängnis nicht so haben wollten, wie man es in der Realität kennt. Sie haben die Wirklichkeit zugunsten der Kino-Realität verändert. Fand auch in "Dschungelkind" eine Realitätsverformung statt?

Richter: Das ist eine Genre-Entscheidung. Bei "14 Tage lebenslänglich" wollte ich ein bestimmtes Genre bedienen. In dem Moment, in dem ich ein Genre betrete, kann ich machen, was ich will. Ich kann mir meine eigene Welt quasi neu formen. In "Dschungelkind" war das anders. Ich wollte, dass der Zuschauer die exotische Welt der Fayu im Kino so vorfindet, wie sie tatsächlich ist. Sie sollten das Gefühl haben, tatsächlich bei den Fayu gewesen zu sein und nicht in irgendeiner künstlichen Studiokulisse. Die Entführung in den Dschungel sollte realistisch sein.
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Thomas Kretschmann und Nadja Uhl in "Dschungelkind"
Ricore: Inwieweit hatte Sabine Kuegler Mitsprache-Rechte bei der Adaption?

Richter: Sie hatte durchaus Mitsprache-Recht. Natürlich haben wir um das richtige Konzept gerungen, weil nicht alles aus ihrem reichhaltigen Buch in den Film hineingenommen werden konnte. Es war kein Kampf, aber ein Ringen um die Geschichte. Natürlich hatte sie auch Angst, dass die Fayu schlecht wegkommen oder ihre Familie das Konzept nicht gut findet. Aber letztendlich hat sie in vielen Punkten helfen können.

Ricore: In "Dschungelkind" werfen Sie wie schon in "Mogadischu" oder "14 Tage lebenslänglich" einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen in eine Extrem-Situation und beobachten ihre Reaktion. Was reizt Sie an dem Konzept?

Richter: Es ist der Blick in den Abgrund. Der Film soll den Zuschauer in eine Situation schmeißen, die er nicht kennt, und ihn mit Dingen konfrontieren, die ihn schockieren. Das macht einen Film spannend. Gleichzeitig herrscht eine Distanz zwischen ihm und der Welt, die ihm im Kino vorgeführt wird. Er fühlt sich erleichtert, dass er im bequemen Sessel sitzt und sich nicht wirklich im Dschungel oder im Gefängnis befindet. Das ist der Motor des Kinos. Es entführt uns in eine Welt, die wir nicht kennen.

Ricore: In "Dschungelkind" gibt es zwei Handlungsvarianten in Bezug auf die der Welt der Fayus. Der Mann möchte die Welt so belassen, wie sie ist. Die Frau möchte eingreifen, weil sie die Dinge nicht akzeptieren kann, wie sie sind Wer von beiden ist im Recht?

Richter: Das ist die zentrale Frage. Darauf kann ich keine Antwort geben, weil es keine Antwort darauf gibt. Denn die Frage ist, welche ist die richtige Kultur? Ist die Fayu-Kultur nur schlecht oder ist da vielleicht etwas dabei, von dem auch wir etwas lernen können? Oder ist unsere zivilisierte Welt wirklich perfekt und makellos?

Ricore: Wären Sie selber gerne im Dschungel aufgewachsen?

Richter: Nein (lacht). Es ist nicht meine Welt, obwohl sie eine tolle Ausstrahlung hat. Die ursprüngliche Natur, die fremden Geräusche, all das hat einen starken Eindruck auf mich gemacht. Man lebt dort mit und in der Natur. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, etwas anderes gibt es nicht. Das bestimmt den Tagesrhythmus. Das ist spannend, aber nicht exakt meine Welt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 17. Februar 2011
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