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Jeremy Irons
Midlife-Krisen sind großartig
Interview: Zigeuner auf Reisen
Hat dieser Mann überhaupt eine Schwäche? Seit mehr als 30 Jahren begeistert Jeremy Irons die Branche durch exzellente Rollen, Frauen mit seinem Aussehen und Männer durch sein cooles Aristokraten-Image. Wie er es ohne Skandale und Fehltritte geschafft hat interessant zu bleiben, verriet uns der 56-jährige Oscarpreisträger beim Interview in München.
erschienen am 7. 04. 2005
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Kann auch komisch: Jeremy Irons
Ricore: Mr. Irons, Ihre Rollen wählen Sie stets mit Bedacht. Was hat Sie bei Ihrem neuesten Film "Alle lieben Julia" an dem Theaterintendanten Michael Gosselyn gereizt, der gemeinsam mit seiner Ehefrau, der gefeierten Schauspielerin Julia Lambert, das Kunstliebende London der 30er-Jahre in Verzückung versetzt?

Jeremy Irons: Annette Bening, die im Film meine Ehefrau spielt, musste mich überreden. Die Rolle war zwar keine besonders große Herausforderung, aber sehr angenehm. Ein gewisser Charme ist unverkennbar. Ich habe es genossen, mit einer Frau von diesem Format arbeiten zu können.

Ricore: Wir sehen Sie mal in einer komödiantischen Rolle!

Irons: Früher, auf der Bühne, habe ich öfter solche Rollen gespielt. Aber mit den Jahren bin ich in ein seriöseres, ernsthafteres Image hineingerutscht. Ich habe am Anfang meiner Filmkarriere keine witzigen Filme gedreht, also denkt man heute bei Komödien einfach nicht an mich. Das versuche ich zu ändern, ich habe neben "Alle lieben Julia" gerade eine Komödie über Casanova abgedreht. Es ist angenehm, sich ab und zu mit amüsanten Stoffen zu beschäftigen. Nur überhand darf es nicht nehmen.

Ricore: Warum haben Sie über die Jahre mehr und mehr die Richtung geändert? War es nur das Geld?

Irons: Es war der Luxus, für gutes Geld überall auf der Welt arbeiten zu können. Der Luxus, sich für ein paar Monate auf ein Projekt zu konzentrieren, um danach wieder völlig frei zu sein. Im Theater ist man auf Dauer beschäftigt, Verträge sind selten kürzer als sechs Monate. Man muss seine Energie für die allabendlichen Vorführungen sparen, ist tagsüber zu fast nichts in der Lage. Der Lebensrhythmus ist in der Filmwelt ein ganz anderer, wohl auch einer, der meinem Wesen eher entspricht. Ich habe viele Interessen, viele Hobbys und Pläne. Dafür brauche ich Zeit.

Ricore: Also kommt Theater für Sie nicht mehr in Frage?

Irons: Doch, aber nur gelegentlich. Ich plane ein paar Auftritte, ganz ohne die Bühne kann ich nämlich auch nicht leben. Es ist die unmittelbare Interaktion mit dem Zuschauer, die so reizvoll ist. Verglichen damit sind Filmdrehs eher trocken.
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"Eigentlich müsste ich dringend etwas tun"
Ricore: Was tun Sie, um Ihren Körper für Ihr ständiges Nomadenleben fit zu halten?

Irons: Ich bin faul und rauche. Eigentlich müsste ich dringend etwas tun, vor allem meine Rückenmuskeln könnten etwas mehr Training gebrauchen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich brauche die tägliche Arbeitsroutine, um das durchzuhalten. In dieser Beziehung bin ich auch nicht eitel. Wenn man mich in meinem Alter als Sexsymbol bezeichnet, fühle ich mich natürlich geschmeichelt, weiß aber gleichzeitig, dass es eigentlich rein gar nichts bedeutet.

Ricore: Dennoch wirft "Alle lieben Julia" die Frage auf, wann Schauspieler sich überhaupt normal verhalten. Ob es Ihr Beruf nicht automatisch mit sich bringt, ständig - auch im privaten Leben - eine Rolle zu spielen und damit nie natürlich zu wirken.

Irons: Einige Superstars haben mit Sicherheit dieses Problem. Aber in gewisser Weise sind sie selbst schuld. Wenn man nur mit großer Entourage reist, kommen automatisch Stalker oder Paparazzi ins Spiel. Ich habe schon vor langer Zeit für mich entschieden, dass ich das nicht möchte. Der Ärger fängt an, sobald du zulässt, dass dein Image als öffentliche Person mit deinem Privatleben verschmilzt. Deswegen lebe ich ein sehr zurückgezogenes und auch normales Leben...

Ricore: ...auf einem eigenen Schloss in Irland, das Sie vor etwa drei Jahren pink anstreichen ließen.

Irons: Es ist ockerfarben, ich weiß auch nicht, warum immer alle denken, es wäre pink. Ich fühle mich auf meinem kleinen Landgut sehr wohl, reite meine Pferde, unternehme Bootstouren oder gehe in den Pub, wo ich bei Gelegenheit auch nach Herzenslust singe.

Ricore: Sehen Sie Ihre Kinder regelmäßig?

Irons: Etwa einmal pro Woche, sie sind ja schon erwachsen. Der eine, Sam, ist 26 Jahre alt und arbeitet als Fotograf in London. Max, mein Jüngster, kümmert sich derzeit um Straßenkids, wird auf Dauer wohl aber im Schauspielfach landen. Er will reich und berühmt werden. (lacht)

Ricore: So wie der Vater in jungen Jahren?

Irons: Nein, ich habe den Job nicht gemacht, um berühmt zu werden, sondern um mich von der Gesellschaft abzugrenzen. Ich wollte ein Zigeuner sein und mit Gleichgesinnten Geschichten erfinden. Dass ich mit dieser Einstellung beim Kino landen würde, hätte ich nie erwartet.
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Ließ sich von Annette Bening zu der Rolle überreden
Ricore: Haben Sie es denn in all den Jahren geschafft, der Zigeuner von damals zu bleiben?

Irons: Ich denke schon. Zumindest fühle ich mich noch wie einer. Ich reise um die Welt und treffe andere Zigeuner, um gemeinsam Geschichten zu entwickeln. Es gibt so vieles, was ich am normalen Leben nicht mag, ich folge vielleicht noch gewissen romantischen Idealen. Ich liebe den Kontrast, wechsle zwischen Routine und Lotterleben, zwischen Ländern, Klimazonen und Menschen.

Ricore: Trotz Ihres rastlosen Zigeunerdaseins führen Sie seit mehr als 25 Jahren eine glückliche Ehe mit der Schauspielerin Sinèad Cusack. Wie schaffen Sie das?

Irons: Man muss es nur wollen. Beziehungen sind immer ein täglicher Kampf, der so lange dauert, wie man es möchte. Meine Familie war immer wie eine solide Basis, eine Kraft, die es mir ermöglicht hat, in meinem Beruf Neues zu wagen und Risiken einzugehen. Denn meine Karriere war weder vorhersehbar noch kontinuierlich.

Ricore: Haben Sie bei all Ihren Erfahrungen noch nie daran gedacht, Ihre eigenen Geschichten einmal professionell zu erzählen? Etwa als Regisseur?

Irons: Um ehrlich zu sein, überlege ich gerade, ob ich das einmal ausprobieren soll. Dafür spricht, dass ich schon immer mehr Interesse daran hatte, das schauspielerische Potential aus anderen Personen herauszulocken als aus mir selbst. Andererseits ist mein Filmgeschmack alles andere als Blockbuster-orientiert. Mit der Art, wie ich von Beziehungen erzählen würde, hätte ich es vermutlich sehr schwer - zumal der Job an sich schon keine leichte Sache ist. In gewisser Weise erzähle ich ja auch als Schauspieler meine eigenen Geschichten. Denn ich kann nur das darstellen, was ich aus meinen eigenen Erfahrungen ableiten kann. Man bringt also zwangsläufig etwas von seiner eigenen Person in seine Performance ein. Die Rollen, die ein Schauspieler über die Jahre gewählt hat, sagen also mit einiger Sicherheit auch etwas über ihn aus.

Ricore: Was wäre das in Ihrem Fall?

Irons: (überlegt lange) Mein Interesse, wie die Dinge an ihren Polen und Grenzen aussehen, meine Suche nach unkonventionellen Situationen. Im Film kann ich all das ausprobieren, ohne sofort meine Existenz oder gar mein Leben zu riskieren.
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Hällt Midlife-Krise für eine "großartige Sache"
Ricore: Ist das Ausloten von Grenzsituationen und die Suche nach dem Unkonventionellen Ihre ganz persönliche Methode, eine Midlife-Krise zu vermeiden?

Irons: Schwere Frage, ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, ob ich meine Midlife-Krise nicht schon durchgemacht habe. Meine Frau zumindest ist der Meinung, dass die Renovierung meines Schlosses eine dieser typischen Frusthandlungen war.

Ricore: Was denken Sie?

Irons: Dass ich einfach nur etwas Neues ausprobieren wollte. Aber unabhängig davon halte ich eine Midlife-Krise ohnehin für eine großartige Sache.

Ricore: Das müssen Sie uns genauer erklären!

Irons: Du erkennst, dass die Jahre, die noch vor dir liegen, bereits weniger sind als deine bisherigen. Dann stellst du dir die essenziellen Fragen: Wer bist du, was tust du? Und vor allem: Holst du das Beste aus deinem Leben heraus? Willst du so weitermachen wie bisher? Es fühlt sich sicher an wie eine zweite Geburt. Ist doch wunderbar!

Ricore: Wollen Sie so weitermachen? Laut Dustin Hoffman ist Erfolg so korrumpierend, dass er zwangläufig zu Dingen führt, die man eigentlich nicht möchte. Vorsicht, so Hoffman, nütze da gar nichts.

Irons: Dem würde ich widersprechen. Man kann dem entgegenwirken, indem man nie aus den Augen verliert, wie es wirklich ist. Denn auf das Wesentliche reduziert ist Ruhm nichts anderes, als dass dich der Großteil der Leute besser kennt als du sie. Und das ist für sich betrachtet doch ziemlich harmlos. Probleme gibt es meist dann, wenn du selber auf das Bild hereinfällst, das die Presse von dir aufgebaut hat. Mir ist mein Image egal.

Ricore: Und trotzdem haben Sie einen Publizisten, der sich nur darum kümmert, was, wo und wann über Sie geschrieben wird. Wie passt das zusammen?

Irons: Indem man ihn als das sieht, was er ist: ein Selbstschutz. Wann immer ein Film von mir in die Kinos kommt, möchte der Filmverleih natürlich, dass ich den Film bewerbe und Interviews gebe. Mein Publizist trifft eine Auswahl und achtet darauf, dass es nicht zuviel wird. Dasselbe mit meinen Agenten. Würden die nicht vorab meine Rollenangebote ausdünnen, käme ich zu gar nichts mehr. Und ich habe doch noch so viel vor.
erschienen am 7. April 2005
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Gefährliche Liebschaften. Oscar-Preisträger István Szabó ("Mephisto") inszenierte eine scharfsinnige Komödie über Lust, Liebe und Rache, in der Annette Bening in ihrer ersten Hauptrolle seit fünf Jahren eine brillante Leistung liefert. Sie mimt eine gefeierte Schauspieldiva in den 30ern, die ihren Mann betrügt und von ihrem Liebhaber selber betrogen wird. Vorhang auf für eine reife Leistung.
2024