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Rita Russek
"Ingmar Bergman bewunderte Schauspieler"
Interview: Rita Russek mischt mit
Rita Russek ist bekannt dafür, dass sie Regisseuren schon mal die Leviten liest. Dabei handelt die Schauspielerin aus Erfahrung: Am Theater inszeniert die 58-Jährige selbst und wurde dafür unter anderem für den Molière-Theaterpreis für die beste Regie nominiert. In "Adel Dich" ist sie als Ex-Frau eines frisch Pensionierten (Elmar Wepper) zu sehen, der sich auf die Suche nach seiner wahren Herkunft macht. Mit Filmreporter.de spricht Russek über den Wandel der Filmbranche sowie ihre Freundschaft zu Ingmar Bergman.
erschienen am 20. 04. 2011
ZDF/Thomas Kost
Rita Russek
Ricore: Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Rita Russek: Es war ein Wunsch der Produktionsfirma, dass ich diese Rolle übernehme. Aber das ist mir eigentlich egal. Wichtiger ist mir, dass das Drehbuch gut ist und wer die Kollegen sind, mit denen ich arbeite.

Ricore: Wie gehen Sie bei Ihrer Rollenauswahl vor?

Russek: Die Kollegen werden mir tatsächlich immer wichtiger, je älter ich werde. Man kann ca. 20 bis 30 Prozent der Qualität eines Filmes damit erreichen, wenn man sich mit den Kollegen verständigen kann. Je besser man sich kennt, umso leichter geht das. Mit Elmar Wepper hatte ich zwar noch nicht gedreht, aber Gisela Schneeberger kannte ich schon.

Ricore: Wollen Sie sich denn nicht mehr auf Abenteuer einlassen?

Russek: Sie haben schon Recht. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus, denn irgendetwas ist immer fremd, beziehungsweise das Fremde überwiegt ja. Das Team kennt man meistens nicht. Ich kannte diesmal Regisseur Tim Trageser noch nicht. Deswegen ist es schön, wenn man vor der Kamera eine kleine Häuslichkeit schaffen kann mit Menschen, die man schon kennt. Aber es spricht natürlich nichts dagegen, sich überraschen zu lassen.

Ricore: Von wem lassen Sie sich noch überraschen?

Russek: Eigentlich nur noch von einem ganz jungen Schauspieler, denn die anderen kenne ich ja alle. Da weiß ich, ach, den hast du da und da schon gesehen. Aber wenn ein ganz junger Schauspieler vielleicht seine erste Rolle spielt, würde ich niemals sagen: den kenne ich nicht und deswegen spiele ich nicht mit ihm oder ihr.
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Rita Russek
Ricore: Was hat Ihnen am Drehbuch zu "Adel Dich" gefallen?

Russek: Dieses Absurde. Die Geschichte ist eigentlich absolut dämlich. Also nicht schlecht geschrieben, aber die Figurenkonstellation ist total absurd. In seiner Konsequenz fand ich das aber überzeugend. Der Film hat manchmal regelrecht dadaistische Momente. Das ist wunderbar.

Ricore: Wie würden Sie ihre Figur beschreiben?

Russek: Sie setzt ihre Weiblichkeit ein, ist eine Egomanin, stellt nie Fragen und die Befindlichkeiten von anderen interessieren sie nur am Rand. Der Witz der Figur liegt darin, dass ausgerechnet sie Psychologin ist.

Ricore: Steckt etwas von Ihrer Persönlichkeit in dieser Figur?

Russek: Das ist eine der Rollen, die man erfinden darf. Aber natürlich steckt immer etwas von einem in den Rollen, die man spielt. Wenn man meinem oft zitierten Lieblingssatz von Rolf Boysen folgt, dann besteht dieser Beruf aus Erinnerungen. Natürlich bin ich auch zickig oder egoman, aber ich hoffe, dass es in einem gesunden Verhältnis bleibt.

Ricore: Also nahmen Sie im Verlauf Ihrer Karriere aus all Ihren Rollen etwas mit?

Russek: Nein. Aus dem Leben. Die Rollen sind keine Lebenserfahrung. Außer man spielt eine Rolle wie dieser Schauspieler, der einen halb verhungerten Priester in einem KZ spielte. Der war ohnehin schon sehr mager und nahm für die Rolle noch mehr ab. Solche Rollen sind vielleicht Grenzerfahrungen, aber die habe ich nicht gespielt. Höchsten vielleicht früher am Theater. Aber solche Rollen sind für Frauen sehr selten, vor allem beim Fernsehen.
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Rita Russek
Ricore: Zieht es Sie wieder zurück auf die Bühne?

Russek: Nein, eigentlich nicht. Denn auch da bin ich jemand, der eine Konstellation wissen möchte. Gastieren kann man heute nicht mehr. Das wollte ich auch nicht. Wenn man in ein fremdes Ensemble für eine Rolle kommt, sind die Schauspieler sowieso immer sauer. So wie wir das damals auch waren. Es gibt nur noch wenige Gastverträge, weil man sich das nicht mehr leisten kann. Und mich nochmals fest in ein Ensemble zu integrieren, möchte ich nicht. Dazwischen gibt es nichts.

Ricore: Hat sich Ihr Blick auf Ihren Beruf gewandelt im Lauf der Zeit?

Russek: Ja. Durch die Umstände natürlich. Sparmaßnahmen, Druck, Zeitdruck. Zu sagen, wir probieren die Szene jetzt mal so, aber sie könnte auch anders funktionieren, danach versuchen wir es noch anders, so etwas findet nicht mehr statt. Wissen Sie, wie viel sendefähiges Material an einem Tag gedreht wird? Als ich angefangen habe, waren das zweieinhalb Minuten. Das konnte man entspannt in acht Stunden machen. Heute sind wir, wenn es hart auf hart geht, teilweise bei bis zu sieben Minuten.

Ricore: Was bedeutet das?

Russek: Das hat Konsequenzen für die kreative Arbeit. Man kann einiges davon auffangen, indem man sich noch besser vorbereitet. Und da wäre der schwarze Peter nicht an die Schauspieler zu geben, denn die sind immer vorbereitet, wenn sie an den Set kommen. Ich finde, dass Regisseure oft nicht genug vorbereitet sind, die meinen, sie könnten das Bild und die Sprache, also den Duktus, in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern finden. Aber das funktioniert so nicht mehr. Regisseure müssen ihre Arbeit am Schreibtisch machen.
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Rita Russek
Ricore: War das früher anders?

Russek: Ich habe mich einmal bei Ingmar Bergman darüber beschwert, dass wir bei einem Dreh in Berlin einen Tag verloren hätten und wir nunmehr nur noch 22 Tage hätten. Darauf lachte er nur und sagte, er habe Kinofilme in 17 Tagen gedreht. Das funktionierte aber nur, weil er jede Einstellung wusste, die er drehen will. Und er wusste auch schon, wie er sie am Ende schneiden wird. Es geht also. Aber das darf man nicht laut sagen, denn am Ende würden die Produzenten sagen, dass sie nur noch die Regisseure verpflichten, die sich ordentlich vorbereiten. Und dann wird das Ganze geschrumpft und die öffentlich-rechtlichen Anstalten können noch mehr Geld für ihren Verwaltungsapparat ausgeben.

Ricore: Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman? Das war doch für "Aus dem Leben der Marionetten"?

Russek: Die Filmzusammenarbeit entstand, weil wir uns vom Theater kannten. Er kam 1976 nach München und dort hab ich in zwei Stücken für ihn gespielt und dann haben wir den Film gemacht. Danach dann noch zwei Stücke, bevor er wieder zurückgegangen ist.

Ricore: Wie haben Sie ihn als Person erlebt?

Russek: Anfangs mit einer etwas arroganten Haltung. Sie können sich ja vorstellen, wenn jemand mit so einem Ruf kommt, dann versucht man sich so zu geben, wie man eigentlich gar nicht ist. Eigentlich ist man nämlich voller klappernder Nervosität. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass er eine absolute Bereicherung für alle Schauspieler war, die dort mit ihm gearbeitet haben. Wir haben ein System kennen gelernt, was es so vorher in Deutschland noch nicht gab, nämlich dass der Schauspieler im Mittelpunkt steht. Wir kannten das patriarchalische System, wo der Intendant an der Spitze stand, danach kam der Regisseur und die Schauspieler mussten sich Gemeinheiten an den Kopf werfen lassen.

Ricore: Was war bei Bergman anders?

Russek: Er bewunderte Schauspieler! Das ist für uns eine grandiose Voraussetzung gewesen. Kennen Sie seinen Film "Nach der Probe" mit Erland Josephson und Lena Olin? Dieser Film ist eine Hommage an Schauspieler.
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Rita Russek
Ricore: Wie hat sich ihre Beziehung über die Jahre hin entwickelt?

Russek: Er ist weggegangen und als sich hier dann das Ensemble auflöste, sagte er, aber du kannst doch nicht vom Theater weggehen. Und ich antwortete, tja, dann musst du dich darum kümmern, dass ich dem Theater erhalten bleibe, Dann musst du hier nochmal etwas mit mir inszenieren. So ergab es sich, dass wir mit "Szenen einer Ehe" auf Tournee gegangen sind. Und so ist auch unser Kontakt erhalten geblieben. Auch mit Telefonaten, die bis zu zwei Stunden dauerten.

Ricore: Sie haben als Regisseurin beim Theater gearbeitet, können Sie sich das auch für Film und Fernsehen vorstellen?

Russek: Nein, überhaupt nicht. Das kriege ich nicht geregelt. Dafür müsste ich ja eine Schule besuchen, denn das scheint wirklich kompliziert zu sein. Ich habe keine Ahnung wie man Licht setzt. Und ein Regisseur müsste doch alles wissen. Um nochmals auf Bergman zurückzukommen: Als er seine erste Inszenierung am Residenztheater machte, kannte er alle Scheinwerfer im Theater. Bei der Beleuchtungsprobe konnte er sagen: den Sechser oben links etwas steiler. Diese Professionalität könnte ich nicht herstellen.

Ricore: Bringen Sie sich beim Drehen trotzdem ein?

Russek: Ich bin berühmt dafür, dass ich nicht die Klappe halte und auch mal zu Kollegen sage: Darf ich Ihnen was sagen? Dann kribbelt es mich, wenn ich merke, dass irgendetwas falsch ist. Dass man beispielsweise einen Satz durchsprechen muss, weil sonst die Spannung abschmiert oder eine Einstellung anders besser wäre. Es dient der Sache, aber man kann mir nicht vorwerfen ich sei zickig.

Ricore: Wie gehen Regisseure damit um?

Russek: Verschieden. Ich habe jetzt meinen Lieblingsregisseur Hans-Günther Bücking entdeckt, der sagt dann: Na gut, dann machen wir es so! Und ich: wir müssen es nicht so machen, nur weil ich es finde. Und er: Nein, hast ja Recht. Andere reagieren ungehalten. Aber das ist vielleicht auch ein Problem des männlichen Selbstverständnisses. Manche Männer sind cool und manche uncool. Natürlich regen sich nur die Uncoolen auf.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 20. April 2011
Zum Thema
Nach ihrer Ausbildung zur Schauspielerin an der Ingmar Bergman zusammen, mit dem Rita auch das Drama "Aus dem Leben der Marionetten" dreht. Zu den bekanntesten Rollen ihrer Film- und Fernsehlaufbahn zählt ihr Engagement als Hannelore Schmiedinger im Stuttgarter "Tatort". Die Schauspielerin und Regisseurin lebt mit Ehemann und Kollege Bernd Fischerauer abwechselnd in München und ihrem Haus auf der italienischen Insel Elba.
Adel Dich (Kinofilm)
Wurde Wendel (Elmar Wepper) bei seiner Geburt vertauscht? Regisseur Tim Trageser erzählt in "Adel Dich" von der späten Suche eines pensionierten Reporters nach seiner wahren Identität. Dabei verschlägt es den Protagonisten in die Welt des bayerischen Landadels und die Arme der unglücklichen Gräfin Walli von Felsen-Hepp (Gisela Schneeberger). Die Idee zu der Geschichte zog Drehbuchautorin Gerlinde Wolf aus einer Erinnerung ihrer Jugend.
2024