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Jodie Foster
Amerikaner sind Heuchler!
Interview: Jodie Fosters Einsamkeit
In Frankreich wäre ein Blowjob (Oralverkehr) in der Politik in Ordnung, meint Oscarpreisträgerin Jodie Foster. In Amerika gehe so etwas nicht. Da sei man zwar nicht korrupt, aber die Schauspielerin hält ihre Landsleute für große Heuchler. Im Gespräch mit Filmreporter.de über "Der Biber" berichtet die Schauspielerin von ihrer wunderbaren Gabe, der Einsamkeit in ihrer Kindheit und den Phasen, die Hollywood in den letzten 45 Jahren durchgemacht hat.
erschienen am 18. 05. 2011
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Der Biber
Ricore: Einsamkeit und Depression sind sensible Thema. Was reizt sie an der Problematik?

Jodie Foster: Nun, diese Themen standen schon im Drehbuch, als ich es bekam. Wenn es so etwas wie ein Charakteristikum für meine Filme gibt, dann ist es die Einsamkeit. Sie spannt sich wie ein großer Bogen über mein Leben und meine Krisen. Jeder meiner Filme, auch die, in denen ich mitgespielt habe, tragen diese Einsamkeit in sich. Ob es um einen siebenjährigen Jungen geht, der eine Krise hat, oder eine Frau oder einen Mann im mittleren Alter - bei allen geht es darum, herauszufinden, wie man möglichst unversehrt überlebt. Am Schluss finden sie meist eine Balance in ihrem Leben. Ich mache nicht nur düstere Filme, in ihnen gibt es auch viel Freundlichkeit. In meinen Filmen versuchen die Menschen erfolgreich durch die Komödien und Tragödien des Lebens zu steuern.

Ricore: Bewegt Sie Einsamkeit also auch persönlich?

Foster: Ja. Ich glaube die Einsamkeit ist eine Sache, die schon in mir existierte, bevor ich geboren wurde. Sie ist einerseits eine Gabe, andererseits eine Bürde für das eigene Leben. Ich denke dass sie etwas mit meinem Platz in meiner Familie zu tun hat - ich war das Nesthäkchen - und der Beziehung zu meiner Mutter und all diesen Dingen. Ich war ein kleines bisschen wie ein Wunderkind, auch wenn ich den Begriff nicht gerne benutze, weil er falsch verstanden wird.

Ricore: Wie meinen Sie das mit Wunderkind?

Foster: Das heißt nicht, dass ich gut in Mathe war oder so etwas. An mir war wunderlich, dass ich mit drei, vier, fünf Jahren die komplexen Emotionen der Erwachsenen verstand. Auch diejenigen, die ich nicht hätte verstehen sollen. Das hat mich verantwortlich fühlen lassen, für alles, was meine Mutter durchgemacht hat. Es war eine schwierige Kindheit, durch die ich durchsteuern musste. Mein Ausweg aus dieser Situation war meine Kreativität. Ich mochte es, allein zu sein und dieses unglaublich zurückgezogene, kreative Leben zu haben. Das hat niemand verstehen können und ich habe mich großartig gefühlt. Aber gleichzeitig war ich auch unglaublich einsam. Und ich wusste nicht, wie ich das ändern konnte. Ein bisschen spüre ich das heute noch in mir. Ich merke, dass ich es liebe, etwas ganz alleine zu machen. Ich kann große emotionale Dinge aber durch Filme mit anderen teilen. Manchmal ist die einzige Möglichkeit die Einsamkeit zu mildern, etwas auf die Leinwand zu bringen.
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Jodie Foster in "Der Biber"
Ricore: Wie passt da die Depression als Filmthema rein?

Foster: Depression ist eine reale Sache, bei der man zwei Sachen unterscheiden muss. Da gibt es die klinische Seite, die ganz offensichtlich nichts Romantisches oder Komisches hat. Das ist ein unglaublich harter Weg und in jeder Hinsicht ein klinischer Zustand. Aber dann gibt es da auch noch eine mildere Variante. In einem Artikel habe ich gelesen, es handelt sich um Menschen, die nicht aufhören können, sich düstere Gedanken zu machen - ich fühle mich wie einer von denen. Deshalb inszeniere ich Dramen, weil ich da nachvollziehen kann, wo das Unglück seinen Ursprung hat. Ich kann nicht aus meiner Haut heraus, ein Teil von mir will Geschehnisse immer psychologisch durchleuchten, indem er sich auf sie stürzt, statt vor ihnen wegzulaufen. So sind kreative Persönlichkeiten, Autoren. Sie überarbeiten wie besessen ihre eigenen Werke tausendmal, um gut zu sein. Sie müssen sich über ihre Figuren 100.000 Fragen stellen: Warum geht er hierhin, warum macht er das? Das ist manchmal ein guter Weg, die eigene Persönlichkeit verstehen zu lernen.

Ricore: Wie geht unsere Gesellschaft mit Depression um?

Foster: Ich denke, es gibt heute ein größeres Verständnis gegenüber der Depression als jemals zuvor. Ich glaube, die Menschen haben den Unterschied zwischen einer normalen Niedergeschlagenheit und Schwermütigkeit im Leben und dem schlimmen Zustand verstanden, in dem sich klinisch Depressive befinden. Sie haben es verstanden, auch wenn sie es nicht nachfühlen können, weil sie es nicht selbst physisch erlebt haben.

Ricore: Sie scheinen eine euphorische Frau zu sein und beschäftigen sich gerne mit düsteren Themen wie Einsamkeit und dergleichen?

Foster: Oh ja. Und ich liebe Dramen. Das ist tatsächlich lustig, weil ich ein ziemlich fröhlicher Mensch bin. Wenn ich mir Filme ansehe, dann keine Komödien. Die würde ich mir nicht ausleihen, das käme mir nicht in den Sinn (lacht).
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Jodie Foster und Mel Gibson in "Der Biber"
Ricore: Sehen Sie sich denn noch Filme im Kino an?

Foster: (Lacht) Natürlich. Ich nehme an, dass mich das zum Idioten macht, ich sollte auch dieses ganze I-Pod-, Pay-per-view-Zeug machen. Nein, ich gehe ins Kino oder leihe mir einen Film aus.

Ricore: Was haben Sie sich zuletzt ausgeliehen?

Foster: Es war etwas für mein Kind. Ich habe mir "Inception" ausgeliehen, um es nochmal mit meinem Sohn anzuschauen. Und er hat es besser verstanden als ich - er hat alles verstanden. Dafür muss man wohl der nächsten Generation angehören. Er mochte diese verschiedenen Ebenen der Realität, die zeitgleich existieren.

Ricore: Mel Gibson spielt die männliche Hauptrolle in ihrem Film "Der Biber".

Foster: Ich bin ihm sehr dankbar, weil seine Darstellung so stark ist, aber nie ins Putzige abgerutscht ist. Er hat wirklich verstanden, worum es geht. Er ist an die Rolle herangegangen, wie an ein düsteres Drama. Der Biber ist schroff, manipulierend und durchtrieben. Er ist zwar auch charmant, aber nicht immer in einer positiven Weise, er hält sich nie zurück. Mel Gibson hatte einen guten Sinn dafür, wie man die Figur noch verbessern konnte. Ich bin sehr froh, ihn am Set gehabt zu haben. Ich kann mir niemand besseren vorstellen.

Ricore: Wie sehr haben Sie ihn anleiten müssen?

Foster: Ich habe wirklich nichts tun müssen. Außer vielleicht ihn daran zu erinnern, dass der Film in erster Linie ein Drama werden soll.
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Jodie Foster in "Der Biber"
Ricore: Glauben Sie, dass das Filmpublikum schon bereit ist, Mel Gibson zu vergeben?

Foster: Ich weiß nicht. Der Film spricht für sich selbst und Mel Gibsons Darstellung ist wunderbar. Ich glaube, dass das, was er mit sich herumträgt ihm geholfen hat, diese Rolle zu spielen. Es ist die Rolle eines Mannes, der mit seinen eigenen Dämonen kämpft, der sich ändern will. Einen, der nicht sich nicht mag wie er ist. Der das Gefühl hat, an einem sehr grässlichen Ort zwischen Leben und Tod gefangen zu sein. Wer könnte so eine Person besser verkörpern als er (lacht)?

Ricore: Seine Darstellung macht den Film melancholisch.

Foster: Ja, da gibt es diesen einen Moment, den er so wunderbar rüberbringt. Er hat sich geprügelt, hat ein blutiges Auge und der Biber schaut ihn an und sagt: "Habe ich dir nicht alles gegeben, was du wolltest? Ich liebe dich, ich bin der einzige der dich liebt. Deshalb lasse ich dich nicht gehen." Diese Szene ist so komplex, denn sein Dämon, der sich einerseits nicht abschütteln lässt, hält ihn andererseits vom Sterben durch Einsamkeit ab. Das ist Liebe. Es ist die Erfahrung, von jemandem geliebt zu werden und vollkommen verstanden zu werden.

Ricore: Beruht die Geschichte von "Der Biber" auf einer wahren Begebenheit?

Foster: Ich weiß es nicht. Aber das ist eine gute Frage an den Drehbuchautoren. Ich habe mich nie getraut, ihn das zu fragen (lacht). Er ist ein sehr junger Kerl und es ist sein erstes Drehbuch. Ursprünglich hatte er vor, aus dem Stoff einen Roman zu machen. Dann hat er sich umentschieden und ein Drehbuch daraus gemacht. Er hat noch nie zuvor mit einem Regisseur gearbeitet, das war etwas Neues für ihn. Es war wunderbar, Dinge in dem teilweise chaotischen Skript zu entdecken. Es gibt sehr gut beobachtete Momente, Herzensmomente, von denen er - glaube ich - nicht einmal selbst weiß, woraus er sie geschöpft hat.

Ricore: Haben Sie einzelne Charaktere verändert?

Foster: Ja. Die Struktur meiner Figur Meredith Black war zwar im Drehbuch vorgegeben. Aber ein paar Sachen habe ich einfach nicht spielen können. Sie ist zum Beispiel eine Hausfrau, die gerne daheim bleibt und ihren Tag damit verbringt, Fotos von ihren Kindern auszuschneiden. Das habe ich geändert und habe versucht ihr andere Aufgaben zu geben, ich habe sie zum Beispiel vor den Computer gesetzt. Was den Film am meisten verändert hat, waren die beiden Kinder, Anton und Jen. Vor allem die Rolle der Nora (Jennifer Lawrence) mussten wir umgestalten. Jen ist eine besondere Schauspielerin. Auf ihrem wunderschönen, jungen Gesicht kann man die Verletzungen und die harten Dinge sehen, die ihr zugestoßen sind. Es wäre nicht richtig gewesen, sie als großmäulige Figur darzustellen, wie sie im Drehbuch angelegt ist. Sie sollte unsicher wirken und nicht selbstbewusst. Deshalb musste ich für diese Figur alles ändern.
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Jodie Foster
Ricore: Sie sagten, Ihre Figur sitzt viel vor dem Computer. Machen Sie das selbst auch oder halten Sie sich von Computern fern?

Foster: Ein bisschen sitze ich schon davor. Aber ich bin nicht geduldig genug, um etwas zu lernen. Ich glaube, das ist ein Generationen-Ding. Ich verbringe eher meine Zeit mit Bücherlesen oder Kochen als zu lernen, wie ich meinen Computer bedienen soll. Ich überstrapaziere ihn und muss dann jemanden rufen, der das wieder in Ordnung bringt.

Ricore: Ihren Sohn?

Foster: Ja (lacht).

Ricore: "Der Biber" ist ein Film, in dem Sie stark aus sich herausgehen.

Foster: Ja. Ich dachte nicht, dass ich so etwas nach "Das Wunderkind Tate" nochmal machen würde. Es war zwar keine schlimme Erfahrung, aber es war anstrengend und hat dem Ganzen ein bisschen den Spaß genommen. Deswegen wollte ich so etwas nicht unbedingt wieder machen. Aber als ich Mel Gibson an Bord hatte, begann ich mir Gedanken darüber zu machen, wer seine Frau spielen könnte. Ich hatte Bedenken, denn es hängt viel von dieser Figur ab. Meine Sorgen waren, niemanden zu finden, der stark genug sein würde, gegenzuhalten. Also ging ich unangekündigt zu ihm nach Hause und erzählte ihm, ich würde darüber nachdenken, seine Frau zu spielen. Und er sagte etwas wie: "Das hört sich toll an". Er war also einverstanden. Also habe ich mich für die Rolle entschieden.

Ricore: Was mögen Sie am Filmemachen am meisten?

Foster: Ich mag die Reflektion am liebsten. Der Teil, in dem man über den Stoff redet und nachdenkt, warum man eher das eine machen und das andere bleiben lassen sollte.
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Regisseurin Jodie Foster am Set von "Der Biber"
Ricore: Das Inszenieren nimmt viel Zeit in Anspruch, Sie sind immer seltener vor der Kamera zu sehen. Ist das eine bewusste Entscheidung oder liegt es daran, dass Sie nicht genug gute Rollen angeboten bekommen?

Foster: Ich denke, es ist beides. Ich habe 45, 46 Jahre lang den gleichen Beruf ausgeübt und kann nicht mehr so viel arbeiten, wie andere Kollegen. Und es gibt viele Schauspieler, die kein eigenes Leben haben, die sich von Film zu Film hangeln. Das ist bei mir nicht der Fall. Als ich jung war, habe ich das auch gemacht, aber jetzt geht das nicht mehr. Ich habe Kinder. Ich habe auch das Gefühl, Zuhause nicht mehr genug zu sagen zu haben, wenn ich immer unterwegs bin, um zu arbeiten. Ich will Dinge aus verschiedenen Perspektiven sehen. Deswegen möchte ich von anderen Regisseuren lernen, die etwas zu sagen haben, die einen anderen Standpunkt und einen reichen Erfahrungsschatz haben. Es ist spannend, mit Spike Lee, Bob Zemeckis, Roman Polanski oder David Fincher zusammen zu arbeiten - Menschen, die ich in den letzten 15 Jahren kennen gelernt habe. Ich habe heute nicht mehr die gleichen Ambitionen wie als junge Schauspielerin. Heute mache ich Filme aus Liebe und nicht aus irgendwelchen anderen Gründen.

Ricore: 45 Jahre sind eine lange Zeit. Wie sehr hat sich Hollywood verändert, seit sie angefangen haben?

Foster: Es hat sich vieles geändert, es ist ein ganz anderer Ort geworden. Ich habe verschiedene Phasen vorbeiziehen sehen und ich werde sicher noch einige mitbekommen. Ich denke die größte Veränderung ist der globale Handel: Der hat alles verändert. Amerika hat den Weltmarkt überschwemmt. Darunter hat auch die Qualität gelitten. Aber es hat auch schon immer kleinere und größere Filme gegeben und Independentproduktionen neben den Mainstreamfilmen. Es gibt von allem etwas und das wird auch so bleiben. Es ist aber gerade eine spannende Zeit, mit all der neuen Technologie und den neuen Medien.

Ricore: Welche Projekte stehen in der nächsten Zeit an?

Foster: Ich drehe in Frankreich mit Roman Polanski den Film "God of Carnage", mit Kate Winslet, John C. Reilly und Christoph Waltz.

Ricore: Sie werden auch die Verleihung des französischen Filmpreises César moderieren?

Foster: Ich denke ja, ich werde Gastgeberin sein, was auch immer das heißt. Ich bin gerade dabei, das herauszufinden (lacht). Ich denke ich werde ankommen, ein paar Sachen sagen, dann kommen die Césars und dann werde ich allen sagen, dass sie heimgehen können. Ich war nie zuvor bei den Césars. Ich bin nie nominiert worden.

Ricore: Was ist der größte Unterschied zwischen Europa und Amerika?

Foster: Es gibt eine Menge Unterschiede. Ich habe immer in zwei verschiedenen Kulturen gelebt. Ich bin auf eine französische Schule gegangen und hab in Frankreich gelebt. Und ich bin überall hin gereist. Aber ich mache Filme über Amerika, weil ich tief drinnen eine Amerikanerin bin. Trotzdem sehe ich die USA von einem anderen Standpunkt aus. Und ich glaube, dieser Film in Bezug auf seine Kameraführung sehr europäisch. Amerika ist politisch nicht korrupt, wir sind nur Heuchler (lacht). Ein kleiner Jurist aus Arkansas kann den Präsidenten der Vereinigen Staaten von Amerika zu Fall bringen. So unkorrupt sind wir! Andererseits kann die CIA in ein kleines Land einfallen, während ein Präsident keinen Blowjob haben darf (lacht). Das ist der heuchlerische Part unseres Landes.

Ricore: Der Blowjob wäre in Frankreich in Ordnung?

Foster: Ja. Allerdings gibt es in Frankreich Korruption. Das gibt es bei uns nicht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. Mai 2011
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