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Juliane Köhler
Zarte Figuren mit Tick
Interview: Juliane Köhler sucht Abgründe
Jemand hat mal geschrieben, Juliane Köhler verkörpere überwiegend starke Frauen. Nein, stark sind ihre Figuren nicht. Es sind vielmehr zerbrechliche Charaktere, die Schwächen haben und Abgründe offenbaren. So auch ihre neue Rolle in "Das Blaue vom Himmel", in dem die 45-Jährige eine Journalistin verkörpert, die unter der emotionalen Abwesenheit ihrer Mutter leidet. Anlässlich des Starts der aufwendigen Koproduktion von Hans Steinbichler hat Filmreporter.de Köhler zu ihren Ansichten über die Liebe, Schuld und Verzeihen interviewt.
erschienen am 31. 05. 2011
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Juliane Köhler in "Das Blaue vom Himmel"
Ricore: "Das Blaue vom Himmel" ist trotz des großen historischen Rahmens ein überzeugender Schauspieler-Film. Wie kommen kollektive schauspielerische Höchstleistungen zustande? Liegt es am Thema oder an profilierten Kollegen, die sich antreiben?

Juliane Köhler: Sicherlich spielt beides eine Rolle. Für Schauspieler ist es immer gut, wenn er ein gutes Drehbuch vorliegen hat. Das war bei "Das Blaue vom Himmel" der Fall. Es gibt diese emotionale Mutter-Tochter-Beziehung und parallel dazu der politische Rahmen, nämlich die Besetzung und die Befreiung des Baltikums. Wenn man so etwas als Schauspieler liest, ist man einfach nur begeistert. Das würde man mit jedem Kollegen gerne und gut spielen, auch mit völlig unbekannten. In dem Fall war es aber toll, mit Hannelore Elsner und Matthias Brandt zu arbeiten. Sie bringen ganz viel mit, woran man sich als Kollege reibt oder auch mal was lernen kann. Dadurch wird man in seiner Leistung selber erhöht.

Ricore: Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit den baltischen Schauspielern? Es gab sicher sprachliche Barrieren.

Köhler: Das stimmt. Mit Dace Eversa, die die Rolle der älteren Jewa Lepere spielt, konnte ich mich überhaupt nicht unterhalten. Sie konnte weder Deutsch noch Englisch, und ich spreche kein Lettisch. Aber das war überhaupt nicht schlimm, wir haben uns sehr gut verstanden. Sie ist eine tolle Schauspielerin, die in Lettland viel Theater gespielt hat. Überhaupt sind viele der lettischen Schauspieler im Theater sehr aktiv. Sie waren alle sehr bescheiden und dankbar, dass sie mit uns arbeiten konnten. Es waren viele Talente darunter. Wenn die Leute gut sind und sich gut auf die Arbeit vorbereiten, dann hebt es das Niveau.

Ricore: Hatten Sie die Ereignisse, die Zeit der Befreiung Lettlands Anfang der 1990er Jahre, noch in Erinnerung?

Köhler: Man muss vorwegschicken, dass diese Periode, wie überhaupt die ganzen Umwälzungen in Russland und Osteuropa, von dem Irakkrieg Anfang der 1990er Jahre überschattet wurden. Der Krieg kam nur wenige Tage später und die Medien stürzten sich auf dieses Thema. Ich kann mich noch an die vielen Bilder von den brennenden Ölfeldern erinnern. Ich muss gestehen, dass ich deswegen nicht mehr viel über die Umwälzungen in Lettland wusste. Ich musste mich in die ganzen geschichtlichen Zusammenhänge erst hineinlesen. Danach erst kam allmählich die Erinnerung an diese Zeit zurück. Ich fand es sehr ergreifend. Am Drehort waren viele lettische Statisten. Die meisten haben diese Zeit selbst erlebt.
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Mutter und Tochter: Juliane Köhler und Hannelore Elsner in "Das Blaue vom Himmel"
Ricore: Wie war ihre Reaktion?

Köhler: Sie waren total ergriffen, viele haben geweint. Für sie war das keinesfalls die große Wende. Es ging ihnen zunächst einmal richtig schlecht. Bis heute geht es den Letten wirtschaftlich nicht so gut. Dennoch waren die Menschen bei den Dreharbeiten einfach bezaubernd. Sie wollten uns helfen und haben alles dafür getan. Einige brachten sogar ihre privaten Requisiten und Kleidung mit, die sie noch von damals hatten. Sie hatten alles aufgehoben. Das machte den Film noch authentischer.

Ricore: Wie fühlte sich das deutsche Team bei dem Thema? Hatten Sie bedenken, an eine große Periode der lettischen Geschichte zu rühren?

Köhler: Ja, diese Bedenken hatten wir. Ich zum Beispiel hatte Zweifel, ob wir es schaffen würden, diese Geschichtsperiode authentisch darzustellen. Es stellte sich die Frage, wo die Wirklichkeit ist. Das trifft auch den Kern des Films, der fragt: Was ist die Wahrheit, wo ist sie verborgen. Michael Gorbatschow war etwa für uns im Westen ein Held. Für die Letten war er das ganz und gar nicht. Für sie hat er erst mal Armut gebracht. Sie haben diese Entwicklung in einem ganz anderen Licht gesehen. Sie haben die Befreiung nicht als solche gesehen. Das taten höchsten diejenigen, die die Besatzung Lettlands durch Stalin und Hitler persönlich erlebt haben. Das ist alles sehr kompliziert und wir hatten Angst, dass wir das alles nicht in den Film reinkriegen. Vieles mussten wir auch streichen, weil die Menge an Material unmöglich in einen Film gepackt werden kann.

Ricore: Neben dem geschichtlichen Rahmen ist die destruktive Macht der Liebe ein weiterer Aspekt des Films. Konnten Sie Margas Liebe für ihren Mann nachvollziehen?

Köhler: Nein, nachvollziehen konnte ich es nicht. Aber ich fand es klasse, dass dieses Thema thematisiert wurde. Ich fragte mich, wie die Drehbuchautoren darauf gekommen sind. Die Handlung lehnt sich an eine wahre Geschichte an. Im Zentrum steht eine Besitzergreifende Liebe. Es ist keine Liebe, um die man einen Menschen unbedingt beneidet oder der man nacheifern will. Es ist keine Liebe wie bei Romeo und Julia, sondern eine sehr einseitige, sehr böse.
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Auf dem Set von "Das Blaue vom Himmel": Juliane Köhler und Regisseur Hans Steinbichler
Ricore: Dennoch wird Marga am Ende verziehen. Glauben, Sie dass die Liebe den Menschen von Schuld befreit?

Köhler: Wissen Sie, darüber haben wir stundenlang diskutiert. Auch bei diesem Thema gibt es 100 Wahrheiten. Ich und Hannelore waren etwa unterschiedlicher Meinung. Ich persönlich finde schon, dass Marga schuldig ist.

Ricore: Sie finden nicht, dass Liebe über Moral steht?

Köhler: Nein, gar nicht. Ich hatte auch ein Problem mit dem Verzeihen. Wir haben lange darüber geredet. Hannelore bestand darauf, dass ihre Figur der Marga unschuldig ist. Ich behauptete, dass sie sehr wohl schuldig ist. Wir haben uns wegen des Themas zwar nicht gestritten, aber es war doch ein großer Diskussionspunkt. Wer weiß, wo die Wahrheit liegt. Ich finde, was sie gemacht hat, ist ein großes Verbrechen. Hannelore sagte, dass sie von den Umständen dazu getrieben wurde. Sie konnte nichts dafür. Dann kam gemeinerweise Regisseur Hans Steinbichler und hat die ganze Geschichte so geschnitten, wie er das sieht (lacht)

Ricore: Jemand sagte mal, dass Sie überwiegend starke Figuren spielen. Würden Sie der Aussage zustimmen?

Köhler: Ich würde interessante Figuren sagen. Stark waren meine Figuren nicht immer, dafür interessant. Ich spiele selten eine Mutter, die zu Hause auf die Kinder aufpasst, während der Vater irgendwas Schlimmes macht. Es sind vielmehr Frauen, die einen Tick, eine Macke oder eine Schwäche haben. Mich interessieren Frauen mit einem Abgrund. Das wollte ich schon immer sein. Früher wollte ich immer Clown werden, nicht weil Clowns lustig sind und Menschen zum Lachen bringen, sondern weil sie so abgründig sind.

Ricore: Spielen Sie lieber Figuren, die Ihnen ähneln oder doch lieber solche, die charakterlich weit entfernt von Ihnen sind?

Köhler: Da gibt es einen Unterschied zwischen Theater und Film. Im Theater kann man alles spielen. Da könnte ich auch eine dicke Nudel spielen. Trotzdem würde ich auch etwas von mir in die Rolle reinpacken. Beim Film spielt das Typ-Casting eine wichtige Rolle. Die Filmregisseure schauen - meiner Meinung nach zu Recht - ganz genau, ob der Typ stimmt. Wenn der Typ eines Schauspielers passt, dann kann nicht mehr viel passieren. Mit anderen Worten: Man würde mich beim Film nicht als asoziale Schreckschraube besetzen. Ich spiele immer eher das Durchsichtige, Durchscheinende und Abgründige. Allein von meiner Körperlichkeit her werde ich eher für zartere Figuren besetzt.
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Juliane Köhler und Hannelore Elsner in "Das Blaue vom Himmel"
Ricore: Kann man sagen, dass Figuren im Film lebensnaher, während Theaterfiguren allgemeingültiger und abstrakter sind?

Köhler: Nein, das denke ich nicht. Für mich ist es die gleiche Arbeit. Im Film wie im Theater geht es darum, Figuren mit Leben und Wahrheit zu füllen. Die Zuschauer müssen sowohl auf der Bühne, als auch auf der Leinwand Figuren vor sich haben, von denen sie ergriffen werden. Der Unterschied ist, dass beim Theater schon bei den Proben die Schnittfassung angefertigt wird, während sie beim Film erst nach dem Dreh entsteht. Hier geschieht das unabhängig von den Schauspielen, beim Theater können wir das ganze Produkt mitgestalten.

Ricore: Wollen Sie Theater und Film weiterhin parallel betreiben?

Köhler: Ja. Das war immer mein größtes Ziel im Leben. Ich wollte schon immer Theater und Film verbinden. Die Kombination macht mir sehr viel Spaß. Nach langem Kampf habe ich auch geschafft, das durchzusetzen. Früher in den 1980er und 1990er Jahren war das nur schwer möglich. Das waren damals noch zwei unterschiedliche Welten. Theater hasste den Film und umgekehrt. Heute ist das anders. Heute drehen alle Theaterschauspieler zwischendurch auch viele Filme. Man kann nicht alles drehen, nicht jedes Angebot machen. Aus diesem Grund sag ich viele Projekte ab. Ich liebe das Theater, hier ist meine Heimat und hier will ich auch bleiben. Wenn ich aber zwischendurch ein schönes Filmangebot kriege, sage ich gerne zu.

Ricore: Gibt es bei Theaterschauspielern die Befürchtung, dass die Rollen beim Film schnell flach werden?

Köhler: Es kommt auf das jeweilige Projekt an. Wenn Filme ein gewisses Niveau haben, dann können tolle Sachen entstehen. Ich habe mal einen Fernsehfilm gemacht, der hieß "In Sachen Kaminski". Darin spielte ich an der Seite von Matthias Brandt eine Frau, die einen sehr niedrigen IQ hat, deren Kind aber sehr intelligent ist. Das war auch "nur" für das Fernsehen und war dennoch ein ganz toller Film. Diese Figuren zu spielen, war wahnsinnig schwer. Was wir Theaterschauspieler sehr gerne machen, sind Projekte wie "Tatort" oder "Polizeiruf 110". Die werden oft von tollen Regisseuren inszeniert und es spielen wunderbare Schauspieler mit. Im Kölner "Tatort" habe ich eine feste Rolle. Sie zu spielen, macht mir großen Spaß.
Constantin Film
Juliane Köhler und Bruno Ganz in "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs"
Ricore: Stehen sich die beiden Welten nicht manchmal auch im Wege, was Termine und das Logistische angeht.

Köhler: Das ist in der Tat das einzige Problem, wenn man Theater und Film unter einen Hut bringen will. Da muss man sich entscheiden. Ich für meinen Teil habe mich immer für das Theater entschieden. Wenn ich an einem Filmprojekt interessiert bin, dann frage ich den Theaterchef, ob ich da und da einen Film machen kann. Wenn er das ermöglichen kann, dann wird mir der Zeitraum gewährt.

Ricore: Wie sehen Sie den deutschen Film? Glauben Sie, dass es einen kreativen Boom gibt oder herrscht da eher eine Flaute?

Köhler: Eine Krise sehe ich jedenfalls nicht. Jedes Land hat seine kreativen Höhen und Tiefen. Man versucht einfach Stoffe umzusetzen, die die Menschen bewegen. In Deutschland hat es in letzter Zeit einige sehr schöne Sachen gegeben. Ich fand zum Beispiel "Drei" von Tom Tykwer toll. Der Film ist ein wunderbares Kammerspiel. Nein, ich habe nicht den Eindruck, dass es dem deutschen Film schlecht geht.

Ricore: Was ist ihr nächstes Projekt?

Köhler: Ich werde im Sommer "Zwei Leben" drehen, eine norwegisch-deutsche Koproduktion. Es ist eine interessante Geschichte über eine DDR-Spionin, die sich in Norwegen eine zweite Identität aufbaut. Der Film erinnert an David Cronenbergs "A History of Violence". Ich spiele darin die Tochter von Liv Ullmann. Sechs Jahre lang hatten wir versucht, Gelder für das Projekt aufzutreiben. Jetzt wird es endlich gefördert.

Ricore: Wie wird es sprachlich bei dieser Koproduktion funktionieren?

Köhler: Der Film wird auf Norwegisch gedreht. Aus diesem Grund lerne ich die Sprache bereits seit einem halben Jahr. Ich investiere sehr viel Zeit in das Projekt. Es ist auf jeden Fall eine Herzensangelegenheit.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 31. Mai 2011
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Marga (Hannelore Elsner) war in ihrer Jugend unsterblich in einen Mann verliebt. Ihre Beziehung scheitert an den historischen Umwälzungen der 1930er Jahren und einem Verhältnis des Mannes zu einer andren Frau. Im hohen Alter kehren die Erinnerungen zurück. Gemeinsam mit ihrer Tochter Sofia (Juliane Köhler) reist Marga nach Riga. Hans Steinbichler inszeniert mit "Das Glaube vom Himmel" ein aufwendiges Drama, das trotz zu viel Pathos durch einige große Momente und ein durchweg überzeugenden..
2024