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Alba Rohrwacher in "Die Einsamkeit der Primzahlen"
Schauspielerin mit Freiheitsdrang
Interview: Alba Rohrwacher hat was zu sagen
Für ihre Darstellung einer traumatisierten Frau in Saverio Costanzos "Die Einsamkeit der Primzahlen" ging Alba Rohrwacher an ihre Grenzen. Ganze zehn Kilogramm hat die zierliche Schauspielerin abgenommen, um den psychisch wie physisch gezeichneten Charakter glaubhaft darzustellen. Die Mühe hat sich gelohnt. Nach Meinung vieler Kritiker liefert die 32-jährige in der Romanadaption eine beeindruckende Leistung ab. Filmreporter.de hat sich mit der Italienerin mit deutschen Wurzeln über die Strapazen des Drehs unterhalten und sie zum Bild der Frau im zeitgenössischen Kino befragt.
erschienen am 11. 08. 2011
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Die Einsamkeit der Primzahlen
Ricore: Sie haben von Ihrem deutschen Vater einen Namen, der für Italiener schwer auszusprechen ist. Haben Sie darüber nachgedacht, sich einen Künstlernamen zu geben?

Alba Rohrwacher: Das bin ich schon öfter gefragt und gebeten worden. Aber die Familie väterlicherseits lebt nun mal hier in Hamburg. Und jetzt haben sich alle daran gewöhnt.

Ricore: In "Die Einsamkeit der Primzahlen" spielen sie die Rolle einer magersüchtigen jungen Frau, für die sie zehn Kilo abnehmen mussten. Wie hat sich der veränderte Körper ausgewirkt?

Rohrwacher: Ich bin ohnehin eine eher schlanke Person. Deshalb war es für mich eine extreme Anstrengung, weitere zehn Kilo abzunehmen. Das war der Leitgedanke von Regisseur Saverio Costanzo. Die Schauspieler sollten die Erfahrung der körperlichen Veränderung machen, bevor zu drehen begonnen werden sollte. Das war ihm wichtig.

Ricore: Was hat Ihnen die Erfahrung gebracht?

Rohrwacher: Ich bin überzeugt, dass der körperliche Einsatz eine große Bedeutung für den Schauspieler hat. In diesem speziellen Fall war sie besonders wichtig. Es bestand nämlich die Gefahr, die unausgesprochenen Gefühle und unterschwelligen Gedanken der Protagonisten über den Kopf und den Intellekt statt über den Körper darzustellen. Die Metamorphose hat uns den Schmerz der Protagonisten selbst fühlen und besser darstellen lassen. Paradoxerweise war dieser Prozess mit Freude und Vergnügen an der schauspielerischen Arbeit verbunden.
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Was will ich mehr
Ricore: Worin bestand dieser Schmerz?

Rohrwacher: Ich hatte durch das Abnehmen einen Körper, der nicht mehr meiner war. Er war etwas Fremdes für mich geworden. Und es war noch in anderer Hinsicht anstrengend: Es bedeutete nicht nur, auf Pasta zu verzichten, sondern war auch eine Verleugnung meiner Weiblichkeit.

Ricore: Wie ist es Ihrem Filmpartner Luca Marinelli bei seiner körperlichen Metamorphose ergangen?

Rohrwacher: Luca, Saverio und ich haben vor Drehbeginn zwei Monate zusammen gearbeitet, auch am Drehbuch. Luca hat das Gegenteil von dem erlebt, was ich erlebte (Er musste 15 Kilo zunehmen, Anm. d. Red.). Wir sind in dieser Zeit zu einer Person zusammengewachsen. Zwischen uns ist nicht nur vor der Kamera eine Beziehung entstanden. Er hat mich an der Hand genommen und geführt.

Ricore: Sie haben selbst an der Ausgestaltung Ihrer Figur mitgearbeitet?

Rohrwacher: Ja. Außerdem haben wir 90 Prozent des Filmes improvisiert. Jeden Tag passierte bei den Dreharbeiten etwas, das weder vorgesehen war, noch im Drehbuch geschrieben stand. In solchen Momenten konnte jeder seine Kreativität einbringen. Zwischen uns herrschte ein echter Austausch.
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Alba Rohrwacher in "Die Einsamkeit der Primzahlen"
Ricore: Wie sah dieser Austausch konkret aus?

Rohrwacher: Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel. Während der Vorbereitungsarbeit zu "Die Einsamkeit der Primzahlen" reiste ich für drei Tage zu einem Festival nach New York. Als ich dort angekommen war, kam mir alles so riesig vor. Das erzählte ich Saverio, mit dem ich in ständigem Kontakt stand. Ich sagte, ich fühle mich wie Alice im Wunderland. Alice heißt ja auch meine Rollenfigur. Es kam mir alles so unwirklich vor. Die Wolkenkratzer, die Steaks - alles war so gigantisch groß. Saverio sagte dann, dass wir das umsetzen könnten und sprach anschließend mit dem Ausstatter. So wurden die Stühle, Tische, Betten und sogar die Toilette leicht vergrößert.

Ricore: Sind Sie nach dieser intensiven und anstrengenden Zusammenarbeit nicht in ein Loch gefallen?

Rohrwacher: Ja, schon. Andererseits hatte die gemeinsame Zeit keinen konkreten Anfang und kein bestimmtes Ende. Der Film ist zwar abgedreht und doch ist er nicht zu Ende. Außerdem haben wir mit den Dreharbeiten zu einem anderen Zeitpunkt begonnen, als vorgesehen. Denn wir waren abhängig von einem ganz speziellen Licht, das in Turin herrscht. War dieses dann da, haben wir angefangen zu drehen. Es ging also plötzlich und unvermittelt los.

Ricore: Haben Sie gleich nach "Die Einsamkeit der Primzahlen" weitergearbeitet?

Rohrwacher: Nein, ich konnte nicht gleich mit einem neuen Projekt weitermachen und nahm mir erst mal eine Pause. Ich wollte mir die Erfahrungen von "Die Einsamkeit der Primzahlen" für eine Weile bewahren.
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Alba Rohrwacher und Luca Marinelli in "Die Einsamkeit der Primzahlen"
Ricore: Kam die Arbeit mit Saverio Constanzo Ihrer künstlerischen Natur und Ihrem Charakter entgegen?

Rohrwacher: Saverio ließ mir viele Freiheiten. Das ist für mich die ideale Voraussetzung für die Arbeit. Generell ist es für mich wichtig, mit dem Regisseur den Blickwinkel zu teilen. Das war bei Saverio der Fall. Er gibt einem sehr viel Freiheit, weiß aber ganz genau, was er möchte. Ich kann aber auch unter anderen Bedingungen arbeiten. So wie bei Silvio Soldini, mit dem ich "Was will ich mehr" gemacht habe. Bei ihm hatte ich zwar weniger Freiheiten, aber unsere Sichtweisen waren auf einer Ebene. Wenn der Blickwinkel nicht der gleiche ist, entsteht bei der Arbeit ein Problem.

Ricore: Da muss die Zusammenarbeit mit Pupi Avati, mit dem sie "Giovannas Vater" gedreht haben, ganz anders gewesen sein.

Rohrwacher: Oh ja. Er macht Kino wie vor 50 Jahren - zwei Drehs, vielleicht ein paar mehr, dann ist Schluss. Ich persönlich würde eine Szene eher 100 Mal aufnehmen. Trotzdem war die Zusammenarbeit mit ihm sehr erfreulich, weil ich seine Weltanschauung teile. Er ist wirklich ein Meister. Die Arbeit eines Schauspielers besteht darin, innerhalb der Vorgaben des Regisseurs seine Freiheit zu finden. Bei "Die Einsamkeit der Primzahlen" war dies der Fall.

Ricore: Das heißt, Sie müssen mit dem Regisseur einer Meinung sein, um gut arbeiten zu können?

Rohrwacher: Ja. Sonst geht es nicht. Ich muss den Entscheidungen des Regisseurs zustimmen können.
MFA+
Tilda Swinton in "I Am Love"
Ricore: Sie haben bei "I am Love" mit Tilda Swinton gearbeitet. Was haben Sie von dieser Begegnung mitgenommen?

Rohrwacher: Ja, es war eine wichtige und besondere Begegnung. Mich interessiert ihre unkonventionelle Art. Ich bewundere Ihre Person und Arbeit sehr. Es war eine tolle Erfahrung, mit ihr zu arbeiten. Sie ist eine echte Künstlerin. Eine weitere Person, die für mich besonders ist, ist Isabella Rossellini. Zwei Frauen, über deren Begegnung ich mich sehr glücklich schätze.

Ricore: Welche Frauenrollen zeigt der italienische Film heute?

Rohrwacher: Als allgemeine Tendenz kann man sagen, dass die Frau heute oft als die starke Schulter des Mannes dargestellt wird. Sie ist das unterstützende Prinzip. Das ist nicht nur auf Italien beschränkt. Andererseits habe ich auch in Filmen mitgespielt, in denen die Frau die entscheidende Rolle spielt. Manchmal werden Frauen auch als Kämpferinnen und Vorreiter gezeigt.

Ricore: Wie schafft man es als Schauspielerin, eine so verschlossene und in sich gekehrte Person wie Alice zur Sympathie-Trägerin werden zu lassen?

Rohrwacher: Das ist wahrscheinlich die Magie des Kinos.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 11. August 2011
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Alba Rohrwacher wird 1979 als Tochter eines Deutschen und einer Italienerin in Florenz geboren. Nach dem Schauspielstudium an der römischen Filmhochschule L'amore ritrovato" ihren ersten Spielfilm. Aufsehen erregt Rohrwacher drei Jahre später in Silvio Soldinis Drama "Tage und Wolken", für das sie mit dem Saverio Costanzos Romanadaption "Die Einsamkeit der Primzahlen" ganze zehn Kilogramm ab, um ihrer physisch und psychisch lädierten Figur Authentizität zu verleihen.
Alice (Alba Rohrwacher) ist als Kind bei einem Skiunfall schwer gestürzt. Seitdem ist das Verhältnis zur Familie und dem eigenen Körper gestört. Auch Mattia (Luca Marinelli) hat in seiner Kindheit ein traumatisches Erlebnis gehabt. Seit sich die beiden in der Schule begegnet sind, bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft. Ist ihr Verständnis füreinander ausreichend, um sich wirklich nahe zu kommen? Saverio Costanzo verfilmt mit "Die Einsamkeit der Primzahlen" das erste Buch des italienischen..
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