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Rassistische Studios?
Interview: Steven Soderbergh zu "Contagion"
Steven Soderbergh ist einer der wenigen Regisseure, die es konstant schaffen, sowohl in der Indie-Szene als auch mit Blockbuster-Filmen Erfolge zu feiern. Mit "Traffic - Macht des Kartells" gewann er den Oscar, mit "Erin Brockovich - Eine wahre Geschichte" die Herzen des Publikums, mit "Che" die Aufmerksamkeit der Kritiker. Mit "Contagion" präsentiert der facettenreiche Filmemacher nun einen Epidemie-Thriller, in dem ein tödlicher Virus die Menschheit bedroht. Kurz nach der Weltpremiere in Venedig trafen wir den 48-Jährigen zu einem Gespräch über die Risiken des Filmgeschäfts, die Fehler der Studios und wieso afroamerikanische Schauspieler immer noch kaum Hauptrollen bekommen.
erschienen am 26. 10. 2011
Warner Bros. Ent.
Contagion
Ricore: Mr. Soderbergh, "Contagion” ist ein globaler Epidemie-Thriller, der auf verschiedenen Kontinenten gedreht wurde. War es Ihr bislang schwierigstes Shooting?

Steven Soderbergh: Nein, das war auf jeden Fall "Che". Bei "Contagion" hatten wir zwischen jedem Location-Wechsel eine Pause, was den Dreh deutlich vereinfacht hat. Wir fingen in Hongkong an, drehten anschließend in Chicago, Atlanta, London, Genf und ganz zuletzt San Francisco.

Ricore: Wieso die Pausen?

Soderbergh: So hatten wir die Möglichkeit, unser Material zwischendurch zu sichten und bereits zu schneiden. In erster Linie war es allerdings eine Sache des richtigen Timings: Denn wir mussten ab und an auf Jude Law warten, der zur gleichen Zeit den neuen "Sherlock Holmes"-Film drehte.

Ricore: Schon als Zuschauer wird man bei diesem Film zum Hypochonder. Wurde Ihr Team während der Dreharbeiten auch häufiger krank?

Soderbergh: Interessant, dass Sie das erwähnen. Ich hatte in Hongkong nämlich eine ziemlich heftige Margen-Darm-Grippe und konnte mich für ein paar Tage kaum bewegen. Da am Set natürlich ständig Leute um mich herum sind, habe ich einen Teil der Crew sofort angesteckt. Ich habe versucht, den Virus mit amerikanischer Medizin zu bekämpfen, aber leider hat das nichts geholfen. Nach ein paar Tagen wurde mir dann von unserem Hotel-Concierge ein einheimisches Mittel gegeben. Einen halben Tag später war ich wieder topfit. Er wollte mir eine Ladung nach Amerika schicken, aber ich war mir nicht sicher, ob das wirklich legal gewesen wäre.
Jean-François Martin/Ricore Text
Steven Soderbergh (Cannes 2008)
Ricore: Statistiken sagen, dass man sich in Flugzeugen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Virus holen kann. Sie sind eine ganze Menge geflogen...

Soderbergh: Ich garantiere Ihnen: Flugzeugtoiletten und Fledermäuse sind beides Bazillenschleudern.

Ricore: Dass Fledermäuse Krankheiten übertragen können, sieht man auf sehr anschauliche Art und Weise in Ihrem Film.

Soderbergh: Fledermäuse sind wirklich grauenvoll dreckige Wesen. Sie tragen eine ganze Menge Krankheitserreger mit sich herum, die ihnen zwar nichts ausmachen, andere Lebewesen aber töten können.

Ricore: Wir sollten uns also vor Seuchen fürchten?

Soderbergh: Ich habe bei der Recherche zu diesem Film gemerkt, wie schnell eine solche Epidemie ausbrechen kann. Man schaue sich zum Beispiel den Ebola-Virus an, der mehr oder weniger aus dem nichts auftauchte. Aber ich habe auch festgestellt, dass wir so gut wie alle Krankheiten heutzutage bekämpfen können. Es gibt eine Menge sehr schlauer und tapferer Ärzte und Wissenschaftler.

Ricore: Waren Ärzte Ihrem Projekt gegenüber gut gesonnen oder bestand die allgemeine Angst, Sie würden die Menschheit nur noch paranoider machen?

Soderbergh: Die Mediziner, mit denen wir sprachen, wussten aufgrund meiner Reputation, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen würden. Das Ziel des Filmes war schließlich, den Zuschauer für weniger als zwei Stunden in gewisser Weise mitfühlen zu lassen, wie eine solche Seuche ausbricht. Deswegen haben wir den Fokus auch auf ein paar Schlüsselfiguren gelegt und nicht versucht, zu viele Leute zu zeigen, zu denen der Zuschauer keine Beziehung hat. Es sollte sich persönlich anfühlen.

Ricore: Obwohl der Film an mehreren Orten der Welt spielt, sind die Hauptcharaktere doch alle Amerikaner. Warum?

Soderbergh: Wie sonst bekommt man 60 Millionen Dollar, um einen derartigen Film zu drehen? Ein amerikanisches Filmstudio musste her - und die wollten eben amerikanische Hauptdarsteller, damit sie ihr Geld verdienen können. Im besten Fall sollten diese Hauptdarsteller auch noch alle weiß sein. Von dieser Idee konnte ich sie aber zum Glück wieder abbringen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Steven Soderbergh (Cannes 2008)
Ricore: Spielt die Hautfarbe in Hollywood heutzutage wirklich noch eine so große Rolle?

Soderbergh: Es ist schockierend. Sobald man bei einem internen Meeting einen nicht-weißen Schauspieler als Hauptdarsteller vorschlägt, verstummt der ganze Raum. Niemand will etwas Falsches tun und durch das omnipräsente Schweigen ist bereits alles gesagt. Verdammt, wir befinden uns im 21. Jahrhundert und dieser Müll passiert immer noch. Zum Glück hatten wir die Rolle für Laurence Fishburne geschrieben, den das Studio bereits aus "Matrix"-Zeiten kannte.

Ricore: Sie schaffen immer wieder den Spagat zwischen großen Studio-Produktionen und kleineren Independent-Filmen. Wo verspüren Sie mehr Druck?

Soderbergh: Das macht sich nicht viel. Manchmal ist bei Independent-Projekten der Druck sogar größer, weil mehr auf dem Spiel steht. Ein Studio kann einen Flop verkraften, ein unabhängiger Produzent in der Regel nicht. Das Problem an der Geschichte ist, dass man heute nicht mehr dafür bestraft wird, wenn jemand einen großen Studio-Film versaut. Deswegen gibt es so viele schlechte Filme. Früher haben durch die Fehler erfahrener Leute auch die jungen Talente eine Chance bekommen, heute ist das nur noch selten der Fall. Natürlich macht jeder einmal Fehler, aber den gleichen Fehler immer wieder zu machen, sollte irgendwann bestraft werden.

Ricore: Heute scheint es Studios in erster Linie darum zu gehen, ob man ein Projekt kommerziell vermarkten kann. Die Qualität scheint eher zweitrangig.

Soderbergh: Genau so ist es. Und nur weil jemand mal einen erfolgreichen Film gedreht hat, heißt das noch lange nicht, dass er das wieder machen kann. Es wäre viel besser, nach talentierten und verantwortungsbewussten Filmemachern zu suchen, die ihr Bestes geben werden, ein bestimmtes ökonomisches Ziel zu erreichen. Denn so macht man auf Dauer Geld. Clint Eastwood hat das über Jahre bewiesen: wenn man alle seine Filme produziert, wird man am Ende des Tages auf jeden Fall sein Geld machen, auch wenn das eine oder andere Werk zwischendurch vielleicht kein kommerzieller Erfolg sein wird.

Ricore: Es macht also keinen Sinn, auf den einen großen Hit eines Regisseurs zu hoffen?

Soderbergh: Nein, denn dabei riskiert man, dass man den Falschen pickt. Aber ich bin ja ohnehin der Meinung, dass das ganze Studiosystem verändert werden muss.
erschienen am 26. Oktober 2011
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