Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Colin Firth
Michael Winterbottoms bizarre Dreharbeiten
Interview: Die zwei Welten des Colin Firth
Er war mal der spießige Anwalt. Die Bridget-Jones-Zeiten sind vorbei. Colin Firth spielt in Michael Winterbottoms Drama "Genova" einen Vater, der sich nach dem Unfalltod seiner Frau alleine um seine zwei pubertierenden Töchter kümmert. In San Sebastián, wo das Werk gut aufgenommen wurde, erzählt der Schauspieler Filmreporter.de, warum er sich eher in die Welt von Winterbottom hingezogen fühlt, als der von "Mamma Mia!" Die Dreharbeiten zu diesen höchst unterschiedlichen Filmen fanden gleichzeitig statt. Bizarr, wie auch der mit dem typisch-trockenen britischen Humor gesegnete Firth bestätigt.
erschienen am 28. 12. 2011
Donostia-San Sebastian International Film Festival
Genova
Ricore: Warum haben Sie ausgerechnet Genua als Stadt für einen Neuanfang einer Familie gewählt?

Michael Winterbottom: Als ich zum ersten Mal in Genua war, hatte ich nur einen Tag Zeit, aber das reichte, um die besondere Atmosphäre dieser Stadt zu spüren. Über die Jahre kam ich immer wieder nach Genua zurück und entschied eines Tages, hier einen Film zu machen. So einfach das klingen mag, so einfach war es auch.

Ricore: Ich würde gerne wissen, wie Sie Perla Haney-Jardine auf ihre Rolle vorbereitet haben? Sie geht im Laufe der Handlung ja durch emotionale Höhen und Tiefen.

Winterbottom: Ich lasse meinen Schauspielern immer freie Hand. Ich möchte, dass sie die Situationen so natürlich wie möglich begreifen und dementsprechend spielen. Dann beobachte ich die Schauspieler und versuche ihnen die nötigen technischen Mittel mitzuteilen. Perla hatte natürlich eine schwierige Rolle zu spielen. Sie musste plötzlich zu weinen anfangen und dann wieder aufhören. Wir hatten am Set natürlich auch einen Coach, der sich sehr rührend und sensibel um sie gekümmert hat und ihr sanft versuchte beizubringen, wie diese Emotionen am besten gespielt werden. Es war mir klar, dass diese Szenen nicht gleich beim ersten Mal klappen würden. Aber der Fortschritt war sichtbar. Colin und die Mädchen entwickelten schnell eine gute Beziehung.

Colin Firth: Ja, das ist wahr, das verdanken wir aber nur den Umständen, die uns Michael ermöglichte. Wir hatten eine einfache Umgebung, alle arbeiteten konzentriert und waren auf den Film fokussiert. Sie müssen wissen, ein Filmset kann ein unglaublich komplizierter Ort sein, auf dem viele Menschen unterschiedlichen Aufgaben nachgehen. Aber bei uns gab es niemanden, der bestimmte Lichter aufstellte, mit dem Ton herumhantierte oder an den Kostümen herumzupfte. Es gab nur uns und jene, die unabdingbar waren. So entstanden unsere Beziehungen auf natürliche Art und Weise. Perla ist zehn Jahre alt, sie hat mich nie vorher gesehen. Sie war anfänglich sehr skeptisch, um nicht zu sagen, vorsichtig, als wir uns zum ersten Mal sahen. Aber am Ende des ersten Tages waren wir bereits gute Freunde. Und die Umstände am Set haben sehr stark dazu beigetragen.

Ricore: Ich frage mich, ob die Anwesenheit der Mutter im Film nach Ihrem Tod wirklich notwendig war?

Winterbottom: Wenn man einen Film macht, ist dies ein fortlaufender Prozess. Man hat nie schon zu Beginn der Dreharbeiten das Ende im Sinn. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, könnte ich noch so viel daran ändern. Die Mutter war aber immer als Element vorgesehen. Ich kam zum Schluss, dass sich Mary derart einsam fühlen muss, dass sie sich wünschte, bei ihrer Mutter zu sein. Egal wo die sich gerade befindet. So habe ich mir überlegt, dass Mary ganz bestimmt ihre Mutter sieht. Aber es gab natürlich unterschiedliche Meinungen, wie oft die Mutter vorkommen soll.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Michael Winterbottom
Ricore: Bestimmte Szenen manchen den Eindruck, der Tod bedinge weitere Probleme. War das Absicht?

Winterbottom: Ja, man soll sich um die beiden Mädchen Sorgen machen. Auch die ältere Tochter macht eine schlimme emotionale Phase wegen dem Tod ihrer Mutter durch. Mary wird sich immer die Schuld an ihrem Tod geben. Der Vater macht sich natürlich Sorgen um ihre Zukunft und holt sie daher aus ihrem gewohnten Umfeld heraus, wo sie alles an ihre Mutter erinnert. So spielt der Film auch in einer Art Zwischenwelt, zwischen dem was vorher geschah und was die Zukunft womöglich bringen wird. Die Idee dahinter war immer, sich Sorgen zu machen, ob die Kinder jemals wieder OK werden ohne aber in die Details zu geben.

Ricore: Mich würde interessieren, warum sich der Film weigert, die Auseinandersetzungen zwischen den drei Hauptfiguren zu zeigen? Einzig die kleine Tochter weint um die Mutter, auch der Vater (Colin Firth) ist eher kühl und distanziert gegenüber dem Tod seiner Frau.

Winterbottom: Der Grund liegt in den kulturellen Differenzen zwischen Spanien und Großbritannien.

Firth: Ich würde gerne etwas dazu sagen. Ich glaube nicht, dass es darum geht, etwas zu leugnen, zu unterdrücken oder den Tod zu verschweigen. Es geht doch darum, was man nach sechs Monaten zu sagen hat. Alle waren in einer Therapie, und haben geweint. Auch ich. Wir haben eine Szene gedreht, wo ich im Bett liege und ganz fürchterlich heule. Diese wurde später rausgeschnitten, weil wir glauben, dass der Film zeigen will, wie das Leben nach einem so schrecklichen Ereignis weiter geht. Es geht nicht um Stoizismus oder Heldentum. Der Film beginnt mit den Schreien des kleinen Mädchens, und wie ich sie verzweifelt festzuhalten versuche. Das zeigt doch unsere Verlorenheit gegenüber den Geschehnissen. Ich glaube auch, dass daher die physische Präsenz der Mutter nach ihrem Tod speziell für die Kleine sehr wichtig ist. Wenn man leidet, ist die Notwendigkeit groß, bestimmten Menschen nahe zu sein. Das hängt natürlich davon ab, wie die familiären Beziehungen sind, aber Mary braucht diese Beziehung zur Mutter. In ihren Dialogen wird klar, wie einsam sich das Mädchen fühlt. Wenn die Mutter nicht da wäre, würde die Geschichte eine andere Drehung bekommen.

Ricore: Trägt dieser Film autobiografische Züge?

Winterbottom: Nein, der Film ist komplett fiktional.

Ricore: Von "Bridget Jones" zu "Mamma Mia!" und dann zu Michael Winterbottom, fühlen Sie sich in allen Genres wohl?

Firth: Ja, das ist nicht das erste Mal, dass ich zwischen den Genres wechsle. Das liegt in der Natur unseres Berufes. Es war allerdings das erste Mal, dass ich zwei Filme gleichzeitig gedreht habe. Ich habe "Genova" zur gleichen Zeit wie "Mamma Mia!" gedreht. Das war eine außergewöhnliche Aufgabe. Ich meine, von einer Tochter zur anderen zu gehen, ist eine Sache, aber der Vater in "Mamma Mia!" zu sein oder jener in "Genova" ist eine ganz andere. Ich war mit Benny und Björn im Studio um die Lieder aufzunehmen, danach gings in dieses kleine, familiäre Appartement mit meinen anderen zwei Filmtöchtern, danach zurück nach London in den engen Anzug, das waren schon große Schritte. Es war beinahe bizarr, denn in der einen Welt ist alleine die Vorstellung, dass es diese andere Welt geben könnte, unmöglich. Aber ich habe beide Dreharbeiten auf ihre Art und Weise genossen. Müsste ich zwischen diesen beiden Projekten wählen, muss ich sagen, dass ich mich mehr zur Welt Winterbottoms hingezogen fühle, als zu jener in "Mamma Mia!". Und das sage ich nicht nur, weil Michael gerade neben mir sitzt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. Dezember 2011
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Genova (Kinofilm)
Ein Vater (Colin Firth) flieht mit seinen zwei Töchtern nach Genua. Er versucht hier nach dem tragischen Unfalltod seiner Frau (Hope Davis) den Neubeginn. Regisseur Michael Winterbottom gelang zwar ein handwerklich sauberes Drama, es bleibt jedoch der fade Beigeschmack, dass eine alte Geschichte in ein neues Gewand gekleidet. So ist auch die Hommage an eine Stadt kein wirklich neues Thema, da sich bereits Cédric Klapisch in "So ist Paris" damit auseinandersetzte.
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