Constantin Film
Max Riemelt bei der Premiere von "Wir sind die Nacht"
Beim Schauspiel angekommen
Interview: Max Riemelt endlich selbstsicher
Max Riemelt wollte sich lange nicht als Schauspieler betrachten. Zu groß waren seine Zweifel, ob er ohne Schauspielausbildung den Herausforderungen des Berufes genügen würde. Mittlerweile hat der 28-Jährige mit Kinofilmen wie "Napola - Elite für den Führer" und der fulminanten Serie "Im Angesicht des Verbrechens" bewiesen, dass er sein Handwerk bestens beherrscht. Im Interview mit Ricore Text verriet er, wie er seine Ängste besiegte.
erschienen am 9. 03. 2012
Universal Pictures
Die vierte Macht
Ricore: Herr Riemelt, wenn Sie nichts dagegen haben, dann möchte ich das Gespräch mit "Im Angesicht des Verbrechens" anfangen.

Max Riemelt: Gerne.

Ricore: Auch im Fernseh-Mehrteiler von Dominik Graf verkörpern Sie einen Mann mit russischen Wurzeln. Fällt Ihnen das Russische leicht?

Riemelt: Nein, nicht wirklich (lacht). Es hat mich ganz schön gefordert. Vor allem in "Im Angesicht des Verbrechens" fiel es mir schwer. Es ist nicht leicht, etwas in einer fremden Sprache zu spielen, wenn man den Sinn der Sätze nicht versteht. Man ist sehr gehemmt. Bei "Die vierte Macht" ging es besser, weil ich meinem Sprachcoach voll und ganz vertraute.

Ricore: Sie haben Ihre Kindheit in der ehemaligen DDR verbracht. Hatten sie kein Russisch in der Schule?

Riemelt: Nein, ich gehörte einer Generation an, die zwischen Russisch und Französisch wählen konnte. Ich entschied mich damals für Französisch. Mit dem Russischen hatte ich nichts am Hut. Für "Im Angesicht des Verbrechens" und "Die vierte Macht" habe ich jeweils die Lautsprache auswendig gelernt, die ich so lange vor laufender Kamera wiederholt habe, bis es einigermaßen klappte.

Ricore: Dann kam noch die Schwierigkeit hinzu, dass Sie englisch mit russischem Akzent sprechen mussten.

Riemelt: Ja, aber das fiel mir etwas leichter, weil ich einen Bezug zum Englischen hatte. Es ist einfacher etwas zu spielen, wenn man die Bedeutung des Gesagten versteht.
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Dennis Gansel und Max Riemelt am Set
Ricore: "Die vierte Macht" handelt auch von der Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit in Russland. Haben Sie das im Rahmen Ihrer Recherche auch so wahrgenommen?

Riemelt: Ich bin noch nie in Russland gewesen und kannte auch nicht die Ausmaße der Meinungsunterdrückung, die dort herrschen. Dafür war ich mal in China und kriegte mit, wie Menschen vorgeschrieben wird, was sie zu denken und zu sagen haben, wie sie manipuliert und gelenkt werden. Für die Recherche zu "Die vierte Macht" lagen mir verschiedene Quellen und Dokumentationen vor. Ich fand es erschreckend, in welchem Maße die Meinungsfreiheit in Russland eingeschränkt wird. Die Menschen trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen, aus Angst, sie könnten dafür belangt werden.

Ricore: Nun ist auch "Die vierte Macht" eine Meinungsäußerung. War der kritische Umgang mit Verhältnissen in Russland der Grund, wieso Sie in der Ukraine gedreht haben?

Riemelt: Ja, wir konnten nicht in Russland drehen, weil der Stoff zu brisant war. In Kiew durften wir drehen und konnten doch noch ein Bild von Russland schaffen. Es gibt ihn Kiew viele Plätze, die Moskau ähnlich sind. Einen Drehtag in Moskau hat es immerhin gegeben. Nachdem die offiziellen Dreharbeiten beendet waren, durften wir dort einige Bilder machen, die wir im Film verwendet haben.

Ricore: "Die vierte Macht" ist bereits Ihre fünfte Zusammenarbeit mit Dennis Gansel. Im Presseheft heißt es, sie wären sein Lieblingsschauspieler. Beruht das auf Gegenseitigkeit?

Riemelt: (lacht). Ich weiß nicht, ob ich sein Lieblingsschauspieler bin. Wir haben einfach eine gemeinsame Basis. Außerdem sind seine Figuren oft in meinem Alter und da bleibt es meist mir überlassen, sie zu spielen (lacht). Zwischen uns besteht ein gesundes Vertrauensverhältnis. Wenn das gegeben ist, kann man als Schauspieler sein Potenzial voll ausschöpfen. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Er hat meistens ein tolles Team um sich und weiß, wie man Filme macht.
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Max Riemelt Max Riemelt hat gut lachen bei der Premiere von "Wir sind die Nacht"
Ricore: Sie erschienen nicht mit einem Paukenschlag in der deutschen Kinolandschaft, ihre Karriere hat sich vielmehr langsam, aber stetig entwickelt. Steckt dahinter eine Karriereplanung?

Riemelt: Nein, gar nicht. Es mag vielleicht so wirken, dass ich meine Filme genau auswähle. Doch das stimmt nicht. Ich habe einfach in Projekten mitgewirkt, die nicht so gehyped wurden wie andere. Oft werden Filme mit allen Mitteln vermarktet, wobei man sich dabei vor allem auf einen Star konzentriert. Mit der Qualität der Filme hat das oft wenig zu tun. Ich hatte das Glück, dass ich in inhaltlich anspruchsvollen und qualitativ hochwertigen Filmen mitwirken durfte. Man kann die Presse nicht über einen Kamm scheren, sondern muss auch hier mehr differenzieren. Dennoch wollen die meisten Medien große Schlagzeilen mit Aufsehen erregenden Inhalten haben. Da war ich für sie wohl nicht interessant genug. Was mich angeht, so fühlte ich mich in dieser Position wohl. Ich bin dankbar dafür, wie ich arbeiten darf. Mir bedeutet konzentriertes Arbeiten mehr, als ununterbrochen im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen.

Ricore: Inwieweit nimmt Ihnen diese Position die Last des Erfolgsdrucks von der Schulter?

Riemelt: Ich finde es völlig legitim, wenn jemand die große Aufmerksamkeit möchte oder braucht. Ich freue mich, wenn ich arbeiten und mich danach in mein Privatleben zurückziehen darf. Auch wenn das immer schwieriger wird, weil ich immer öfters von Menschen erkannt werde. Einerseits finde ich das schön, andererseits empfinde ich selbst die kleinste Aufmerksamkeit als Last. Aber man muss in dem Beruf damit umgehen können. Man kann den Rummel um seine Person nicht einfach wieder von sich schieben, sondern muss sauber damit umgehen. Bis jetzt hielt sich das Interesse an mir im Rahmen. Außerdem stand es meistens in Zusammenhang mit meiner Arbeit und nicht mit einem verschobenen Bild von mir.

Ricore: Man hat bei Ihren Rollen immer das Gefühl, dass sie spielen, was sie sind. Wie viel Max Riemelt steckt in seinen Figuren?

Riemelt: Ja, ein Teil von mir steckt tatsächlich in meinen Rollen. Ich kann nur das wiedergeben, was ich bin und was ich erlebt habe. Meine Rollen sind meine Interpretationen dieser Rollen, so dass natürlich viel von mir einfließt. Ich weiß keine Erklärung für die Übereinstimmung von Rolle und Persönlichkeit. Letztendlich glaube ich, dass jeder Schauspieler etwas von sich selbst in die Rolle stecken muss, um authentisch zu sein.
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Im Angesicht des Verbrechens
Ricore: Würde es Sie nicht trotzdem reizen, etwas komplett anderes zu spielen?

Riemelt: Ja klar, sehr gerne sogar. Trotzdem würden die Menschen wahrscheinlich mich in der Rolle sehen wollen. Sie müssten sich erst von dem freimachen, was sie von mir gesehen haben. Sie müssen offen sein für Neues und dieses nicht mit dem Bekannten vergleichen.

Ricore: Eine Überraschung war Ihre Rolle eines Polizisten in "Im Angesicht des Verbrechens". Darin spielen sie einen sehr erwachsenen Charakter.

Riemelt: Auch für mich kam das Angebot überraschend. Dominik Graf hat mich eines Tages unverbindlich gefragt, ob ich in der Serie nicht mitspielen möchte. Ein Jahr später kam ich zu den Proben und alle waren überrascht, dass nicht ein Anfang 30-Jähriger, sondern ein Anfang 20-Jähriger die Rolle spielt. Für mich war diese Aufgabe eine große Bürde und ich habe am Anfang auch stark gezweifelt, gerade wegen der Reaktion meines Umfelds. Dominik hat mich jedoch schnell überzeugt. Letztendlich glaube ich, dass das die Antriebsfeder des gesamten Projekts ist: die Naivität, mit der man an die Sache herangegangen ist. Man hat nichts hinterfragt, sondern einfach gemacht und sich gegenseitig vertraut.

Ricore: Sie haben eben Ihren Zweifel angesprochen. Auch was ihren Beruf angeht, haben Sie sich lange geweigert, sich als Schauspieler zu bezeichnen.

Riemelt: Ja, das liegt daran, dass es so viele Schauspieler gibt, die ich bewundere und die für diese Arbeit so viel geben. Ich dachte, ich würde dem nicht gerecht werden. Ich hielt mich für viel zu faul und egoistisch, als das ich mich mit dem Titel anfreunden könnte.

Ricore: Sind Sie heute in dem Beruf angekommen?

Riemelt: Mittlerweile investiere ich für die Schauspielerei so viel Zeit, dass ich den Titel angenommen habe. Ich identifiziere mich damit und werde auch von meinen Mitmenschen als Schauspieler definiert. Auch wenn ich nebenher vieles anderes bin oder sein könnte, bin ich heute in erster Linie Schauspieler. Damit fühle ich mich wohl.
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Max Riemelt lebt in "Wir sind die Nacht" gefährlich
Ricore: Hat die zögerliche Herangehensweise an den Beruf vielleicht etwas damit zu tun, dass Sie keine Schauspielausbildung absolviert haben?

Riemelt: Ganz genau. Ich hatte immer das Gefühl neben tollen Schauspielern nicht bestehen zu können, die jahrelang mühselig durch eine Schauspielausbildung gegangen sind. Meine Arbeit schien mir zu leicht zugeflogen. Ich fand es ungerecht gegenüber Kollegen, die zwar handwerklich gut ausgebildet waren, deren Potenzial jedoch nicht sofort erkannt wurde. Diese Zweifel habe ich jetzt abgelegt. Ich habe erkannt, dass es viele Wege gibt, die zur Schauspielerei führen.

Ricore: Haben Sie diese Zweifel angespornt?

Riemelt: Ja, um sich selber und anderen zu beweisen, dass es eben doch möglich ist.

Ricore: Wie sah Ihr autodidaktisches Studium konkret aus? Haben Sie Ihre Vorbilder vor dem Spiegel nachgespielt?

Riemelt: Nein, ich kann ganz schwer technische Sachen nachahmen. Ich gehe eher intuitiv vor. Ich erarbeite meine Rolle durch das Nachempfinden. Wenn ich versuche, technisch zu werden, dann klappt es meistens nicht. Zum Beispiel fällt es mir schwer, Dialekte zu imitieren. Aus diesem Grund brauche ich auch immer viel Vertrauen und Freiraum, um mich in meine Rollen einzufühlen. In einer gesunden Umgebung kann ich alles machen. Wenn diese Voraussetzung gegeben ist, kann und will ich mich verlieren.

Ricore: Sie sagten einmal, dass Sie sich Filme sehr bewusst anschauen. Wollen Sie auch mal Regie führen?

Riemelt: Ja, sehr gerne - auch wenn ich sehr viel Respekt davor habe. Regie führen erfordert ein komplexes Denken und ich bin - wie gesagt - ein fauler Mensch. Trotzdem möchte ich eines Tages einen eigenen Film machen und zwar so, dass ich ihn als meinen Film wiedererkenne. Das wird von mir viel Übersicht, Einfühlungsvermögen und Geduld abverlangen. Ich habe viele Leute getroffen, die mir attestierten, dass ich diese Voraussetzungen durchaus erfüllen könnte.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 9. März 2012
Zum Thema
Max Riemelt wird 1984 in Berlin geboren. Schon mit 11 Jahren spielt er in der Kindertheatergruppe seiner Schule. Sein Filmdebüt feiert er 1997 in einer Nebenrolle des TV-Zweiteilers "Eine Familie zum Küssen". Mit Kinoproduktionen wie "Mädchen Mädchen!", "Napola - Elite für den Führer" oder "Die Welle" wird er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Riemelt lebt in Berlin-Mitte.
Der deutsche Journalist Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) reist nach Moskau, um das größte Boulevardblatt der Stadt zu sanieren. Als er einen kritischen Artikel über den Mord an einem Journalisten publiziert, gerät er ins Visier der Staatsmacht. Als seine Freundin Katja (Kasia Smutniak) bei einem Bombenattentat ums Leben kommt, wird er wegen Beihilfe zum Terrorismus verhaftet. Dennis Gansels "Die vierte Macht" ist trotz einiger Klischees ein solide inszenierter Politthriller, der spannende..
2024